Urteil des BGH vom 02.11.2005

BGH (rechtliches gehör, zpo, scheingeschäft, ergebnis, richtigkeit, steuerhinterziehung, 1995, beweisaufnahme, tatsachenfeststellung, verletzung)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IV ZR 57/05
vom
2. November 2005
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 2. November
2005 durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting,
Seiffert, die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den Richter Dr. Franke
beschlossen:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 7. Zivilse-
nats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 14. Januar
2005 wird zugelassen.
Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO
aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und
Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfah-
rens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 127.822,97 €
Gründe:
Die Beklagte rügt zu Recht eine Verletzung ihres Anspruchs auf
rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG durch rechtsfehlerhafte
Anwendung der prozessualen Vorschrift des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Auf
dieser Verletzung beruht das angefochtene Urteil.
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1. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen des § 117
Abs. 1 BGB verkannt. Nach seinen bisherigen Feststellungen bestand für
die Beklagte keine Verpflichtung zur Verzinsung des Darlehens. Dann
war insoweit ein Scheingeschäft gegeben. Zwar kann eine bestimmte
vertragliche Regelung nicht gleichzeitig als steuerrechtlich gewollt und
als zivilrechtlich nicht gewollt angesehen werden. Das aber setzt voraus,
dass die steuerlichen Vorteile auf legalem W ege erreicht werden sollen.
Ist eine zivilrechtliche Regelung - wie hier vom Berufungsgericht ange-
nommen - von den Parteien nicht ernstlich gewollt, werden aber gegen-
über den Finanzbehörden dennoch entsprechende Angaben gemacht,
liegt ein Scheingeschäft mit dem Ziel der Steuerhinterziehung vor (vgl.
BGHZ 67, 334, 337 f.; Urteile vom 17. Dezember 2002 - XI ZR 290/01 -
BGH-Report 2003, 453 unter III; vom 5. Juli 1993 - II ZR 114/92 - ZIP
1993, 1158 unter 1 a).
2. Dieser Rechtsfehler hat sich indes nicht ausgewirkt, weil nach
den Feststellungen des Berufungsgerichts das Scheingeschäft ein ande-
res Rechtsgeschäft verdeckt. Das Berufungsgericht hat sich die Über-
zeugung verschafft, dass die Parteien ein zinsloses Darlehen vereinbart
haben. Dieses Rechtsgeschäft ist wirksam. Es ist nicht bereits deshalb
verwerflich, weil es verdeckt gewesen ist oder weil die vorgelagerte
Scheinabrede eine Steuerhinterziehung ermöglichen sollte, solange die
Erlangung der Steuervorteile - wie hier - weder der alleinige noch der
Hauptzweck der vertraglichen Vereinbarung gewesen ist (vgl. BGHZ 14,
25, 30 f.; Senatsurteil vom 23. Februar 1983 - IVa ZR 187/81 - W M 1983,
565 unter II 1 b, 2; Urteile vom 30. April 1986 - VIII ZR 90/85 - NJW-RR
1986, 1110 unter II 2; vom 30. Januar 1985 - VIII ZR 292/83 - W M 1985,
647 unter 2 b dd).
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3. Das Berufungsgericht ist allerdings verfahrensfehlerhaft der Be-
hauptung der Beklagten nicht nachgegangen, der streitbefangene Betrag
sei ihr nicht im W ege eines Darlehens, sondern schenkweise zugeflos-
sen. Die Beklagte hat dabei den Beweis gegen die Urkunden vom
10. August 1995 und vom 1. September 1997 zu führen, die im Verhält-
nis der Parteien materiell die Vermutung der Vollständigkeit und Richtig-
keit für sich haben (BGH, Urteil vom 4. Mai 1987 - II ZR 227/86 - WM
1987, 938 unter 2). Mit seiner Auffassung, der - vom Landgericht noch
für ausreichend erachtete - Vortrag der Beklagten sei unsubstantiiert, hat
das Berufungsgericht die Anforderungen an die Darlegungslast über-
spannt. Es hat zudem aus dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführ-
ten Beweisaufnahme andere Schlüsse gezogen als das Landgericht.
Damit waren die Eingangsvoraussetzungen des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO
gegeben. Bestehen aus Sicht des Berufungsgerichts Zweifel an der Rich-
tigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen,
so ist eine erneute Feststellung geboten (BGHZ 158, 269, 272 f.). Eine
eigenständige Würdigung der in erster Instanz erhobenen Beweise durch
das Berufungsgericht stellt bereits eine solche erneute Tatsachenfest-
stellung dar (aaO 274). Die Frage, ob und inwieweit das Berufungsge-
richt im Zuge dieser erneuten Tatsachenfeststellung zu einer Wiederho-
lung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme verpflichtet ist, beantwortet
sich nach den von der Rechtsprechung schon zum bisherigen Recht
entwickelten Grundsätzen (aaO 275). Nach alter Rechtslage war es er-
forderlich, Zeugen erneut zu vernehmen, wenn das Berufungsgericht
protokollierte Aussagen anders als die Vorinstanz verstehen oder werten
wollte (BGH, Urteile vom 22. Mai 2002 - VIII ZR 337/00 - NJW-RR 2002,
1500 unter II 1; vom 17. Dezember 2002 aaO unter II 1 a und b; vom
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28. November 1995 - XI ZR 37/95 - WM 1996, 196 unter III 3). Hat also
das erstinstanzliche Gericht über streitige Äußerungen und die Umstän-
de, unter denen sie gemacht worden sind, Zeugen vernommen und ist es
aufgrund einer Würdigung der Aussage zu einem bestimmten Ergebnis
gekommen, so kann das Berufungsgericht diese Auslegung nicht verwer-
fen und zum gegenteiligen Ergebnis kommen, ohne zuvor die Zeugen
gemäß § 398 Abs. 1 ZPO selbst vernommen zu haben.
Vorsitzender Richter
Dr. Schlichting Seiffert
am Bundesgerichtshof
Terno kann wegen Er-
krankung nicht unter-
schreiben.
Dr. Schlichting
Dr. Kessal-Wulf Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Duisburg, Entscheidung vom 23.03.2004 - 4 O 61/03 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 14.01.2005 - I-7 U 81/04 -