Urteil des BGH vom 21.10.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄUMNISURTEIL
VIII ZR 244/08 Verkündet
am:
21. Oktober 2009
Vorusso,
Justizhauptsekretärin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB §§ 157 C, Ga; 305c; 536
Zur Auslegung des in einem formularmäßigen Mietvertrag über Wohnräume verwen-
deten Begriffs "Mietraumfläche".
BGH, Versäumnisurteil vom 21. Oktober 2009 - VIII ZR 244/08 - LG Krefeld
AG
Nettetal
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 21. Oktober 2009 durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richterinnen
Dr. Milger und Dr. Hessel sowie die Richter Dr. Achilles und Dr. Schneider
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 2. Zivilkammer
des Landgerichts Krefeld vom 13. August 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger mietete mit Vertrag vom 15. Mai 2003 eine Drei-Zimmer-
Dachgeschosswohnung der Beklagten.
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In dem Formularmietvertrag ist unter Nr. 1.1. unter anderem aufgeführt:
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"Vermietet werden die nachfolgend aufgeführten Räume im Hause …
3 Zimmer
1 Küche
1 Flur …
1 WC mit Dusche
Kellerraum Nr. 6
Dem Mieter werden die Mieträume vermietet als
[x] Wohnräume
[ ] gewerbliche Räume
[ ] sonstige Nutzung
Die Mietraumfläche beträgt ca. m²."
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Die handschriftlich eingefügte Flächenangabe von 61,5 m² entspricht der
Grundfläche der Wohnung. Unter Berücksichtigung der Dachschrägen beträgt
die Wohnfläche im Sinne der §§ 42-44 der Zweiten Berechnungsverordnung
(II. BV) hingegen 54,27 m². Der Kläger macht nach Beendigung des Mietver-
hältnisses die Rückzahlung überzahlter Miete in Höhe von 1.694,19 € nebst
Zinsen wegen der sich ergebenden Flächenabweichung für die Zeit von Juni
2003 bis November 2007 geltend.
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Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die da-
gegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Beru-
fungsgericht zugelassenen Revision verfolgt er sein Zahlungsbegehren weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg. Dabei ist über die Revision des Klä-
gers antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Inhaltlich beruht die
Entscheidung allerdings nicht auf einer Säumnisfolge, sondern auf der Berück-
sichtigung des gesamten Sach- und Streitstandes (BGHZ 37, 79, 81).
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I.
Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:
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Ein bereicherungsrechtlicher Anspruch auf Rückzahlung der Miete be-
stehe nicht, weil kein Mangel der Mietsache und damit auch kein Minderungs-
grund gegeben sei. Der Begriff "Mietraumfläche" sei nach dem Verständnis der
Parteien gemäß § 157 BGB auszulegen. Die Auslegung ergebe, dass die Par-
teien darunter die reine Grundfläche der Wohnung verstanden hätten und nicht
die Wohnfläche im Sinne der §§ 42 bis 44 II. BV. Die Ermittlung der Wohnfläche
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bei einer Dachgeschosswohnung mit Dachschrägen sei für Laien ohne Mithilfe
eines Sachverständigen kaum möglich. Bei den Beklagten handele sich aber für
den Kläger erkennbar nicht um Fachleute, sondern um private Vermieter. Der
Kläger habe nicht davon ausgehen können, dass eine Berechnung durch einen
Sachverständigen zu dem alleinigen Zweck, die dem Mieter mitzuteilende
Wohnfläche zu ermitteln, erfolgt sei. Die Berechnungsgrundlage der Flächen-
ermittlung sei auch nicht im Mietvertrag genannt.
II.
Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält einer rechtlichen Nachprü-
fung nicht stand. Dem Kläger steht wegen einer Abweichung der tatsächlichen
von der vertraglich vereinbarten Wohnfläche dem Grunde nach ein Anspruch
auf Rückzahlung überzahlter Miete gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zu.
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1. Im Ansatz zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass ein
Anspruch auf Rückzahlung zuviel gezahlter Miete bestehen kann, wenn die ver-
traglich vereinbarte Wohnfläche von der tatsächlichen Wohnfläche um mehr als
10 % abweicht und damit ein zur Minderung berechtigender Mangel im Sinne
von § 536 BGB gegeben ist (Senatsurteile vom 23. Mai 2007 - VIII ZR 231/06,
NJW 2007, 2624, Tz. 12 und vom 24. März 2004 - VIII ZR 295/03, NJW 2004,
1947, unter II 2 c; VIII ZR 44/03, NJW 2004, 2230, unter II 1; VIII ZR 133/03,
WuM 2004, 268, unter II).
