Urteil des BGH vom 09.02.2010

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XI ZB 34/09
vom
9. Februar 2010
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 139, 233 A
Zur Hinweispflicht des Gerichts, wenn dieses das Vorbringen in einem Wiedereinset-
zungsgesuch (hier: genaue Umstände des Posteinwurfs der Berufungsschrift) als
ergänzungsbedürftig ansieht.
BGH, Beschluss vom 9. Februar 2010 - XI ZB 34/09 - OLG Düsseldorf
LG Düsseldorf
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Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Wiechers, den Richter Dr. Joeres, die Richterin Mayen und die Richter
Dr. Grüneberg und Maihold
am 9. Februar 2010
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des
16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 27. Juli
2009 aufgehoben.
Den Klägern wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen
die Versäumung der Berufungsfrist gewährt.
Die Sache wird zur Entscheidung über die Berufung der Kläger an
das Berufungsgericht zurückverwiesen, dem auch die Entschei-
dung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens vorbehal-
ten bleibt.
Der Gegenstandswert beträgt 47.451,23 €.
Gründe:
I.
Das Landgericht hat mit Urteil vom 17. April 2009, zugestellt am 24. April
2009, die Klage der Kläger gegen die beklagte Bank auf Schadensersatz im
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Zusammenhang mit der Finanzierung ihrer Beteiligung an einer stillen Gesell-
schaft abgewiesen. Hiergegen haben die Kläger mit einem erst am 26. Mai
2009 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt.
Nachdem das Berufungsgericht die Kläger darauf hingewiesen hatte, dass die
Berufungsfrist bereits am Montag, dem 25. Mai 2009 abgelaufen sei, haben sie
beantragt, ihnen gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand zu gewähren.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags haben die Kläger vorge-
tragen: Ihr Prozessbevollmächtigter habe die Berufungsschrift am Freitag, dem
22. Mai 2009 gefertigt. Sodann sei diese zusammen mit anderen Schriftstücken
nach Kanzleischluss um 18.30 Uhr zur Post gebracht und dort in den
Briefkasten eingeworfen worden. Der Briefkasten werde an diesem Tag noch
um 20.45 Uhr geleert, so dass ihr Prozessbevollmächtigter davon habe ausge-
hen dürfen, dass die Berufungsschrift beim Berufungsgericht spätestens am
darauf folgenden Montag eingehen würde.
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Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht den Antrag
der Kläger auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und ihre Berufung als unzu-
lässig verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klä-
ger hätten nicht substantiiert dargelegt, dass die Berufungsschrift rechtzeitig zur
Post gegeben worden sei. Vielmehr erschöpfe sich ihr Vorbringen in einer all-
gemeinen Schilderung. Insoweit fehlten sowohl nachvollziehbare Angaben zur
Postausgangskontrolle ihres Prozessbevollmächtigten als auch die genaue Dar-
legung, welche Person welche Post ausgefächert, kuvertiert, in den Sammel-
umschlag gepackt, zum Briefkasten gebracht und wann genau dort eingeworfen
habe.
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II.
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Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhe-
bung des angefochtenen Beschlusses, zur Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und zur Zurückverweisung der
Sache an das Berufungsgericht.
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1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 522
Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zuläs-
sig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist gemäß § 574 Abs. 2
Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Denn
die angefochtene Entscheidung verletzt die Verfahrensgrundrechte der Kläger
auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung
mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).
Sie steht zudem nicht in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bun-
desgerichtshofs.
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat
den Klägern zu Unrecht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Ver-
säumung der Berufungsfrist versagt.
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a) Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen,
dass einer Prozesspartei Verzögerungen der Briefbeförderung oder der Brief-
zustellung durch die Deutsche Post AG nicht als Verschulden angerechnet
werden dürfen. Sie darf vielmehr darauf vertrauen, dass die Postlaufzeiten ein-
gehalten werden, die seitens der Deutschen Post AG für den Normalfall festge-
legt werden. Ein Versagen dieser Vorkehrungen darf der Partei im Rahmen der
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht als Verschulden angerechnet
werden, weil sie darauf keinen Einfluss hat. Im Verantwortungsbereich einer
Partei, die einen fristgebundenen Schriftsatz auf dem Postweg befördern lässt,
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liegt es allein, das Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß aufzugeben,
dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Deut-
schen Post AG den Empfänger fristgerecht erreichen kann (BGH, Beschlüsse
vom 18. Juli 2007 - XII ZB 32/07, NJW 2007, 2778, Tz. 13 und vom 20. Mai
2009 - IV ZB 2/08, NJW 2009, 2379, Tz. 8; BVerfG NJW 1995, 1210, 1211;
2003, 1516; jeweils m.w.N.). Dabei darf eine Partei grundsätzlich darauf ver-
trauen, dass im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendungen am fol-
genden Werktag ausgeliefert werden. Ohne konkrete Anhaltspunkte muss ein
Rechtsmittelführer deshalb nicht mit Postlaufzeiten rechnen, die die ernsthafte
Gefahr der Fristversäumung begründen (BGH, Beschluss vom 20. Mai 2009
- IV ZB 2/08, NJW 2009, 2379, Tz. 8 m.w.N.).
