Urteil des BGH vom 19.02.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
II ZR 169/11
Verkündet am:
19. Februar 2013
Stoll
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 33 Abs. 1
Der Vereinszweck eines Sportvereins, durch sorgfältige Pflege des Sports zur
körperlichen Ertüchtigung seiner Mitglieder beizutragen sowie durch den Sport
Zusammengehörigkeit unter seinen Mitgliedern zu fördern, setzt nicht zwingend
voraus, dass der Verein zur Ausübung einer bestimmten Sportart (hier: Rudern)
eine entsprechende Abteilung unterhält. Die Auflösung einer solchen Abteilung
verstößt im Regelfall auch nicht gegen die vereinsrechtliche Treuepflicht.
BGH, Urteil vom 19. Februar 2013 - II ZR 169/11 - KG
LG Berlin
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 19. Februar 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann und
den Richter Dr. Strohn, die Richterin Dr. Reichart und die Richter Dr. Drescher
und Born
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilse-
nats des Kammergerichts vom 16. Juni 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung
- auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Be-
rufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist ein Sportverein in der Rechtsform eines eingetragenen
Vereins. Die Beklagte befasst sich mit dem Rudersport. Aufgrund der Ausge-
staltung der Satzung des Klägers ist die Beklagte zwar nicht Mitglied des Klä-
gers, stellt aber - wie der Senat in einem vorangegangenen Rechtsstreit der
Parteien ausgeführt hat (BGH, Urteil vom 2. Juli 2007 - II ZR 111/05, ZIP 2007,
1942 Rn. 49 ff.) - eine Untergliederung des Klägers ("Abteilung") in der Rechts-
form eines nicht rechtsfähigen Vereins dar.
Das Vermögen des Klägers besteht im Wesentlichen aus dem Grund-
stück S. in B. . Dieses wird fast ausschließlich von Mitglie-
dern der Beklagten - die zugleich Mitglieder des Klägers sind - genutzt. Der
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Kläger möchte das Grundstück verkaufen, um ein zurückgehendes Spenden-
aufkommen zugunsten aller seiner Abteilungen ausgleichen zu können. Über
die
Wirksamkeit
eines
Kaufvertrags
mit
dem
"R.
e.V." vom 13. Februar 2003 entstand Streit zwischen dem Kläger und
der Beklagten. Der Senat entschied in dem bereits erwähnten Vorprozess, dass
der Kaufvertrag wirksam sei. Der Vorstand des Klägers sei nach dem Inhalt der
Satzung berechtigt gewesen, ohne die Notwendigkeit einer zustimmenden Be-
schlussfassung der Mitgliederversammlung das Grundstück zu veräußern.
Nach Verkündung des Senatsurteils forderte der Kläger die Beklagte auf,
sich eine neue Sportstätte zu beschaffen und das Grundstück für eine Überga-
be an den Käufer zu räumen. Dabei wies der Kläger die Beklagte auf fünf
- nach seiner Auffassung für die Zwecke des Rudersports geeignete - Ersatz-
grundstücke hin. Da sich die Beklagte weiter weigerte, das Grundstück zu räu-
men, trat der Käufer von dem Kaufvertrag zurück.
Die Beklagte, die dem Kläger mitgeteilt hat, ohne rechtskräftiges Räu-
mungsurteil das Grundstück nicht zu räumen, vertritt die Auffassung, der Ver-
kauf des Grundstücks sei zweckwidrig, sie habe ein Besitzrecht an dem Grund-
stück, die nachgewiesenen Ersatzgrundstücke seien für den Rudersport nicht
geeignet und ohnehin sei eine nur mietweise Überlassung eines Grundstücks
nicht akzeptabel.
Das Landgericht hat der im Ergebnis auf Räumung und Herausgabe des
Grundstücks gerichteten Klage stattgegeben, das Kammergericht hat sie abge-
wiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der
Kläger sein Klagebegehren weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg und führt unter Aufhebung des angefochtenen
Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im We-
sentlichen ausgeführt:
Zwischen den Parteien bestehe hinsichtlich des Vereinsgrundstücks eine
Leihe. Diese könne der Kläger nur kündigen, wenn er infolge eines nicht vor-
hergesehenen Umstandes der verliehenen Sache bedürfe. Das sei hier nicht
anzunehmen, weil das Leiheverhältnis durch das vereinsrechtliche Treuegebot
überlagert werde. Danach sei die Kündigung unzulässig, weil sie gegen den
Vereinszweck verstoße.
