Urteil des BGH vom 23.01.2014

BGH: entlassung aus der haft, untersuchungshaft, haftbefehl, mitgliedschaft, tatverdacht, ermittlungsverfahren, wohnung, fortdauer, haftstrafe, festnahme

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
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AK 26/13
vom
23. Januar 2014
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts sowie des Beschuldigten und seiner Verteidiger am 23. Januar
2014 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesge-
richtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach den all-
gemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.
Gründe:
Der Beschuldigte ist aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters
des Bundesgerichtshofs vom 24. Juni 2013 - 6 BGs 107/13 - am 26. Juni 2013
festgenommen worden und befindet sich seit diesem Tag in Untersuchungs-
haft.
1. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe
sich seit Inkrafttreten des § 129b StGB am 30. August 2002 bis zu seiner Fest-
nahme - unterbrochen durch die Verbüßung einer Haftstrafe vom 4. Oktober
2007 bis zum 29. September 2009 - als Mitglied der marxistisch-leninistischen
Gruppierung DHKP-C und damit an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, de-
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ren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder
Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über
sechs Monate hinaus liegen vor.
2. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines
dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:
Die hierarchisch und zentralistisch aufgebaute Gruppierung DHKP-C ver-
folgt das Ziel, durch "bewaffneten Kampf" einen Umsturz der politischen Ver-
hältnisse in der Türkei herbeizuführen und dort eine marxistisch-leninistisch
ausgerichtete Gesellschaftsordnung unter ihrer Kontrolle zu errichten. Sie hat
sich seit dem Jahre 1994 zu zahlreichen Brand- und Sprengstoffanschlägen
bekannt, die insbesondere gegen Repräsentanten des türkischen Staates, Mit-
glieder türkischer Justizbehörden und der türkischen Armee, aber auch gegen
angebliche "Verräter" und zuletzt auch - getreu ihrer Zielsetzung, den "US-
Imperialismus" bekämpfen zu wollen - gegen die amerikanische Botschaft ge-
richtet waren. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten, die seit dem Jahr 2011
bis in das Jahr 2013 hinein zudem eine gegenüber den Vorjahren mit Blick auf
die Häufigkeit und die Schwere der Straftaten gesteigerte Aktivität der Vereini-
gung belegen, wird auf die Ausführungen in dem Haftbefehl des Ermittlungs-
richters des Bundesgerichtshofs Bezug genommen.
Die DHKP-C ist auch außerhalb der Türkei, vor allem in Westeuropa, ak-
tiv. Hier bestehen in erster Linie der Europaführung der DHKP-C untergeordne-
te, nach Ländern, Regionen und Gebieten strukturierte Organisationseinheiten,
die von Parteifunktionären oder -komitees geleitet werden. Die Aufgabe dieser
sog. Rückfront ist es insbesondere, finanzielle Mittel zu beschaffen und auf die-
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se Weise die Begehung der terroristischen Anschläge in der Türkei zu unter-
stützen. Daneben werden in Europa Kämpfer rekrutiert, was nicht zuletzt das
Beispiel des bei dem Anschlag auf die US-Botschaft in Ankara im Februar 2013
gestorbenen Selbstmordattentäters S. zeigt; zudem wird für
deren Ausstattung gesorgt sowie ein Rückzugsraum für Mitglieder der Organi-
sation geschaffen.
Der Beschuldigte war bereits seit mindestens dem Jahr 1993 für die
DHKP-C in Europa tätig. In dieser Zeit war er bis Mitte Mai 2004 als Gebiets-
verantwortlicher für Berlin zuständig, bevor er festgenommen wurde und sich
bis August 2004 in Abschiebehaft befand. In der Zeit danach blieb er für die
DHKP-C tätig, wobei er sich in Nordrhein-Westfalen aufhielt. Mit Urteil vom
10. Januar 2006 verurteilte ihn das Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Mit-
gliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Inland nach § 129a StGB zu
einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Dabei legte es für seine Betätigungen für
die DHKP-C einen Tatzeitraum von September/Oktober 1996 bis Februar 1999
zugrunde. Nachdem die vom Oberlandesgericht verhängte Freiheitsstrafe in
eine anderweitige Verurteilung vom 12. Dezember 2006 einbezogen worden
war, wurde die durch dieses Urteil verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von zwei
Jahren und einem Monat gegen den Beschuldigten in der Zeit vom 4. Oktober
2007 bis zum 29. September 2009 vollstreckt. Während dieser Zeit kam es zu
keinen mitgliedschaftlichen Betätigungshandlungen.
