Urteil des BGH vom 14.12.1999

BGH (stgb, zustand, strafkammer, amphetamin, einnahme, schuldfähigkeit, konsum, stv, raub, menge)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 310/00
vom
19. September 2000
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
19. September 2000, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Hebenstreit,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof ,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 14. Dezember 1999, soweit
es den Angeklagten B. betrifft,
a) im Schuldspruch dahin klargestellt, daß der Angeklagte des
schweren Raubes schuldig ist,
b) im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten B . wegen (gemeinschaftli-
chen) Raubes zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Der Ange-
klagte hatte mit dem ebenfalls verurteilten Angeklagten O. ein Lokal
überfallen und die Einnahmen weggenommen. Gegen dieses Urteil wendet
sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer nur zuungunsten des Angeklagten B.
eingelegten und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision. Das
auf die Sachrüge gestützte Rechtsmittel hat Erfolg.
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1. Die Beschwerdeführerin hat zwar den Schuldspruch nicht angegriffen.
Auf Antrag des Generalbundesanwalts war jedoch in der Urteilsformel klarzu-
stellen, daß der Angeklagte des schweren Raubes schuldig ist. Diese Klarstel-
lung ist geboten, weil die Strafkammer selbst in der rechtlichen Würdigung und
in der im Anschluß an die Urteilsformel angeführten Bezeichnung des zur An-
wendung gebrachten Strafgesetzes von einem schweren Raub nach § 250
Abs. 2 Nr. 1 StGB ausgegangen ist.
2. Der Strafausspruch kann allerdings keinen Bestand haben. Mit Recht
rügt die Beschwerdeführerin, daß das Landgericht dem Angeklagten B.
verminderte Schuldfähigkeit nach § 21 StGB zugebilligt hat.
a) Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er sei seit längerer Zeit
rauschgiftabhängig. Er konsumiere regelmäßig Amphetamin oder "Speed",
auch Kokain und gelegentlich Haschisch. Alkohol trinke er eigentlich weniger.
Am Tage vor der Tat habe er etwa 1 ½ Gramm "Speed" geraucht. Durch die
Einnahme von "Speed" habe er sich wie ein ”Supermann” gefühlt. Danach ha-
be er keine Drogen mehr gehabt. Außerdem habe er bis gegen 24.00 Uhr
Chantré und Bier getrunken; die Menge könne er nicht mehr angeben.
b) Die Strafkammer stützt ihre Schuldfähigkeitsbeurteilung auf die Anga-
ben des Angeklagten und das in der Hauptverhandlung mündlich erstattete
Gutachten des Medizinaloberrats S. . Dieser hatte den Angeklagten nicht
untersucht und nicht exploriert. Der Sachverständige hat ausgeführt, aus den
Akten und aufgrund des Eindrucks in der Beweisaufnahme hätten sich keine
Hinweise auf eine schwere psychische Auffälligkeit ergeben. Die Angaben des
Angeklagten zum Drogenkonsum seien glaubhaft, weil er die Symptome der
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verschiedenen Betäubungsmittel zutreffend beschrieben habe, er kenne sie
also. Er habe auch glaubhaft einen Zustand geschildert, in den sich ein Dro-
genabhängiger durch die regelmäßige Einnahme versetze. Dabei habe er sich
in einer gewissen Ausgeglichenheit befunden, aus der er sowohl durch Entzug
oder durch die Einnahme größerer Drogenmengen herausfalle. Es sei denkbar,
daß der Angeklagte nach der Einnahme von Drogen sich einerseits wie ein
”Supermann” gefühlt habe, andererseits im Bewußtsein, daß er keine Betäu-
bungsmittel und auch kein Geld mehr besaß, in einen Zustand geraten sei, den
er als Sachverständiger ”als erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit
nicht ausschließen könne”.
Die Strafkammer hat den Ausführungen des Sachverständigen entnom-
men, daß der Angeklagte ”mit Sicherheit” für seine Tat im Sinne des § 20 StGB
strafrechtlich verantwortlich war. Allerdings vermochte die Kammer nicht aus-
zuschließen, daß beim Angeklagten im Zeitpunkt der Tat die Voraussetzungen
verminderter Schuldfähigkeit nach § 21 StGB vorlagen. Dieser Schluß ist nach
den bisher getroffenen Feststellungen über den behaupteten Drogenkonsum
des Angeklagten und den mitgeteilten Ausführungen des Sachverständigen
nicht gerechtfertigt.
3. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können der
Betäubungsmittelkonsum, aber auch die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln
nur ausnahmsweise erheblich verminderte Schuld begründen, wenn langjähri-
ger Betäubungsmittelmißbrauch namentlich unter Verwendung ”harter” Drogen
zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat oder der Täter durch
starke Entzugserscheinungen oder bei Heroinabhängigen aus Angst davor da-
zu getrieben wird, sich durch eine Straftat Drogen zu verschaffen oder wenn er
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die Tat im Zustand eines aktuellen Drogenrausches begeht (BGH StV 1997,
517 m.w.Nachw.). Ob eine hierauf beruhende Beeinträchtigung der Steue-
rungsfähigkeit ist, ist eine Rechtsfrage, die der Tatrichter in eigener
Verantwortung zu entscheiden hat (BGHSt 8, 113, 124; BGH NStZ 1997, 485;
Jähnke in LK 11. Aufl. § 21 Rdn. 8 m.w.Nachw.).
a) Bei langjährig Rauschgiftabhängigen kann die Anwendung des § 21
StGB dann erfolgen, wenn schwerste Persönlichkeitsveränderungen erkennbar
sind (BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 8). Fehlen objektive Beweisanzei-
chen über das Ausmaß der Drogenabhängigkeit, muß der Tatrichter das Vor-
liegen der medizinisch-psychiatrischen Anknüpfungspunkte mit Hilfe des Sach-
verständigen selbständig und eigenverantwortlich prüfen.
Die Urteilsgründe teilen genauere Einzelheiten über die Art der ge-
brauchten Drogen, die Dauer des Konsums, die Dosierung, die Hinweise auf
das Ausmaß der Drogenabhängigkeit des Angeklagten geben könnten, nicht
mit. Der Mittäter hat ausgesagt, er könne über den Rauschgiftkonsum des An-
geklagten keine näheren Angaben machen, allerdings habe dieser ”sich im
Zeitraum vor der Tat” gegenüber früher verändert.
Die Urteilsgründe legen nicht dar, ob der Sachverständige beim Ange-
klagten überhaupt die allgemeinen psychiatrischen Kriterien einer Substanzab-
hängigkeit gemäß ICD-10 (Internationale Klassifikation psychischer Störungen,
Dilling/Mombour/Schmidt (Hrsg.) 3. Aufl. [1999]) oder DSM-IV (Diagnostisches
und statistisches Manual psychischer Störungen [1996]) als erfüllt angesehen
hat. Sind diese nicht gegeben, so sind in der Regel keine forensisch-
psychiatrischen Folgerungen möglich (vgl. Venzlaff/Förster, Psychiatrische Be-
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gutachtung, 3. Aufl. S. 175 ff.). Zwar besagt das Vorliegen eines bestimmten
Zustandsbildes nach der Klassifikation ICD-10 noch nichts über das Ausmaß
drogeninduzierter psychischer Störungen (vgl. BGH NStZ 1997, 383). Gleich-
wohl weist eine solche Zuordnung in der Regel auf eine nicht ganz geringfügi-
ge Beeinträchtigung hin, dem der Tatrichter mit Hilfe des Sachverständigen
nachgehen muß (BGH NStZ 1999, 630; StV 1998, 342).
Da hierzu nähere Darlegungen fehlen, kann der Senat nicht nachprüfen,
ob der Tatrichter sich bei seiner Entscheidung über die Erheblichkeit der Ein-
schränkung der Steuerungsfähigkeit zu Recht auf die ”seit längerer Zeit” be-
stehende Rauschgiftabhängigkeit gestützt hat.
b) Den Urteilsgründen ist ebenso wenig zu entnehmen, ob der Ange-
klagte den schweren Raub im Zustand eines akuten Rausches verübt hat (vgl.
