Urteil des BGH vom 01.07.2010

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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 195/10
vom
1. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. Juli 2010 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landge-
richts Stuttgart vom 11. Dezember 2009 wird festgestellt, dass
dieses gegenstandslos ist.
Durch das Rechtsmittel entstandene Kosten werden nicht erho-
ben.
Gründe:
1. Das Landgericht hat den Angeklagten mit Urteil vom 16. November
2007 wegen Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Tat II. 1. der Urteilsgründe; zwei
Jahre Freiheitsstrafe) sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäu-
bungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Diebstahl (Tat II. 2. der
Urteilsgründe; drei Jahre Freiheitsstrafe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei
Jahren und sechs Monaten verurteilt und 800 € als Wertersatz für verfallen er-
klärt. Von dem Vorwurf, sich in weiteren acht Fällen nach dem Betäubungsmit-
telgesetz strafbar gemacht zu haben, hat es den Angeklagten freigesprochen.
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Auf die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staats-
anwaltschaft hat der Senat dieses Urteil durch sein Urteil vom 4. September
2008 (NStZ-RR 2009, 22) lediglich aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen
der Tat II. 1. verurteilt worden war - insoweit zudem mit Ausnahme der Feststel-
lungen zum äußeren Tatgeschehen -, sowie im Gesamtstrafenausspruch. Die
weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft sowie diejenige des Angeklag-
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ten hat er verworfen und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten durch Urteil vom 15. Dezember
2009 wegen der Tat II. 1. erneut verurteilt. Insofern hatte es am 11. Dezember
2009, dem siebten Hauptverhandlungstag, das Verfahren zur gesonderten Ver-
handlung und Entscheidung abgetrennt. Über die gegen dieses Urteil eingeleg-
te Revision des Angeklagten hat der Senat durch Beschluss vom heutigen Tag
entschieden (1 StR 196/10).
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Als verbliebenen Gegenstand der am 11. Dezember 2009 fortgeführten
Hauptverhandlung hat das Landgericht dagegen „die die Kammer bindenden
Feststellungen“ zur Tat „II. 2. der Gründe des Urteils des Landgerichts Stuttgart
vom 16. November 2007, die bindende rechtliche Würdigung und die insoweit
erkannte Freiheitsstrafe von drei Jahren“ angesehen. Durch Urteil vom selben
Tag hat es sodann das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 16. November
2007 „dahingehend abgeändert“, dass - bei identischem Schuld- und Strafaus-
spruch - „ein Monat der verhängten Freiheitsstrafe … zur Entschädigung für
überlange Verfahrensdauer als vollstreckt“ gilt. „Zur Klarstellung“ hat es zudem
den früheren Freispruch des Angeklagten erneut tenoriert. Gegen dieses Urteil
hat der Angeklagte die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision einge-
legt, soweit er verurteilt und „nur eine Kompensation von einem Monat ausge-
sprochen wurde“.
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3. Die daraufhin von Amts wegen auch auf die Frage des Bestehens von
Verfahrenshindernissen zu erstreckende Prüfung hat ergeben, dass das ange-
griffene Urteil vom 11. Dezember 2009 gegenstandslos ist.
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a) Denn das Verfahren wegen der Tat II. 2. aus dem Urteil des Landge-
richts Stuttgart vom 16. November 2007 war rechtskräftig abgeschlossen,
nachdem der Senat die hiergegen eingelegten Revisionen der Staatsanwalt-
schaft und des Angeklagten durch sein Urteil vom 4. September 2008 verwor-
fen hatte (vgl. Kühne in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. Einl. Abschn. K
Rdn. 57). Die Sache wurde daher insoweit nicht an das Landgericht zu neuer
Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, dort also auch nicht mehr
rechtshängig (vgl. Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. Einl. Rdn. 165). Das Verfah-
ren war somit dem Landgericht Stuttgart nicht mehr zur Entscheidung unterbrei-
tet, so dass es insbesondere nicht mehr befugt war, eine in die Zeit nach dem
Urteil des Senats fallende rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zu prü-
fen, festzustellen und zu kompensieren. Nichts anderes gilt, soweit der Ange-
klagte vom Vorwurf der weiteren acht ihm zur Last gelegten Taten bereits
rechtskräftig freigesprochen worden war.
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b) Besteht ein Verfahrenshindernis, so ist das Verfahren zwar grundsätz-
lich gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen. Anders liegt es aber, wenn - wie
hier - ein (erstes) Urteil in Rechtskraft erwachsen ist, weil sich dann eine das
gesamte Verfahren abschließende Einstellung verbietet. Stattdessen sind ledig-
lich die Auswirkungen der infolge der Rechtskraftwirkung und der fehlenden
Befassung des Landgerichts mit der Sache unzulässigen Fortführung des Ver-
fahrens zu beseitigen. Die Konstellation ist derjenigen vergleichbar, in der ein
Einspruch gegen einen Strafbefehl unzutreffend als rechtzeitig eingelegt ange-
sehen und daraufhin im selben Verfahren ein Urteil gesprochen worden ist, das
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wegen der bereits eingetretenen Rechtskraft nicht hätte ergehen dürfen und
deshalb auf die hiergegen eingelegte Revision durch Aufhebung zu beseitigen
ist (zur „gerichtlichen Strafverfügung“ BGHSt 13, 306, 308 f.). Der Senat hat
daher das angefochtene Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11. Dezember
2009 für gegenstandslos erklärt.
4. Ebenfalls gegenstandslos ist damit die vom Landgericht getroffene
Kostenentscheidung. Gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG werden zudem die Kos-
ten, die durch die gegen das Urteil vom 11. Dezember 2009 eingelegte Revisi-
on verursacht worden sind, nicht erhoben, da diese bei richtiger Behandlung
der Sache durch das Landgericht nicht entstanden wären. Diese Freistellung
erfasst jedoch nicht die notwendigen Auslagen des Angeklagten (vgl. BGH
NStZ 2000, 499; BGH, Beschl. vom 25. Januar 2005 - 1 StR 502/04, jeweils
m.w.N.).
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Nack Wahl Hebenstreit
Elf Sander