Nach dem Vereinszweck müsse der Kläger eine Ruderabteilung unter-
halten. Die Räumung des Vereinsheims ohne gleichzeitigen Nachweis eines
anderweitigen Zugangs zu einem Gewässer führe aber zu einer faktischen Li-
quidation der Beklagten. Demgegenüber habe der Kläger nicht vorgetragen,
dass der Verkauf des Grundstücks existenziell notwendig sei. Auch habe er der
Beklagten kein geeignetes Ersatzgrundstück in einer den Annahmeverzug be-
gründenden Weise angeboten.
Der Beschluss der Mitgliederversammlung des Klägers, mit dem der
Vorstand des Klägers angewiesen worden sei, die Räumung gerichtlich durch-
zusetzen, sei nichtig. Er verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und
hätte angesichts der durch eine Räumung bewirkten faktischen Liquidation der
Beklagten ohnehin nur einstimmig gefasst werden können.
II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung
nicht stand.
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1. Nach dem Urteil des Senats in dem von den Parteien bereits geführten
Prozess ist davon auszugehen, dass der Vorstand des Klägers grundsätzlich
berechtigt ist, das der Beklagten überlassene Vereinsgrundstück zu veräußern
und dazu von der Beklagten die Räumung und Herausgabe des Grundstücks
zu verlangen. Die Vorstandsmitglieder des Klägers hätten - so heißt es in der
Senatsentscheidung - nicht die ihnen im Innenverhältnis gesteckten Grenzen
der Vertretungsmacht überschritten. Die Annahme einer Satzungsänderung
dürfte schon deshalb ausscheiden, weil der Verkauf des Grundstücks nicht
zwingend einen Fortfall der Ruderabteilung herbeiführe. Grundsätzlich könne
Rudersport auch nach dem Verkauf betrieben werden, indem der Kläger den
Mitgliedern der Beklagten auf andere Weise Zugang zu einem Gewässer biete.
Anders könne es zu beurteilen sein, wenn mit dem Verkauf des Grundstücks
der Hintergedanke verfolgt würde, die Ruderabteilung "auf kaltem Wege" zu
liquidieren (BGH, Urteil vom 2. Juli 2007 - II ZR 111/05, ZIP 2007, 1942 Rn. 27,
46, 61, 70).
Das Berufungsgericht geht im Grundsatz von dieser Rechtslage aus,
nimmt aber an, dass der Verkauf des Grundstücks zu einer "kalten Liquidation"
der Beklagten führe und deshalb gegen die vereinsrechtliche Treuepflicht ver-
stoße und eine Änderung des Vereinszwecks des Klägers darstelle, die nach
§ 33 Abs. 1 Satz 2 BGB der Zustimmung aller Vereinsmitglieder bedürfe.
2. Die Würdigung, ob aus den besonderen Gründen des Einzelfalls die
an sich zulässige Veräußerung des Vereinsgrundstücks - und damit das Ver-
langen des Klägers nach einer Räumung und Herausgabe durch die Beklagte -
ausnahmsweise gegen die Grundsätze der vereinsrechtlichen Treuepflicht ver-
stößt oder sonst unverhältnismäßig ist, obliegt grundsätzlich dem Tatrichter.
Das Revisionsgericht hat diese Würdigung aber darauf zu überprüfen, ob der
Tatrichter den Sachverhalt erschöpfend berücksichtigt, Rechtsbegriffe richtig
erfasst und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat. Da-
nach ist die Würdigung des Berufungsgerichts nicht frei von Rechtsfehlern.
