Urteil des BGH vom 16.12.2010

Rote Briefkästen Leitsatzentscheidung mit Schreibfehlerberichtigung

Schreibfehlerberichtigung
vom 16. Dezember 2010
auf der letzten Seite
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 214/07
Verkündet am:
12. Mai 2010
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Rote
Briefkästen
UWG § 5 Abs. 1, 2 Nr. 1
Fehlvorstellungen, die darauf beruhen, dass der Verkehr noch nicht daran ge-
wöhnt ist, dass eine Dienstleistung außer von dem früheren Monopolunterneh-
men auch von Wettbewerbern angeboten wird, begründen keine relevante Irre-
führung i.S. des § 5 UWG.
BGH, Urteil vom 12. Mai 2010 - I ZR 214/07 - OLG Nürnberg
LG
Nürnberg-Fürth
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 12. Mai 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm
und die Richter Pokrant, Dr. Bergmann, Dr. Kirchhoff und Dr. Koch
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberlandesge-
richts Nürnberg - 3. Zivilsenat - vom 27. November 2007 im Kos-
tenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklag-
ten erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird das Urteil des Landgerichts Nürn-
berg-Fürth, 3. Zivilkammer, vom 4. April 2007 auf die Berufung der
Beklagten abgeändert.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin ist aus der früheren Deutschen Bundespost hervorgegan-
gen, für die bis 1998 ein umfassendes und danach schrittweise gelockertes
staatliches Monopol unter anderem zur Beförderung von Briefen bestand.
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Die Beklagte, die ebenfalls einen Briefzustelldienst betreibt, stellte im
Stadtgebiet von Nürnberg bislang 52 rot lackierte Briefkästen auf, die gleich
hoch wie die Briefkästen der Klägerin sind. Sie tragen die weiß gehaltene Auf-
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schrift "Brief24"; außerdem sind die Telefonnummer einer Service-Hotline sowie
der Hinweis "Leerung Montag bis Freitag ab 18.30 Uhr" angegeben. 26 dieser
Briefkästen wurden seit Februar 2006 in unmittelbarer Nähe von Einrichtungen
(Filialen, Briefkästen) der Klägerin aufgestellt.
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Die Klägerin hat behauptet, es sei bei ihren Kunden vereinzelt zu Irritati-
onen darüber gekommen, ob Briefe, die von ihr befördert werden sollten, auch
in die roten Briefkästen der Beklagten eingeworfen werden könnten. Teilweise
seien mit Briefmarken der Klägerin frankierte Briefe tatsächlich in Briefkästen
der Beklagten eingeworfen worden. Solche Briefe sortiere die Beklagte nach
Leerung ihrer Briefkästen aus und übergebe sie anschließend der Klägerin;
Testläufe hätten ergeben, dass dies zwei bis vier Tage dauere.
Die Klägerin ist der Ansicht, das Verhalten der Beklagten sei als Behin-
derungswettbewerb, vermeidbare Täuschung über die betriebliche Herkunft und
Rufausbeutung wettbewerbswidrig (§ 4 Nr. 9 und 10, § 5 UWG).
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Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und der Beklagten die Auf-
stellung und den Betrieb von Briefkästen "in unmittelbarer Nähe zu Einrichtun-
gen der Klägerin" untersagt. Das Berufungsgericht hat die Beklagte auf den in
zweiter Instanz gestellten Hilfsantrag verurteilt,
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es unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen, im ge-
schäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs die vier nachstehend ein-
geblendeten Briefkästen aufzustellen und/oder aufstellen zu lassen und/oder zu
betreiben und/oder betreiben zu lassen, wie dies aus den eingeblendeten Auf-
nahmen ersichtlich ist:
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Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückwei-
sung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag
weiter.