b) Die Rechtsbeschwerde rügt jedoch zu Recht, dass das Berufungsge-
richt nicht auf eine Ergänzung des Vorbringens der Kläger zu den tatsächlichen
Voraussetzungen des geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrundes und de-
ren Glaubhaftmachung hingewirkt hat. Damit hat es seiner Hinweispflicht nach
§ 139 ZPO nicht genügt und zugleich den Anspruch der Kläger auf Gewährung
wirkungsvollen Rechtsschutzes und auf rechtliches Gehör verletzt.
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aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss
eine Partei im Rahmen ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in die versäumte
Frist gemäß § 236 Abs. 2 ZPO die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsa-
chen vortragen und glaubhaft machen. Hierzu gehört eine aus sich heraus ver-
ständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus denen
sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen die Fristversäumnis beruht (vgl.
nur BGH, Beschluss vom 3. Juli 2008 - IX ZB 169/07, NJW 2008, 3501, Tz. 15
m.w.N.). Zwar müssen nach § 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 ZPO alle Tatsachen,
die für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeu-
tung sein können, innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist vorgetragen werden.
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Jedoch dürfen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach
§ 139 ZPO geboten gewesen wäre, noch nach Fristablauf erläutert und vervoll-
ständigt werden (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 13. Juni 2007 - XII ZB 232/06,
NJW 2007, 3212, Tz. 8 und vom 3. April 2008 - I ZB 73/07, GRUR 2008, 837,
Tz. 12, jeweils m.w.N.).
bb) Gemessen an diesen Grundsätzen hätte das Berufungsgericht den
Klägern Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vorbringens im Wiedereinsetzungs-
antrag zu den Umständen des Posteinwurfs der Berufungsschrift geben müs-
sen.
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Die Kläger hatten mit dem Wiedereinsetzungsantrag geltend gemacht,
ihre Berufungsschrift sei noch am Freitag, dem 22. Mai 2009 nach Kanzlei-
schluss um 18.30 Uhr in einen Briefkasten an der Post eingeworfen
worden. Es musste sich dem Berufungsgericht danach aufdrängen, dass weite-
rer Vortrag zu den Einzelheiten des Posteinwurfs deshalb unterblieben war, weil
die Kläger diesen in Anbetracht des zeitlichen Abstands zwischen dem Kanzlei-
schluss und der letzten Leerung des Briefkastens nicht für erforderlich hielten.
Da dies nach Auffassung des Berufungsgerichts doch der Fall war, hätte es die
Kläger nach § 139 ZPO auf fehlenden Vortrag zur konkreten Person und zur
genauen Uhrzeit des Briefeinwurfs hinweisen müssen und ihnen Gelegenheit
zur Ergänzung ihres Vorbringens im Wiedereinsetzungsantrag geben müssen.
Die gegenteilige Verfahrensweise des Berufungsgerichts stellt eine Überra-
schungsentscheidung dar, die den Anspruch der Kläger auf Gewährung wir-
kungsvollen Rechtsschutzes und rechtlichen Gehörs verletzt.
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Die angefochtene Entscheidung beruht auch auf dieser Verletzung der
Verfahrensgrundrechte der Kläger. In ihrer Gegenvorstellung haben sie glaub-
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haft vorgebracht, dass eine bei ihrem Prozessbevollmächtigten beschäftigte
und namentlich benannte Auszubildende die Berufungsschrift um 18.40 Uhr in
den Briefkasten eingeworfen hat. Hierbei handelt es sich nicht um neues Vor-
bringen, sondern nur um eine Darstellung des für den Wiedereinsetzungsantrag
maßgeblichen Sachverhalts, die exakter war als die bisherige Schilderung, so
dass es vom Berufungsgericht noch zu berücksichtigen gewesen wäre. Auf der
Grundlage dieses ergänzenden Vortrags hätte das Berufungsgericht die Wie-
dereinsetzung in den vorigen Stand nicht ablehnen dürfen, weil die Kläger dann
mit einem rechtzeitigen Eingang ihrer Berufungsschrift bei dem Berufungsge-
richt rechnen durften und ihnen der verzögerte Postlauf nicht zuzurechnen ist.
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c) Der rechtzeitig gestellte Wiedereinsetzungsantrag der Kläger ist somit
begründet. Darüber kann der Senat gemäß § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO selbst ent-
scheiden, weil es keiner weiteren Tatsachenfeststellungen bedarf. Das Beru-
fungsgericht wird nunmehr in der Sache über die Berufung der Kläger zu ent-
scheiden haben.
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Wiechers
Joeres
Mayen
Grüneberg Maihold
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 17.04.2009 - 13 O 176/08 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 27.07.2009 - I-16 U 109/09 -