Urteil des BGH vom 17.07.2003
BGH (form der ware, form, unterscheidungskraft, ware, marke, bundespatentgericht, verkehr, beurteilung, anmeldung, warenform)
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I ZB 42/00
Verkündet am:
17. Juli 2003
Walz
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Rechtsbeschwerdesache
betreffend die Markenanmeldung Nr. 397 32 116.3
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 17. Juli 2003 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann
und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Prof. Starck, Pokrant und Dr. Büscher
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Anmelderin wird der Beschluß des
28. Senats (Marken-Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts
vom 2. August 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
an das Bundespatentgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 50.000
festgesetzt.
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Gründe:
I. Mit ihrer am 9. Juli 1997 eingereichten Anmeldung begehrt die Anmel-
derin die Eintragung einer dreidimensionalen Marke entsprechend den nach-
folgenden Abbildungen
für die Waren "Milch und Milchprodukte, insbesondere Butter, Käse, Sahne,
Yoghurt, Quark, Trockenmilch für Nahrungszwecke; Margarine, Speiseöle und
Speisefette".
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Die Markenstelle des Deutschen Patent- und Markenamtes hat die An-
meldung teilweise und zwar für alle Waren bis auf "Milch, Speiseöle" wegen
fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben.
Mit der (zugelassenen) Rechtsbeschwerde verfolgt die Anmelderin ihren
Eintragungsantrag weiter.
II. Das Bundespatentgericht hat eine Unterscheidungskraft der ange-
meldeten dreidimensionalen Form verneint. Dazu hat es ausgeführt:
Bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft sei von einem großzügi-
gen Maßstab auszugehen. Es seien die Waren zugrunde zu legen, die sich
aus der Registerlage ergäben, auch wenn die Anmelderin einen markenrechtli-
chen Schutz allein für die nach dem Oberbegriff "Milchprodukte" beispielhaft
genannte Ware "Käse" beabsichtige.
Trotz einer Wechselwirkung von Formgebung und Herstellungsprozeß
bei Käse sei davon auszugehen, daß keiner der Gründe des § 3 Abs. 2 Mar-
kenG vorliege, um die abstrakte Markenfähigkeit zu verneinen.
Der beanspruchten dreidimensionalen Gestaltung fehle jedoch die kon-
krete Unterscheidungskraft. Solle ihre Form eine Ware von den jeweiligen
Konkurrenzprodukten herkunftshinweisend unterscheiden, setze das für die
Frage der Schutzfähigkeit der Form als Marke voraus, daß auf dem bean-
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spruchten Warengebiet bereits eine Gewöhnung des Verkehrs an die kenn-
zeichnende Funktion der Warenform als solcher stattgefunden habe und so-
dann, falls dies bejaht werden könne, daß nach Auffassung der beteiligten Ver-
kehrskreise der Formmarke wegen ihrer Gestaltungsmerkmale die Herkunfts-
funktion nicht abgesprochen werden könne. Sei auf dem betreffenden Waren-
gebiet eine solche Gewöhnung des Verkehrs nicht festzustellen, könne im Ein-
zelfall dennoch Unterscheidungskraft angenommen werden, wenn eine völlig
aus dem Rahmen des Verkehrsüblichen fallende Formgestaltung mit betriebli-
chem Hinweischarakter vorliege. Die Unterscheidungskraft sei dabei im Ein-
zelfall anhand des üblichen Marktauftritts der beanspruchten Ware und dem
daraus resultierenden Verbraucher- wie auch Herstellerverhalten unter Be-
achtung der allgemeinen markenrechtlich relevanten Maßstäbe zu beurteilen.
Der Verkehr unterscheide Käse jeweils nach verschiedenen Sorten, im
wesentlichen nach Frisch-, Weich- oder Hartkäse, seiner Herkunft aus unter-
schiedlichen Ländern oder Provenienzen oder nach sonstigen Eigenschaften
der Ware selbst, wie Rohstoffe, Zutaten und Herstellungsweise. Dabei ordne er
zwar einen nach der Ware oder ihrer Verpackung entsprechend gekennzeich-
neten Käse ohne weiteres einer bestimmten betrieblichen Herkunft zu. Der
bloßen Form werde bei der Gestaltungsvielfalt im Warenbereich Käse bislang
aber keine Bedeutung beigemessen. Eine Gewöhnung des Publikums an den
Einsatz der Käseform als betriebliche Herkunftsangabe sei nicht festzustellen.
