Urteil des BGH vom 06.06.2013

Standardisierte Mandatsbearbeitung Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I ZR 190/11
vom
6. Juni 2013
in dem Rechtsstreit
- 2 -
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Juni 2013 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Prof. Dr. Büscher,
Prof. Dr. Schaffert, Dr. Koch und Dr. Löffler
beschlossen:
In Abänderung des Beschlusses vom 10. Januar 2013 wird der
Streitwert für die Revisionsinstanz auf 75.000
€ festgesetzt.
Gründe:
I. Die Parteien betreiben jeweils Rechtsanwaltskanzleien und bearbeiten
in großem Umfang Mandate wegen Urheberrechtsverletzungen in Internet-
tauschbörsen. Die Klägerin ist - zumindest überwiegend - auf Seiten der
Rechteinhaber, die Beklagte auf Seiten der als Rechtsverletzer in Anspruch
genommenen Personen tätig.
Die Klägerin beauftragte insgesamt sechs Personen, die in der Zeit vom
15. Januar 2010 bis Mai 2010 gegenüber der Beklagten angaben, Abmahnun-
gen von der Klägerin erhalten zu haben. Diese Test-Mandanten gaben ent-
weder im Fragebogen unter der Rubrik „Besonderheiten“ oder in einer beglei-
tenden E-Mail - wahrheitswidrig - an, die in der Abmahnung genannte Datei
heruntergeladen zu haben. Ferner teilten die Testmandanten der Beklagten mit,
dass sie über einen verschlüsselten WLAN-Anschluss verfügten. Dennoch
versandte die Beklagte auch in den diese Testmandanten betreffenden Fällen
Antwortschreiben an die Klägerin, in denen Rechtsverletzungen durch die
Mandanten bestritten wurden.
1
2
- 3 -
Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte habe gegenüber der Klägerin
bewusst unwahr vorgetragen. Dies sei gemäß § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung
mit § 43a Abs. 3 Satz 2 BRAO, § 263 StGB wettbewerbswidrig. Insoweit hat die
Klägerin mit ihrem Hauptantrag begehrt, eine unrichtige Angabe der Beklagten
gegenüber gegnerischen Anwälten im Hinblick auf die Tatbegehung ihrer
Mandanten zu untersagen.
Die Klägerin hat ferner hilfsweise beantragt, den Beklagten das Anbieten
und Erbringen einer anwaltlichen Vertretung von Personen zu verbieten, die
wegen Urheberrechtsverletzung abgemahnt wurden, sofern diese bei Ab-
schluss des Mandatsvertrages nicht auf die Praxis der Beklagten hingewiesen
würden, auf die Abmahnung eine Tatbegehung in jedem Fall, also auch dann in
Abrede zu stellen, wenn sie den Beklagten gegenüber eingeräumt worden sei.
Insoweit liege eine Irreführung der Verbraucher gemäß §§ 3, 5 Abs. 1, § 5a
Abs. 1 UWG vor. Die Klägerin macht geltend, in dem Verhalten der Beklagten
liege eine systematische Schlechtleistung, über die die Beklagte ihre
(potentiellen) Mandanten nicht aufkläre. Dies sei als Irreführung durch
Unterlassen gemäß §§ 3, 5, 5a UWG zu werten, weil der Mandant ohne ent-
sprechende Aufklärung nicht mit einer wahrheitswidrigen Rechtsverteidigung
rechne.
Die Klägerin hat die Beklagten ferner auf Auskunft, Erstattung vorprozes-
sual entstandener Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.598
€ und Feststel-
lung der Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen.
Das Landgericht hat der Klage mit dem Unterlassungshauptantrag sowie
den darauf bezogenen Folgeansprüchen stattgegeben. Auf die dagegen gerich-
tete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen
und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 100.000
€ (jeweils 50.000 €
für den Haupt- und den Hilfsantrag) festgesetzt. Mit der vom Berufungsgericht
3
4
5
6
- 4 -
im Hinblick auf den Unterlassungshauptantrag und im Übrigen vom Senat
zugelassenen Revision hat die Klägerin ihr Klagebegehren im vollem Umfang
weiterverfolgt. Der Senat hat die Revision auf Kosten der Klägerin zurückge-
wiesen und den Streitwert für die Revision auf 50.000
€ festgesetzt. Dagegen
richtet sich die Gegenvorstellung der Prozessbevollmächtigten der Beklagten,
die eine Erhöhung des Gegenstandswerts der Revision auf insgesamt
100.000
€ erreichen will. Sie macht geltend, es handele sich bei Haupt- und
Hilfsantrag um verschiedene Streitgegenstände.