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Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat einen Unterlassungsanspruch der Klägerin
nach § 8 Abs. 1 und 3 Nr. 1, §§ 3, 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG (Täuschung über
die betriebliche Herkunft) bejaht. Zur Begründung hat es ausgeführt:
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In den vier abgebildeten Fällen bestehe aufgrund der Gesamtumstände
die ernsthafte Gefahr, dass der verständige und situationsadäquat aufmerksa-
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me Durchschnittsverbraucher zu der Auffassung gelangen könne, dass es sich
bei den Briefkästen der Beklagten um solche der Klägerin handele. Dieser Ein-
druck könne aufgrund ihrer äußeren Gestaltung und direkten Nähe zu Einrich-
tungen der Klägerin entstehen, wobei die auffällige Kennzeichnung "Brief24" als
glatt beschreibende Aussage vom Verkehr dahin verstanden werden könne, es
handele sich um eine besondere Dienstleistung der Klägerin.
Diese Irreführung sei von wettbewerblicher Relevanz, da die Beklagte
Fehleinwürfe in ihre Briefkästen unstreitig auszusortieren und an die Klägerin
weiterzugeben habe; die dabei entstehenden Verzögerungen bei der Zustellung
könnten der Klägerin angelastet werden. Die bei der Prüfung einer Irreführung
nach § 5 UWG vorzunehmende Interessenabwägung führe zu keinem anderen
Ergebnis. Das Interesse der Beklagten, ihre Dienstleistungen auf dem liberali-
sierten Postmarkt anbieten zu können, erfordere nicht die Aufstellung von Brief-
kästen in der konkret beanstandeten Weise. Eine kennzeichnungskräftige Fir-
mierung, ein aufklärender Zusatz oder eine größere Entfernung zu den Einrich-
tungen der Klägerin könnten zu einer anderen wettbewerbsrechtlichen Beurtei-
lung führen.
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II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben
Erfolg. Die Standortwahl für die Briefkästen der Beklagten war weder im Zeit-
punkt ihrer Aufstellung noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in
der Berufungsinstanz wettbewerbswidrig.
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1. Die Klägerin hat ihr Unterlassungsbegehren auf Wiederholungsgefahr
nach § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG gestützt und dazu die Aufstellung von Briefkästen
Anfang 2006, also nach dem Inkrafttreten des Gesetzes gegen den unlauteren
Wettbewerb vom 3. Juli 2004 (UWG 2004), vorgetragen. Dieses Gesetz ist
nach der Verkündung des Berufungsurteils durch das Erste Gesetz zur Ände-
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rung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 22. Dezember 2008
(UWG 2008, BGBl. I S. 2949) geändert worden. Da der Unterlassungsanspruch
auf die Abwehr künftiger Gefahren gerichtet ist, ist eine Klage nur dann begrün-
det, wenn auf der Grundlage des nunmehr geltenden Rechts Unterlassung ver-
langt werden kann. Zudem muss die Handlung zum Zeitpunkt ihrer Begehung
wettbewerbswidrig gewesen sein, weil es andernfalls an der Wiederholungsge-
fahr fehlt. Die Aufstellung eines Briefkastens ist zwar wie die Anbringung eines
Ladenschilds (vgl. Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren,
9. Aufl., Kap. 1 Rdn. 11) eine Dauerhandlung. Die Begehungsgefahr muss aber
im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht,
hier dem 30.
Oktober 2007, vorliegen (vgl. BGH, Urt. v. 27.11.1963
- Ib ZR 60/62, GRUR 1964, 274, 275 = WRP 1964, 248 - Möbelrabatt; Urt. v.
25.10.2001 - I ZR 29/99, GRUR 2002, 717, 719 = WRP 2002, 679 - Vertretung
der Anwalts-GmbH). Damit bleibt insoweit das Gesetz gegen den unlauteren
Wettbewerb vom 3. Juli 2004 für die Beurteilung maßgeblich. Die genannte Ge-
setzesänderung erfordert jedoch keine Unterscheidung bei der rechtlichen Be-
wertung des Streitfalls:
Der Begriff der geschäftlichen Handlung i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG
2008 ist nicht enger als der der Wettbewerbshandlung i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1
UWG 2004 (BGH, Urt. v. 15.1.2009 - I ZR 141/06, GRUR 2009, 881 Tz. 11 =
WRP 2009, 1089 - Überregionaler Krankentransport). Die Regelung des § 3
Abs. 1 UWG 2008 entspricht im Wesentlichen der des § 3 UWG 2004 (Köhler in
Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl., § 3 UWG Rdn. 4).