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2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann aber nicht an-
genommen werden, dass der Begriff "Mietraumfläche" im vorliegenden Fall da-
hin auszulegen ist, dass die Parteien darunter die reine Grundfläche der Woh-
nung und nicht die Wohnfläche im Sinne der §§ 42 bis 44 II. BV verstanden ha-
ben. Das Berufungsgericht hat nicht beachtet, dass die Beklagten ein Mietver-
tragsformular nach dem so genannten "Sigel-Einheitsmietvertrag" verwendet
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haben, dessen Auslegung den rechtlichen Anforderungen unterliegt, die für All-
gemeine Geschäftsbedingungen gelten.
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a) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt
und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und red-
lichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise be-
teiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkei-
ten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen
sind (st. Rspr., Senatsurteil vom 28. Juni 2006 - VIII ZR 124/05, NJW 2006,
2915, Tz. 16 m.w.N.). Diese Auslegung kann der Senat selbst vornehmen, weil
hierzu weitere tatrichterliche Feststellungen nicht zu erwarten sind (Senatsurteil
vom 22. Oktober 2008 - VIII ZR 283/07, NJW 2009, 62, Tz. 11 m.w.N.).
Wie das Berufungsgericht zu Recht annimmt, existiert für den Begriff
"Mietraumfläche" kein allgemeiner und eindeutiger Sprachgebrauch (vgl. auch
Langenberg, NZM 2009, 76, 77; Schlimme, jurisPR-MietR 3/2009 Anm. 3, un-
ter C). Es kann daher nicht ohne weiteres angenommen werden, ein durch-
schnittlicher Mieter verstehe unter dem Begriff die Grundfläche der vermieteten
Wohnräume. Denn wenn Räume wie hier als Wohnräume vermietet werden,
liegt es nahe oder kommt zumindest in Betracht, dass der Mieter davon aus-
geht, dass die Flächenangabe diesem Charakter Rechnung trägt und entspre-
chende Maßangaben die Wohnfläche bezeichnen. Ob aus den vom Berufungs-
gericht angeführten Gründen auch ein abweichendes Verständnis des Begriffs
"Mietraumfläche" - etwa im Sinne von Grundfläche - in Betracht kommt, kann
dahingestellt bleiben. Zwingend ist ein solches Verständnis, wie dargelegt, je-
denfalls nicht.
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b) Ist somit ein eindeutiges Verständnis des Begriffs "Mietraumfläche"
nicht festzustellen, ist nach der Regel des § 305c Abs. 2 BGB im Zweifel die für
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den Verwendungsgegner günstigste Auslegung vorzuziehen. Für den Kläger,
der eine Mietminderung wegen Flächenabweichung geltend macht, ist es güns-
tiger, unter dem Begriff "Mietraumfläche" die Wohnfläche zu verstehen, da die-
se wegen der Dachschrägen kleiner ist als die Grundfläche der Wohnung.
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Es gelten daher die gleichen Grundsätze, wie sie der Senat auch sonst
auf Fälle angewandt hat, in denen der Mietvertrag eine Flächenangabe enthielt.
Danach sind bei Mietverträgen, die - wie hier - vor dem 1. Januar 2004 abge-
schlossen worden sind, für die Berechnung der Wohnfläche die Vorschriften der
§§ 42 bis 44 II. BV heranzuziehen, sofern ein übereinstimmendes abweichen-
des Verständnis nicht festgestellt werden kann und ein anderer Berechnungs-
modus weder ortsüblich noch nach der Art der Wohnung nahe liegender ist
(Senatsurteile vom 23. Mai 2007 - VIII ZR 231/06, aaO, Tz. 13, 17, und vom
24. März 2004 - VIII ZR 44/03, aaO, unter II 1 b aa). So liegt der Fall auch hier.
Da es an Anhaltspunkten für eine andere Berechnungsmethode fehlt, ist die
Wohnfläche unter Heranziehung der Vorschriften der Zweiten Berechnungsver-
ordnung zu bestimmen. Die Wohnfläche beträgt hiernach unstreitig 54,27 m²
und weicht somit um mehr als 10 % von der vereinbarten Wohnfläche ab.
III.
Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben (§ 562
Abs. 1 ZPO). Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif, weil das Beru-
fungsgericht - nach seiner Rechtsauffassung folgerichtig - keine Feststellungen
dazu getroffen hat, um welchen Betrag die Miete wegen der Wohnflächenab-
weichung gemindert war. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Ent-
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scheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1
ZPO).
Ball
Dr. Milger
Dr. Hessel
Dr. Achilles
Dr. Schneider
Vorinstanzen:
AG Nettetal, Entscheidung vom 19.03.2008 - 17 C 462/07 -
LG Krefeld, Entscheidung vom 13.08.2008 - 2 S 22/08 -