Urteil des BGH vom 22.12.1999

BGH (mietvertrag, fortsetzung des mietverhältnisses, falsche auskunft, wichtiger grund, falsche angabe, ohg, gesellschaft, umwandlung, handelsregister, vertrag)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 37/00
Verkündet am:
10. April 2002
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 6. März 2002 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter
Gerber, Prof. Dr. Wagenitz, Fuchs und Dr. Ahlt
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 13. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Dresden vom 22. Dezember 1999 im Ko-
stenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Klage (Feststellungs-
antrag) stattgegeben, die Widerklage abgewiesen und die Beru-
fung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Zwickau
vom 19. Mai 1999 insoweit zurückgewiesen worden ist.
Der Rechtsstreit wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revi-
sionsverfahrens - an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen ein Mietvertrag besteht
und um Ansprüche aus diesem Mietverhältnis.
Die Klägerin mietete mit schriftlichem Vertrag vom 10./12. Februar 1992
von der M. GmbH (im folgenden
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M. GmbH) Gewerberäume mit einer Laufzeit von 15 Jahren. § 15 des Miet-
vertrages lautet:
"Der Vermieter ist jederzeit berechtigt, mit schuldbefreiender Wir-
kung seine Rechte und Pflichten aus diesem Vertrag ganz oder
teilweise auf einen Dritten zu übertragen."
Zwischen den Parteien besteht Streit, ob die M. GmbH im Jahre
1992 ihre Rechte und Pflichten aus dem Mietvertrag auf die B.
KG (im folgenden B. KG) übertra-
gen hat und die Beklagte, die B. OHG, Rechtsnachfolgerin dieser Gesell-
schaft ist.
Am 13. Januar 1998 wurde die M. GmbH wegen Vermögenslosigkeit
im Handelsregister gelöscht. Deshalb kündigte die Klägerin jeweils mit Schrei-
ben vom (richtig) 15. Oktober 1998 gegenüber der M. GmbH fristlos sowie
gegenüber der B. KG und der Beklagten zum 30. Juni 1999. Die Beklagte
hält die Kündigungen für unwirksam und macht hilfsweise geltend, der Mietver-
trag sei am 30. Juni 1999 von zwei Treuhändern der in Liquidation befindlichen
M. GmbH aufgrund eines Treuhandvertrages aus dem Jahre 1988 auf sie
übertragen worden.
Die Klägerin hat Feststellung begehrt, daß zwischen den Parteien kein
Mietverhältnis bestehe, hilfsweise, daß ein etwa bestehendes Mietverhältnis
am 30. Juni 1999 geendet habe. Außerdem hat sie 10.000 DM aus einem selb-
ständigen Schuldversprechen der Beklagten geltend gemacht.
Die Beklagte hat mit ihrer Widerklage Mietnebenkosten in Höhe von
24.553,44 DM verlangt. Das Landgericht hat der Feststellungsklage stattgege-
ben und im übrigen die Klage und die Widerklage abgewiesen.
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Die Berufung der Klägerin, die ihre Leistungsklage um 15.421,25 DM
erweitert hat, und die Berufung der Beklagten blieben ohne Erfolg. Dagegen
wendet sich die Beklagte mit der Revision, mit der sie ihre Berufungsanträge
weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten führt im Umfang der Aufhebung zur Zurück-
verweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
1. Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, für die Annahme eines selb-
ständigen Schuldversprechens durch die Beklagten fehle es an einem eindeu-
tigen Sachvortrag der Klägerin. Es sei nicht auszuschließen und sogar wahr-
scheinlich, daß die Beklagte die behauptete Erklärung nur für den Fall habe
abgeben wollen, daß sie als Vermieterin angesehen werde. Ein Anspruch auf
Schadensersatz bestehe schon deshalb nicht, weil ein Mietvertrag mit der Be-
klagten nicht geschlossen sei. Eine Vertragsübertragung von der M. GmbH
auf die B. KG im Jahre 1992 scheitere schon daran, daß der Geschäftsfüh-
rer der Komplementärin der B. KG nicht alleinvertretungsberechtigt gewe-
sen sei. Im übrigen sei der Beklagten der Nachweis einer Übertragungsverein-
barung nicht gelungen.
