Urteil des BGH vom 04.06.2013

BGH: anleger, vertragliche haftung, unerlaubte handlung, vermittler, gefahr, garantie, kausalität, form, aktiengesellschaft, sittenwidrigkeit

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 292/12
Verkündet am:
4. Juni 2013
Holmes
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 4. Juni 2013 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Zoll und
Wellner, die Richterin Diederichsen und den Richter Stöhr
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 21. Mai 2012 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 12. Zivilkammer
des Landgerichts Stuttgart vom 22. Juli 2011 wird zurückgewie-
sen.
Der Kläger hat die Kosten der Rechtsmittel zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger macht gegen die Beklagte, eine Aktiengesellschaft nach tür-
kischem Recht, deliktische Schadensersatzansprüche wegen des Erwerbs von
Anteilen an der Beklagten geltend.
Die Beklagte ist eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft mit Sitz in
Konya/Türkei. Sie verkaufte ab dem Jahr 1990 in Deutschland an Teile der tür-
kisch-stämmigen Bevölkerung Firmenanteile, wobei sie weitgehend aufgrund
von Mund-zu-Mund-Propaganda damit warb, dass es sich um eine mit islami-
schen Glaubensgrundsätzen konforme Alternative zu herkömmlichen, verzinsli-
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chen Geldanlagen handle. Der damalige Vorstandsvorsitzende B. instruierte in
Schulungen die Vermittler, die Anleger werben und den Verkauf der Anteile in
Deutschland abwickeln sollten; die Interessenten sollten darüber informiert wer-
den, dass die Teilhaberschaft an der Beklagten jederzeit mit einer Frist von drei
Monaten gekündigt werden könne, die Anteile dann zurückgenommen und der
Anlagebetrag erstattet würden. In dringenden Fällen erfolge die Rückabwick-
lung sofort. Diese Information enthält auch ein vor dem 1. Januar 1994 verfass-
tes Rundschreiben in Form eines Geschäftsberichts des Vorstandsvorsitzenden
B. an die Anteilseigner der Beklagten. Bis in das Jahr 2001 wurden Anteilskäufe
auf Verlangen der Teilhaber von der Beklagten rückabgewickelt. Die Anteile
wurden an andere Interessenten weiterverkauft oder von Tochterunternehmen
der Beklagten übernommen. Dann stellte die Beklagte die Zahlung von Aus-
schüttungen und die Rückzahlung angelegter Gelder ein.
Der Kläger erwarb in den Jahren 1998/1999 Anteilsscheine an der Be-
klagten, von denen er gegen Erstattung des angelegten Betrages wieder meh-
rere an die Beklagte zurückgab. Mit Schreiben seines anwaltlichen Vertreters
vom 12. Februar 2010 kündigte er das Vertragsverhältnis mit der Beklagten und
erklärte die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, außerdem forderte er den
Anlagebetrag zurück.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klä-
gers hat das Oberlandesgericht unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils
und Berücksichtigung einer teilweisen Klagerücknahme den Zahlungsanspruch
Zug um Zug gegen Rückübertragung der Aktien an die Beklagte zugesprochen.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte die
Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit deutscher Ge-
richte für deliktische Ansprüche des Klägers bejaht. Es hat unter Anwendung
deutschen Rechts dem Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz nach den
§§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte zugesprochen und dies - wie folgt - be-
gründet:
Das Verhalten des Vorstands der Beklagten erfülle die Voraussetzungen
einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung. Zu den für eine Anlageentschei-
dung wesentlichen und damit aufklärungspflichtigen Umständen gehörten vor
dem Hintergrund des aktienrechtlichen Rücknahmeverbots die besonderen Ri-
siken des Rück- oder Weiterverkaufs von Aktien nicht börsennotierter Unter-
nehmen. Deshalb sei es innerhalb des von den Organen der Beklagten ins
Werk gesetzten Vertriebssystems erforderlich gewesen, Anleger über die Be-
sonderheit der Beteiligung an einer nicht börsennotierten Aktiengesellschaft
- gleich in welcher Form - zu informieren, dass den geworbenen Anlegern
- anders als bei einer herkömmlichen Sparanlage - kein rechtlich gesicherter
Anspruch auf Rückzahlung ihres investierten Kapitals zustehe. Dass es sich
nicht um ein bei Banken erhältliches Finanzprodukt gehandelt habe und die
Geschäfte außerhalb einer Bank abgeschlossen worden seien, ändere am In-
formationsdefizit der Anleger und an ihrem Schutzbedürfnis nichts. Das Ver-
triebssystem der Beklagten sei darauf angelegt gewesen, systematisch von der
unvollständigen Informationslage der Anleger zu profitieren und eine teilweise
selbst geschaffene, jedenfalls aber erkennbar falsche Erwartungshaltung der
Anleger bezüglich der erheblichen Frage der rechtlichen Absicherung einer
Kündigungsmöglichkeit auszunutzen. Insofern komme das Verhalten der Be-
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klagten im Unwert einer aktiven Täuschung gleich, die ohne weiteres als sitten-
widrig anzusehen sei. Der Vorstand der Beklagten habe über gezielte Mund-zu-
Mund-Propaganda Fehlvorstellungen über die unternehmerische Beteiligung in
den gut vernetzten Kreisen der türkisch-stämmigen Minderheiten in Deutsch-
land verbreitet. Unter den angesprochenen Kundenkreisen sei geradezu eine
Euphorie über die Vorzüge der Anlage entstanden, so dass sich die einzelnen
Anleger ohne qualifizierte Information von dem allgemeinen Sog hätten mitrei-
ßen lassen. Auch der Kläger, der nicht individuell beraten worden sei, hätte oh-
ne die allgemein bekannten Zusagen über die Rückgabemöglichkeit der Anteile
sein Geld bei der Beklagten nicht investiert. Die vor dem Jahr 2001 praktizierte
faktische Rücknahme sei - wie die weitere Entwicklung der Dinge anschaulich
zeige - kein gleichwertiger Ersatz für einen rechtlich gesicherten Anspruch,
denn sie hänge vom freien Willen der Beklagten bzw. der insoweit eingeschalte-
ten Konzernunternehmen ab. Das Verhalten des Vorstands der Beklagten erfül-
le das Merkmal der Sittenwidrigkeit, weil es sich nicht um ein vereinzeltes Fehl-
verhalten handle, sondern weil die gezielte Fehlinformation des Vertriebs ein
systematisches planmäßiges Vorgehen darstelle, das gegen das Anstandsge-
fühl aller billig und gerecht Denkenden verstoße. Der Verzicht auf sachgerechte
Informationsmittel im Hinblick auf die Rückgabemöglichkeit habe auch dem
massenhaften Absatz der Unternehmensanteile unter Umgehung naheliegen-
der Bedenken der Anleger gedient. Sie sei in dem Bewusstsein einer möglichen
Schädigung der Anleger geschehen, weil die Rückkaufsmöglichkeit weder
rechtlich noch wirtschaftlich abgesichert gewesen sei, wie der Lauf der Dinge
zeige. Die Vorstände der Beklagten hätten vorsätzlich gehandelt. Es liege auf
der Hand, dass sie die aus einem faktischen, aber ungeregelten Zweitmarkt
resultierenden Unsicherheiten kannten. Gleichzeitig müsse ihnen klar gewesen
sein, dass Informationen über Rücknahmemöglichkeiten im Vertrieb nur weiter-