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Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 UWG 2008 handelt unlauter, wer eine irreführen-
de geschäftliche Handlung vornimmt. Satz 2 Nr. 1 dieser Vorschrift bestimmt,
dass eine geschäftliche Handlung unter anderem dann irreführend ist, wenn sie
zur Täuschung geeignete Angaben über die wesentlichen Merkmale der Dienst-
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leistung wie die betriebliche Herkunft enthält. Damit unterscheidet sich das
nunmehr geltende Recht von § 5 UWG 2004 insoweit, als letztgenannte Vor-
schrift nur für irreführende Werbung galt. Darunter fällt aber auch das Aufstellen
von Briefkästen, da "Werbung" i.S. des § 5 Abs. 1 und 2 UWG 2004 jede Äuße-
rung bei der Ausübung eines Gewerbes mit dem Ziel war, die Erbringung von
Dienstleistungen zu fördern (Bornkamm in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG,
26. Aufl. 2008, § 5 UWG Rdn. 2.12).
Die Tatbestände des § 4 Nr. 9 und 10 UWG sind unverändert geblieben.
Die Vorschriften der § 3 Abs. 3 i.V. mit Anh. Nr. 13, § 5 Abs. 2 UWG 2008 fan-
den im früher geltenden Recht zwar keine unmittelbare Entsprechung, führen
aber hier zu keiner abweichenden Bewertung. Ebenso wenig kommt es insoweit
im Streitfall auf die erst seit dem 12. Dezember 2007 unmittelbar anwendbare
Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken an.
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2. Die Parteien sind Mitbewerber auf dem Gebiet der Briefbeförderung
gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläge-
rin stehe gegen die Beklagte wegen Irreführung über die betriebliche Herkunft
ein Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 und 3 Nr. 1, §§ 3, 5 Abs. 1 Satz 1
und 2 Nr. 1 UWG 2008 (§ 5 Abs. 1, 2 Nr. 1 UWG 2004) zu, hält rechtlicher
Nachprüfung jedoch nicht stand.
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Für den Tatbestand der betrieblichen Herkunftstäuschung kommt es dar-
auf an, ob es infolge der angegriffenen Aufstellung der Briefkästen zu relevan-
ten Fehlvorstellungen der Verbraucher über die betriebliche Herkunft der von
der Beklagten angebotenen Dienstleistungen kommen kann. Das ist jedenfalls
nicht in einem Umfang der Fall, der die von der Klägerin begehrte Untersagung
rechtfertigt.
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a) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht im Rahmen der Prüfung, ob der
Verkehr über die betriebliche Herkunft der beanstandeten Briefkästen irrege-
führt wird, unter anderem darauf abgestellt, dass die Parteien die gleichen
Dienstleistungen anbieten. Allein der Umstand, dass ein Unternehmen die glei-
chen Leistungen anbietet wie sein Mitbewerber, muss bei der Prüfung der Irre-
führung außer Betracht bleiben. Denn das mit den Briefkästen unterbreitete
Dienstleistungsangebot der Beklagten ist Bezugsobjekt für die Prüfung, ob eine
Irreführung über die betriebliche Herkunft vorliegt, nicht aber Kriterium dieser
Prüfung.
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b) Ebenso wenig konnte das Berufungsgericht die Annahme einer Irre-
führung auf die äußere Gestaltung und die Abmessungen der Briefkästen der
Beklagten stützen. Eine Irreführung über die betriebliche Herkunft kann schon
aus Rechtsgründen nicht mit einer Ähnlichkeit von Produktmerkmalen begrün-
det werden, die geradezu selbstverständlich oder jedenfalls naheliegend sind
(vgl. zu § 4 Nr. 9 UWG BGH, Urt. v. 28.10.2004 - I ZR 326/01, GRUR 2005,
166, 168 = WRP 2005, 88 - Puppenausstattungen).
