Urteil des BGH vom 22.01.2014

BGH: polizei, fahrzeug, überzeugung, anzeige, vergewaltigung, nichtschuld, analyse, täterschaft, gewissheit, überprüfung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 314/13
vom
22. Januar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen des Verdachts der Vergewaltigung u.a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. Januar
2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Schmitt,
Dr. Eschelbach,
Zeng,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts
Aachen vom 4. März 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung
sowie der versuchten Nötigung in zwei Fällen aus tatsächlichen Gründen frei-
gesprochen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte
Revision der Nebenklägerin hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. a) Nach der Anklage wurde dem Angeklagten vorgeworfen, die Ne-
benklägerin am 13. Februar 2012 vergewaltigt und in zwei Fällen versucht zu
haben, diese durch Drohungen zu veranlassen, von der Erstattung einer Anzei-
ge abzusehen. In seinem auf einem Waldparkplatz abgestellten Fahrzeug habe
er der auf dem Beifahrersitz sitzenden Nebenklägerin unvermittelt an die Brust
gefasst und versucht, ihr die Hose herunterzuziehen. Die sich dagegen weh-
rende Nebenklägerin habe versucht, aus dem Fahrzeug auszusteigen. Dies sei
ihr indes nicht gelungen, weil die Fahrzeugtür verschlossen gewesen sei. Der
Angeklagte habe sodann die Rückenlehne des Beifahrersitzes in Liegeposition
gebracht, die Hose und Unterhose der Nebenklägerin bis zu ihren Knien herun-
tergezogen, ihre Beine hochgedrückt und gegen ihren Willen den Geschlechts-
verkehr bis zum Samenerguss vollzogen.
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Auf der Rückfahrt zur Wohnung der Nebenklägerin habe ihr der Ange-
klagte erklärt, dass er sie und ihre Tochter töten werde, sollte sie wegen des
Vorfalls Anzeige erstatten. Am nächsten Mittag habe der Angeklagte die Dro-
hung gegenüber der Nebenklägerin telefonisch wiederholt.
b) Der Angeklagte hat die Tatvorwürfe bestritten. Er habe die Nebenklä-
gerin am Tag zuvor im Kulturverein kennengelernt. Sie habe Hilfe bei der Ver-
längerung ihres bosnischen Passes benötigt; er habe angeboten, mit ihr zum
zuständigen Konsulat in Frankfurt am Main zu fahren und den Pass verlängern
zu lassen. Eine Reaktion hierauf habe sie nicht gezeigt; vielmehr sei die Ne-
benklägerin
– auch den anwesenden anderen Männern gegenüber – „offenher-
zig“ aufgetreten und habe „seine Hand auf ihre Brust“, später dann u.a. „ihre
Hand in seinen Intimbereich“ gelegt (UA S. 7). Nachfolgend habe er sie in die
Nähe ihrer Wohnanschrift gefahren und sie habe ihm „einen Kuss in Richtung
seines Mundes gegeben“ (UA S. 7).
Am Folgetag habe er sie wegen der Passangelegenheit insgesamt drei-
mal angerufen. Beim letzten Telefonat habe sie ihm gegenüber
„signalisiert,
dass er nunmehr bekommen solle, was er am Vorabend nicht bekommen habe,
und dabei gelacht“ (UA S. 7). Sie hätten sich sodann getroffen und seien – nach
einem kurzen Halt an einer Tankstelle
– zu einem Waldstück gefahren. Im
Fahrzeug sei es zum einvernehmlichen ungeschützten Geschlechtsverkehr ge-
kommen. „Währenddessen“ (UA S. 8) habe ihn die Nebenklägerin auf einen
vorbeilaufenden Jogger nebst Hund aufmerksam gemacht; er habe deswegen
„die Wagentür von innen durch Betätigen des entsprechenden Türknopfes ver-
schlossen, um nicht gestört zu werden“ (UA S. 8).
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Die Nebenklägerin habe ihn auf der Rückfahrt gefragt, ob er ihr
50 € lei-
hen könne; er habe sie deshalb am nächsten Tag angerufen und ihr mitgeteilt,
keine 50
€ zur Verfügung zu haben.
c) Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten „vor allem im
Hinblick auf die Einvernehmlichkeit des Geschlechtsverkehrs“ (UA S. 9) nicht zu
widerlegen vermocht. Der Aussage der Nebenklägerin habe nicht gefolgt wer-
den können. Sowohl zum Tatgeschehen selbst als auch zum Randgeschehen
seien die Angaben der Nebenklägerin insgesamt nicht glaubhaft, da sie in zahl-
reichen Punkten widersprüchlich seien.