gegeben werden dürften, wenn diese juristisch geprüft seien, weil solche Infor-
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mationen regelmäßig für die Anleger entscheidend seien. Der Vorsatz erstrecke
sich auch auf die Schädigung der Anleger. Deren Schaden bestehe nicht erst
im Ausbleiben von Ausschüttungen oder im Wertverlust der Anteile, obwohl
auch diese Nachteile eingetreten seien, sondern bereits im Erwerb von nicht
ihren Bedürfnissen entsprechenden Unternehmensanteilen. Auch wenn die Un-
ternehmensführung der Beklagten zum Zeitpunkt der Anlageentscheidung des
Klägers davon ausgegangen sei, dass Anleger ihren Anteilswert realisieren
könnten, indem Neuanleger die zum Rückkauf angebotenen Anteile übernäh-
men, und die Beklagte auch bestrebt gewesen sei, bei einer Kündigung über-
nahmebereite Neuanleger zu vermitteln, sei gleichzeitig den Verantwortlichen
der Beklagten bewusst gewesen, dass eine Realisierung des Anlagebetrags
vom Vorhandensein neuer anlagebereiter Investoren sowie einer entsprechen-
den Vermittlung abhänge, und damit nur solange funktioniere, wie der Markt
Beteiligungen bei der Beklagten nachfrage. Dieses Risiko habe sich im Jahr
2001 dadurch realisiert, dass die Beklagte auf den Druck der türkischen Kapi-
talaufsicht, auf verschlechterte Wirtschaftsfaktoren und negative Presseberichte
mit einem vollständigen oder sehr weitgehenden Rücknahmestopp reagiert ha-
be, ohne die Anleger vorzuwarnen oder eine der Situation angepasste Aus-
stiegsmöglichkeit zu geben. Insofern handle es sich um ein spezielles Risiko im
Rechtskonstrukt der Beklagten, das über die allgemeinen wirtschaftlichen Risi-
ken hinausgehe. Die Beklagte habe nach § 31 BGB für das Verhalten ihrer Or-
gane einzustehen.
II.
Die Revision ist begründet.
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1. Das Berufungsgericht hat zutreffend seine Zuständigkeit aus dem be-
sonderen Deliktsgerichtsstand des § 32 ZPO hergeleitet (Senatsurteil vom
23. März 2010 - VI ZR 57/09, VersR 2010, 910 Rn. 8 ff.). Auch richtet sich nach
dem am Gerichtsstand geltenden deutschen Recht, ob das der Klage zugrunde
gelegte, vom Kläger behauptete Geschehen als unerlaubte Handlung einzuord-
nen ist (Senatsurteil vom 23. März 2010 - VI ZR 57/09, aaO Rn. 12 f. mwN).
2. Die Revision wendet sich - als ihr günstig - nicht gegen die Auffassung
des Berufungsgerichts, dass es sich bei dem Geschäftsmodell der Beklagten
nicht um ein sogenanntes Schneeballsystem handelte. Auch macht sie sich die
Feststellungen des Berufungsgerichts zu eigen, dass für einen Kontakt des
Klägers mit einem Vorstandsmitglied der Beklagten keine Anhaltspunkte gege-
ben sind und nichts dafür spricht, dass ein Schreiben des Vorstandsvorsitzen-
den B. für die Anlageentscheidung des Klägers kausal geworden ist, sowie ge-
genüber dem Kläger vor den Anteilskäufen keine Beratung oder Erklärung zur
Rückabwicklung von einem Vermittler oder Mitarbeiter der Beklagten erfolgt ist.
3. Mit Erfolg rügt die Revision, dass das Berufungsgericht einen An-
spruch des Klägers gegen die Beklagte auf Schadensersatz wegen vorsätzli-
cher sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB bejaht hat. Das Beru-
fungsgericht hat den dem Streitfall zugrunde liegenden Tatsachenstoff nicht
umfassend in den Blick genommen und der vorgenommenen Würdigung eine
"generalisierende" Betrachtungsweise ohne konkreten Bezug auf den Streitfall
zugrunde gelegt (§ 286 ZPO, Art. 103 Abs. 1 GG).