Die Wirksamkeit der Treuhandverträge und der Vereinbarung vom
30. Juni 1999 könne dahinstehen, weil die bereits am 15. Oktober 1998 ge-
genüber der M. GmbH erklärte fristlose Kündigung des Mietvertrages wirk-
sam sei. Ein Vermieterwechsel habe deshalb am 30. Juni 1999 nicht mehr
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stattfinden können. Mietverträge könnten nach § 242 BGB außerordentlich ge-
kündigt werden, wenn einer Partei die Fortsetzung nicht mehr zugemutet wer-
den könne. An die Feststellung der Unzumutbarkeit seien strenge Anforderun-
gen zu stellen. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung sei der Klägerin ein
Festhalten am Vertrag nicht mehr zumutbar gewesen. Die Klägerin habe am
18. Mai 1998 erfahren, daß die M. GmbH - allenfalls bis auf ihre Miet-
zinsansprüche gegen die Klägerin - vermögenslos geworden und deswegen im
Handelsregister gelöscht worden sei. Die zwischen den Parteien streitige Ver-
mögenslosigkeit könne offenbleiben. Zumindest aus der Sicht der Klägerin zum
Zeitpunkt ihrer Kündigung habe die akute Gefahr bestanden, daß ihre Vermie-
terin, die M.
GmbH, als Gesellschaft bereits voll beendet und nicht mehr existent gewesen
sei. Die Planungssicherheit der Klägerin sei deshalb in unzumutbarer Weise
beeinträchtigt gewesen. Auf Vermieterseite habe eine verantwortliche Person
oder ein für die Verbindlichkeiten haftendes Stammkapital nicht mehr existiert.
Hinsichtlich der beklagten OHG, die angeblich durch Umwandlung aus der KG
entstanden sei, sei der Klägerin auf Nachfrage vom 3. Juli 1998 mit Schreiben
des Rechtsanwalts H. vom 8. Juli 1998 mitgeteilt worden, die Be-
klagte existiere nicht. Der Klägerin sei somit nicht nur die angebliche Vertrags-
übertragung im Juli 1992 nicht mitgeteilt worden, sie sei auch über die Vorgän-
ge der nunmehr behaupteten Umwandlung unrichtig informiert worden. Damit
sei auch die Vertrauensgrundlage zerstört. Die Widerklageforderung sei unbe-
gründet. Da zwischen den Parteien kein Vertragsverhältnis bestehe, habe die
Beklagte keinen Anspruch auf Nebenkostenzahlung.
2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält einer rechtlichen Nach-
prüfung nicht stand. Es steht nicht fest, daß die Beklagte nicht durch Vertrags-
übernahme in die Rechtsstellung der Vermieterin eingetreten ist.
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a) Die Revision nimmt es hin, daß das Berufungsgericht eine wirksame
Vertragsübertragung der M. GmbH an die B. KG im Jahre 1992 ver-
neint hat. Aus Rechtsgründen ist diese Entscheidung des Berufungsgerichts
auch nicht zu beanstanden.
b) Das Oberlandesgericht geht jedoch zu Unrecht davon aus, daß der
Mietvertrag mit der M. GmbH im Oktober 1998 wirksam gekündigt worden
ist. Zwar ist es im Ausgangspunkt zutreffend, daß ein befristeter Mietvertrag
auch bei Fehlen der Voraussetzungen des § 554 a BGB a.F. gekündigt werden
kann, wenn infolge des Verhaltens des anderen Vertragsteils die Durchführung
des Vertrages wegen der Zerstörung der das Schuldverhältnis tragenden Ver-
trauensgrundlagen derart gefährdet ist, daß sie dem Kündigenden auch bei
Anlegung eines strengen Maßstabes nicht mehr zuzumuten ist. Grundlage für
dieses Kündigungsrecht ist § 242 BGB (BGH, Urteil vom 21. Dezember 1977
- VIII ZR 119/76 - WM 1978, 271, 273).
