Urteil des BGH vom 29.11.2012

BGH: erpressung, mindeststrafe, beute, schusswaffe, marihuana, wohnung, drohung, rauschgift, vertreter, bundesanwaltschaft

5 StR 493/12
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 29. November 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
29. November 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt Ba.
als Verteidiger für den Angeklagten S. ,
Rechtsanwalt Sch.
als Verteidiger für den Angeklagten B. ,
Rechtsanwalt Bo.
als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil
des Landgerichts Berlin vom 23. Mai 2012
a) in den Schuldsprüchen dahin klargestellt, dass die
Angeklagten der besonders schweren räuberischen
Erpressung schuldig sind,
b) in den Strafaussprüchen mit den zugehörigen Fest-
stellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten der
Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landge-
richts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen –
G r ü n d e
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen
– gemeint: besonders –
schwerer räuberischer Erpressung verurteilt und gegen den Angeklagten
S. eine Freiheitsstrafe von drei Jahren, gegen den Angeklagten B.
eine solche von drei Jahren und vier Monaten verhängt. Die vom General-
bundesanwalt vertretenen, auf die Strafaussprüche beschränkten Revisionen
der Staatsanwaltschaft haben mit der Sachrüge Erfolg.
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1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verschafften sich die
Angeklagten und ein unbekannt gebliebener Mittäter unter einem Vorwand
Zugang zur Wohnung der Nebenklägerin, einer Arbeitskollegin des Ange-
klagten S. . Der Angeklagte B. forderte die Nebenklägerin und ih-
ren anwesenden Partner auf, Geld und Marihuana herauszugeben, und be-
dr
ohte beide mit einem großen „machetenartigen“ Messer; er drohte, den
Partner der Nebenklägerin „abzustechen“ und ihm die Finger abzuschneiden,
wobei er mehrfach Stichbewegungen in unmittelbare Nähe des Körpers des
Mannes ausführte. Zudem drohte er, die Nebenklägerin im Badezimmer zu
vergewaltigen. Währenddessen stand der Angeklagte S. mit einem
Teleskopschlagstock an der Tür zum Flur, der dritte Täter hielt ein Messer in
den Händen. Die Nebenklägerin übergab aus einer Geldkassette 20
€ und
etwas Marihuana, woraufhin der Angeklagte B. ihnen weiter drohte, sie
„sollten ihn nicht ‚verarschenꞌ, sonst käme er mit allen seinen Leuten“ (UA
S. 5). Als daraufhin der Partner der Nebenklägerin die Geldkassette durch
die geschlossene Balkontür warf und laut um Hilfe rief, flüchteten die Täter
mit der Beute.
Das Landgericht hat im Rahmen der Strafzumessung bei jedem der
Angeklagten einen minder schweren Fall nach § 250 Abs. 3 StGB ange-
nommen. Dabei hat es zu ihren Gunsten neben den „umfassenden“ Ge-
ständnissen und der erwartbar geringen Beute vor allem berücksichtigt, dass
„die Schlag- und Stichwaffen nicht so gefährlich waren, wie etwa eine scharfe
Schusswaffe“ (UA S. 7). Als maßgeblich für die Strafrahmenwahl erachtete
es die Strafkammer zudem, dass die Tatausführung „dilettantisch und unpro-
fessionell“ gewesen sei, weil die Täter nicht maskiert waren und der Ange-
klagte S. der Nebenklägerin bekannt war (UA S. 8). Die Anwendung
des Strafrahmens nach § 250 Abs.
2 StGB hielt sie „für nicht geboten und
unangemessen, zumal die Mindeststrafe wegen des Gewichts der straferhö-
henden Umstände bei der Festsetzung der Strafen nicht nur unbeträchtlich
erhöht werden müsste“ (UA S. 8).
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2. Diese Begründung für die Annahme minder schwerer Fälle nach
§ 250 Abs. 3 StGB bei beiden Angeklagten hält sachlich-rechtlicher Nachprü-
fung nicht stand.
Durchgreifenden Bedenken begegnet bereits die Erwägung, die ver-
wendeten Schlag-
und Stichwaffen seien nicht so gefährlich, wie eine „schar-
fe Schusswaffe“. Das Landgericht berücksichtigt dabei nicht ausreichend die
konkreten Umstände des Waffeneinsatzes (Überfall in einer Ein-Zimmer-
Wohnung durch drei bewaffnete Täter; körpernahe Stichbewegungen mit
dem „machetenartigen“ Messer), die für die Beurteilung der Gefährlichkeit
der Waffen von erheblicher Bedeutung sind. Bei der Bewertung der Tataus-
führung als „dilettantisch und unprofessionell“ aufgrund der unterlassenen
Maskierung der Täter zieht das Landgericht nicht in Betracht, dass die Ne-
benklägerin wusste, „dass der Angeklagte S. mit einer Rockergrup-
pierung in Kontakt stand“ (UA S. 7), und sich die Angeklagten deshalb mög-
licherweise darauf verließen, von ihr nicht angezeigt zu werden. An anderer
Stelle hat das Landgericht der Drohung des Angeklagten B. , er werde
„seine Leute“ vorbeischicken, in diesem Zusammenhang besonderes Ge-
wicht beigemessen (UA aaO). Angesichts des Tatbildes und insbesondere
der Reaktion des Angeklagten B. auf die Übergabe eines nur geringen
Bargeldbetrages und einer kleinen Menge Rauschgift ist auch die Annahme
einer geringen Beuteerwartung der Täter nicht ohne Weiteres nachvollzieh-
bar.
Sachlich unzutreffend und mithin rechtsfehlerhaft ist schließlich die
Kontrollerwägung des Landgerichts, dass bei Anwendung des Regelstraf-
rahmens die Mindeststrafe erheblich hätte erhöht werden müssen. Es ist ab-
wegig anzunehmen, dass unter Berücksichtigung der hier gegebenen straf-
mildernden Gesichtspunkte eine erhebliche Erhöhung der in § 250 Abs. 2
StGB vorgesehenen Mindeststrafe zwingend erforderlich gewesen wäre. Die
hohe Untergrenze dieses strengen Strafrahmens trägt der hohen Gefährlich-
keit der umfassten Taten bereits Rechnung. Dies zwingt bei Vorliegen von
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Milderungsgründen, wenn sie nicht zur Annahme eines minder schweren
Falles hinreichen, ungeachtet
– wie hier – gegebener Erschwerungsgründe
nicht zu deren Anhebung.
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei
rechtsfehlerfreier Gesamtwürdigung einen minder schweren Fall nach § 250
Abs. 3 StGB abgelehnt hätte. Die Strafaussprüche haben daher keinen Be-
stand. Da lediglich Wertungsfehler vorliegen, können die Feststellungen be-
stehen bleiben und weitere, ihnen nicht widersprechende, getroffen werden.
Basdorf Schaal Schneider
Dölp Bellay
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