Zwar ist die Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und
des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach § 286 ZPO Sache des Tatrich-
ters. Er hat nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Be-
hauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. An dessen Feststellun-
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gen ist das Revisionsgericht nach § 559 ZPO gebunden. Revisionsrechtlich ist
lediglich zu überprüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff und den
Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat,
die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denk-
gesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Juni 2009
- VI ZR 261/08, VersR 2009, 1406 Rn. 5 mwN; und Senatsurteile vom 6. Juli
2010 - VI ZR 198/09, VersR 2010, 1220 Rn. 14; vom 19. Oktober 2010 - VI ZR
241/09, VersR 2011, 223 Rn. 10). Dies ist hier nicht der Fall.
a) Die Revision weist zutreffend darauf hin, dass konkrete Anhaltspunkte
für die vom Berufungsgericht angenommene Erwartungshaltung, die für den
Kauf der Anteile durch den Kläger bestimmend gewesen sein soll, im Streitfall
nicht gegeben sind. Solche trägt der Kläger nicht vor und hat das Berufungsge-
richt auch nicht festgestellt. Der Kläger hat zwar behauptet, durch Angaben des
Vermittlers der Beklagten A. Ö. zu der Anlageentscheidung bestimmt worden zu
sein. Das Landgericht hat es aber auf der Grundlage der Beweisaufnahme nicht
für erwiesen erachtet, dass sich der Vermittler A. Ö. gegenüber dem Kläger vor
dessen Anlageentscheidung über die Sicherheit der Geldanlage und die Garan-
tie der Rückforderbarkeit des Anlagekapitals überhaupt äußerte und er mit dem
Kläger Kontakt hatte.
b) Bei der Beurteilung des Verhaltens der Beklagten als sittenwidrig lässt
das Berufungsgericht Besonderheiten des Streitfalls außer Betracht, die darin
bestehen, dass es sich bei den von der Beklagten verkauften Anteilen um eine
religiösen Grundsätzen folgende Anlageform handelt, die im Inland von der Be-
klagten allerdings in nicht herkömmlicher Weise mit großem Erfolg vertrieben
wurde (vgl. hierzu Senatsurteil vom 23. März 2010 - VI ZR 57/09, aaO
Rn. 15 ff.). Es wertet die Geschäfte der Beklagten einseitig aus heutiger Sicht.
Maßgeblich für die Beurteilung ist aber das Verhalten der Beklagten zum Anla-
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gezeitpunkt. Danach stellt sich das Verhalten des Vorstands der Beklagten un-
ter den Umständen des Streitfalls nicht als sittenwidrig dar.
aa) Die Qualifizierung eines Verhaltens als sittenwidrig ist eine Rechts-
frage, die der uneingeschränkten Kontrolle durch das Revisionsgericht unter-
liegt (Senatsurteile vom 25. März 2003 - VI ZR 175/02, BGHZ 154, 269, 274 f.
mwN; vom 13. Juli 2003 - VI ZR 136/03, NJW 2004, 3423, 3425 und vom
19. Oktober 2010 - VI ZR 248/08, juris Rn. 12 f.). Ein Verhalten ist sittenwidrig,
wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt
(st. Rspr. seit RGZ 48, 114, 124). In diese rechtliche Beurteilung ist einzubezie-
hen, ob es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund
und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu
vereinbaren ist (BGH, Urteile vom 6. Mai 1999 - VII ZR 132/97, BGHZ 141, 357,
361 mwN; vom 19. Juli 2004 - II ZR 402/02, BGHZ 160, 149, 157; vom 14. Mai
1992 - II ZR 299/90, WM 1992, 1184, 1186 mwN und vom 19. Juli 2004 - II ZR
217/03, NJW 2004, 2668, 2670). Ein Unterlassen verletzt die guten Sitten nur
dann, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Hierfür reicht
die Nichterfüllung einer allgemeinen Rechtspflicht, aber auch einer vertraglichen
Pflicht nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädi-
gende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels
oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der
allgemeinen Geschäftsmoral und des als "anständig" Geltenden verwerflich
machen (vgl. Senatsurteile vom 19. Oktober 2010 - VI ZR 124/09, VersR 2010,
1659 Rn. 12 und - vom selben Tag - VI ZR 248/08, juris Rn. 13 jeweils mwN
und vom 29. November 2012 - VI ZR 268/11, VersR 2013, 200 Rn. 25).
bb) Nach den getroffenen Feststellungen kann nicht davon ausgegan-
gen werden, dass die Organe der Beklagten von vornherein in dem Bewusst-
sein einer möglichen Anlegerschädigung systematisch Gelder einsammeln woll-
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ten und deshalb eine an den Bedürfnissen der Anleger ausgerichtete und anla-
gegerechte Information unterlassen haben, um möglichst unter Ausnutzung der
Unkenntnis der Anleger viele Geschäftsanteile an bestimmte Bevölkerungskrei-
se abzusetzen. Hierfür spricht nicht schon, dass die Beklagte inzwischen keine
Gewinne mehr ausschüttet und die bei ihr angelegten Gelder nicht zurückzahlt.
