Urteil des BGH vom 07.02.2008

BGH (schuldner, gesetzliche grundlage, post, aufgabe, frist, beschwerdefrist, zpo, zustellung, beschwerde, antrag)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 47/05
vom
7. Februar 2008
in dem Insolvenzverfahren
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Gero Fischer, die Richter Prof. Dr. Gehrlein und Vill, die Richterin Lohmann
und den Richter Dr. Detlev Fischer
am 7. Februar 2008
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der
2. Zivilkammer des Landgerichts Mühlhausen vom 20. Januar
2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten der
Rechtsbeschwerde, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
5.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Am 13. Juli 2000 beantragte eine Gläubigerin die Eröffnung des Insol-
venzverfahrens über das Vermögen des Schuldners, der ein Elektroinstallati-
onsgeschäft betrieb. Nach einem entsprechenden Hinweis des Insolvenzge-
richts stellte der Schuldner am 28. Juli 2000 Eigenantrag, der zunächst als ge-
sondertes Verfahren [8
IN 403/00] geführt wurde. Mit Beschluss vom
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15. Februar 2001 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren und
wies den Schuldner darauf hin, "dass er unter den Voraussetzungen der § 286
bis 303 InsO Restschuldbefreiung beantragen kann". Gleichzeitig wurde der
weitere Beteiligte zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Beschluss vom
28. Februar 2001 hat das Insolvenzgericht beide Verfahren verbunden. Der Be-
richtstermin wurde am 22. März 2001 abgehalten; der Insolvenzverwalter reich-
te am 3. Dezember 2003 seinen Schlussbericht ein. Mit am 12. Juli 2004 beim
Insolvenzgericht eingegangenen Schreiben beantragte der Schuldner Rest-
schuldbefreiung. Das Insolvenzgericht wies den Antrag mit Beschluss vom
9. August 2004 als verspätet zurück, weil der Antrag erst nach Abhaltung des
Berichtstermins eingereicht worden sei. Dieser Beschluss sollte dem Schuldner
gemäß Verfügung vom 17. August 2004 durch Aufgabe zur Post zugestellt wer-
den. Der Gerichtswachtmeister gab das dem Schuldner betreffende Schriftstück
am 18. August 2004 zur Post auf. Mit Schreiben vom 3. September 2004, beim
Insolvenzgericht am 6. September 2004 eingegangen, legte der Schuldner ge-
gen den Beschluss vom 9. August 2004 sofortige Beschwerde ein. Das Landge-
richt hat das Rechtsmittel als unzulässig verworfen mit der Begründung, der
Schuldner habe die zweiwöchige Beschwerdefrist nicht eingehalten. Mit seiner
Rechtsbeschwerde erstrebt der Schuldner die Aufhebung der angefochtenen
Entscheidungen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, §§ 7, 289 Abs. 2 Satz 1 InsO, § 574
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO. Sie ist auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO).
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Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg.
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1. Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts hat der Schuldner die
sofortige Beschwerde nicht nach Ablauf der zweiwöchigen Beschwerdefrist ein-
gelegt.
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a) Zutreffend ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass das
Insolvenzgericht nach seinem pflichtgemäßen Ermessen auswählen kann, ob
die Zustellung förmlich oder durch Aufgabe zur Post erfolgen soll. Die Zustel-
lung durch Aufgabe zur Post kann an Personen im In- und Ausland erfolgen;
§ 8 Abs. 1 Satz 2 InsO ist lediglich eine Rechtsfolgenverweisung (BGH, Beschl.
v. 13. Februar 2003 - IX ZB 368/02, ZIP 2003, 726, 727; v. 20. März 2003
- IX ZB 140/02, ZIP 2003, 768, 769).
