Urteil des BGH vom 18.11.2008

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 183/07 Verkündet
am:
18. November 2008
Holmes,
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
EGBGB Art. 231 § 6; DDR:ZGB §§ 474 Abs. 1 Nr. 4, 476 Abs. 1 Nr. 1
Zur verjährungsrechtlichen Bedeutung eines Anerkenntnisses von Schadenser-
satzansprüchen nach dem Zivilgesetzbuch der ehemaligen DDR gegen die
Deutsche Reichsbahn aus Unfällen vor Inkrafttreten des Einigungsvertrages.
BGH, Urteil vom 18. November 2008 - VI ZR 183/07 - OLG Brandenburg
LG Frankfurt (Oder)
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 18. November 2008 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter
Wellner, die Richterin Diederichsen und die Richter Stöhr und Zoll
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten zu 2 und unter Zurückweisung der
Anschlussrevision der Klägerin wird das Urteil des 12. Zivilsenats
des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 14. Juni 2007 im
Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Be-
klagten zu 2 erkannt worden ist.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts
Frankfurt/Oder vom 16. Dezember 2005 wird insgesamt zurück-
gewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte zu 2 (im Folgenden: Beklagte) als
Rechtsnachfolgerin der Deutschen Reichsbahn der ehemaligen DDR aus nach
§ 116 SGB X übergegangenem Recht auf Schadensersatz wegen Leistungen in
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Anspruch, die sie als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung des Landes
Brandenburg an den Geschädigten H. zu erbringen habe.
Der damals neun Jahre alte H. erlitt am 22. September 1988 während
der Benutzung einer S-Bahn der Deutschen Reichsbahn auf dem Gelände des
Bahnhofs Petershagen-Nord einen Unfall, als er bei bereits geschlossenen Tü-
ren beim Anfahren auf den Zug aufspringen wollte, sich dazu am Türgriff fest-
hielt und mit dem linken Fuß zwischen S-Bahn und Bahnsteigkante geriet, wo-
durch er zu Boden fiel und sich schwere Verletzungen zuzog.
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Mit Schreiben vom 19. Januar erkannte die Deutsche Reichsbahn ihre
Einstandspflicht an. In dem Schreiben heißt es auszugsweise:
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„ … haben wir davon Kenntnis erhalten, dass Ihr Kind … am 22.9.1988 auf dem Halte-
punkt Petershagen Nord einen Unfall erlitten hat und körperlich zu Schaden gekommen
ist. Im Ergebnis geführter Ermittlungen zu dem Unfallereignis teilen wir Ihnen mit, dass
die Deutsche Reichsbahn ihre Verantwortlichkeit anerkennt. Das Anerkenntnis der
Deutschen Reichsbahn beinhaltet gegenwärtige und auch Folgeschäden des Unfalles.
… Wir bitten Sie, uns die Forderungen zu beziffern und nach Möglichkeit durch Unter-
lagen nachzuweisen. Die Deutsche Reichsbahn ist bemüht, berechtigte Ansprüche un-
verzüglich zu erfüllen.“
Mit Schreiben vom 17. Juli 1990 teilte die Deutsche Reichsbahn mit, sie
halte nach Auswertung des ärztlichen Gutachtens eine Ausgleichszahlung ge-
mäß § 338 Abs. 3 des Zivilgesetzbuchs der DDR vom 19. Juni 1975 (GBl. DDR
I 1975 Nr. 27 S. 465; im Folgenden: ZGB) in Höhe von 10.000 Mark für ange-
messen.
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Mit ihrer im Jahr 2005 erhobenen Klage begehrt die Klägerin Erstattung
von ihr an den Verletzten wegen dessen bleibender Schäden bis zum 14. Feb-
ruar 2005 angeblich erbrachter Leistungen in Höhe von 91.434,54 € sowie Fest-
stellung der künftigen Ersatzpflicht der Beklagten. Das Landgericht hat die Kla-
ge auf die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung hin abgewiesen.
Das Berufungsgericht hat unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung
die Verpflichtung der Beklagten festgestellt, der Klägerin sämtliche nach § 116
SGB X übergangsfähigen Leistungen zu ersetzen, die diese auf Grund des Un-
falls an den Geschädigten erbracht hat oder zukünftig erbringt. Es hat die Revi-
sion zugelassen, weil die analoge Anwendung von § 116 SGB X auf rechtsge-
schäftliche Ansprüche von grundsätzlicher Bedeutung sei.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht stützt den Feststellungsausspruch auf das Schrei-
ben der Deutschen Reichsbahn vom 19. Januar 1989. Dieses enthalte ein
schriftliches Schuldanerkenntnis i.S.v. § 474 Abs. 1 Nr. 4 ZGB und nicht nur ein
verjährungsunterbrechendes Anerkenntnis i.S.v. § 476 Abs. 1 Nr. 1 ZGB. Die
Ansprüche aus dem Schuldanerkenntnis seien analog § 116 SGB X auf die
Klägerin als zuständigen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung überge-
gangen. § 116 SGB X finde seit dem 1. Januar 1991 im Beitrittsgebiet Anwen-
dung und erfasse auch Schadensersatzansprüche auf Grund von Unfällen, die
sich zuvor ereignet hätten. Die Vorschrift sei auch auf rechtsgeschäftliche An-
sprüche aus einem Schuldanerkenntnis anzuwenden. Zu einem früheren Über-
gang der Schadensersatzansprüche auf etwa zuständige Leistungsträger der
ehemaligen DDR sei es mangels tatsächlicher Erbringung von Leistungen nicht
gekommen.
