Urteil des BGH vom 19.01.2006

BGH (vollstreckung der strafe, staatsanwaltschaft, strafkammer, firma, gesamtstrafe, strafzumessung, stgb, geld, einsatz, bestechung)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 374/05
vom
19. Januar 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Januar
2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil
des Landgerichts Bielefeld vom 22. April 2005 wird ver-
worfen.
2.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten
hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen hat die
Staatskasse zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 17. September
2003 wegen Bestechung u.a. - insgesamt 116 Taten - zu einer Gesamtfreiheits-
strafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Auf die Revision des Ange-
klagten stellte der Senat mit Beschluss vom 7. September 2004 - 4 StR 234/04
- 17 der angeklagten Taten gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein, beschränkte die
Strafverfolgung in sechs Fällen gemäß § 154 a Abs. 2 StPO und änderte den
Schuldspruch dahin, dass der Angeklagte der Bestechung in 49 Fällen, des Be-
truges in 45 Fällen, davon in 38 Fällen in Tateinheit mit wettbewerbsbeschrän-
kender Absprache bei Ausschreibungen, und der wettbewerbsbeschränkenden
Absprache bei Ausschreibungen in fünf Fällen schuldig ist. Im Ausspruch über
die Einzelstrafen in sechs Fällen und im Gesamtstrafenausspruch hob der Se-
nat das angefochtene Urteil mit den zugehörigen Feststellungen auf und ver-
wies die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine ande-
re Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurück; die weiter gehende Revisi-
on des Angeklagten wurde verworfen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr wegen der rechtskräftig
festgestellten Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren mit Straf-
aussetzung zur Bewährung verurteilt. Hiergegen richtet sich die - wirksam auf
die zur Bewährung ausgesetzte Gesamtstrafe beschränkte (vgl. BGHR StPO
§ 318 Strafausspruch 2) - vom Generalbundesanwalt vertretene, zu Ungunsten
des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die
Verletzung materiellen Rechts rügt.
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Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
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1. Nach den Feststellungen waren der Angeklagte und sein inzwischen
verstorbener Partner Lutz Peter B. Geschäftsführer einer Firma für Hei-
zungs- und Sanitärtechnik (Firma B. GmbH) und persönlich haftende Gesell-
schafter eines Planungsbüros (Firma H. ). In der Zeit von 1995/96 bis 2001 ver-
schafften beide den Firmen durch Bestechung von Mitarbeitern staatlicher Bau-
ämter bzw. durch Ausschreibungs- und Rechnungsmanipulationen Aufträge, die
die Firmen sonst nicht erhalten hätten.
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2. Das Landgericht hat bei der Strafzumessung für die neu festzusetzen-
den Einzelstrafen zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er ein um-
fassendes, von Reue getragenes Geständnis abgelegt, er bereits im frühen Sta-
dium der Ermittlungen aktiv sowohl zur Aufklärung eigener Straftaten als auch
zur Aufdeckung von Straftaten anderer beigetragen, er persönlich und
- auf sein Betreiben - auch die Firma B. GmbH Schadenswiedergutmachung
geleistet habe, so dass der gesamte Schaden ausgeglichen sei, er seinen Ge-
schäftspartner B. dazu bewogen habe, in die Schweiz transferiertes Geld
(250.000 DM) zurückzuführen und den Steuerbehörden zur Verfügung zu stel-
len, er - mit 58 Jahren - nicht vorbestraft sei und ein sozial geordnetes Leben
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geführt habe, er 4 ½ Monate Untersuchungshaft erlitten habe, er an einer ihn
stark beeinträchtigenden Krankheit (Morbus Crohn) leide und die Motivation für
die Straftaten "Existenzängste" gewesen seien. Darüber hinaus hat die Straf-
kammer strafmildernd sowohl die lange Verfahrensdauer gewertet als auch,
dass die Taten lange Zeit zurückliegen. Schließlich hat das Landgericht zu
Gunsten des Angeklagten noch berücksichtigt, dass auf ihn erhebliche Verfah-
renskosten zukommen, was ihn bei seinem derzeitigen bescheidenen Einkom-
men besonders hart treffe.
Im Hinblick auf die Gesamtstrafenbildung, bei der von einem Strafrah-
men von einem Jahr und neun Monaten bis zu 15 Jahren (Gesamt-)Frei-
heitsstrafe auszugehen war, hat die Strafkammer zudem mildernd gewertet,
dass nach der vom Senat vorgenommenen Verfahrensbeschränkung der noch
berücksichtigungsfähige Gesamtschaden um mehr als die Hälfte - auf ca.
180.000 DM und knapp 30.000 DM Gefährdungsschaden - reduziert worden sei
und zwischen den Taten ein enger zeitlicher, sachlicher und situativer Zusam-
menhang bestehe; die Taten seien fortlaufend "nach demselben Schema" er-
folgt und hätten überwiegend das Land Nordrhein-Westfalen betroffen. Die wie-
derholte Tatbegehung sei Ausdruck einer von Tat zu Tat geringer werdenden
Hemmschwelle gewesen.
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Zu Lasten des Angeklagten hat das Landgericht den langen Tatzeitraum,
die Vielzahl der Taten, die Höhe des Schadens und die beträchtliche kriminelle
Energie des Angeklagten gewertet, wenn auch berücksichtigt werden müsse,
dass die Vorgehensweise des Angeklagten damals "branchenüblich" gewesen
sei.