II. Die Gegenvorstellung ist teilweise begründet. Sie führt zur Fest-
setzung des Streitwerts für die Revisionsinstanz auf 75.0
00 €.
1. Die Gegenvorstellung hat dem Grunde nach Erfolg. Im Streitfall sind
die mit dem Haupt- und mit dem Hilfsantrag geltend gemachten Ansprüche zu-
sammenzurechnen.
a) Der Streitwert für das vorliegende Revisionsverfahren errechnet sich
aus Haupt- und Hilfsantrag, da über den Hilfsantrag entschieden wurde (vgl.
§ 45 Abs. 1 Satz 2, § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG). Die diesen Anträgen zugrundelie-
genden Ansprüche waren gemäß § 45 Abs. 1 Satz 3 zusammenzurechnen.
b) Die von der Klägerin mit dem Haupt- und dem Hilfsantrag geltend ge-
machten Ansprüche betreffen nicht denselben Gegenstand.
aa) Bei dem Begriff des Gegenstands in § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG handelt
es sich um einen selbständigen kostenrechtlichen Begriff, der eine wirtschaft-
liche Betrachtung erfordert (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2004
- IV ZR 287/03, NJW-RR 2005, 506). Eine Zusammenrechnung hat dort zu er-
folgen, wo eine wirtschaftliche Werthäufung entsteht und nicht ein wirtschaftlich
identisches Interesse betroffen ist (BGH, Beschluss vom 12. April 2010
7
8
9
10
11
- 5 -
- II ZR 34/07, juris Rn. 4). Wirtschaftliche Identität liegt vor, wenn die in ein
Eventualverhältnis gestellten Ansprüche nicht in der Weise nebeneinander be-
stehen können, dass - die vom Kläger gesetzte Bedingung fortgedacht - allen
stattgegeben werden könnte, sondern dass die Verurteilung gemäß dem einen
Antrag notwendigerweise die Abweisung des anderen Antrags nach sich zöge
(vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 2003 - III ZR 115/02, NJW-RR 2003,
713; Beschluss vom 12. April 2010 - II ZR 34/07, juris Rn. 4).
bb) Die von der Klägerin verfolgten Ansprüche sind nicht wirtschaftlich
identisch. Der Hauptantrag ist auf die Unterlassung unrichtige Angaben der
Beklagten gegenüber gegnerischen Anwälten im Hinblick auf Urheberrechts-
verletzungen ihrer Mandanten gerichtet. Es geht insoweit um anwaltliches Ver-
halten der Beklagten gegenüber Gegnern ihrer Mandanten und damit um die
mögliche Beeinträchtigung der Durchsetzung der von diesen geltend gemach-
ten Urheberrechte. Dagegen betrifft der Hilfsantrag die Unterlassung des Anbie-
tens und Erbringens der rechtlichen Vertretung von Personen, die wegen be-
haupteter Urheberrechtsverletzung abgemahnt wurden. Gegenstand ist inso-
weit ein Verhalten der Beklagten gegenüber den eigenen Mandanten. Betroffen
sind dadurch zum einen die Interessen der Mandanten und zum anderen die
wettbewerblichen Interessen der Beklagten an der Erlangung und Erhaltung
von Mandatsverhältnissen.
12
- 6 -
2. Der Höhe nach hat die auf eine Festsetzung des Streitwerts auf
100.000
€ gerichtete Gegenvorstellung der Beklagten allerdings nur teilweise
Erfolg. Bei der Wertfestsetzung auf insgesamt 75.000
€ hat der Senat berück-
sichtigt, dass sich die Klägerin sowohl mit dem Hauptantrag als auch mit dem
Hilfsantrag im wirtschaftlich bedeutsamen Kern gegen die Praxis der Beklagten
wendet, im Rahmen der standardisierten Abwicklung einer Vielzahl von Manda-
ten die Begehung einer Urheberrechtsverletzung auch dann zu leugnen, wenn
der Mandant im Einzelfall eine Tatbegehung der Beklagten gegenüber einge-
räumt hat.
Bornkamm
Büscher
Schafert
Koch
Löffler
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 25.11.2010 - 81 O 68/10 -
OLG Köln, Entscheidung vom 14.10.2011 - 6 U 225/10 -
13