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Die Ansprüche seien nicht verjährt. Die am 19. Januar 1989 in Gang ge-
setzte zehnjährige Verjährungsfrist nach § 474 Abs. 1 Nr. 4 ZGB sei gemäß
Art. 231 § 6 Abs. 1 EGBGB mit Wirksamwerden des Beitritts durch die dreißig-
jährige Verjährungsfrist des § 195 BGB in der Fassung bis zum Inkrafttreten
des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001
(BGBl. I S. 3138; im Folgenden: a.F.) ersetzt worden. Dahinstehen könne, ob
ein Schuldanerkenntnis nach § 474 Abs. 1 Nr. 4 ZGB ein konstitutives Schuld-
anerkenntnis i.S.v. § 781 BGB darstelle oder ob es sich um ein eigenständiges
Rechtsinstitut des ZGB handle, da auch im letzteren Fall - mangels Bestehens
einer kürzeren Verjährungsfrist nach dem BGB für ein derartiges Rechtsgebil-
de - die dreißigjährige Regelfrist nach § 195 BGB a.F. anzuwenden sei. Diese
Frist sei zwar durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts auf eine
dreijährige Frist verkürzt worden, die nach Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB
am 1.
Januar 2002 zu laufen begonnen habe und grundsätzlich zum
31. Dezember 2004 abgelaufen sei. Doch sei wegen außergerichtlicher Ver-
handlungen der Parteien die Verjährung jedenfalls zwischen dem 5. Juli 2002
und dem 2. Juni 2003 nach § 203 BGB gehemmt gewesen, so dass die Klage
noch vor Vollendung der Verjährung zugestellt sei.
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Der Zahlungsantrag sei dagegen unbegründet, da die Klägerin nicht
nachgewiesen habe, entsprechende Zahlungen tatsächlich geleistet zu haben.
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II.
Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Die Revision hat Erfolg und führt zur Wiederherstellung des Urteils des Landge-
richts, das die Klage insgesamt abgewiesen hat. Es bedarf keiner Entschei-
dung, ob Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte wegen des Unfalls be-
stehen und nach § 116 SGB X auf die Klägerin übergegangen sind. Es kann
auch auf sich beruhen, dass, sollte ein Anspruchsübergang auf die Klägerin
erfolgt sein, das Bestehen des geltend gemachten Zahlungsanspruchs nicht mit
der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung verneint werden könnte, weil
es insoweit nur auf die Leistungsverpflichtung der Klägerin und nicht darauf an-
kommt, ob die Klägerin die Zahlungen tatsächlich erbracht hat
(vgl. etwa BGHZ
48, 181, 184; Senatsurteile BGHZ 155, 342, 346 ff.; vom 28. März 1995 - VI ZR
244/94 - VersR 1995, 600, 601; OLG Brandenburg, NJ 1996, 263; Kasseler
Kommentar/Kater, 58. Erg. Lieferg., § 116 SGB X Rn. 27). Denn etwaige Scha-
densersatzansprüche gegen die Beklagte sind jedenfalls verjährt.
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1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist auf die streitge-
genständlichen Ansprüche nach Art. 231 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB die Vor-
schrift des § 195 BGB a.F. nicht anzuwenden.
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a) Art. 231 § 6 EGBGB beruft die Vorschriften des BGB a.F. über die
Verjährung zur Anwendung, die für diejenigen Ansprüche nach dem BGB a.F.
maßgebend sind, welche den im Streitfall möglicherweise begründeten Ansprü-
chen entsprechen oder ihnen wenigstens funktionell vergleichbar sind (vgl.
Staudinger/Rauscher, BGB, Bearb. 2003, Art. 231 § 6 EGBGB Rn. 66). Da
nach Art. 232 § 1 EGBGB für ein Schuldverhältnis, das vor dem Wirksamwer-
den des Beitritts der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland ent-
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standen ist, das Recht der ehemaligen DDR maßgebend bleibt, sind für die er-
forderliche rechtliche Einordnung des in dem Schreiben der Deutschen Reichs-
bahn vom 19. Januar 1989 enthaltenen Anerkenntnisses die Vorschriften des
ZGB maßgebend. Für die Einordnung etwaiger auf Grund des Unfallereignisses
gegen die Deutsche Reichsbahn bestehender Schadensersatzansprüche gilt
nach Art. 232 § 10 EGBGB Entsprechendes, soweit die Einstandspflicht aus
einer unerlaubten Handlung (vgl. Senatsurteil vom 1. März 2005 - VI ZR
101/04 - VersR 2005, 699) oder aus einem Tatbestand der Gefährdungshaftung
(vgl. Münchener Kommentar/Wagner, BGB, 4. Aufl., Art. 232 § 10 EGBGB
Rn. 8) folgt. Die danach gebotene Auslegung und Anwendung des Zivilrechts
der DDR hat unter Berücksichtigung der Rechtspraxis in der ehemaligen DDR
zu erfolgen; das fortgeltende Recht ist dabei so anzuwenden, wie es von den
Gerichten der DDR angewendet worden wäre, wenn und insoweit es mit dem
Grundgesetz vereinbar ist (vgl. Senatsurteile BGHZ 123, 65, 67 ff.; 126, 87,
91 f.; 135, 158, 161 f.; vom 1. März 2005 - VI ZR 101/04 - aaO, S. 699 f.).