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Die Revision rügt mit Erfolg, die Beklagte habe - ohne dass dies von der
Klägerin bestritten worden sei - geltend gemacht, der Einwurfbereich von Brief-
kästen müsse sich in einer für Menschen üblicher Körpergröße erreichbaren
Höhe befinden; es sei unsinnig, höhere Briefkästen zu bauen, den Einwurf aber
auf derselben, an sich optimalen Höhe zu belassen, weil der über dem Einwurf
liegende Raum das Fassungsvermögen des Briefkastens im Hinblick auf die
Wirkung der Schwerkraft nicht erhöhe. Die Grundfläche der beanstandeten
Standbriefkästen ist nach dem Vortrag der Beklagten funktionsbedingt. Abwei-
chende Feststellungen zu diesem plausiblen Vortrag hat das Berufungsgericht
nicht getroffen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Höhe und Grundflä-
che der Briefkästen der Beklagten funktional bedingt oder jedenfalls nahelie-
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gend sind. Die Beklagte kann dann nicht darauf verwiesen werden, insoweit
eine weniger zweckmäßige Gestaltung zu wählen, wenn sie mit ihren Briefkäs-
ten im Übrigen ausreichenden Abstand zu denjenigen der Klägerin einhält (vgl.
zu § 4 Nr. 9 UWG BGH, Urt. v. 21.7.2001 - I ZR 40/99, GRUR 2002, 86, 90 =
WRP 2001, 1294 - Laubhefter; Urt. v. 21.9.2006 - I ZR 270/03, GRUR 2007,
339 Tz. 44 = WRP 2007, 313 - Stufenleitern).
So liegt es hier. Die Beklagte verwendet eine von der Klägerin für Brief-
kästen nicht genutzte rote Farbe und einen auffällig anders gestalteten, runden
Kastendeckel. Sie versieht ihre Briefkästen auch nicht mit dem bekannten Post-
horn der Klägerin, sondern mit einem eigenen Zeichen, das aus einem gelben
Haken, einer weißen Umrahmung sowie der hinter dem Wort "Brief" ohne Zwi-
schenraum folgenden, kleiner geschriebenen und hochgestellten Zahl "24" be-
steht. Eine darüber hinausgehende, deutliche Beschriftung, dass es sich bei
ihren Briefkästen nicht um solche der Klägerin handelt, kann von der Beklagten
nicht verlangt werden, weil dies für sie eine ungerechtfertigte Benachteiligung
im Wettbewerb bedeutete.
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c) Aus der Sicht des Berufungsgerichts spricht weiterhin für eine Irrefüh-
rung, dass die Kennzeichnung "Brief24" auf den Briefkästen der Beklagten eine
glatt beschreibende Aussage darstelle, die dem Verkehr den Eindruck vermit-
teln könne, es handele sich um eine besondere Dienstleistung der Klägerin.
Dieser Beurteilung kann ebenfalls nicht gefolgt werden.
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Die Erwägung des Berufungsgerichts ist bereits im Ansatz unrichtig: Eine
glatt beschreibende Angabe trägt regelmäßig nicht zur Irreführung über die be-
triebliche Herkunft bei, weil sie die angebotene Ware oder Leistung nur be-
schreibt. Gemeint hat das Berufungsgericht offenbar, dass die Beklagte mit der
Wahl von "Brief24" als Bezeichnung ihres Produkts ein Kennzeichen gewählt
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habe, das auch als beschreibender Hinweis auf die angebotene Dienstleistung
(Briefbeförderung innerhalb von 24 Stunden) verstanden werden könne. Ob die-
ses Verständnis naheliegt, bedarf keiner Klärung. Denn ein sprechender Cha-
rakter des Zeichens "Brief24" weist jedenfalls nicht auf die Klägerin als Erbrin-
gerin der Leistung hin. Soweit der Verkehr eine solche Angabe der Klägerin
zuschreibt, liegt dies allein daran, dass über lange Zeit nur die Klägerin oder
ihre Rechtsvorgängerin Briefe befördert haben und ein Teil des Verkehrs des-
wegen nicht mit anderen Anbietern als der Klägerin rechnet. Dies kann zur Fol-
ge haben, dass jeglicher Hinweis auf die zu erbringende Dienstleistung bei
einem Teil des Verkehrs als Hinweis auf die Klägerin verstanden wird.