Der Begriff "wichtiger Grund" ist ein Rechtsbegriff. Die für seine Fest-
stellung nötige Würdigung aller Umstände obliegt dem Tatrichter. Das Revisi-
onsgericht hat aber sowohl die richtige Anwendung des Rechtsbegriffs als
auch die Frage nachzuprüfen, ob alle für die Entscheidung wesentlichen Um-
stände berücksichtigt sind (BGH, Urteil vom 21. Dezember 1977 aaO).
Das Oberlandesgericht hat die Wirksamkeit der außerordentlichen Kün-
digung allein deshalb bejaht, weil die M. GmbH von Amts wegen im Han-
delsregister wegen Vermögenslosigkeit gelöscht worden und die Klägerin über
die Umwandlung der B. KG in die B. OHG nicht richtig informiert wor-
den sei. Damit hat das Oberlandesgericht zu geringe Anforderungen an das
Vorliegen eines wichtigen Grundes gestellt und den gebotenen strengen Maß-
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stab für die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung nicht ausreichend beach-
tet.
aa) Bei Vermögensverfall einer Mietvertragspartei gewährt das Gesetz
dem Vertragspartner jedenfalls im Grundsatz kein Recht, sich vom Vertrag zu
lösen. Die Rechtsfolgen aus der enttäuschten Erwartung der Mietvertragspar-
teien, die Vermögensverhältnisse des Vertragsgegners würden sich nach Ab-
schluß des Mietvertrages nicht wesentlich verschlechtern, sind ausschließlich
in § 321 BGB a.F. geregelt. Danach kann der aus dem Mietvertrag Vorlei-
stungspflichtige seine Leistung solange zurückhalten, bis die Gegenleistung
bewirkt ist, wenn sie durch eine nach Mietvertragsabschluß eintretende we-
sentliche Vermögensverschlechterung gefährdet ist. Weitere Rechte stehen
ihm nicht zu (Bub in Bub/Treier Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete
3. Aufl. II. Rdn. 631). Nach dem hier noch anwendbaren § 21 KO blieb selbst
der Konkurs des Vermieters ohne Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Miet-
vertrages, sofern das Mietobjekt dem Mieter bei Konkurseröffnung bereits
überlassen war (Staudinger/Emmerich BGB 13. Bearb. §§ 535, 536 Rdn. 168).
Die Ansprüche des Mieters sind auf seiten des Vermieters Masseverbindlich-
keiten (Belz in Bub/Treier aaO Kap. VII B Rdn. 171). Nach neuem Recht be-
steht bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Vermie-
ters das Mietverhältnis fort (§ 108 InsO). Ein Sonderkündigungsrecht für den
Mieter gibt es nicht (Schmidt-Futterer/Blank Mietrecht 7. Aufl., § 564 BGB
Rdn. 123).
bb) Auch die Löschung der GmbH wegen Vermögenslosigkeit nach § 2
LöschG (seit 1. Januar 1999: § 141 a FGG, § 60 Abs. 1 Nr. 7 GmbHG) hat kei-
ne rechtsgestaltende Wirkung in dem Sinne, daß sie die GmbH endgültig erlö-
schen läßt. Stellt sich nach der Löschung heraus, daß die GmbH doch noch
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Vermögen hat, wird nunmehr eine Abwicklung durchgeführt. Die GmbH kann in
diesem Stadium weiter am Rechtsverkehr teilnehmen (BGHZ 48, 303, 307;
Rowedder-Rasner GmbHG 3. Aufl. Anh. nach § 60 Rdn. 18). Erfüllt sie ihre
mietvertraglichen Verpflichtungen, so ist die Fortsetzung des Mietverhältnisses
für den Mieter nicht unzumutbar. Erfüllt sie ihre Verpflichtungen nicht mehr, so
kann der Mieter sein gesetzliches Kündigungsrecht aus § 542 BGB a.F. aus-
üben und ist auf ein außerordentliches Kündigungsrecht nach § 242 BGB nicht
angewiesen. Wegen ihrer Rechte aus dem Mietvertrag mit der Klägerin war die
M. GmbH nicht vermögenslos und bestand deshalb trotz Löschung im
Handelsregister weiter.