Die Beklagte verfolgt nach ihrer Satzung einen wertneutralen Geschäftszweck
und das Ziel, mit den Anlagegeldern Gewinne durch unterschiedliche unter-
nehmerische Beteiligungen zu erwirtschaften (vgl. hierzu Senatsurteil vom
23. März 2010 - VI ZR 57/09, aaO Rn. 26 und 29 ff.). Auch der Kläger stellt
nicht in Frage, dass das Unternehmen der Beklagten noch besteht. Bei einer
unternehmerischen Beteiligung muss allerdings mit Verlusten bis zum Totalver-
lust des Kapitals gerechnet werden, wenn mangels wirtschaftlichen Erfolgs Ge-
winnausschüttungen nicht in Frage kommen und Interessenten für die Über-
nahme der Beteiligung wegen der wirtschaftlichen Misserfolge des Unterneh-
mens fehlen.
cc) Entgegen der Beurteilung des Berufungsgerichts haftet die Beklagte
rechtlich nicht allein dafür, dass sich der Kläger falsche Vorstellungen über
Werthaltigkeit und Rückgabemöglichkeit der von ihm gekauften Anteile gemacht
hat. Besondere Umstände, die darüber hinaus das Urteil der Sittenwidrigkeit
begründen könnten, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt und sind auch
nicht vorgetragen.
(1) Eine Haftung der Beklagten nach den für die Anlageberatung gelten-
den rechtlichen Maßstäben kommt entgegen der Auffassung des Berufungsge-
richts nicht in Betracht, weil der Kläger eine Anlageberatung nicht in Anspruch
genommen hat. Ein Anlageberater schuldet zwar eine anleger- und objektge-
rechte Beratung (vgl. BGH, Urteil vom 19. Februar 2008 - IX ZR 170/07, BGHZ
175, 276 Rn. 27). Um eine solche Beratung zu gewährleisten, sind Anlagestra-
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tegie und Anlageziele des jeweiligen Anlegers zu ermitteln. Es handelt sich
hierbei jedoch um vertragliche Pflichten des Anlageberaters, bei deren Verlet-
zung nicht schon der Vorwurf der Sittenwidrigkeit im Raum steht (vgl. BGH, Ur-
teil vom 18. Januar 2007 - III ZR 44/06, VersR 2007, 991 Rn. 16). Die Haftung
gemäß § 826 BGB tritt neben die vertragliche Haftung des Anlageberaters nur
dann, wenn das die Vertragsverletzung ausmachende Verhalten sittenwidrig ist.
Da eine vertragliche Beratungspflicht der Beklagten gegenüber dem Kläger
nicht bestand, können die für den Anlageberater geltenden rechtlichen Anforde-
rungen - anders als das Berufungsgericht meint - nicht auf die Beklagte ausge-
dehnt werden.
(2) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die Beklagte
nicht ein Informationsdefizit des Klägers vorsätzlich ausgenutzt, um diesen zu
schädigen. Dies kann nach den Umständen des Streitfalls nicht angenommen
werden. Dass zum fraglichen Anlagezeitpunkt bis in das Jahr 2001 aufgrund
der wirtschaftlichen Situation und der starken Nachfrage nach den Anteilen der
Beklagten nicht damit gerechnet werden musste, einem Rücknahmeverlangen
eines Anlegers in einem absehbaren Zeitraum künftig nicht mehr nachkommen
zu können, stellt auch das Berufungsgericht nicht in Frage. Es lastet der Be-
klagten an, dass das Fehlen eines Rechtsanspruchs nicht offengelegt wurde.
