Urteil des BGH vom 14.01.2014

BGH: unterbringung, untersuchungshaft, staatsanwalt, persönlichkeitsstörung, diagnose, gefahr, rüge, beschränkung, anfechtung, intoxikation

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 531/13
vom
14. Januar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Januar 2014 beschlos-
sen:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts München I vom 1. März 2013 im Ausspruch über
die Dauer des Vorwegvollzugs dahin abgeändert, dass vor der
Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ein
Jahr und elf Monate der gegen sie verhängten Freiheitsstrafe zu
vollziehen sind.
Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die der
Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen
werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben
Jahren und zehn Monaten verurteilt. Zudem hat es ihre Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt angeordnet; dabei hat es bestimmt, dass von der Strafe
noch ein Jahr und ein Monat vor der Maßregel zu vollziehen sind. Mit ihrer Re-
vision beanstandet die Staatsanwaltschaft, gestützt auf die Rüge der Verlet-
zung materiellen Rechts, die Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs der
Freiheitsstrafe, auf die sie ihr Rechtsmittel auch beschränkt hat. Sie erstrebt die
Festsetzung der Dauer des Vorwegvollzugs der Strafe vor der Maßregel auf ein
Jahr und elf Monate. Das Rechtsmittel hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
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1. Die Beschränkung des Rechtsmittels ist wirksam.
a) Eine Revisionsbeschränkung ist nur möglich, wenn sie sich auf Be-
schwerdepunkte bezieht, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils
losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selb-
ständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung der Entscheidung im Übri-
gen erforderlich zu machen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Februar
1956 - 2 StR 25/56, BGHSt 10, 100; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 318
Rn. 6 mwN). Dies setzt bei der Anfechtung der Dauer des Vorwegvollzugs einer
Unterbringung voraus, dass die Maßregel als solche rechtsfehlerfrei angeord-
net worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Februar 2012 - 3 StR 7/12, NStZ
2012, 587), zumal da die Dauer des Vorwegvollzugs auch von der Einschät-
zung der Behandlungsdauer abhängt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2008
- 1 StR 167/08).
b) Die Voraussetzungen der Maßregel der Unterbringung in einer Ent-
ziehungsanstalt (§ 64 StGB) sind hier hinreichend belegt. Sowohl das Vorliegen
eines Hanges der Angeklagten, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu
nehmen, als auch der Gefahr, dass die Angeklagte infolge ihres Hanges weite-
re rechtswidrige Taten begehen wird, werden von den Feststellungen, die auf
einer nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung beruhen, getragen. Den
Symptomwert des von der Angeklagten begangenen versuchten Tötungsdelikts
für eine hangbedingte Gefährlichkeit hat die sachverständig beratene Straf-
kammer rechtsfehlerfrei begründet. Sie durfte dabei in den Blick nehmen, dass
der von der Angeklagten betriebene übermäßige Drogen- und Medikamenten-
konsum für die Tat ursächlich war, weil sich die Angeklagte überhaupt nur we-
gen dieses übermäßigen Konsums berauschender Substanzen "im sozialen
Milieu" des Geschädigten aufgehalten hat. Auch die Wertung der Strafkammer,
dass ohne weitere Maßnahmen mit der Fortsetzung des Drogen- und Medika-
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mentenkonsums der Angeklagten und mit hierauf zurückgehenden Taten, die
der Anlasstat vergleichbar sind, zu rechnen ist (UA S. 37), wird von den Fest-
stellungen getragen. Bei der Angeklagten wurde eine Polytoxikomanie mit ei-
nem Abhängigkeitssyndrom diagnostiziert. Sie hat - ohne dass die Vorausset-
zungen der §§ 20 oder 21 StGB vorlagen - die Anlasstat in einem leichtgradig
ausgeprägten, auf eine akute Intoxikation multipler Substanzen zurückzufüh-
renden Rausch begangen (UA S. 28), darunter die amphetaminähnlich wirken-
de Designerdroge MDPV ("Badesalz"), die eine psychotisch, aber auch aggres-
siv machende Wirkung haben kann (UA S. 26 f.). Es wird hinreichend deutlich,
dass das Landgericht bei der Annahme eines drogenbedingten Rauschs der
Beurteilung des psychiatrischen Sachverständigen Dr. S. gefolgt ist (UA
S. 29).
c) Angesichts dieser Diagnose und der zudem bei der Angeklagten vor-
liegenden kombinierten Persönlichkeitsstörung (UA S. 28) ist auch die von der
sachständig beratenen Strafkammer angenommene Therapiedauer von zwei
Jahren aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
2. Die Revision hat Erfolg.
Das Landgericht hat zwar an sich die Dauer des Vorwegvollzugs der
Freiheitsstrafe vor der Unterbringung nach der Maßgabe des § 67 Abs. 2 StGB
zutreffend bemessen. Es hat jedoch hiervon die zum Urteilszeitpunkt bereits
verbüßte Untersuchungshaft von zehn Monaten in Abzug gebracht und hat
deshalb einen Vorwegvollzug von noch einem Jahr und einem Monat angeord-
net. Dies ist rechtsfehlerhaft; denn die erlittene Untersuchungshaft ist für die
Bemessung der Dauer des Vorwegvollzugs ohne Bedeutung, sie ist vielmehr
gemäß § 51 StGB auf den nach § 67 Abs. 2 StGB vorweg zu vollstreckenden
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Teil der Strafe anzurechnen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2010
- 1 StR 642/10 mwN).
3. Der Senat setzt die Dauer des Vorwegvollzugs durch Beschluss
(§ 349 Abs. 4 StPO) selbst auf ein Jahr und elf Monate fest.
a) Da die Grundlagen der Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs
rechtsfehlerfrei festgestellt sind, kann der Senat den Urteilstenor entsprechend
§ 354 Abs. 1 StPO selbst abändern (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember
2010 - 1 StR 642/10 mwN). Ausgehend vom Zeitpunkt der Halbstrafe (vgl. § 67
Abs. 2 Satz 3 StGB) von drei Jahren und elf Monaten und einer Therapiedauer
von zwei Jahren beträgt die Dauer des festzusetzenden Vorwegvollzugs der
Freiheitsstrafe ein Jahr und elf Monate.
b) Der Senat kann durch Beschluss entscheiden (vgl. BGH, Beschluss
vom 14. Februar 2012 - 3 StR 7/12, NStZ 2012, 587 = BGHR § 349 Abs. 4 Re-
vision der Staatsanwaltschaft 2), da die auf Antrag der Staatsanwalt vorge-
nommene Korrektur der Dauer des Vorwegvollzugs zugunsten der Angeklag-
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ten ergeht, denn die gesetzlichen Regelungen über die Vollstreckungsreihen-
folge dienen auch der Sicherung des Therapieerfolgs (BGH, Beschluss vom
21. August 2007 - 3 StR 263/07 a.E.).
Raum Wahl Rothfuß
Jäger Cirener