So habe die Nebenklägerin gegenüber den polizeilichen Vernehmungs-
beamten und gegenüber der medizinischen Sachverständigen angegeben, der
Angeklagte habe den Wagen über die Zentralverriegelung durch Betätigen ei-
ner Fernbedienung von innen verschlossen, nachdem sie seine Hand, mit der
er ihr an die Brust gefasst habe, weggeschlagen habe. In der Hauptverhand-
lung habe sie ausgesagt, der Angeklagte habe die Tür von innen verschlossen,
nachdem er sich „auf sie gestürzt, ihre Beine nach oben gestreckt und sich auf
sie gelegt habe“ (UA S. 12).
Weiterhin habe die Nebenklägerin widersprüchliche
– von der Strafkam-
mer im Einzelnen wiedergegebene
– Angaben zu der Anzahl und den Zeitpunk-
ten der „vermeintlich von dem Angeklagten ihr gegenüber geäußerten Drohun-
gen“ (UA S. 12) gemacht.
Ein „eklatanter Widerspruch“ (UA S. 14) sei außerdem anlässlich der
Schilderung der Nebenklägerin hinsichtlich der Fahrt zum Tatort aufgetreten.
Gegenüber der Polizei und zunächst in der Hauptverhandlung habe die Zeugin
– trotz wiederholter Nachfrage und Vorhalts der Einlassung des Angeklagten –
mehrfach erklärt, dass es einen kurzen Halt an einer Tankstelle nicht gegeben
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habe. Erst später habe sie ein solches Geschehen eingeräumt. Außerdem habe
sie einerseits in der Hauptverhandlung bekundet, die Fahrstrecke, die der An-
geklagte mit ihr gefahren sei, überwiegend nicht gekannt zu haben; anderer-
seits habe sie die Polizeibeamten „an den vermeintlichen Tatort geführt, indem
sie ihnen die Fahrtstrecke vorgegeben habe“ (UA S. 15).
Schließlich habe die Nebenklägerin die Frage nicht widerspruchsfrei zu
beantworten vermocht, „woran der Angeklagte hätte erkennen sollen, dass sie –
die sich nach eigenem Bekunden nicht gewehrt hat
– mit dem Geschlechtsver-
kehr nicht einverstanden s
ei“ (UA S. 15).
2. Die Revision der Nebenklägerin hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass
es auf die erhobenen Verfahrensrügen, denen aus den Gründen der Antrags-
schrift des Generalbundesanwalts vom 24. Juni 2013 in der Sache kein Erfolg
beschieden wäre, nicht ankommt.
a) Die Beweiswürdigung ist allein Sache des Tatrichters (§ 261 StPO),
dessen Aufgabe es ist, sich eine Überzeugung von der Schuld oder Nichtschuld
des Angeklagten zu verschaffen. Spricht das Gericht einen Angeklagten frei,
weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies
durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Insbesondere ist es ihm
verwehrt, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch seine eigene zu ersetzen
(st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011
– 1 StR 114/11, NStZ 2012,
110 mwN).
Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich somit darauf, ob dem
Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist etwa
dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, widersprüchlich oder un-
klar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt
oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anfor-
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derungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 9. März 2011
– 2 StR
467/10, Rn. 10, zit. nach juris). Insbesondere ist die Beweiswürdigung auch
dann rechtsfehlerhaft, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden
(vgl. etwa BGH, Urteil vom 21. November 2006
– 1 StR 392/06, Rn. 13, zit.
nach juris) oder sich den Urteilsgründen nicht entnehmen lässt, dass die einzel-
nen Beweisergebnisse in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wur-
den (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2008
– 1 StR 231/08, Rn. 16 mwN, zit. nach
juris).
b) Diesen Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung wird
das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.
aa) Rechtsfehlerhaft ist es zunächst schon, dass die Strafkammer die
Einlassung des Angeklagten als nicht zu widerlegen zugrunde gelegt hat. Der
Angeklagte hat insbesondere zum Tatvorgeschehen eine Vielzahl von Details
geschildert, u.a. dass die Nebenklägerin am Tatvortag ihm und weiteren Män-
nern im Kulturverein
„gegenüber offenherziger und … forscher“ (UA S. 7) aufge-
treten sei und die männlichen Anwesenden u.a. gefragt habe,
„wie potent sie
seien und ob sie es ‚im Bett bringen‘ würden“ (UA S. 7). Dieses – für sich ge-
nommen vor dem kulturellen Hintergrund der Beteiligten sehr ungewöhnliche
Auftreten, die im Verlauf des Abends vorgenommenen, ihn betreffenden intimen
Berührung
en durch die Nebenklägerin und schließlich deren „Kuss in Richtung
seines Mundes“ (UA S. 7), sowie deren Andeutung anlässlich des dritten Tele-
fonats am Tattag
, „dass er nunmehr bekommen solle, was er am Vorabend
nicht bekommen habe“ (UA S. 7), sollen schließlich in den vom Angeklagten
behaupteten einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gemündet sein.