Dieses Versäumnis begründet aber nicht die Haftung wegen sittenwidrigen
Verhaltens. Die Revision weist mit Recht darauf hin, dass entgegen der Auffas-
sung des Berufungsgerichts der im Anlagezeitraum des Klägers tatsächlich er-
folgte Rückerwerb von Beteiligungen durch Schwester- und Tochterunterneh-
men sowie die Vermittlung des Weiterverkaufs an andere Anleger dagegen
sprechen, dass frühere Zusagen durch den Vorstand der Beklagten die Gut-
gläubigkeit der Anleger bewirken sollten mit dem Ziel, deren Gelder trotz des
sich abzeichnenden Verlustes zu erlangen. Soweit das Berufungsgericht unter-
stellt, dass der Vorstand der Beklagten durch die Rückkäufe bewusst die recht-
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liche Unverbindlichkeit verschleierte und eine Politik der Desinformation betrieb,
um die Erwartungshaltung der Anleger für den Zweck der Einwerbung hoher
Kapitalbeträge auszunutzen, sind eine solche Absicht stützende Tatsachen
nicht festgestellt und vom Kläger nicht vorgetragen (§ 286 ZPO).
(3) Das Berufungsgericht qualifiziert irrigerweise die Zusage des Vor-
stands der Beklagten, die Anteile zurückzunehmen, als rechtlich verbindliche
Garantie. Dass die Beklagte gegenüber den Anlegern rechtlich unbedingt für
die Rücknahme der Anteile und die Rückgabe des Kapitals einstehen wollte
und sich als Garant verpflichtete, stets, also auch künftig, die Gefahr der wert-
entsprechenden Veräußerlichkeit der Anteile zu übernehmen (st. Rspr., vgl.
BGH, Urteil vom 13. Juni 1996 - IX ZR 172/95, NJW 1996, 2569, 2570 mwN),
kann nicht aufgrund der nach ihrem Inhalt nicht präzise feststellbaren und jahre-
lang zurückliegenden Äußerungen des früheren Vorstandsvorsitzenden B. in
den Schulungen der Vermittler angenommen werden. Auch die Auslegung des
Inhalts eines Rundschreibens des Vorstands B., auf das sich das Berufungsge-
richt für seine Beurteilung stützt, lässt im entsprechenden Passus die Ausle-
gung als rechtliche Garantie jedenfalls für künftige Anleger nicht zu. Gegen ein
solches Verständnis spricht schon, dass der betreffende Abschnitt als Teil eines
wahrscheinlich im Jahr 1993 erstellten Geschäftsberichts an die damaligen An-
leger in türkischer Sprache gerichtet ist. Nach der Übersetzung heißt es unter
der Überschrift "Sehr wichtig" unter lit. d):
"Wie Sie wissen, mussten Gesellschafter, die von der Teilhaberschaft zu-
rücktreten wollten, früher einen Monat vorher einen entsprechenden Antrag ein-
reichen. Diese Frist wurde im Interesse unserer Firma und unserer Gesellschaf-
ter auf 3 Monate erhöht worden. Jedoch soll dies nicht missverstanden werden.
Für die normale Prozedur würden wir mit Allahs Erlaubnis niemanden bei einem
dringenden Fall in Bedrängnis lassen. Wir zahlen sofort…."
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Der Mitteilung liegt ein Gesellschafterbeschluss zur bisher praktizierten
Rücknahme zugrunde. Die Verlängerung der Kündigungsfrist von einem Monat
auf drei Monate weist darauf hin, dass die Rücknahme der Beklagten nicht un-
veränderlich gehandhabt wurde, sondern durch die Versammlung der Teilhaber
die Kündigungsfrist verlängert werden konnte. Eine selbständige Garantiezusa-
ge lässt sich aber nicht im Nachhinein einseitig zu Lasten des Begünstigten
verändern. Schon gar nicht lässt sich daraus entnehmen, dass allen künftigen
Anlegern gegenüber rechtlich gehaftet werden sollte.
c) Nach den zugrunde liegenden Feststellungen kann der Beklagten
auch ein Schädigungsvorsatz gegenüber dem Kläger nicht angelastet werden.