Rechtsstaatliche Bedenken gegen die Anwendung der im Streitfall in Betracht
kommenden Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.
b) Auf einen Anspruch aus einem selbstständigen abstrakten Schuldan-
erkenntnis nach § 781 BGB war nach dem bis zum Gesetz zur Modernisierung
des Schuldrechts geltenden Recht zwar die Verjährungsvorschrift des § 195
BGB a.F. anzuwenden (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 61. Aufl., § 780 Rn. 8; Gei-
gel/Bacher, Der Haftpflichtprozess, 25. Aufl., Kap. 38 Rn. 17). Im Streitfall kom-
men jedoch keine einem Schuldanerkenntnis nach § 781 BGB entsprechenden
oder vergleichbaren Ansprüche in Betracht; denn die mit Schreiben vom
19. Januar 1989 abgegebene Erklärung stellt nach dem ZGB kein selbstständi-
ges abstraktes Schuldanerkenntnis dar.
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aa) Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichts der DDR war das
abstrakte Schuldanerkenntnis dem ZGB fremd und mit Inhalt und Zweck dieses
Gesetzes (vgl. § 45 Abs. 3 ZGB) unvereinbar (OG, NJ 1987, 385, 386); die In-
stanzrechtsprechung ist dem gefolgt (vgl. BezG Erfurt, NJ 1989, 338 f.; vgl.
auch OLG Jena, OLG-NL 1997, 204, 208; ebenso Pleyer/Stückradt, ROW
1989, 321, 322) und Entsprechendes galt im Anwendungsbereich des Gesetzes
über das Vertragssystem in der sozialistischen Wirtschaft vom 25. März 1982
(GBl. DDR I 1982 Nr. 14 S. 293; vgl. Friedel, Wirtschaftsrecht 1975/3, Beilage,
S. I). Dem lag wohl die Vorstellung zu Grunde, eine absolute Verselbstständi-
gung eines Rechtsgrundes für eine Verpflichtung durch Anerkenntnis sei nicht
wirksam; vielmehr bedürfe es stets einer bestimmten Verbindung zum konkre-
ten, den Anlass für die Abgabe des Anerkenntnisses bildenden Schuldgrund
(vgl. Mühlmann, NJ 1985, 332; Lehrbuch Zivilrecht, Teil 1, 1981, S. 237 unter
3.5.1.4.; Westen/Schleider, Zivilrecht im Systemvergleich, 1984, S. 96), um zu
verhindern, dass durch Vertragsgestaltung gesetzlich gewährte Rechte beein-
trächtigt oder einem Partner im Gesetz nicht vorgesehene Pflichten auferlegt
würden, was einen Verstoß gegen Inhalt und Zweck des ZGB nach dessen § 45
Abs. 3 darstelle (vgl. Kommentar zum ZGB, 1985, Anm. 3 zu § 45 ZGB; Uebe-
ler, ROW 1990, 225, 227; vgl. auch Friedel aaO). Für diese Beurteilung spricht,
dass das ZGB den §§ 780, 781 BGB entsprechende Vorschriften nicht enthält
(vgl. OLG Brandenburg, VIZ 1996, 611, 613; Westen/Schleider aaO; Pley-
er/Stückradt aaO; Uebeler aaO, S. 226); rechtsstaatliche Bedenken gegen eine
solche Behandlung des abstrakten Schuldanerkenntnisses bestünden grund-
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Andererseits geht auch die Zivilrechtsordnung der DDR, wie etwa §§ 474
Abs. 1 Nr. 4 und 476 Abs. 1 Nr. 1 ZGB zeigen, von der rechtlichen Möglichkeit
eines Schuldanerkenntnisses aus (vgl. OG, NJ 1981, 570, 571; Lehrbuch Zivil-
recht aaO; vgl. auch OLG Jena, OLG-NL 1994, 220, 221 f.; OLG Brandenburg
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aaO; OLG Jena, OLG-NL 1997, 204, 208). Im Anschluss daran hat ein Teil der
Rechtsliteratur zum ZGB u.a. unter Rückgriff auf den Wortlaut des § 474 Abs. 1
Nr. 4 ZGB Existenz und grundsätzliche Zulässigkeit des abstrakten Schuldaner-
kenntnisses auch für das Zivilrecht der DDR hergeleitet (vgl. Mühlmann aaO;
Uebeler aaO), allerdings ebenfalls nur in den durch § 45 Abs. 3 ZGB gesetzten
Grenzen (Mühlmann aaO; Uebeler aaO; vgl. auch Westen/Schleider aaO; OLG
Jena, OLG-NL 1997, 204, 208). Ob diese im Streitfall eingehalten wären, ist
zweifelhaft, bedarf aber keiner abschließenden Entscheidung.