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Das Berufungsgericht hat den Umfang der vereinsrechtlichen Treue-
pflicht überspannt. Nach § 10 Abs. 3 der Vereinssatzung des Klägers führt der
Vorstand des Klägers die Geschäfte im Sinne der Satzung und der Beschlüsse
der Mitgliederversammlung. Nach § 3 Abs. 2 der Satzung regeln die Abteilun-
gen - wie die Beklagte - ihre sportlichen und finanziellen Angelegenheiten
selbst, soweit die Satzung nichts anderes bestimmt oder das Gesamtinteresse
des Vereins nicht betroffen wird. Daraus ergibt sich, dass der Vorstand des
Klägers im Innen- und Außenverhältnis für alle Angelegenheiten zuständig ist,
die das Gesamtinteresse des Klägers - also die übergeordneten Interessen aller
Abteilungen - betreffen und nicht der Mitgliederversammlung des Klägers vor-
behalten sind.
Durch die Veräußerung des Vereinsgrundstücks werden nach den Fest-
stellungen des Landgerichts, die das Berufungsgericht in Bezug genommen
hat, die Interessen des Gesamtvereins verfolgt. Es geht dem Kläger darum,
Liquidität zu schaffen, um alle seine Abteilungen besser unterstützen zu kön-
nen. Ob durch einen Verkauf des Vereinsgrundstücks dieses Interesse tatsäch-
lich gefördert wird, ist unerheblich. Denn nach dem Urteil des Senats vom
2. Juli 2007 ist es mit dem in Angelegenheiten des Gesamtvereins bestehenden
Weisungsrecht des Klägers unvereinbar, der Beklagten, die nur ihre eigenen
Belange selbst regeln darf, die Befugnis zuzuerkennen, Beschlüsse des ihr
übergeordneten Klägers inhaltlich zu beanstanden (BGH, Urteil vom 2. Juli
2007 - II ZR 111/05, ZIP 2007, 1942 Rn. 61).
3. Die Veräußerung des Vereinsgrundstücks ist grundsätzlich auch nicht
von der Zustimmung der Mitgliederversammlung des Klägers abhängig. Das hat
der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 2. Juli 2007 ausgeführt (BGH,
Urteil vom 2. Juli 2007 - II ZR 111/05, ZIP 2007, 1942 Rn. 70). Der Verkauf des
Grundstücks führt nicht zwingend zu einer Änderung der Satzung. Erst recht
kommt es dadurch, selbst wenn damit die Ausübung einer bestimmten Sportart
zum Erliegen kommen sollte, nicht zu einer Änderung des Vereinszwecks auf
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der Ebene des Klägers. Denn der Vereinszweck des Klägers besteht nach § 2
Abs. 1 der Satzung darin, durch sorgfältige Pflege des Sports zur körperlichen
Ertüchtigung seiner Mitglieder beizutragen sowie durch den Sport Zusammen-
gehörigkeit unter seinen Mitgliedern zu fördern. Das setzt nicht zwingend vo-
raus, dass der Kläger eine bestimmte Abteilung unterhält.
Indes könnte eine durch die Veräußerung des Grundstücks bewirkte fak-
tische Auflösung einer satzungsgemäß geschaffenen Abteilung - wie der Be-
klagten - möglicherweise als Satzungsänderung aufzufassen sein, so dass der
Vorstand dann nur mit Zustimmung der Mitgliederversammlung des Klägers
handeln könnte. Ob das der Fall ist und ob gegebenenfalls der Beschluss der
Mitgliederversammlung vom 22. April 2009, mit dem die Versammlung dem
Räumungsverlangen des Vorstands zugestimmt hat, wirksam ist - der Rechts-
streit über seine Wirksamkeit ist nach § 148 ZPO ausgesetzt -, bedarf derzeit
keiner Entscheidung. Denn das Berufungsgericht hat keine Feststellungen ge-
troffen, die seine Annahme tragen würden, die Beklagte werde durch die Ver-
äußerung des Grundstücks faktisch aufgelöst.