Der Vorsatz, den der Kläger als Anspruchsteller vorzutragen und zu be-
weisen hat (vgl. Senatsurteile vom 23. März 2010 - VI ZR 57/09, aaO Rn. 38
und vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 309/10, VersR 2012, 454 Rn. 8, mwN),
enthält ein "Wissens-" und ein "Wollens-Element". Der Handelnde muss die
Umstände, auf die sich der Vorsatz beziehen muss, im Fall des § 826 BGB also
die Schädigung des Anspruchstellers, gekannt bzw. vorausgesehen und in sei-
nen Willen aufgenommen haben. Die Annahme der Form des bedingten Vor-
satzes setzt voraus, dass der Handelnde die relevanten Umstände jedenfalls für
möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat. Dazu genügt es nicht,
wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der
Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen. In einer solchen Si-
tuation ist lediglich ein Fahrlässigkeitsvorwurf gerechtfertigt (vgl. Senatsurteil
vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 309/10, aaO Rn. 10, mwN). Vertraut der Täter
darauf, der als möglich vorausgesehene (oder vorauszusehende) Erfolg werde
nicht eintreten, und nimmt er aus diesem Grund die Gefahr in Kauf, liegt allen-
falls bewusste Fahrlässigkeit vor; dagegen nimmt der bedingt vorsätzlich han-
delnde Täter die Gefahr deshalb in Kauf, weil er, wenn er sein Ziel nicht anders
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erreichen kann, es auch durch das unerwünschte Mittel erreichen will (vgl. Se-
natsurteil vom 15. Juli 2008 - VI ZR 212/07, VersR 2008, 1407 Rn. 30 unter
Verweis auf BGH, Urteil vom 22. April 1955 - 5 StR 35/55, BGHSt 7, 363, 370).
Hinsichtlich der Beweisführung kann sich im Rahmen des § 826 BGB aus der
Art und Weise des sittenwidrigen Verhaltens, insbesondere dem Grad der
Leichtfertigkeit des Schädigers, die Schlussfolgerung ergeben, dass er mit
Schädigungsvorsatz gehandelt hat. Auch kann es im Einzelfall beweisrechtlich
naheliegen, dass der Schädiger einen pflichtwidrigen Erfolg gebilligt hat, wenn
er sein Vorhaben trotz starker Gefährdung des betroffenen Rechtsguts durch-
führt, ohne auf einen glücklichen Ausgang vertrauen zu können, und es dem
Zufall überlässt, ob sich die von ihm erkannte Gefahr verwirklicht oder nicht.
Allerdings kann der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts nicht
allein das Kriterium für die Frage sein, ob der Handelnde mit dem Erfolg auch
einverstanden war. Vielmehr ist immer eine umfassende Würdigung sämtlicher
Umstände des Einzelfalles erforderlich (vgl. Senatsurteil vom 20. Dezember
2011 - VI ZR 309/10, aaO Rn. 11, mwN).
Erforderlich, aber auch ausreichend ist danach im Streitfall für den be-
dingten Vorsatz, dass der Vorstand der Beklagten zum Zeitpunkt des Erwerbs
der Anteile durch den Kläger mit der Möglichkeit rechnete, dass dieser durch
sein Verhalten geschädigt würde und er dieses Ergebnis billigend in Kauf nahm
(vgl. Senatsurteil vom 17. September 1985 - VI ZR 73/84, VersR 1986, 158,
juris Rn. 16). Es kommt mithin darauf an, was der Vorstand der Beklagten zu
den für die Haftung maßgeblichen Zeitpunkten gewusst und gewollt hat. Unab-
hängig davon, dass hierzu vom Berufungsgericht nichts festgestellt ist, weist die
Revision mit Recht darauf hin, dass indiziell erheblich ist, ob die Rücknahme
und Weitergabe von Beteiligungen an andere Interessenten möglich gewesen
und durchgeführt worden sind. Dies war bis ins Jahr 2001 unstreitig der Fall.