bb) Denn schon der Auslegung des Berufungsgerichts, das Schreiben
vom 19. Januar 1989 enthalte ein Schuldanerkenntnis, das selbstständige An-
sprüche auf Schadensausgleich rechtsgeschäftlich begründe, kann aus Rechts-
gründen nicht gefolgt werden. Zwar ist die Auslegung vertraglicher Vereinba-
rungen Sache des Tatrichters und kann vom Revisionsgericht nur darauf über-
prüft werden, ob Auslegungsregeln, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungs-
sätze verletzt worden sind oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht,
etwa wesentliches Auslegungsmaterial unter Verstoß gegen Verfahrensvor-
schriften außer acht gelassen worden ist (vgl. etwa Senatsurteile vom 29. Ja-
nuar 2002 - VI ZR 230/01 - VersR 2002, 474 m.w.N.; vom 28. Januar 2003
- VI ZR 263/02 - VersR 2003, 452). Solche Fehler liegen hier aber vor.
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(1) Nach den im Streitfall gemäß Art. 232 § 1 EGBGB anzuwendenden
Auslegungsgrundsätzen des Rechts der ehemaligen DDR ist das Erklärte in
seiner objektiven Bedeutung maßgebend (vgl. Lehrbuch Zivilrecht aaO, S. 206
unter 3.3.2.1.; OLG Jena, OLG-NL 1994, 220, 221). Ob eine Einigung zwischen
Parteien, die auch das Anerkenntnis eines Partners über das Bestehen seiner
Verpflichtung beinhalten konnte, nur eine Klarstellung, Präzisierung oder ver-
tragliche Änderung eines bestehenden Schuldverhältnisses beinhalten oder ob
mit ihr ein neues Rechtsverhältnis begründet werden sollte, entschied sich auch
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unter Geltung des ZGB grundsätzlich nach dem Willen des Anerkennenden
bzw. dem der Parteien; in der Regel begründete eine Einigung kein neues
Rechtsverhältnis (vgl. Lehrbuch Zivilrecht aaO, S. 237 unter 3.5.1.4.; Posch,
Allgemeines Vertragsrecht, 1977, S. 90 f. unter 5.1.4.; Mühlmann aaO). An das
Zustandekommen einer neuen selbstständigen Verpflichtung knüpfte das ZGB
folglich keine grundsätzlich anderen Anforderungen als sie die Rechtsprechung
für das abstrakte Schuldversprechen bzw. Schuldanerkenntnis i.S.v. §§ 780,
781 BGB aufgestellt hat. Ein solches liegt nur vor, wenn die mit ihm übernom-
mene Verpflichtung von ihrem Rechtsgrund, d.h. von ihren wirtschaftlichen und
rechtlichen Zusammenhängen gelöst und allein auf den im Versprechen bzw.
Anerkenntnis zum Ausdruck gekommenen Leistungswillen des Schuldners ge-
stellt werden soll (vgl. BGH, Urteil vom 14. Oktober 1998 - XII ZR 66/97 - NJW
1999, 574, 575; Palandt/Sprau, BGB, 67. Aufl., § 780 Rn. 4).
(2) Anders als das Berufungsgericht meint, spricht bereits der Wortlaut
der Erklärung vom 19. Januar 1989 gegen die Annahme, mit ihr sei eine selbst-
ständige Verpflichtung rechtsgeschäftlich begründet worden. Wenn die Deut-
sche Reichsbahn ihre "Verantwortlichkeit" für den Unfall "im Ergebnis geführter
Ermittlungen" anerkennt, legt schon dies nahe, dass eine als bestehend erkann-
te Verpflichtung zum Schadensersatz bestätigt und damit außer Streit gestellt,
nicht aber eine von der bereits bestehenden Haftung verschiedene Einstands-
pflicht neu begründet werden sollte.
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(3) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu §§ 780,
781 BGB ist ein selbstständiger Verpflichtungswille im Zweifel nicht anzuneh-
men, wenn in der schriftlichen Erklärung ein bestimmter Schuldgrund angege-
ben ist (vgl. etwa BGH, Urteil vom 14. Oktober 1998 - XII ZR 66/97 - aaO; Se-
natsurteile vom 26. Februar 2002 - VI ZR 288/00 - VersR 2002, 996, 997; vom
28. Januar 2003 - VI ZR 263/02 - aaO). Diese Auslegungsregel kann auch unter
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der Geltung des ZGB Anwendung finden, da dieses ebenfalls entscheidend auf
den Parteiwillen abstellt. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung
lässt
die Erklärung den Grund der Haftung, den die Reichsbahn anerkannte, zwei-
felsfrei erkennen, indem sie ausdrücklich und mehrfach auf den Unfall vom 22.
September 1988 Bezug nimmt. Damit war für jeden mit der Sache Befassten
eine eindeutige Zuordnung der Anerkenntniserklärung zu dem Unfallereignis
hergestellt. Der Schuldgrund für die Haftung war so konkret angegeben, dass
die Wertung der Erklärung als rechtsgeschäftlich neu begründete, selbstständi-
ge Verpflichtung auch aus diesem Grund fern liegt (vgl. BGH, Urteil vom
14. Oktober 1998 - XII ZR 66/97 - aaO; Senatsurteil vom 28. Januar 2003
- VI ZR 263/02 - aaO). Zusätzliches Indiz dafür, dass der Verpflichtungswille der
Reichsbahn über die bloße Bestätigung ihrer sich aus den Bestimmungen des
ZGB nach ihrer Auffassung ergebenden Schadensersatzhaftung bei Abgabe
des Anerkenntnisses nicht hinausreichte, ist außerdem die Erwähnung der Vor-
schrift des § 338 Abs. 3 ZGB in dem Schreiben vom 17. Juli 1990.
