Urteil des BGH vom 25.06.2009

BGH (kind, strafkammer, mutter, gesundheit, beziehung, tod, grund, wohnung, bewertung, rechtsmittel)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 186/09
vom
25. Juni 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Juni 2009,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
Dr. Mutzbauer
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des
Landgerichts Saarbrücken vom 19. Januar 2009 wird
verworfen.
2.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und
die der Nebenklägerin durch dieses entstandenen not-
wendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit To-
desfolge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt
und bestimmt, dass - wegen mehrerer Verfahrensverzögerungen - ein Jahr die-
ser Freiheitsstrafe als vollstreckt gilt. Gegen das Urteil richtet sich die auf die
Verletzung des sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das
Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
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1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getrof-
fen:
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Ab Dezember 2004 beaufsichtigten der Angeklagte und seine Freundin
Tanja C. mehrmals den am 13. August 2004 geborenen Jason, den
Sohn von Monja C. , der Schwester von Tanja C. . Der Angeklag-
te hatte eine sehr gute Beziehung zu dem Kind und ging liebevoll mit ihm um; er
wollte dessen Pate werden.
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Am 16. Februar 2005 brachte der Angeklagte das Kind, nachdem es bei
ihm und Tanja C. übernachtet hatte, gegen 14.00 Uhr zu seiner Mutter zu-
rück. Dort fiel Jason von einer etwa 18 cm hohen Matratze und schlug mit dem
Kopf auf dem Holzboden auf. Das Kind weinte anschließend, beruhigte sich
jedoch bald wieder.
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Die folgende Nacht schlief Jason erneut beim Angeklagten und Tanja
C. , die am nächsten Morgen gegen 7.00 Uhr die Wohnung verließ. Zwi-
schen 11.30 und 12.00 Uhr telefonierte der Angeklagte, der sich mit Jason al-
leine in der Wohnung aufhielt, mit dessen Mutter. Während des Telefonge-
sprächs begann Jason laut zu schreien. Der Angeklagte erklärte, dass er das
Telefonat beenden müsse, um das Kind zu beruhigen. Zum weiteren Verlauf
des Geschehens vermochte die Strafkammer keine detaillierten Feststellungen
zu treffen. Als erwiesen sah sie indes an, dass der Angeklagte das Kind nach
dem Telefonat „massiv hin- und herschüttelte, so dass dessen Kopf nach vorne
und hinten schlug“. Dabei war ihm bekannt und bewusst, „dass ein heftiges
Schütteln eines Kindes zu ganz massiven körperlichen Schäden“ bzw. zu einer
„erheblichen Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens des Kindes und
zu einer sogar lebensgefährlichen Beschädigung seiner Gesundheit“ führen
kann.
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Etwa gegen 13.00 Uhr rief der Angeklagte die Mutter von Jason an und
teilte ihr mit, dass dieser "reglos" sei. Monja C. forderte den Angeklag-
ten auf, das Kind anzupusten und leicht zu rütteln. Entsprechend war sie bereits
am 28. November 2004 verfahren, als das schlafende Kind plötzlich einen reg-
losen Eindruck machte, anschließend - auch bei einer ärztlichen Untersuchung
- aber wieder unauffällig war. Auf die Aufforderung von Monja C. entgegne-
te der Angeklagte, dass er dies bereits getan habe. Um 13.15 Uhr verständigte
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er - auf Bitte der Mutter hin - den Notarzt. Dieser lieferte Jason um 13.30 Uhr in
lebensbedrohlichem Zustand in eine Klinik ein. Dort wurden unter anderem ein
Schütteltrauma und ein beginnendes Hirnödem sowie mehrere ältere Hämato-
me diagnostiziert.
Am 2. März 2005 verstarb Jason infolge Versagens der zentralen Regu-
lation nach einer schweren Hirnschädigung.
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2. Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
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a) Die rechtliche Bewertung des Handelns des Angeklagten als vorsätzli-
che Körperverletzung (mit Todesfolge) weist entgegen der Ansicht der Revision
und des Generalbundesanwalts keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
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Zwar trifft es zu, dass sich sowohl die Feststellungen als auch die
Rechtsausführungen der Strafkammer ausdrücklich nur mit dem Wissensele-
ment des Körperverletzungsvorsatzes befassen. Der Senat entnimmt dem Urteil
aber, dass die Strafkammer vom Vorliegen auch des voluntativen Vorsatzele-
ments überzeugt war. Denn die Darlegungen des Landgerichts zum Fehlen die-
ses Vorsatzelements hinsichtlich des in Anklage und Eröffnungsbeschluss an-
genommenen Totschlags lassen keinen Zweifel daran zu, dass sich der Ange-
klagte bei seinem Handeln nach der Überzeugung der Strafkammer zwar mit
dem Tod des Kindes innerlich nicht abgefunden und diesen nicht akzeptiert hat,
dass er aber erkannt und gebilligt hat, dass Jason durch die „Gewaltanwen-
dung“ körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt wird. Hinzu
kommt, dass sich die Strafkammer im Rahmen ihrer Rechtsausführungen mit
dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 24. Juli 2003 (NStZ 2004, 201)
auseinandergesetzt und diesen teilweise sogar wörtlich übernommen hat. Diese
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Entscheidung befasst sich - neben dem Zeitpunkt - mit den Anforderungen an
das Wissens- und Wollenselement des Körperverletzungsvorsatzes bei § 227
StGB, der - so der 3. Strafsenat - bei einem einmaligen Schütteln eines Kindes
in affektiver Erregung und in einer erheblichen Stresssituation - anders als in
Fällen mehrfachen Schüttelns - zweifelhaft sein kann und der Erörterung in den
Urteilsgründen bedarf (aaO S. 202). Einen solchen Ausnahmefall hat die Straf-
kammer hier jedoch ausdrücklich verneint.