Entgegenstehende Umstände hat der für den Vorsatz darlegungs- und beweis-
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pflichtige Kläger nicht vorgetragen. Zum Zeitpunkt des Anlageerwerbs durch
den Kläger in den Jahren 1998/1999 durfte mithin der Vorstand der Beklagten
aufgrund der Nachfrage nach den Anteilen erwarten, dass eine Rücknahme der
Papiere gegen Erstattung des Kapitalbetrages möglich sei. Der Kläger hat noch
im Jahr 2000 Anteile rückgetauscht und ein Drittel seines anfänglich investier-
ten Kapitals zurückerhalten. Auch der Kläger stellt nicht in Frage, dass die Wirt-
schaftskrise ab dem Jahr 2001 und eine negative Presseberichterstattung über
Maßnahmen der türkischen Kapitalaufsicht mitursächlich für die Einstellung der
Rückabwicklungen waren. Dafür dass der Vorstand der Beklagten mit solchen
Ereignissen rechnen musste, ist nichts festgestellt und auch nichts vorgetragen.
d) Schließlich bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken gegen die
Ausführungen im Berufungsurteil, mit denen das Berufungsgericht die Kausali-
tät des Verhaltens der Organe der Beklagten für den vom Kläger geltend ge-
machten Schaden bejaht hat.
Im Rahmen des Anspruchstatbestandes des § 826 BGB kann auf den
Nachweis der konkreten Kausalität für den Willensentschluss des jeweiligen
Anlegers selbst bei extrem unseriöser Kapitalmarktinformation nicht verzichtet
werden und dementsprechend das enttäuschte allgemeine Anlegervertrauen
auf die Erfüllung der in die Anlage gesetzten Erwartungen nicht ausreichend
sein (vgl. zu fehlerhaften Ad-hoc-Meldungen BGH, Urteil vom 3. März 2008 -
II ZR 310/06, VersR 2008, 1694 Rn. 16 mwN; RGZ 80, 196, 205). Eine "gene-
relle" - unabhängig von der Kenntnis des potentiellen Anlegers postulierte -
Kausalität einer falschen Werbeaussage erscheint unter Schutznormaspekten
unvertretbar. Im Sinne einer "Dauerkausalität" würde sie auf unabsehbare Zeit
jedem beliebigen Erwerber der Anteile zugutekommen, ohne dass dessen Wil-
lensentschließung überhaupt berührt wäre (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2008
- II ZR 310/06, VersR 2008, 1694 Rn. 20). Eine dadurch bewirkte Ausdehnung
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der Haftung ist im Hinblick auf den schwer wiegenden Vorwurf der sittenwidri-
gen Schädigung rechtlich unvertretbar.
Nach diesen Grundsätzen vermag die vom Berufungsgericht angenom-
mene allgemeine Erwartung des Klägers den Kausalzusammenhang zwischen
dem Verhalten des Vorstands der Beklagten und der Schädigung nicht zu be-
gründen. Für die Ursächlichkeit spricht nicht die Vermutung aufklärungsrichti-
gen Verhaltens, weil nicht festgestellt ist, dass der Kläger persönlich beraten
worden wäre. Der Kausalzusammenhang ist entgegen der Annahme des Beru-
fungsgerichts auch nicht deshalb gegeben, weil die Anlagen nahezu das ge-
samte Vermögen des Klägers ausgemacht haben dürften und nichts dafür er-
sichtlich sei, dass der Kläger ohne gesicherte Aussicht auf Rückzahlungen und
allein motiviert von gemeinnützigen Überlegungen bereit gewesen wäre, eine
solche Summe in den Konzern der Beklagten zu stecken und gegebenenfalls
auf Dauer dort zu belassen. Für die vom Berufungsgericht gehegte Vermutung
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eines vernünftigen Anlegerverhaltens fehlt jedweder gesicherte tatsächliche
Hintergrund.
Galke
Zoll
Wellner
Diederichsen
Stöhr
Vorinstanzen:
LG Stuttgart, Entscheidung vom 22.07.2011 - 12 O 512/10 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 21.05.2012 - 5 U 134/11 -