(4) Konkrete Anhaltspunkte, welche die Annahme rechtfertigen könnten,
mit der Erklärung vom 19. Januar 1989 sei eine von dem in ihr genannten
Schuldgrund losgelöste selbstständige Zahlungsverpflichtung begründet wor-
den, sind demgegenüber weder festgestellt noch ersichtlich. Auch die Revisi-
onserwiderung zeigt solche Anhaltspunkte nicht auf. Der Erklärung keine
selbstständige Verpflichtung zu entnehmen, reduziert sie auch nicht zwangsläu-
fig auf ein allein der Unterbrechung der Verjährung dienendes Anerkenntnis
i.S.v. § 476 Abs. 1 Nr. 1 ZGB. Denn auch ihre Einordnung als bloße Klarstel-
lung, Präzisierung oder vertragliche Änderung möglicherweise bestehender
Schadensersatzansprüche schließt nicht aus, dass sie Unsicherheit über Be-
stehen und Umfang solcher Ansprüche beseitigte, etwa indem die Reichsbahn
ihre volle Einstandspflicht dem Grunde nach bestätigte und sich damit zugleich
ihrer etwaigen Einwände begab, der Unfall sei durch ein unabwendbares Ereig-
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nis verursacht worden (vgl. §§ 232 Abs. 1, 345 Abs. 1, 343 Abs. 1 und 2 ZGB;
Bergner/Thiele, Zeitschrift für den Internationalen Eisenbahnverkehr 85 [1977],
99 f.) oder der Verletzte sei für den Schaden mitverantwortlich gewesen (vgl.
§§ 341, 348 Abs. 2 ZGB; Bergner/Thiele aaO, S. 101).
Da mithin Ansprüche, die solchen aus einem selbstständigen abstrakten
Schuldanerkenntnis im Sinne des § 781 BGB entsprechen, nach den Umstän-
den des Streitfalles nicht in Betracht kommen, ist § 195 BGB a.F. auch nicht
aus diesem Grund die nach Art. 231 § 6 EGBGB maßgebende Verjährungs-
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c) § 195 BGB a.F. ist im Streitfall im Rahmen des Art. 231 § 6 EGBGB
auch nicht deshalb anzuwenden, weil den auf Grund des Unfalls vom 22. Sep-
tember 1988 gegen die Reichsbahn etwa begründeten Schadensersatzansprü-
chen Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung eines Beförderungsvertrags
nach dem BGB a.F. entsprächen. Dies liegt zwar deshalb nicht fern, weil der
Verletzte den Unfall als Fahrgast der Deutschen Reichsbahn erlitten hat, es
sich also um Verletzungen handelte, die nach dem auch insoweit maßgebenden
Recht der ehemaligen DDR (Art. 232 § 1 EGBGB; vgl. Senatsurteil vom 1. März
2005 - VI ZR 101/04 - aaO, S. 699) während einer Personenbeförderung auf
vertraglicher Grundlage entstanden (§ 231 ZGB; vgl. zur Einordnung der Per-
sonenbeförderung durch die Deutsche Reichsbahn als zivilrechtliche Vertrags-
beziehung Lehrbuch Zivilrecht, Teil 2, 1981, S. 80 f. unter 6.8.2.1.; Lübchen,
StuR 1975, 181, 187; Bergner/Thiele aaO, S. 69 ff.; Westen, Das neue Zivil-
recht der DDR, 1977, S. 180). Nach dem BGB in der bis zum Gesetz zur Mo-
dernisierung des Schuldrechts geltenden Fassung haftete die Eisenbahn für
Personenschäden, die Fahrgäste bei der Beförderung erlitten, u.a. nach den
Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung (vgl. Finger, Eisenbahntransport-
recht, Stand: 1999, vor §§ 8-19 EVO Anm. 6 a und b aa; Tavakoli, Privatisie-
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rung und Haftung der Eisenbahn, 2001, S. 322 f.; Filthaut, Haftpflichtgesetz,
7. Aufl., § 12 HaftpflG Rn. 133); diese Ansprüche unterlagen der allgemeinen
Verjährung nach § 195 BGB a.F. (vgl. Finger aaO, vor §§ 8-19 EVO Anm. 7 a).