Die Strafkammer hätte diese Angaben des Angeklagten zum Tatvorge-
schehen nicht ohne weiteres als unwiderlegt zugrunde legen dürfen. Es musste
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sich vielmehr aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweis-
aufnahme seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Einlas-
sung bilden (vgl. Senat, Urteil vom 6. November 2013
– 2 StR 357/13, Rn. 6,
zit. nach juris; Ott in: KK, StPO, 7. Aufl. § 261 Rn. 28a, jeweils mwN). Eine sol-
che Gesamtwürdigung
– insbesondere mit Blick auf das Tatvorgeschehen –
fehlt.
bb) Die Beweiswürdigung ist auch deshalb rechtsfehlerhaft, weil es je-
denfalls an einer geschlossenen Darstellung der Aussage der Nebenklägerin
bei der Polizei fehlt.
Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaus-
sagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen
– wie hier –
Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussa-
ge in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis
des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprü-
fung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist
(vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011
– 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111).
Zwar stellt das Landgericht die dem Anklagevorwurf entsprechende Aus-
sage der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung „im Wesentlichen“ (UA S. 9)
dar; die Darstellung der Aussage der Nebenklägerin bei der Polizei beschränkt
sich indes auf die Wiedergabe und die Bewertung einzelner aus dem Gesamt-
zusammenhang der Aussage gerissener Angaben. Die Bekundungen der Ne-
benklägerin zu dem von ihr erhobenen Vergewaltigungsvorwurf, insbesondere
konkrete Details zum unmittelbaren Tatgeschehen, werden dagegen allenfalls
ansatzweise und nur hinsichtlich der zeitlichen Abfolge der Verriegelung der
Fahrzeugtür mitgeteilt.
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Auf dieser Grundlage kann der Senat schon nicht hinreichend überprü-
fen, ob das Landgericht eine fachgerechte Analyse der Aussage der Nebenklä-
gerin zum Kerngeschehen vorgenommen und die dabei von ihr aufgezeigten
"Abweichungen", die hinsichtlich des erhobenen Vergewaltigungsvorwurfs aus-
schließlich das Randgeschehen betreffen, zutreffend gewichtet hat (zur Ge-
wichtung von Aussagekonstanz und Widerspruchsfreiheit vgl. BGH, Urteil vom
23. Januar 1997
– 4 StR 526/96, NStZ-RR 1997, 172).
cc) Das Landgericht hat ferner seine Zweifel an der Schuld des Ange-
klagten wesentlich auf "Abweichungen" in den Aussagen der Nebenklägerin
gestützt. Bei der Bewertung insbesondere der widersprüchlichen und ungenau-
en Gedächtnisleistungen der Nebenklägerin, beispielsweise zur Anzahl und zu
den Zeitpunkten der vermeintlich von dem Angeklagten ihr gegenüber geäußer-
ten Drohungen, hätte sich das Landgericht aber mit der Frage auseinanderset-
zen müssen, ob diese derart schwerwiegend sind, dass sie Rückschlüsse auf
den Wahrheitsgehalt der Aussage erlauben. Denn nicht jede Inkonstanz stellt
bereits einen Hinweis auf eine mangelnde Glaubhaftigkeit der Angaben insge-
samt dar (BGH, Urteil vom 30. Juli 1999
– 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172).
dd) Soweit das Landgericht einen Widerspruch darin sieht, dass die Ne-
benklägerin einerseits in der Hauptverhandlung bekundet habe, die Strecke, die
der Angeklagte mit ihr gefahren sei, habe sie
– bis auf ein kleineres Teilstück –
nicht gekannt, die Polizeibeamten habe sie indes an den vermeintlichen Tatort
(sicher) führen können, kann der Senat dem nicht folgen. Die landgerichtliche
Würdigung ist unklar. Denn zum Tatzeitpunkt mag der Nebenklägerin die Fahrt-
strecke
– freilich bis auf ein Teilstück – unbekannt gewesen sein; dies galt aber
nicht mehr für die Fahrt mit der Polizei, die anlässlich ihrer polizeilichen Ver-
nehmung am Tag nach der vermeintlichen Tat erfolgte (UA S. 13). Zu diesem
Zeitpunkt hatte die Nebenklägerin nämlich die Gegend, in welcher der Tatort
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lag, wiedererkannt; sie konnte daher die Polizeibeamten dorthin leiten, auch
wenn ihr die konkrete Fahrtstrecke am Tatabend unbekannt war.
ee) Widersprüchlich ist es schließlich, wenn das Landgericht einerseits
ausführt, die Nebenklägerin habe
sich „nach eigenem Bekunden nicht gewehrt“
(UA S. 15), deren Aussage in der Hauptverhandlung aber dahin wiedergibt,
„sie
habe
ihn mit der Hand weggeschubst“ (UA S. 10).
Fischer Appl Schmitt
Eschelbach Zeng
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