cc) Die Gefährdung der notwendigen wirtschaftlichen Planungssicher-
heit, von der das Berufungsgericht ausgegangen ist, rechtfertigt im zu ent-
scheidenden Fall eine nach § 242 BGB gestützte Kündigung nicht. Das Mie-
tobjekt war der Klägerin seit Jahren überlassen und konnte von ihr ohne
Schwierigkeiten genutzt werden. Anhaltspunkte dafür, daß die Vermieterin der
Klägerin dieses verwehren würde, sind nicht ersichtlich. Nur wenn sich ab-
zeichnete, daß die Vermieterin ihre Verpflichtung aus dem Mietvertrag nicht
mehr erfüllen würde, wäre die Klägerin nach § 242 BGB zur außerordentlichen
Kündigung berechtigt. Das ist aber nicht der Fall. Die Beklagte, die mit der
M. GmbH personenidentisch ist, hat noch vor der Kündigung der Klägerin
dieser gegenüber geltend gemacht, daß sie den Mietvertrag übernommen habe
und auf jeden Fall am Mietvertrag festhalten wolle. Die Übernahme der Ver-
mieterstellung durch die Beklagte hätte die vertragliche Position der Klägerin
sogar verbessert. Im Gegensatz zur M. GmbH, die vermietete, ohne Eigen-
tümerin zu sein, war die Beklagte nach den Feststellungen des Berufungsge-
richts Eigentümerin des Grundstücks und konnte damit der Klägerin eine siche-
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rere Rechtsstellung einräumen. Damit war die Gefahr gering, daß die Klägerin
wegen der finanziellen Situation der Vermieterin einen Schaden erlitt.
dd) Die falsche Auskunft des Rechtsanwalts H. vom 8. Juli
1998, daß eine B. OHG nicht existiere, rechtfertigt ein nach § 242 BGB ge-
stütztes Kündigungsrecht ebenfalls nicht. Zwar hat sich die B. KG mit Ver-
trag vom 20. Dezember 1995 in die B. OHG umgewandelt und war am
25. Januar 1996 als B. OHG ins Handelsregister eingetragen worden. Die
Umwandlung änderte aber an der Identität der Gesellschaft nichts (Koller/
Roth/Morck HGB 2. Aufl. § 105 Rdn. 55). Der Klägerin drohte weder durch die
Umwandlung, noch durch deren Verschweigung noch durch die - offensichtlich
versehentlich - falsche Angabe des Rechtsanwalts ein gravierender Nachteil.
Sie ging davon aus, daß die Gesellschaft als Verwalterin für die Vermieterin
tätig war, während sich die Gesellschaft selbst als Vermieterin sah. Die
Rechtsform der Beklagten war für die Klägerin von untergeordneter Bedeutung.
3. Da die außerordentliche Kündigung vom 15. Oktober 1998 das zwi-
schen der Klägerin und der M. GmbH bestehende Mietverhältnis nicht
wirksam beendet hat, kann das Urteil mit der vom Oberlandesgericht gegebe-
nen Begründung nicht bestehenbleiben. Der Senat ist auch nicht in der Lage,
abschließend selbst zu entscheiden. Denn für die Beklagte, die mit ihrer Wi-
derklage für sich Rechte aus dem Mietvertrag herleiten will und dazu vorträgt,
der Mietvertrag sei am 30. Juni 1999 auf sie übertragen worden, kommt es auf
den von der Klägerin bestrittenen Umstand an, ob der Treuhandvertrag von
1988 bestand und ob die Treuhänder auf der Grundlage dieses Vertrages die
Vermieterstellung der M. GmbH wirksam auf die Beklagte übertragen konn-
ten. Das Oberlandesgericht hat diese Fragen - aus seiner Sicht folgerichtig -
dahin-
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stehen lassen. Daher ist die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverwei-
sen, damit es - gegebenenfalls nach weiterem Vortrag der Parteien - die not-
wendigen Feststellungen zu den näheren Umständen der Übertragung treffen
kann.
Hahne Gerber Wagenitz
Fuchs Ahlt