Dem Verkehr sei im übrigen bekannt, daß Käse in unterschiedlicher Größe,
Konsistenz wie auch Form angeboten werde. Vor diesem Hintergrund der Her-
stellungs-, Verkaufs- und Werbepraxis bei Käse lasse sich keine Übung fest-
stellen, daß die betroffenen Verkehrskreise ein bestimmtes Käseerzeugnis le-
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diglich aufgrund seiner Form ohne Zuhilfenahme der aufgrund lebensmittel-
rechtlicher Vorschriften notwendigen Beschriftung der Ware als von einem be-
stimmten Hersteller stammend ansehen. Sei auf dem Warengebiet "Käse" der
Verkehr nicht daran gewöhnt, die konkrete Form eines Käses als betrieblichen
Herkunftshinweis zu werten, komme es nicht mehr darauf an, inwieweit die be-
anspruchte Gestaltung von anderen festgestellten Käseformen abweiche.
Eine Schutzgewährung im Wege der Verkehrsdurchsetzung gemäß § 8
Abs. 3 MarkenG sei nicht beantragt, Anhaltspunkte hierfür seien auch nicht
ersichtlich.
III. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg. Die Beur-
teilung des Bundespatentgerichts, die angemeldete Marke sei nicht unter-
scheidungskräftig, hält auf der Grundlage der bisher getroffenen tatsächlichen
Feststellungen der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Zutreffend hat allerdings das Bundespatentgericht seiner Prüfung zu-
nächst die Ware "Käse" zugrunde gelegt, obwohl das Warenverzeichnis der
Anmeldung den weiten Warenoberbegriff "Milchprodukte" enthält und die Ware
Käse nur unter anderen Waren beispielhaft im Warenverzeichnis aufgeführt ist.
Unterfällt nämlich eine spezielle Ware einem im Verzeichnis enthaltenen Ober-
begriff, so ist die Unterscheidungskraft (auch) auf diese spezielle Ware bezo-
gen zu prüfen und, sofern sie für diese Ware fehlt, die Anmeldung bezüglich
des weiten Oberbegriffs zurückzuweisen (BGH, Beschl. v. 5.7.2001 - I ZB 8/99,
GRUR 2002, 261, 262 = WRP 2002, 91 - AC).
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2. Des weiteren ist das Bundespatentgericht in nicht zu beanstandender
Weise davon ausgegangen, daß die angemeldete Marke die allgemeinen An-
forderungen an die Markenfähigkeit erfüllt, d.h. daß sie abstrakt unterschei-
dungskräftig i.S. von § 3 Abs. 1 MarkenG ist und auch keine der Vorausset-
zungen des § 3 Abs. 2 MarkenG erfüllt.
3. Das Bundespatentgericht hat die angemeldete Marke für nicht (kon-
kret) unterscheidungskräftig i.S. von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG gehalten. Diese
Beurteilung ist nicht frei von Rechtsfehlern.
a) Unterscheidungskraft i.S. der genannten Bestimmung ist die einer
Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungs-
mittel für die von der Marke erfaßten Waren oder Dienstleistungen eines Un-
ternehmens gegenüber solchen anderer Unternehmen aufgefaßt zu werden.
Bei der entsprechenden Beurteilung ist grundsätzlich von einem großzügigen
Maßstab auszugehen, d.h. jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft
reicht aus, um das Schutzhindernis zu überwinden.
Davon ausgehend hat der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtspre-
chung für Wortmarken einschließlich Slogans den Grundsatz entwickelt, daß
ihnen, sofern der Marke kein für die in Frage stehenden Waren im Vordergrund
stehender beschreibender Begriffsinhalt zugeordnet werden kann und es sich
auch sonst weder um ein so gebräuchliches Wort der deutschen oder einer
sonstigen im Inland geläufigen Sprache handelt, daß es vom Verkehr stets nur
als solches und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden wird, die Unter-
scheidungskraft nicht abgesprochen werden kann (BGH, Beschl. v. 13.4.2000
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- I ZB 6/98, GRUR 2001, 56, 57 = WRP 2000, 1290 - Likörflasche, m.w.N.).
Entsprechend ist der Bundesgerichtshof bei Bildmarken davon ausgegangen,
daß ihnen nur dann jegliche Unterscheidungskraft fehlt, wenn es sich bei dem
Bild - etwa weil es die Ware selbst darstellt - um eine warenbeschreibende An-
gabe oder um eine ganz einfache geometrische Form oder um sonstige einfa-
che graphische Gestaltungselemente handelt, die in der Werbung, aber auch
auf Warenverpackungen oder sonst üblicherweise als bloß ornamentale,
schmückende Ausgestaltung verwendet werden. Nichts anderes kann, wie der
Bundesgerichtshof des weiteren ausgeführt hat, im Ausgangspunkt für eine als
Marke angemeldete dreidimensionale Form gelten, die die Verpackung der
Ware darstellt (BGH GRUR 2001, 56, 57 - Likörflasche).