BGH JR 1987, 206 m. zust. Anm. Blau; BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen
12) oder ob eine Entzugssymptomatik oder eine Angst vor Entzugserscheinun-
gen vorlag.
aa) Gegen eine akute Drogenintoxikation zum Tatzeitpunkt – dazu hätte
es der Feststellung einer massiven psychopathologischen Symptomatik im
Sinne von Realitätsverlust, Halluzinationen oder Wahnvorstellungen (Venz-
laff/Foerster aaO S. 176) bedurft - sprechen die eigenen Angaben des Ange-
klagten zu seinem Konsum vor der Tat. Der Konsum von 1 ½ Gramm Amphe-
tamin erfolgte am Tag vor der Tat. Dabei fühlte er sich wie ein ”Supermann”.
Andererseits hatte er danach keine Drogen mehr, sondern nur bis gegen Mit-
ternacht eine nicht näher bestimmbare Menge Alkohol konsumiert. Damit bleibt
letztlich offen, ob die Strafkammer annimmt, der Angeklagte könnte den Über-
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fall im Zustand eines akuten Amphetaminrausches begangen haben und sei
deshalb in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkt gewesen.
bb) Der Bundesgerichtshof hat zu Beschaffungsdelikten Heroinabhängi-
ger ausgesprochen, daß die Anwendbarkeit des § 21 StGB nicht in jedem Fall
”akute körperliche” Entzugserscheinungen des Täters zur Tatzeit voraussetzt
(BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 2). Es ist rechtlich nicht ausgeschlossen,
daß die Angst des Heroinabhängigen vor Entzugserscheinungen, die er schon
als äußerst unangenehm erlebt hat und als nahe bevorstehend einschätzt, sei-
ne Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigen kann.
Ob bei Abhängigkeit oder nach Konsum von Amphetamin vergleichbare
Entzugserscheinungen auftreten oder Angst vor Entzugserscheinungen hervor-
rufen können und ob gegebenenfalls deshalb eine Verminderung der Steue-
rungsfähigkeit in Betracht kommt, ist eine Frage, die der Tatrichter nach dem
oben dargelegten Maßstab zu entscheiden hat. Bei Amphetamin sind die
Suchtfolgen ohnehin nicht so schwer wie bei Heroin (BGHSt 33, 169, 171; BGH
StV 1997, 227).
Die Urteilsgründe lassen nicht erkennen, ob die Strafkammer angenom-
men hat, der Angeklagte habe unter ”akuten und schwerwiegenden” Ent-
zugserscheinungen gelitten oder seine Handlung sei maßgeblich von der Angst
vor Entzugserscheinungen bestimmt gewesen. Der Mittäter hat über schwere
Entzugserscheinungen des Angeklagten bei der Ausführung der Tat nichts be-
richtet. Die Kammer teilt auch nichts darüber mit, ob im Zusammenhang mit der
kurze Zeit später erfolgten Festnahme Entzugssymptome festgestellt wurden.
Der Sachverständige sieht es aufgrund der Angaben des Angeklagten als
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”durchaus denkbar” an, daß diesem - während oder nach der Wirkung des Am-
phetamins - bewußt war, es könne zu Entzugserscheinungen kommen, wenn er
keine Betäubungsmittel mehr bekäme. Die mitgeteilten Ausführungen des
Sachverständigen legen nahe, daß er beim Angeklagten diesen Zustand der
Angst vor Entzugserscheinungen für möglich gehalten hat. Diese mehr allge-
meinen Erörterungen reichen indes nicht aus.
c) Nicht hinreichend dargelegt ist schließlich der Schluß auf das Vorlie-
gen der Voraussetzungen des § 21 StGB aufgrund der Möglichkeit - auf diese
stellt die Verteidigung ab - , beim Angeklagten hätten zum Tatzeitpunkt ein
”Hochgefühl” nach der Einnahme von Amphetamin und ein ”drogenbedingtes
Zukunftsbedenken” nebeneinander vorgelegen. Diese Annahme ist weder auf
hinreichende Ausführungen des Sachverständigen gestützt noch ist sie bisher
wissenschaftlich belegt.
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4. Da die wesentlichen Anknüpfungstatsachen für die Beurteilung der
Schuldfähigkeit nach § 21 StGB fehlen, bedarf die Sache insoweit erneuter
Prüfung. Der Tatrichter wird in der neuen Verhandlung auch zu erwägen ha-
ben, ob eine Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB in Betracht
kommt.
Schäfer Wahl Boetticher
Schluckebier Hebenstreit