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Die Strafaussetzung zur Bewährung hat die Strafkammer damit begrün-
det, dass für den Angeklagten eine günstige Sozialprognose zu stellen sei und
auch die nach § 56 Abs. 2 StGB geforderten "besonderen Umstände" vorlägen:
Der Angeklagte habe durch sein von Reue getragenes Geständnis umfassend
zur Aufklärung des gesamten Tatkomplexes beigetragen und - auch durch Ein-
satz seines privaten Vermögens - eine vollständige Schadenswiedergutma-
chung bewirkt. Er sei nicht vorbestraft und habe sich 4 ½ Monate in Untersu-
chungshaft befunden, was ihn erheblich beeindruckt habe.
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3. Die Gesamtstrafenbildung durch das Landgericht weist keinen durch-
greifenden Rechtsfehler auf.
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a) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist
seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der
Hauptverhandlung von den Taten und der Persönlichkeit des Täters gewonnen
hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen,
sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht kann nur
dann eingreifen, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind,
wenn gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen wird oder wenn sich
die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter
Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem
Tatrichter eingeräumten Spielraums liegt. Eine ins Einzelne gehende Richtig-
keitskontrolle ist ausgeschlossen; in Zweifelsfällen muss das Revisionsgericht
die Bewertung des Tatgerichts hinnehmen. Diese Grundsätze gelten auch für
die Bildung der Gesamtstrafe und für die Entscheidung über die Aussetzung der
Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung (st. Rspr.; vgl. nur BGHR
StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 11 m.w.N.).
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b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hält der Gesamtstrafen-
ausspruch revisionsrechtlicher Prüfung noch stand.
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aa) Die von der Staatsanwaltschaft behaupteten Widersprüche bei der
Strafzumessung - einerseits heiße es, der Angeklagte habe auch unter Einsatz
seines privaten Vermögens zur vollständigen Schadenswiedergutmachung bei-
getragen, andererseits werde darauf hingewiesen, dass die Schadenswieder-
gutmachung durch den Angeklagten und andere Beteiligte, u.a. durch an den
Straftaten beteiligte Handwerksfirmen, erfolgt sei – und - einerseits gehe die
Strafkammer davon aus, der Angeklagte habe seinen Geschäftspartner B.
dazu bewogen, das in die Schweiz transferierte Geld zurückzuführen, anderer-
seits komme zum Ausdruck, dass der Angeklagte und B. das Geld gemein-
sam zurückgeführt hätten - sind ersichtlich, sofern sie überhaupt bestehen, für
die Strafzumessung ohne Relevanz; denn die bestimmenden Strafzumes-
sungsgesichtspunkte insoweit sind, dass der Schaden - auch durch Einsatz des
Privatvermögens des Angeklagten - wieder gutgemacht ist und dass das ins
Ausland verbrachte Geld durch den Einsatz des Angeklagten zurückgeführt und
den Finanzbehörden zur Verfügung gestellt wurde.
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bb) Soweit die Staatsanwaltschaft meint, es lägen keine gleichartigen Ta-
ten nach "demselben Schema" vor, wovon aber das Landgericht ausgehe, son-
dern zum einen "zwei Sachverhaltskomplexe", nämlich die Taten betreffend die
Firma B. GmbH und die Taten betreffend das Planungsbüro H. , und zum ande-
ren beträfen die Taten unterschiedliche Geschädigte sowie unterschiedlich ver-
letzte Rechtsgüter, zeigt sie ebenfalls keinen die Gesamtstrafenbildung in Frage
stellenden Rechtsfehler auf. Die Strafkammer berücksichtigt strafmildernd, dass
zwischen den abgeurteilten Taten ein enger zeitlicher, sachlicher und situativer
Zusammenhang bestehe. Das ist durch die Feststellungen, nach denen die ins-
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gesamt aus "Existenzangst" zum Erhalt der miteinander verflochtenen Firmen
begangenen Taten fortlaufend und mit geringem zeitlichen Abstand begangen
wurden, belegt. Dass die Taten unterschiedliche Geschädigte betrafen und ver-
schiedene Rechtsgüter verletzten, steht der strafmildernden Erwägung des
Landgerichts nicht entgegen (vgl. BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 1, 4, 8;
BGH, Beschluss vom 18. Juli 1995 – 4 StR 379/95).
cc) Die Wertung der Beschwerdeführerin, das Landgericht habe bei Bil-
dung der Gesamtstrafe den "Spielraum der noch schuldangemessenen Strafe
verlassen", zeigt keinen Rechtsfehler auf, sondern gründet sich auf – im Revisi-
onsverfahren nicht zu berücksichtigende - eigene Strafzumessungserwägun-
gen. Der Staatsanwaltschaft ist allerdings zuzugeben, dass die Gesamtstrafe
außergewöhnlich milde ist. Sie ist jedoch im Hinblick auf die zahlreichen ge-
wichtigen Strafmilderungsgründe aus Rechtsgründen gerade noch hinzuneh-
men. Das gilt auch für die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung, wobei das
Landgericht angesichts der festgestellten Milderungsgründe nicht ausdrücklich
erörtern musste, ob etwa die Verteidigung der Rechtsordnung ausnahmsweise
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die Vollstreckung der Strafe gebietet (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 3 Verteidigung
9, 15).
Tepperwien Kuckein Athing
Solin-Stojanović Ernemann