Bei der Feststellung der Unterscheidungskraft von dreidimensionalen
Marken, die die Form der Ware darstellen, ist kein strengerer Maßstab als bei
anderen Markenformen anzulegen (BGH, Beschl. v. 23.11.2000 - I ZB 15/98,
GRUR 2001, 334 = WRP 2001, 261 - Gabelstapler; I ZB 18/98, WRP 2001,
265 = MarkenR 2001, 71 - Stabtaschenlampen; I ZB 46/98, WRP 2001, 269
= MarkenR 2001, 75 - Rado-Uhr; EuGH, Urt. v. 8.4.2003 - Rs. C-53/01 - 55/01,
GRUR 2003, 514 = WRP 2003, 627 Tz. 49 - Linde u.a.).
b) Demgegenüber hat das Bundespatentgericht zunächst geprüft, ob auf
dem beanspruchten Warengebiet bereits eine Gewöhnung des Verkehrs an
eine Kennzeichnungsfunktion der Warenform als solcher stattgefunden hat
und, weil es dies verneint hat, als Maßstab für die Unterscheidungskraft das
Erfordernis einer völlig aus dem Rahmen des Verkehrsüblichen fallenden
Formgestaltung mit betrieblichem Hinweischarakter zugrundegelegt. Des weite-
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ren ist das Bundespatentgericht davon ausgegangen, daß dem Verkehr Käse
über die Grundformen einer Torten-, Rollen- oder Radform hinaus in einer
Vielzahl von Abwandlungen und Mischformen bis hin zu beispielsweise Käse in
Form der Umrißlinien einer Maus bekannt sei. Angesichts der vielfältigen For-
men und Größen, in denen Käse angeboten werde, stelle die von der Anmelde-
rin beanspruchte Gestaltung keine derart außergewöhnliche Form dar, daß der
Verkehr darin einen Herkunftshinweis erblicke.
Voraussetzung für die Annahme einer Unterscheidungskraft ist bei Wa-
renformmarken allein die Vorstellung des angesprochenen Verkehrs und hier
des durchschnittlich verständigen, aufmerksamen und informierten Durch-
schnittsverbrauchers, daß die konkrete Warenform etwas über die Herkunft
aus einem bestimmten Unternehmen besagt. Von einer derartigen Vorstellung
des Verkehrs muß nach der allgemeinen Lebenserfahrung bei Warenformmar-
ken ausgegangen werden, sofern sich die Warenform nicht als eine ganz ver-
kehrsübliche Form (z.B. bei Käse als eine Torten-, Rollen- oder Radform) dar-
stellt. Das ergibt sich auch aus der von der Anmelderin zitierten Verkehrsbefra-
gung. Diese betrifft zwar, wie das Bundespatentgericht zutreffend ausgeführt
hat, eine andere als die im Streitfall angemeldete Form. Ihr kann aber aufgrund
der Frage 1, die als solche nicht zu beanstanden ist, entnommen werden, daß
für 42,7% der befragten Käsekäufer die bloße Form eines Käses einen hohen
Wiedererkennungswert hat und von einem nicht unwesentlichen Teil dieser Be-
fragten in der dort in Frage stehenden "Blütenform" ein Herkunftshinweis gese-
hen wurde (Fragen 3, 4).
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Bei dieser Sachlage kann der angemeldeten dreidimensionalen Form für
die Ware "Käse" nicht jede Unterscheidungskraft abgesprochen werden. Dem
steht auch nicht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entgegen.
In seiner Vorabentscheidung vom 8. April 2003 (GRUR 2003, 514 - Linde u.a.)
hat er ausgeführt (Tz. 76), daß bei einer dreidimensionalen Marke, die aus der
Form der Ware besteht, wie bei jeder anderen Markenform zu prüfen ist, ob sie
alle in Art. 3 Abs. 1 Buchst. b bis e MarkenRL aufgeführten Kriterien erfüllt und
daß diese Kriterien in jedem Einzelfall im Licht des ihnen zugrunde liegenden
Allgemeininteresses auszulegen und anzuwenden sind.
4. Demnach kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand ha-
ben. Das Bundespatentgericht wird nunmehr noch die Frage der Unterschei-
dungskraft der angemeldeten Marke für die sonstigen im Warenverzeichnis
enthaltenen Waren zu beurteilen haben. Dabei wird es zu beachten haben,
daß eine der angemeldeten Marke sehr ähnliche Form bei Butter in kleinen
Darreichungsmengen erfahrungsgemäß in rein dekorativer Weise verwendet
wird, so daß der Oberbegriff "Milchprodukte" nicht ohne weiteres einer mögli-
chen Eintragung zugrunde gelegt werden kann.
IV. Danach war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sa-
che zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Bundespatentge-
richt zurückzuverweisen (§ 89 Abs. 4 MarkenG), das sich noch mit den Eintra-
gungshindernissen des § 8 Abs. 2 Nr. 2 und 3 MarkenG zu befassen haben
wird.
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Ullmann
v. Ungern-Sternberg
Starck
Pokrant
Büscher