Die im Streitfall etwa bestehende Haftung der Reichsbahn für den Unfall ent-
spricht jedoch nicht einer solchen Einstandspflicht. Sie ist vielmehr aus Sicht
des BGB einer Haftung aus unerlaubter Handlung bzw. dem Haftpflichtgesetz
vergleichbar mit der Folge, dass insoweit nicht § 195 BGB a.F., sondern § 852
BGB a.F. im Rahmen des Art. 231 § 6 EGBGB heranzuziehen ist.
aa) Eine Haftung der Reichsbahn für die Unfallfolgen kommt im Streitfall
aus der erweiterten Verantwortlichkeit nach §§ 232 Abs. 1 Satz 1, 345 Abs. 1
ZGB in Betracht, bei der es nach §§ 335, 343 Abs. 1 ZGB auf ein Verschulden
nicht ankommt, weil eine Haftungsbefreiung nach §§ 333, 334 ZGB ausge-
schlossen ist (vgl. Kommentar zum ZGB aaO, Anm. 1.1 zu § 232 ZGB; Lehr-
buch Zivilrecht aaO, S. 82 unter 6.8.2.2.; Zetzschke/Joachim, NJ 1976, 708,
711; Bergner/Thiele aaO, S. 99 f.; Bergner/Lange/Teuchert, Wissenschaftliche
Zeitschrift der Hochschule für Verkehrswesen, 1978, S. 225, 230 f.), und die
folglich grundsätzlich bis zur Grenze des unabwendbaren Ereignisses bestand
(vgl. § 343 Abs. 2 ZGB; Bergner/Thiele aaO, S. 100; Bergner/Lange/Teuchert
aaO, S. 231). Die Zielrichtung des ZGB ging dahin, Schadensersatzansprüche
aus Verträgen und aus deliktischem Verhalten möglichst gleichen Regelungen
zu unterwerfen und insoweit eine Anspruchskonkurrenz zu vermeiden (vgl. Se-
natsurteile BGHZ 126, 87, 93 f.; vom 1. März 2005 - VI ZR 101/04 - aaO,
S. 700). Die Regelungen des Fünften Teils des ZGB (u.a. §§ 330 ff., 343 ff.
ZGB) waren auf die Haftung innerhalb von Vertragsbeziehungen grundsätzlich
unanwendbar, soweit nicht das Vertragsrecht (§§ 93, 232 Abs. 1 ZGB) ihre An-
wendbarkeit besonders bestimmte (vgl. Kommentar zum ZGB aaO, Anm. 0 zu
§ 93 ZPO, Vorbem. zu §§ 323 ff. ZGB; Posch, Schutz des Lebens, der Ge-
sundheit und des Eigentums vor Schadenszufügung, 1979, S. 15; Macke, Fest-
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schrift für Steffen, 1995, S. 289, 295). Das spricht dafür, dass nach dem ZGB
im Streitfall nur eine Haftung aus einem Anspruch aus den über die Verweisung
in § 232 Abs. 1 Satz 1 ZGB anwendbaren Bestimmungen der §§ 330 ff. ZGB in
Betracht kam und keine Anspruchskonkurrenz aus vertraglicher und außerver-
traglicher Haftung bestand (vgl. Posch aaO; in Bezug auf § 93 ZGB Posch, NJ
1974, 726, 731; ders., StuR 1975, 207, 215; ders., NJ 1977, 10, 11; Göhring,
NJ 1979, 136 f.; Roggemann, Zivilgesetzbuch und Zivilprozessordnung der
DDR mit Nebengesetzen, 1976, S. 55; Westen aaO, S. 238). Obwohl das Zivil-
recht der ehemaligen DDR Verletzungen von Fahrgästen bei der Personenbe-
förderung als Schäden aus nicht gehöriger Erfüllung des Personenbeförde-
rungsvertrags ansah (vgl. Bergner/Thiele aaO, S. 99; Bergner/Lange/Teuchert
aaO, S. 230; Fritsche/Posch/Wedekind, NJ 1988, 72, 74), unterstellt § 232
Abs. 1 Satz 1 ZGB die Haftung den Bestimmungen über die erweiterte Verant-
wortlichkeit für Schadenszufügung außerhalb von Verträgen (§§ 330 ff., 343 ff.
ZGB). Das legt nahe, dass es sich bei dem in Frage kommenden Anspruch aus
Sicht des ZGB um einen außervertraglichen handelte (vgl. Posch, StuR 1975,
207, 215, 217). Nach dem BGB wäre er dann verjährungsrechtlich ebenso ein-
zuordnen (vgl. Senatsurteil vom 1. März 2005 - VI ZR 101/04 - aaO; OLG
Naumburg, NJW 1998, 237, 239).
