Urteil des BGH vom 16.12.2003

BGH (strafkammer, sache, erpressung, sicherungsverwahrung, besetzung, stpo, umfang, mitwirkung, anordnung, freiheitsberaubung)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 438/03
vom
16. Dezember 2003
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 16. Dezember 2003 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Oldenburg vom 3. Juni 2003 mit den Feststellungen auf-
gehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkam-
mer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Er-
pressung in 20 Fällen, davon in 14 Fällen in Tateinheit mit Freiheitsberaubung
(jeweils Einzelfreiheitsstrafen von sieben Jahren), sowie wegen versuchter
schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung (Ein-
zelfreiheitsstrafe sechs Jahre sechs Monate) - unter Einbeziehung einer Strafe
wegen einer weiteren schweren räuberischen Erpressung (Einzelfreiheitsstrafe
sechs Jahre drei Monate) - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren ver-
urteilt und die Sicherungsverwahrung des Angeklagten angeordnet. Die auf die
Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklag-
ten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
Zu Recht beanstandet der Beschwerdeführer, daß die Strafkammer un-
ter Verstoß gegen § 76 Abs. 2 Satz 2 GVG in der Hauptverhandlung mit nur
zwei Berufsrichtern besetzt war. Die fehlerhafte Besetzung des erkennenden
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Gerichts, die die Verteidigung rechtzeitig beanstandet hat (§ 222 b StPO), hat
als absoluter Revisionsgrund die Aufhebung des Urteils zur Folge (§ 338 Nr. 1
StPO).
1. Entgegen der Auffassung der Revision hätte die Strafkammer aller-
dings nicht schon deswegen in der Besetzung mit drei Richtern entscheiden
müssen, weil über die beantragte Anordnung der Sicherungsverwahrung zu
befinden war. Trotz des mit der Sicherungsverwahrung verbundenen tiefgrei-
fenden Eingriffs in die Freiheit des Verurteilten, der in seinen Auswirkungen
weit über die bloße Verbüßung einer zeitigen Freiheitsstrafe hinausgeht und
einen lebenslangen Maßregelvollzug bedeuten kann, hat der Gesetzgeber für
Strafsachen, in denen die Verhängung dieser Maßregel in Frage steht, nicht
zwingend die Besetzung der Strafkammer mit drei Richtern vorgeschrieben.
Insoweit ist deshalb entsprechend der gesetzlichen Regelung die Mitwirkung
eines dritten Richters bei der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung
nur geboten, wenn sie durch die Schwierigkeit oder den Umfang der Sache
notwendig erscheint, wobei freilich auch das Gewicht der Maßregel und der mit
der Feststellung ihrer Voraussetzungen gegebenenfalls verbundene Aufwand
zu berücksichtigen sind.
2. Durch die Verhandlung und Entscheidung in der Besetzung mit nur
zwei Berufsrichtern hat die Strafkammer hier aber deswegen § 76 Abs. 2 StPO
verletzt, weil der Umfang der Sache - auch unter Berücksichtigung des weiten
Beurteilungsspielraums, der ihr bei der Prüfung dieser Voraussetzung zusteht
(vgl. BGHSt 44, 328 ff.; BGH NStZ 2004, 56) - die Mitwirkung eines dritten Be-
rufsrichters notwendig machte.
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Die Staatsanwaltschaft hat mit der Anklageschrift den die Taten bestrei-
tenden Angeklagten 21 Verbrechen der besonders schweren Erpressung ge-
mäß §§ 250 Abs. 2 Nr. 1, 253, 255 StGB zur Last gelegt und darauf hingewie-
sen, daß die Anordnung der Sicherungsverwahrung in Betracht kommt. Sie hat
für die Tatvorwürfe 113 Zeugen und 3 Sachverständige benannt. Die Ermitt-
lungsakten bestehen aus 10 Bänden, 21 Fallakten und weiteren Beiakten,
Sonderheften und Beweismittelordnern. Die Kammer hat zunächst 19 Haupt-
verhandlungstermine anberaumt und 43 Zeugen und einen Sachverständigen
geladen mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß weitere Zeugen und Sachver-
ständige geladen werden sollen. Tatsächlich hat die Kammer nach diesen 19
Hauptverhandlungstagen noch weitere knapp 7 Monate bis zur Urteilsverkün-
dung weiterverhandelt. Dieser im Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses im we-
sentlichen vorhersehbare und dann auch tatsächlich eingetretene besondere
Umfang der Sache macht deutlich, daß die Strafkammer mit der Annahme, die
Sache erfordere ihres Umfanges wegen nicht die Mitwirkung eines dritten
Richters, den ihr eingeräumten Beurteilungsspielraum in unvertretbarer Weise
überschritten hat.
Tolksdorf Miebach Winkler
Becker Hubert