Nach seiner Haftentlassung übernahm der Beschuldigte die Funktion
des Verantwortlichen für das DHKP-C-Gebiet Wuppertal und stand als solcher
zu hochrangigen DHKP-C-Funktionären in regelmäßigem Kontakt. Als Gebiets-
verantwortlicher war er bis zu seiner Festnahme mit dem Verteilen der Organi-
sationszeitschrift, dem Einsammeln von Spenden und Zeitschriftengeldern, der
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Betreuung von Inhaftierten und der Organisation von Veranstaltungen befasst.
Außerdem oblag ihm die Anmietung und Einrichtung von Räumlichkeiten für die
DHKP-C-Tarnorganisation Tayad. Wegen der weiteren Einzelheiten seiner Tä-
tigkeit als Gebietsverantwortlicher für Wuppertal nimmt der Senat auf die aus-
führliche Sachverhaltsschilderung im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des
Bundesgerichtshofs Bezug.
3. Der dringende Tatverdacht ergibt sich hinsichtlich der Betätigungs-
handlungen vor der Vollstreckung der Haftstrafe gegen den Beschuldigten ins-
besondere aus der Auswertung des im "Özgürlük"-Büro in Amsterdam am
1. April 2004 sichergestellten DHKP-C-Archivs sowie aus den Erkenntnissen
aus dem Ermittlungsverfahren gegen die zwischenzeitlich rechtskräftig verurteil-
te frühere Deutschlandverantwortliche der DHKP-C E. . Die Tätig-
keiten nach der Entlassung aus der Haft ab Ende September 2009 werden be-
legt durch die Bekundungen des wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen
Vereinigung rechtskräftig Verurteilten A. sowie durch Erkenntnisse
aus verdeckt geführten Ermittlungsmaßnahmen sowohl im Verfahren gegen
den ebenfalls rechtskräftig wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Verei-
nigung verurteilten D. als auch im laufenden Verfahren. We-
gen der Einzelheiten nimmt der Senat auf die ausführliche Darstellung im Haft-
befehl Bezug.
4. Es besteht nach alledem der dringende Tatverdacht, dass sich der
Beschuldigte nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB strafbar gemacht
hat. Die DHKP-C stellt auf der Grundlage des Ermittlungsergebnisses insge-
samt eine ausländische terroristische Vereinigung im Sinne von § 129b Abs. 1
StGB dar (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 3 StR 214/10,
BGHR StGB § 129b Vereinigung 1).
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Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat im Haftbefehl vom
24. Juni 2013 angenommen, die Verurteilung des Beschuldigten durch das
Oberlandesgericht Düsseldorf vom 10. Januar 2006 habe nicht zu einem Straf-
klageverbrauch hinsichtlich der bis zu diesem Tag begangenen mitgliedschaftli-
chen Beteiligungshandlungen des Beschuldigten geführt. Dies hat er unter Be-
rufung auf eine Entscheidung des Senats (Beschluss vom 15. Februar 2007
- StB 19/06, NStZ 2007, 401, 402) damit begründet, dass dem Beginn der straf-
rechtlichen Verfolgbarkeit nach § 129b StGB die Wirkung einer Zäsur zu-
komme, so dass die mitgliedschaftliche Beteiligung an der DHKP-C ab dem
30. August 2002 - dem Tag des Inkrafttretens des § 129b StGB - eine andere
materiell-rechtliche und prozessuale Tat darstelle als die Beteiligung an dieser
Vereinigung in der Zeit davor.
Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob an dieser Rechtsprechung bzw.
der ihr zugrundeliegenden Rechtsauffassung, die auch für den Verwerfungsbe-
schluss nach § 349 Abs. 2 StPO vom 8. März 2012 in dem Revisionsverfahren
3 StR 300/11 maßgeblich war, festzuhalten ist. Die bereits genannte Recht-
sprechung des Senats, mit der er die DHKP-C auf der Grundlage der auch im
Verfahren gegen den Beschuldigten maßgeblichen Erkenntnisse zu ihren Zie-
len und ihrer Struktur insgesamt als ausländische terroristische Vereinigung
bewertet hat (BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 3 StR 214/10, BGHR
StGB § 129b Vereinigung 1), könnte eine Neubewertung der sich insoweit stel-
lenden Rechtsfragen erforderlich machen.