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b) Unbeachtet gelassen hat das Beschwerdegericht, dass hier die zwei-
wöchige Beschwerdefrist nicht mit Bewirken der Zustellung durch Aufgabe zur
Post in Lauf gesetzt wurde. Nach der Neufassung des § 184 Abs. 2 Satz 1 ZPO
gilt das Schriftstück frühestens zwei Wochen nach Aufgabe zur Post als zuge-
stellt. Nach dem Wegfall des § 175 Abs. 1 Satz 3 ZPO a.F. fehlte im hier maß-
geblichen Zeitraum eine gesetzliche Grundlage dafür, eine kürzere Frist für In-
landszustellungen anzunehmen (vgl. HK-InsO/Kirchhof, 4. Aufl. § 8 Rn. 7;
HambKomm-InsO/Rüther, 2. Aufl. § 8 Rn. 8; FK-InsO/Schmerbach, 4. Aufl. § 8
Rn. 4; Keller NZI 2002, 581, 586). Daher war am 6. September 2004, als die
Beschwerdeschrift des Schuldners beim Insolvenzgericht eingegangen ist, die
zweiwöchige Beschwerdefrist noch nicht abgelaufen. Maßgeblich ist § 8 Abs. 1
Satz 2 InsO a.F. Die durch das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfah-
rens vom 13. April 2007 eingeführte Fiktion des § 8 Abs. 1 Satz 3 InsO, wonach
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bei Zustellungen im Inland das Schriftstück drei Tage nach Aufgabe zur Post
als zugestellt gilt, findet auf die vorliegende Fallgestaltung keine Anwendung.
2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts kann daher keinen Be-
stand haben und unterliegt der Aufhebung. Das Verfahren ist an das Landge-
richt zur sachlichen Verbescheidung der sofortigen Beschwerde zurückzuver-
weisen.
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Für das weitere Verfahren wird darauf hingewiesen, dass die Auffassung
des Insolvenzgerichts, der Schuldner habe den Antrag auf Restschuldbefreiung
verspätet gestellt, unzutreffend ist.
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a) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass
das Insolvenzgericht den Schuldner auf die Frist für den Restschuldbefreiungs-
antrag hinzuweisen hat (BGHZ 162, 181, 184). Der Schuldner soll nicht aus
Rechtsunkenntnis die Möglichkeit auf die Restschuldbefreiung verlieren. Ein
fehlerhafter, unvollständiger oder verspäteter Hinweis des Insolvenzgerichts,
durch den regelmäßig das Recht des Schuldners auf das rechtliche Gehör ver-
letzt wird, darf jenem nicht zum Nachteil gereichen. Hat es das Insolvenzgericht
versäumt, den Schuldner auf die Frist des § 287 Abs. 1 InsO hinzuweisen, ist
ein erst später gestellter Restschuldbefreiungsantrag nicht verfristet (vgl. BGHZ
162, 181, 186 f).
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b) Das Insolvenzgericht hat den Schuldner im Eröffnungsbeschluss vom
15. Februar 2001 lediglich darauf hingewiesen, er könne unter den Vorausset-
zungen der §§ 286 bis 303 InsO Restschuldbefreiung beantragen. Der gebote-
ne Hinweis auf die damals geltende Frist des § 287 Abs. 1 InsO a.F., nach der
der Restschuldbefreiungsantrag spätestens im Berichtstermin gestellt werden
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muss, fehlte dagegen. Auch der gerichtliche Hinweis vom 18. Juli 2000 auf Stel-
lung eines Eigenantrags, hat das Fristerfordernis nicht angesprochen. Dem
letztgenannten Hinweis ist der Schuldner mit Stellung des Eigenantrages vom
28. Juli 2000 nachgekommen; nach Verfahrensverbindung vom 28. Februar
2001 liegt entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ein wirksamer Eigenan-
trag vor.
Es ist daher über den Restschuldbefreiungsantrag zu entscheiden. Hin-
sichtlich des Beginns der Wohlverhaltensperiode gelten die Grundsätze des
Senatsbeschlusses vom 11. Oktober 2007 - IX ZB 72/06, ZInsO 2007, 1224,
1225.
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Dr. Gero Fischer
Prof. Dr. Gehrlein
Vill
Lohmann
Dr. Detlev Fischer
Vorinstanzen:
AG Mühlhausen, Entscheidung vom 09.08.2004 - 8 IN 376/00 -
LG Mühlhausen, Entscheidung vom 20.01.2005 - 2 T 168/04 -