bb) Abgesehen davon ist auf den im Streitfall in Betracht kommenden
Schadensersatzanspruch aus §§ 232 Abs. 1 Satz 1, 345 Abs. 1 ZGB ab dem
Wirksamwerden des Beitritts schon deshalb nicht die dreißigjährige Frist des
§ 195 BGB a.F., sondern die dreijährige des § 852 BGB a.F. anzuwenden, weil
die mögliche Einstandspflicht unabhängig von Verschulden bis zur Grenze des
unabwendbaren Ereignisses besteht (soeben unter aa) und damit funktionell
eine Gefährdungshaftung darstellt, jedenfalls soweit es, wie im Streitfall, um die
Verursachung von Gesundheitsschäden geht. Zumindest in diesem Umfang ist
sie der Haftung nach dem Haftpflichtgesetz vergleichbar, obwohl diese - anders
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als die über § 232 Abs. 1 ZGB begründete Einstandspflicht (vgl. Bergner/Thiele
aaO, S. 100 f.; Bergner/Lange/Teuchert aaO, S. 231) - erst an der Grenze hö-
herer Gewalt endet (§ 1 Abs. 2 HaftPflG) und durch Haftungshöchstgrenzen
beschränkt ist (§ 9 HaftpflG). Diese Vergleichbarkeit rechtfertigt es, auf die im
Streitfall in Betracht kommenden Ansprüche die Verjährungsvorschrift des
§ 852 BGB a.F. anzuwenden, unabhängig davon, ob es sich nach dem ZGB um
vertragliche oder außervertragliche Ansprüche handelt. Entsprechend hat der
Senat (Senatsurteil vom 1. März 2005 - VI ZR 101/04 - aaO, S. 700; vgl. auch
OLG Naumburg aaO, S. 239 f.) Ausgleichsansprüche nach § 338 Abs. 3 ZGB
wegen ihrer weitgehenden Übereinstimmung mit dem sich aus § 847 Abs. 1
BGB a.F. ergebenden Anspruch allein der Verjährungsvorschrift des § 852 BGB
a.F. ungeachtet dessen unterworfen, ob die Einstandspflicht als vertragliche
oder außervertragliche einzustufen war.
d) Das Anerkenntnis vom 19. Januar 1989 veränderte die infolge des Un-
falls möglicherweise nach dem ZGB entstandenen Schadensersatzansprüche
nicht in einer Weise, die ab Wirksamwerden des Beitritts die Anwendung von
§ 195 BGB a.F. erlaubt hätte. Dass mit dem Anerkenntnis, anders als es das
Berufungsgericht für möglich hält, kein selbstständiger, dem BGB unbekannter
Anspruch rechtsgeschäftlich neu begründet worden ist, ergibt sich schon aus
früheren Darlegungen (oben unter b bb). Es ist ferner nichts dafür ersichtlich
oder festgestellt, dass das Anerkenntnis den Rechtsgrund der etwa bestehen-
den Haftung in einer Art und Weise verändert hätte, die die möglichen Scha-
densersatzansprüche einem in der Frist des § 195 BGB a.F. verjährenden ver-
gleichbar gemacht hätte oder dazu zwänge, sie mangels Vergleichbarkeit zu
einem dem BGB a.F. bekannten Institut der allgemeinen Verjährung nach § 195
BGB a.F. zu unterstellen. Nach der Rechtsprechung des Senats verändern ins-
besondere Vereinbarungen über einen gesetzlichen Anspruch regelmäßig das
ursprüngliche Rechtsverhältnis nur, soweit sie streitige oder ungewisse Punkte
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betreffen, lassen es im Übrigen aber, auch hinsichtlich der Verjährungsfrist,
nach Inhalt und Rechtsnatur weiter bestehen (vgl. Senatsurteil vom 17. Juni
2008 - VI ZR 197/07 - VersR 2008, 1350, 1351 m.w.N.); dass für die Rechtsla-
ge nach dem ZGB anderes zu gelten hätte, ist nicht ersichtlich. Auch das im
Streitfall abgegebene Anerkenntnis ließ somit - selbst wenn es Einwendungen
der Reichsbahn in bestimmter Hinsicht ausgeschlossen hätte (dazu oben b bb
[4]) - den Rechtsgrund der etwa bestehenden Haftung grundsätzlich unverän-
dert, und zwar selbst dann, wenn sich seine verjährungsrechtliche Relevanz
nach dem ZGB nicht auf die Unterbrechungswirkung nach § 476 Abs. 1 Nr. 1
ZGB beschränkt (zu ihr Senatsurteile vom 1. März 2005 - VI ZR 101/04 - aaO,
S. 702; vom 20. Juni 2006 - VI ZR 78/04 - VersR 2006, 1646, 1647), sondern
es stattdessen oder zugleich die Wirkung gehabt hätte, nach § 474 Abs. 1 Nr. 4
ZGB eine neue Verjährungsfrist in Gang zu setzen. Es kommt demnach nicht
darauf an, ob sich die Anwendbarkeit von § 474 Abs. 1 Nr. 4 ZGB auf Aner-
kenntnisse von Zahlungsverpflichtungen beschränkte, mit denen - soweit darin
nicht ein Verstoß gegen Inhalt und Zweck des ZGB lag (s. oben b aa) - ein neu-
er Rechtsgrund der Zahlungsverpflichtung begründet und nicht nur eine bereits
bestehende Verpflichtung lediglich bestätigt oder bekräftigt wurde (so Mühl-
mann aaO; Uebeler aaO, S. 226), was hier nicht der Fall war. Denn selbst wenn
§ 474 Abs. 1 Nr. 4 ZGB neben § 476 Abs. 1 Nr. 1 ZGB auf das hier vorliegende,
allenfalls bestätigende Anerkenntnis anzuwenden wäre (vgl. OG, NJ 1981, 570,
571; OLG Jena, OLG-NL 1994, 220, 221 f.; OLG Brandenburg, VIZ 1996, 611,
613; Lehrbuch Zivilrecht, Teil 1, 1981, S. 237 unter 3.5.1.4.; Posch, Allgemeines
Vertragsrecht, 1977, S. 91), ist nicht ersichtlich, warum die Wirkung dieser Vor-
schrift über die Inkraftsetzung einer zehnjährigen Verjährungsfrist hinausgehen
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2. Ist § 195 BGB a.F. ab Wirksamwerden des Beitritts demnach nicht an-
zuwenden, sind die geltend gemachten Ansprüche, sollten sie bestehen und auf
die Klägerin übergegangen sein, jedenfalls verjährt.