Die sich daraus ergebenden Fehlvorstellungen des Verkehrs können in-
dessen nicht der Beklagten angelastet werden. Vielmehr ist im Rahmen der
Prüfung einer relevanten Irreführung zu berücksichtigen, dass eine entspre-
chende Fehlvorstellung der Verbraucher auf das noch bis 1998 bestehende und
danach auch nur schrittweise gelockerte Monopol zurückgeht, das zu Gunsten
der Rechtsvorgängerin der Klägerin für die Postbeförderung in Deutschland
bestand (vgl. zur vergleichbaren Prüfung bei § 23 Nr. 2 MarkenG BGH, Urt. v.
2.4.2009 - I ZR 209/06, GRUR 2009, 678 Tz. 28 = WRP 2009, 839 - POST/
RegioPost). Das gebietet die im Rahmen des § 5 UWG gebotene Interessen-
abwägung (vgl. Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl., § 5 UWG
Rdn. 2.92), bei der nach Aufhebung oder Lockerung eines Monopols dem Inter-
esse neu hinzutretender Wettbewerber des bisherigen Monopolisten maßgebli-
ches Gewicht zukommt, ihre Leistung angemessen anbieten zu können. Es ist
anerkannt, dass Fehlvorstellungen des Verkehrs, die sich in einer Übergangs-
zeit nach einer Gesetzesänderung bilden, hingenommen werden müssen, da
andernfalls die alte Rechtslage mit Hilfe des Irreführungsverbots perpetuiert
würde (BGH, Urt. v. 11.9.2008 - I ZR 120/06, GRUR 2008, 114 Tz. 14 = WRP
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2008, 1508 - Räumungsfinale; Bornkamm in Köhler/Bornkamm aaO § 5 UWG
Rdn. 2.92 und 6.6).
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d) Das Berufungsgericht hat schließlich in dem Umstand, dass die Be-
klagte einen erheblichen Teil ihrer Briefkästen in unmittelbarer räumlicher Nähe
zu Einrichtungen der Klägerin aufgestellt hat, eine Ursache für vermeidbare
Fehlvorstellungen gesehen. Auch dieser Umstand mag zu einer gewissen
Marktverwirrung beitragen, kann aber ebenfalls eine Irreführung nicht begrün-
den.
aa) Fehleinwürfe von Briefsendungen in wettbewerbsrelevantem Umfang
(vgl. Bornkamm in Köhler/Bornkamm aaO § 5 Rdn. 2.103) hat das Berufungs-
gericht allerdings nicht festgestellt. Sie erscheinen auch wenig wahrscheinlich.
Ein erheblicher Teil der Verbraucher wird ohne weiteres erkennen, dass die
deutlich abweichend gestalteten Briefkästen der Beklagten nicht solche der
Klägerin sind. Ein anderer Teil mag verunsichert sein, sich aber in den Filialen
der Klägerin durch Nachfrage Gewissheit verschaffen und Briefe, die von der
Klägerin befördert werden sollen, ausschließlich in ihre Briefkästen werfen.
Selbst diejenigen Verbraucher, die von einem zusätzlichen Service der Klägerin
ausgehen, werden sich im Regelfall bei ihr vor dessen Nutzung nach den damit
verbundenen Kosten erkundigen und dann den wahren Sachverhalt erfahren.
Nach der Lebenserfahrung zu urteilen, ist das Risiko von Fehleinwürfen unter
diesen Umständen gering.
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bb) Es erscheint aber nicht ausgeschlossen, dass ein Teil des Verkehrs
die Briefkästen der Beklagten aufgrund der großen räumlichen Nähe zu Filialen
der Klägerin mittelbar dieser zuordnet und etwa annimmt, bei der Beklagten
handele es sich um eine Tochtergesellschaft der Klägerin, die eine neue, be-
sondere Postdienstleistung anbiete. Diese Fehlvorstellung vermag indes keinen
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Unterlassungsanspruch zu begründen. Sie beruht - wie die Herstellung einer
Verbindung zwischen dem Firmenbestandteil "Brief" und dem Angebot der Klä-
gerin - letztlich darauf, dass die Bevölkerung noch nicht daran gewöhnt ist, dass
die Dienstleistung der Briefbeförderung außer von der Klägerin auch von Wett-
bewerbern angeboten wird. Diese etwa durch die große räumliche Nähe der
Briefkästen der Parteien hervorgerufene Fehlvorstellung ist damit ebenfalls
zwangsläufige Folge der vom Gesetzgeber gewollten Liberalisierung der Post-
beförderung.