Im vorliegenden Haftprüfungsverfahren bedarf es einer solchen nicht,
weil auch die verbleibenden Taten der Mitgliedschaft in einer terroristischen
Vereinigung im Ausland - die beiden durch die Inhaftierung des Beschuldigten
unterbrochenen Tatzeiträume vom 11. Januar 2006 bis zum 3. Oktober 2007
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und ab dem 30. September 2009 stellen zwei miteinander real konkurrierende
Taten dar (vgl. MüKoStGB/Schäfer, 2. Aufl., § 129 Rn. 137) - den dringenden
Tatverdacht und die Aufrechterhaltung des Haftbefehls tragen.
5. Angesichts des bestehenden Tatverdachts nach § 129a Abs. 1 Nr. 1,
§ 129b Abs. 1 StGB besteht der Haftgrund der Schwerkriminalität, § 112 Abs. 3
StPO. Weiterhin besteht jedenfalls - wie der Haftbefehl zutreffend aufführt - der
Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Die angesichts der
Schwere des Tatvorwurfs im Fall einer Verurteilung zu erwartende Strafe be-
gründet - selbst wenn man den Tatzeitraum bis zum 10. Januar 2006 außer
Acht lässt - einen erheblichen Fluchtanreiz, der es wahrscheinlicher macht,
dass sich der Beschuldigte, der aufgrund seiner langjährigen Zugehörigkeit zur
DHKP-C über keine sozialen Kontakte außerhalb dieser terroristischen Vereini-
gung verfügt, dem Strafverfahren entziehen wird, als dass er sich ihm stellt. An
dieser Einschätzung ändert sich auch nichts dadurch, dass dem Beschuldigten
bereits seit Juli 2007 bekannt ist, dass ein Ermittlungsverfahren gegen ihn ge-
führt wird, zumal erst die Ermittlungen ab dem Jahr 2011 zu dem nun ange-
nommenen Umfang des Tatvorwurfs geführt haben und ihm deshalb die Kon-
sequenz einer möglicherweise mehrjährigen Haftstrafe im Falle seiner Verurtei-
lung nicht bewusst war. Aus diesem Grund sind auch weniger einschneidende
Maßnahmen nach § 116 Abs. 1 StPO nicht geeignet, die Erreichung des
Zwecks der Untersuchungshaft zu gewährleisten.
6. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersu-
chungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Der be-
sondere Umfang der Ermittlungen und ihre - nicht zuletzt in dem hohen Grad
der Konspiration, mit dem die Vereinigungsmitglieder und auch der Beschuldig-
te agierten, begründete - besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht
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zugelassen und rechtfertigen - jedenfalls noch - die Fortdauer der Untersu-
chungshaft. Die Auswertung der sehr umfangreichen Telekommunikations-
überwachungsmaßnahmen, deren Inhaltsprotokolle 30 Stehordner füllen, ist
noch nicht vollständig abgeschlossen. Am Tag seiner Verhaftung sind seine
Wohnung, die von ihm genutzte Wohnung seines Bruders, eine von ihm ge-
nutzte Gartenlaube und sein Pkw sowie die Räumlichkeiten des Kölner DHKP-
C-Vereins durchsucht worden. Dabei sind insbesondere in der Wohnung des
Beschuldigten und in den Vereinsräumlichkeiten zahlreiche Speichermedien,
aber auch mehrere Computer, MP3-Spieler und Mobiltelefone sichergestellt
worden, deren Auswertung durch das Bundeskriminalamt ebenfalls noch nicht
abgeschlossen ist. Der Generalbundesanwalt hat zudem mitgeteilt, dass die
Erhebung der Anklage nunmehr unmittelbar bevorsteht.
7. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen den
Beschuldigten erhobenen Vorwürfen - auch ohne Berücksichtigung des Tatzeit-
raums vom 30. August 2002 bis zum 10. Januar 2006 - derzeit noch nicht
außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Becker Pfister Gericke
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