Wie der Senat in seiner Entscheidung vom 2. Juli 2007 bereits ausge-
führt hat, ist die Beklagte nicht auf das von ihr derzeit genutzte Grundstück an-
gewiesen, um einen Wasserzugang zu haben und damit den Rudersport ausü-
ben zu können. Sie kann das auch von anderen geeigneten Grundstücken aus
tun. Die Revision macht zu Recht geltend, dass der Kläger der Beklagten meh-
rere Grundstücke benannt hat, die nach seiner Auffassung für diesen Zweck
geeignet waren. Das Berufungsgericht ist diesem Vortrag nicht nachgegangen.
Es hat vielmehr angenommen, es sei Sache des Vorstands des Klägers, ein
geeignetes Grundstück anzumieten und es der Beklagten in einer den Annah-
meverzug begründenden Weise anzubieten. Damit überspannt das Berufungs-
gericht die Pflichten des Klägers. Zwar heißt es im Urteil des Senats vom 2. Juli
2007, der Kläger habe den Mitgliedern der Beklagten auf andere Weise Zugang
zu einem Gewässer zu bieten (BGH, Urteil vom 2. Juli 2007 - II ZR 111/05, ZIP
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2007, 1942 Rn. 46). Damit ist aber nicht gemeint, dass er ein Grundstück von
sich aus anmieten muss. Das kann vielmehr auch Sache des Vorstandsvorsit-
zenden der Beklagten sein. Nach § 10 Abs. 6 der Satzung des Klägers sind
nämlich die Abteilungsvorsitzenden im Innenverhältnis berechtigt, Verpflichtun-
gen einzugehen, die die jeweilige Abteilung betreffen und sich im Rahmen der
ihr zur Verfügung stehenden Mittel halten. Das Berufungsgericht hat nicht ge-
prüft, ob diese Voraussetzungen hier erfüllt sind.
Hinzu kommt, dass die Beklagte die Auffassung vertreten hat, ein Miet-
grundstück komme ohnehin nicht infrage und sie werde das Grundstück ohne
rechtskräftiges Räumungsurteil nicht räumen. Damit nimmt die Beklagte ein
Recht zur Nutzung des Grundstücks und zur Wahrung des derzeitigen Besitz-
stands für sich in Anspruch, das ihr im Verhältnis zu dem ihr übergeordneten
Kläger nicht zusteht. Der Kläger hat die Interessen aller seiner Abteilungen zu
berücksichtigen. In diesem Rahmen kann es durchaus angemessen sein, die in
dem Vereinsgrundstück gebundenen erheblichen Mittel freizusetzen und für alle
Abteilungen zu verwenden. Dass sich der Kläger dabei in einem existenzbedro-
henden Zustand befinden müsste, ist - anders als das Berufungsgericht meint -
dafür keine Voraussetzung. In diesem Rahmen wird gegebenenfalls zu ent-
scheiden sein, ob der Kläger (auch) die Beklagte, soweit die von ihr erhobenen
Mitgliedsbeiträge nicht ausreichen sollten, angemessen mit Liquidität auszustat-
ten hat, damit sie die Miete für ein Ersatzgrundstück zahlen kann. Dass der
Kläger dazu von vornherein nicht bereit wäre, hat das Berufungsgericht nicht
festgestellt.
III. Die Sache ist noch nicht zur Endentscheidung reif. Das Berufungsge-
richt wird in der wiedereröffneten mündlichen Verhandlung zu prüfen haben, ob
die der Beklagten von dem Kläger nachgewiesenen Ersatzgrundstücke für die
Ausübung des Rudersports geeignet waren. Sollte das der Fall gewesen sein,
könnte sich die Beklagte jetzt nicht mehr darauf berufen, sie habe bei einer
Räumung und Herausgabe des derzeit von ihr genutzten Grundstücks keinen
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Zugang zu einem Gewässer mehr. Gegebenenfalls wird das Berufungsgericht
weiter zu prüfen haben, ob die Mittel der Beklagten grundsätzlich ausreichen,
um die Miete für ein Ersatzgrundstück zu zahlen. Dann wäre es vorrangig Sa-
che der Beklagten, sich um ein geeignetes Grundstück zu bemühen.
Bergmann Strohn Reichart
Drescher Born
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 10.06.2010 - 31 O 503/08 -
KG Berlin, Entscheidung vom 16.06.2011 - 1 U 33/10 -