Zudem besteht ein legitimes Interesse der Wettbewerber, ihre Briefkäs-
ten in der Nähe von Postfilialen aufzustellen. Aus Sicht der Kunden erscheint es
grundsätzlich sinnvoll, Briefkästen verschiedener Anbieter in räumlicher Nähe
zueinander zu finden. Sie können dann ohne zusätzliche Wege die Zustell-
dienste unterschiedlicher Postdienstleister in Anspruch nehmen und müssen
sich nicht je nach Anbieter einen unterschiedlichen Standort für den von ihrem
Wohn- oder Arbeitsort nächsten Briefkasten merken. Ferner konnte die Rechts-
vorgängerin der Klägerin im Schutz des ihr eingeräumten Monopols über viele
Jahrzehnte die Standorte ihrer Briefkästen unbehindert von Wettbewerbern op-
timieren. Schließlich verfügte die Klägerin zu dem Zeitpunkt, als die Beklagte
ihre Briefkästen aufstellte, für den wichtigen Bereich der Briefsendungen bis
50 Gramm nach § 51 PostG grundsätzlich noch über eine Exklusivlizenz. Die
Postnutzer mussten deshalb ohnehin die Leistungen der Klägerin in Anspruch
nehmen. Unter diesen Umständen wären die Marktzutrittsschranken für Mitbe-
werber in unzumutbarer Weise zusätzlich erhöht worden, wenn Postnutzer nicht
in der Lage gewesen wären, die von Mitbewerbern zu befördernden Briefsen-
dungen dort abzuliefern, wo sie auch die von der Klägerin zu befördernden
Sendungen abliefern mussten.
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e) Die der Beklagten angelastete Irreführung stellt danach eine Folge der
Liberalisierung der Postdienste dar. Sie beruht im Wesentlichen darauf, dass
ein Teil des Verkehrs - über Jahrzehnte daran gewöhnt, dass die Briefbeförde-
rung nur von einem Anbieter durchgeführt wird - Einrichtungen zur Briefbeförde-
rung wie Briefkästen stets mit der Klägerin in Verbindung bringt, weil er nur von
ihr derartige Leistungen erwartet. Die gebotene Interessenabwägung führt da-
zu, dass derartige Fehlvorstellungen des Verkehrs unberücksichtigt bleiben,
wenn - wie im Streitfall - berechtigte Interessen des in den Markt eintretenden
neuen Anbieters die beanstandete Verwendung nahelegen oder erfordern.
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3. Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als
richtig dar (§ 561 ZPO).
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Eine Wettbewerbswidrigkeit nach einem der Tatbestände des § 4 Nr. 9
UWG scheidet aus, weil es bereits an einer Nachahmung fehlt. Der Klägerin
steht auch kein Unterlassungsanspruch nach § 4 Nr. 10 UWG zu. Ein unlaute-
res Abfangen von Kunden liegt nach der Rechtsprechung nur dann vor, wenn
sich der Werbende gewissermaßen zwischen den Mitbewerber und dessen
Kunden stellt, um diesem eine Änderung des Kaufentschlusses aufzudrängen
(vgl. BGHZ 148, 1, 8 - Mitwohnzentrale.de). Daran fehlt es bei der Aufstellung
eines "stummen" Briefkastens, der zur Aufnahme schon bezahlter Briefsendun-
gen bestimmt ist.
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III. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil sie auf der
Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts und des unstreitigen
Sachverhalts zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Danach ist die
Klage auf die Revision der Beklagten abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
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Bornkamm Pokrant Bergmann
Kirchhoff
Koch
Vorinstanzen:
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 04.04.2007 - 3 O 4832/06 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 27.11.2007 - 3 U 965/07 -
I ZR 214/07
Schreibfehlerberichtigung
Das Urteil vom 12. Mai 2010 - I ZR 214/07 - wird dahin berichtigt, dass es auf
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1114
Karlsruhe, den 16. Dezember 2010
Bundesgerichtshof
Geschäftsstelle des I. Zivilsenats
Führinger, Justizangestellte