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a) Unabhängig davon, ob auf die streitgegenständlichen Ansprüche nach
dem Recht der ehemaligen DDR die Verjährungsfrist des § 474 Abs. 1 Nr. 3
ZGB oder auf Grund des Anerkenntnisses vom 19. Januar 1989 die des § 474
Abs. 1 Nr. 4 ZGB Anwendung fand, waren die Ansprüche nach diesem Recht
am Tag des Wirksamwerdens des Beitritts noch nicht verjährt. Weshalb fanden
nach Art. 231 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB ab diesem Zeitpunkt die Vorschriften
des BGB Anwendung, wobei sich der Verjährungsbeginn gemäß Art. 231 § 6
Abs. 1 Satz 2 EGBGB weiterhin nach den Vorschriften des ZGB bestimmte. Da
die kenntnisabhängige dreijährige Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB a.F.
kürzer ist als die nach § 474 Abs. 1 Nr. 3 oder 4 ZGB in Betracht kommenden
Fristen von vier bzw. zehn Jahren, konnte sie jedoch frühestens am 3. Oktober
1990 beginnen (Art. 231 § 6 Abs. 2 Satz 1 EGBGB) und lief von dem Zeitpunkt
an, in welchem Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichti-
gen vorlag (vgl. § 852 Abs. 1 BGB a.F.). Wann dies der Fall war und ob es hier-
für auf die Kenntnis der Klägerin bzw. ihrer Rechtsvorgängerin ankommt oder
ob sie sich eine etwa früher von dem Verletzten bzw. seiner Familie erlangte
Kenntnis entgegenhalten lassen muss, bedarf aber dann keiner Entscheidung,
wenn jedenfalls die nach dem ZGB maßgebende längere Verjährungsfrist voll-
endet ist (Art. 231 § 6 Abs. 2 Satz 2 EGBGB; vgl. BGHZ 156, 232, 241).
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b) Das ist hier der Fall, selbst wenn durch die Schreiben der Reichsbahn
vom 19. Januar 1989 und vom 17. Juli 1990 nach § 476 Abs. 1 Nr. 1 ZGB die
Verjährung unterbrochen worden sein sollte (vgl. Art. 231 § 6 Abs. 1 Satz 2
EGBGB) mit der Folge des Neubeginns der Verjährung am 1. Februar 1989
bzw. am 1. August 1990 (vgl. § 476 Abs. 2 ZGB): Sollte das Anerkenntnis vom
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19. Januar 1989 die Voraussetzungen von § 474 Abs. 1 Nr. 4 ZGB erfüllt haben
(dazu oben 1 d), so war die Zehnjahresfrist nach dieser Vorschrift spätestens
am 1. Februar 1999 bzw. am 1. August 2000 unabhängig davon abgelaufen, ob
sich der Beginn der Verjährung nach § 475 Nr. 2 ZGB oder nach § 475 Nr. 3
ZGB bestimmte. Denn im ersten Fall wäre jedenfalls die kenntnisunabhängige
Zehnjahresfrist nach § 475 Nr. 2 Satz 2 ZGB (vgl. Senatsurteil BGHZ 126, 87,
95) längstens in diesem Zeitraum vollendet gewesen, im zweiten Fall wäre die
Zehnjahresfrist des § 474 Abs. 1 Nr. 4 ZGB kenntnisunabhängig spätestens in
dem von § 476 Abs. 2 ZGB bestimmten Zeitpunkt angelaufen, da nichts dafür
ersichtlich ist, dass die Ansprüche ab dem 1. Februar 1989 bzw. dem 1. August
1990 nicht hätten geltend gemacht werden können (vgl. Senatsurteil aaO,
S. 96). War § 474 Abs. 1 Nr. 4 ZGB auf das Anerkenntnis vom 19. Januar 1989
dagegen nicht anwendbar, so war die Verjährungsfrist spätestens mit dem Ab-
lauf der kenntnisunabhängigen zehnjährigen Frist nach § 475 Nr. 2 Satz 2 ZGB
und damit ebenfalls spätestens am 1. Februar 1999 bzw. am 1. August 2000
vollendet.
c) Tatsachen, die Unterbrechungs- oder Hemmungstatbestände im Zeit-
raum bis 1. Februar 1999 bzw. 1. August 2000 ausfüllen könnten, hat das Beru-
fungsgericht, von der Klägerin unbeanstandet, nicht festgestellt. Etwa beste-
hende Ansprüche sind mithin - auch bereits im Zeitpunkt der vom Berufungsge-
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richt angenommenen Verhandlungen - verjährt, so dass es auf die Frage eines
Übergangs der Ansprüche auf die Klägerin nicht mehr ankommt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO.
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Müller Wellner Diederichsen
Stöhr Zoll
Vorinstanzen:
LG Frankfurt (Oder), Entscheidung vom 16.12.2005 - 11 O 104/05 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 14.06.2007 - 12 U 4/06 -