Urteil des BGH vom 11.12.2008

BGH (psychiatrische behandlung, staatsanwaltschaft, ausgleich, stein, annahme, opfer, stgb, stpo, beweismittel, freiheitsstrafe)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 483/08
vom
11. Dezember 2008
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Dezember
2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
der Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten ge-
gen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 29. Mai 2008
werden verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem
Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen wer-
den der Staatskasse auferlegt.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der
Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-
zung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richten sich
die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten. Die Staatsanwalt-
schaft beanstandet die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei vom
Versuch des Totschlags zurückgetreten, sowie die Zubilligung einer Strafrah-
menverschiebung im Hinblick auf einen Täter-Opfer-Ausgleich. Der Angeklagte
rügt, das Landgericht habe seine Tat zu Unrecht als gefährliche Körperverlet-
zung beurteilt. Die Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
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Nach den Feststellungen des Landgerichts konnte der Angeklagte die
Scheidung von der Nebenklägerin, die er durch gewalttätiges Verhalten in der
Ehe selbst verursacht hatte, nur schwer verwinden. Er konsumierte verstärkt
Alkohol und begab sich wegen eines Gefühls der Niedergeschlagenheit freiwillig
in stationäre psychiatrische Behandlung. Diese wurde knapp zwei Wochen vor
der Tat wegen Alkoholkonsums des Angeklagten in der Klinik abgebrochen. Am
Tattag hatte der alkoholisierte Angeklagte das Gefühl, seine frühere Ehefrau
belaste ihn wie ein Dämon und es müsse "zu seiner Befreiung etwas passie-
ren". Er entschloss sich, die Nebenklägerin, die einen neuen Lebensgefährten
hatte, wie eine Ehebrecherin zu steinigen. Dabei kam es ihm auf ihren Tod nicht
an, er nahm ihn aber als mögliche Folge billigend in Kauf. Bewaffnet mit einem
1.184 Gramm schweren Stein sowie einem Küchenmesser mit einer Klingen-
länge von etwa 20 Zentimetern, mit dem er sich nach seinen für unwiderlegt
erachteten Angaben anschließend selbst töten wollte, betrat er das Geschäft, in
dem die Nebenklägerin arbeitete. Er riss sie an den Haaren, worauf sie sofort
zu schreien begann. Sodann schlug er ihr mit dem Stein auf den Kopf, wobei er
den ersten Schlag mit Wucht und den zweiten Schlag, bei dessen Ausführung
ihm bereits klar wurde, dass er nicht einfach einen Menschen töten könne, mit
geringerer Stärke ausführte. Als drei Passanten, von den Schreien alarmiert, in
das Geschäft hinein und der Nebenklägerin zu Hilfe eilten, hatte der Angeklagte
den Stein nicht mehr in der Hand. Den Helfern gelang es nach längerem Be-
mühen, den Angeklagten von der Nebenklägerin wegzuziehen und festzuhalten.
Dabei wurde einer von ihnen darauf aufmerksam, dass der Angeklagte das Kü-
chenmesser in seiner Jackeninnentasche hatte, und nahm es ihm weg.
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I. Revision der Staatsanwaltschaft
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1. Die Annahme eines Rücktritts des Angeklagten vom Tötungsversuch
hält rechtlicher Überprüfung stand.
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Die Aufgabe, sich auf der Grundlage der vorhandenen Beweismittel eine
Überzeugung vom tatsächlichen Geschehen zu verschaffen, obliegt allein dem
Tatrichter. Seine Beweiswürdigung hat das Revisionsgericht regelmäßig hinzu-
nehmen. Es ist ihm verwehrt, sie durch eine eigene zu ersetzen oder sie etwa
nur deshalb zu beanstanden, weil aus seiner Sicht eine andere Bewertung der
Beweise näher gelegen hätte. Vermag der Tatrichter vorhandene, wenn auch
nur geringe Zweifel am Vorliegen eines bestimmten, dem Angeklagten vorge-
worfenen Sachverhalts nicht zu überwinden, so kann das Revisionsgericht dies
nur auf Rechtsfehler überprüfen, insbesondere darauf, ob die Beweiswürdigung
in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, die Beweismittel nicht aus-
schöpft, Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze aufweist oder ob
der Tatrichter überspannte Anforderungen an die für eine Verurteilung erforder-
liche Gewissheit gestellt hat (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdi-
gung 13 und Überzeugungsbildung 33; BGH NStZ 2000, 48; BGH wistra 2002,
260, 261).
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Das Landgericht hat die für und gegen den Rücktritt sprechenden Be-
weisanzeichen abgewogen. Mängel in der Beweiswürdigung, die als Rechtsfeh-
ler einen Eingriff des Revisionsgerichts ermöglichen würden, sind bei der Über-
prüfung nicht zutage getreten.
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2. Der Beschwerdeführerin ist zuzugeben, dass die Annahme eines Tä-
ter-Opfer-Ausgleichs nach § 46 a Nr. 1 StGB - hierum geht es beim Ausgleich
immaterieller Schäden vorrangig (vgl. BGHR StGB § 46 a Nr. 1 Ausgleich 1) -
zu Bedenken Anlass geben könnte. Ob die Revision damit einen durchgreifen-
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den Rechtsfehler aufzeigt, kann der Senat offenlassen, da die für die gefährli-
che Körperverletzung verhängte Freiheitsstrafe von drei Jahren in Ansehung
der Tatfolgen für das Opfer und der bisherigen Unbestraftheit des Täters ange-
messen im Sinne von § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO ist.
II. Revision des Angeklagten
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Die Überprüfung des Urteils auf die Revisionsbegründung hat keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Den Feststellungen des
Landgerichts zur Art und Weise der Körperverletzungshandlung liegt eine trag-
fähige Beweiswürdigung zugrunde.
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Becker Pfister Sost-Scheible
Hubert Schäfer