Urteil des BGH vom 06.03.2013

BGH: verfassungskonforme auslegung, versicherer, wechsel, krankenversicherung, versicherungsnehmer, unvereinbarkeit, unternehmen, verfassungsbeschwerde, grundrechtseingriff, berufsausübungsfreiheit

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IV ZR 143/11
vom
6. März 2013
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin Mayen, die Richter Wendt, Felsch, Lehmann und die Richterin
Dr. Brockmöller
am 6. März 2013
einstimmig beschlossen:
Die Revision gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Ober-
landesgerichts Braunschweig vom 29. Juni 2011 wird ge-
mäß § 552a ZPO auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Der
Streitwert
für
das
Revisionsverfahren
beträgt
32.208,44
€.
Gründe:
I. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers war
gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen für die
Zulassung der Revision nicht vorliegen und die Revision keine Aussicht
auf Erfolg hat. Der Senat nimmt insoweit zunächst auf die Gründe des
Beschlusses vom 24. Oktober 2012 Bezug, mit dem er auf die beabsich-
tigte Zurückweisung hingewiesen hat.
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II. Die Ausführungen im Schriftsatz des Klägervertreters vom
24. Januar 2013 geben keinen Anlass zu einer abweichenden Beurtei-
lung.
1. Der Senat hält daran fest, dass die in § 204 VVG getroffene Re-
gelung den Kläger nicht in seinen Grundrechten aus Art. 14 Abs. 1 GG
oder Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.
a) Der Kläger macht geltend, dass Prüfungsgegenstand des Be-
schlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juni 2009 (BVerfGE
123, 186) nur der Grundrechtsschutz der beschwerdeführenden Vers i-
cherungsunternehmen gewesen sei und das Gericht keinen Anlass g e-
habt habe, den Grundrechtsschutz eines wechselwilligen Versich erungs-
nehmers zu überprüfen. Dabei übergeht er den Umstand, dass das Bun-
desverfassungsgericht die auch auf eine Verletzung von Art. 14 GG ge-
stützte Verfassungsbeschwerde der damaligen Beschwerdeführer zu 6
und 7 unter anderem mit der Begründung als unzuläs sig angesehen hat,
dass sie durch die gesetzliche Neuregelung ausschließlich begünstigt
würden, indem ihnen ein neues zusätzliches Recht eingeräumt werde
(aaO 231). Eine Verletzung von Art. 14 GG durch die Nichteinräumung
der vom Kläger begehrten Übertragungsmöglichkeit scheidet damit aus.
b) Unzutreffend ist auch die Auffassung des Klägers, dass der G e-
setzgeber die ihm zustehende weitgehende Gestaltungsfreiheit übe r-
schritten hätte, indem er die in einen Volltarif bei einem anderen Vers i-
cherer wechselnden Versicherungsnehmer von der (befristeten) Übe r-
tragbarkeit der Alterungsrückstellungen ausgeschlossen hat. Das Bu n-
desverfassungsgericht hat den Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit
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der Versicherungsunternehmen insbesondere auch aufgrund der Erw ä-
gung gebilligt, dass sich für die Bestandskunden der privaten Kranke n-
versicherung keine wesentliche Verbesserung ihrer Wechseloptionen e r-
gebe, weil ihnen die Mitnahme eines Teils der Alterungsrückstellungen
lediglich in den Basistarif ermöglicht wird (aaO 260). Der Umstand, dass
auf diese Weise der Grundrechtseingriff zu Lasten der Versicherer gering
gehalten wird, stellt einen hinreichenden sachlichen Grund für die Diff e-
renzierung der Rechtsfolgen bei einem Wechsel zu einem anderen Ve r-
sicherer in den Basistarif einerseits und den Normaltarif andererseits
dar. Die Regelung verstößt damit nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, sondern
liegt im Rahmen des dem Gesetzgeber eröffneten Gestaltungsspie l-
raums.
Dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung in § 204 Abs. 1 VVG
eine teilweise Portabilität und eine wettbewerbliche Situation für alle T a-
rifwechselfälle, auch bei einem Wechsel zu einem anderen Unternehmen
unabhängig davon, ob der Versicherungsnehmer in den Basistarif oder in
den Volltarif wechselt, schaffen wollte, kann en tgegen den Ausführungen
im Schriftsatz vom 24. Januar 2013 nicht der Gesetzesbegründung zu
§ 178f VVG im Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in
der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsge-
setz - GKV-WSG; BT-Drucks. 16/3100, dort S. 80 f., 206 f. zu Nr. 4) ent-
nommen werden. Denn die insoweit weitergehende Regelung nach
§ 178f VVG-E ist gerade nicht Gesetz geworden. An ihre Stelle ist die
differenzierende Regelung in § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VVG getreten.
2. Schon mangels eines Verstoßes einer am Wortlaut orientierten
Auslegung des § 204 VVG gegen Grundrechte der Versicherten ist eine
hiervon abweichende "verfassungskonforme Auslegung" gegen den
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Wortlaut des Gesetzes nicht geboten, ohne dass es noch entscheidend
darauf ankommt, ob eine solche Auslegung auch dem gesetzgeberischen
Willen zuwiderliefe.
3. Nach alledem kann es schließlich dahinstehen, welche Rechts-
folgeanordnungen durch das Bundesverfassungsgericht im Falle einer
Unvereinbarkeit der Regelung mit Art. 3 GG möglich wären.
Mayen Wendt Felsch
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Braunschweig, Entscheidung vom 15.07.2010 - 4 O 2299/09 -
OLG Braunschweig, Entscheidung vom 29.06.2011 - 3 U 121/10 -
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