Die Bejahung des Körperverletzungsvorsatzes begegnet auf der Grund-
lage der von der Strafkammer getroffenen Feststellungen keinen Bedenken.
Insbesondere ist auf Grund der ausführlichen Erörterung bei der Prüfung des
Tötungsvorsatzes nicht zu besorgen, dass die Strafkammer bezüglich des Kör-
perverletzungsvorsatzes unbeachtet gelassen hat, dass der Angeklagte zu dem
Kind eine gute und liebevolle Beziehung hatte, es sich also bei der von ihm billi-
gend in Kauf genommenen Verletzung um einen unerwünschten Erfolg gehan-
delt haben mag.
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b) Das Rechtsmittel des Angeklagten hat auch mit der Erwägung des
Generalbundesanwalts, die Beweiswürdigung sei lückenhaft, weil sich die Straf-
kammer mit der Aussage der Zeugin M. nicht hinreichend auseinanderge-
setzt habe, keinen Erfolg.
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Nach den getroffenen Feststellungen räumte der Angeklagte am späten
Nachmittag oder Abend des 17. Februar 2005 gegenüber Sigrid M. , der
Großmutter von Jason, ein, dass er das Kind vor sich gehalten und so geschüt-
telt habe, „dass dessen Köpfchen 'hin- und her geflogen' sei“ und er gedacht
habe, „er müsse langsam machen, damit er ihm nicht das Genick breche“; be-
reits zuvor habe er „zu irgendeinem Zeitpunkt“ festgestellt, dass Jason nicht
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mehr atme; er habe ihm dann Wasser ins Gesicht geschüttet und ihn angepus-
tet, was nichts genützt habe. Von der Richtigkeit der Aussage der dieses Ge-
spräch bestätigenden Zeugin war die Strafkammer überzeugt; sie befasste sich
im Weiteren jedoch allein mit den Angaben des Angeklagten zum Schütteln des
Kindes und bewertete diese als weiteres Indiz, dessen es zu ihrer Überzeu-
gungsbildung indes nicht bedurft habe.
Hierin liegt kein Rechtsfehler. In der Hauptverhandlung bestritt der Ange-
klagte die von der Zeugin M. bekundeten Äußerungen und ließ sich dahin
ein, dass das Kind plötzlich ohnmächtig geworden sei, er habe es - unter ande-
rem - „ein wenig gerüttelt“ und gehört, dass Jason atme; noch unmittelbar vor
dem Notruf habe das Kind „tiefere Atemzüge getätigt und sich leicht erbrochen“.
Vor diesem Hintergrund sowie den Darlegungen des die Einlassung des Ange-
klagten und andere möglicherweise zum Tod des Kindes führende Ereignisse
ausführlich erörternden rechtsmedizinischen Sachverständigen war die Straf-
kammer nicht gehalten, sich mit der Aussage der Zeugin M. , der Angeklag-
te habe angegeben, dass das Kind nicht mehr geatmet habe, auseinanderzu-
setzen. Dies gilt umso mehr, als weder der Angeklagte selbst noch sein Vertei-
diger in der Hauptverhandlung einen Rettungswillen des Angeklagten geltend
gemacht haben. Anhaltspunkte für einen Notstand (§§ 34, 35 StGB) oder eine
rechtfertigende oder entschuldigende Pflichtenkollision bestanden nicht und
werden auch von der Revision des Angeklagten nicht aufgezeigt, die sich viel-
mehr - obwohl vom Landgericht eine besondere affektive Erregung des Ange-
klagten zur Tatzeit ausgeschlossen worden war - auf eine bei diesem beste-
hende Panik berief. Es wäre daher lediglich eine hypothetische - und auf Grund
der Feststellungen nicht gebotene - Erwägung, anzunehmen, der Angeklagte
sei davon ausgegangen, zu einem heftigen und lebensgefährlichen Schütteln
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des Kindes berechtigt oder verpflichtet zu sein, um eine Gefahr für das Kind
abzuwenden.
c) Auch im Übrigen weist das Urteil keinen Rechtsfehler auf. Insbesonde-
re liegt ein solcher nicht darin, dass die Strafkammer einen minder schweren
Fall der Körperverletzung mit Todesfolge abgelehnt hat, obwohl insofern eine
andere Bewertung ebenfalls möglich gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom
12. Mai 2005 - 5 StR 86/05 m.w.N.). Hierauf würde zudem der Strafausspruch
nicht beruhen.
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Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Mutzbauer