Urteil des BGH vom 25.10.2006

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 102/06 Verkündet
am:
25. Oktober 2006
E r m e l ,
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB §§ 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 278
Der Mieter ist im Rahmen von § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB auch für das schuldhafte Ver-
halten eines Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB verantwortlich; die ordentliche Kün-
digung des Vermieters wegen einer nicht unerheblichen Vertragsverletzung setzt
nicht ein eigenes schuldhaftes Verhalten des Mieters voraus.
Ein Mieterschutzverein, der den Mieter bei der Entscheidung darüber berät, ob er von
einem Zurückbehaltungsrecht an der Miete Gebrauch machen soll, ist Erfüllungsge-
hilfe des Mieters bei der Erfüllung der Verpflichtung zur Entrichtung der Miete.
BGH, Urteil vom 25. Oktober 2006 - VIII ZR 102/06 - LG Bochum
AG
Herne-Wanne
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 25. Oktober 2006 durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richter Wie-
chers und Dr. Frellesen sowie die Richterinnen Hermanns und Dr. Hessel
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 5. Zivilkammer
des Landgerichts Bochum vom 24. März 2006 aufgehoben. Die
Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Herne-
Wanne vom 14. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.
Die Beklagten haben die Kosten der Rechtsmittelzüge zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagten sind aufgrund eines Mietvertrages vom 3. Juni 2000 Mie-
ter einer nicht preisgebundenen Wohnung der Klägerin. Die zuletzt vereinbarte
Miete beträgt 577,08 €. Darin sind monatlich zu leistende Vorauszahlungen auf
die Betriebskosten in Höhe von 157,82 € enthalten, die die Beklagten für die
Zeit von März 2004 bis Januar 2005 nicht erbrachten. Wegen des dadurch ent-
standenen Rückstandes in Höhe von 1.736,02 € kündigte die Klägerin das
Mietverhältnis mit Schreiben vom 1. Februar 2005 zum 30. April 2005.
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Die Klägerin verlangt von den Beklagten die Räumung und Herausgabe
der Wohnung. Die Beklagten haben eingewandt, sie hätten die Nebenkosten-
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vorauszahlungen auf Empfehlung des Mieterschutzvereins H. zurückbehal-
ten, weil die Klägerin trotz wiederholter Aufforderungen keine Rechnungsbelege
zu den Nebenkostenabrechnungen für die Jahre 2001 bis 2003 übersandt ha-
be. Nach Klageerhebung am 25. Mai 2005 wurden die Beklagten in einem an-
deren Verfahren zur Leistung der rückständigen Betriebskosten verurteilt; sie
zahlten den Betrag von 1.736,02 € daraufhin am 11. Juli 2005.
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Be-
klagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsge-
richt zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des
erstinstanzlichen Urteils.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausge-
führt:
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Die Klägerin habe gegenüber den Beklagten keinen Anspruch auf Räu-
mung der Wohnung. Die ordentliche Kündigung der Klägerin vom 1. Februar
2005 habe das Mietverhältnis nicht beendet. Dafür sei gemäß § 573 BGB ein
berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnis-
ses erforderlich, das insbesondere dann vorliege, wenn der Mieter seine ver-
traglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt habe (§ 573 Abs. 2
Nr. 1 BGB).
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Zwar liege eine nicht unerhebliche Pflichtverletzung der Beklagten darin,
dass sie durch die Zurückbehaltung der Nebenkostenvorauszahlungen in Höhe
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von 1.736,02 € mit einem Betrag von mehr als zwei Monatsmieten in Zahlungs-
rückstand geraten seien (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB). Ein Zurückbehal-
tungsrecht habe ihnen nicht zugestanden, weil sie nicht berechtigt gewesen
seien, die Übersendung von Belegen für die Nebenkostenabrechnungen zu ver-
langen. Die Kündigung der Klägerin sei auch nicht durch die Zahlung des rück-
ständigen Betrags seitens der Beklagten am 11. Juli 2005 unwirksam gewor-
den, weil die Vorschrift des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB, nach der eine Kündigung
unwirksam werde, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Mo-
naten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich
der fälligen Miete befriedigt werde, im Fall einer ordentlichen Kündigung nach
§ 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB keine Anwendung finde.
Die Beklagten hätten jedoch nicht schuldhaft gehandelt. Ein eigenes
Verschulden liege nicht vor, weil sie aufgrund der Empfehlung des Mieter-
schutzvereins H. von einem Zurückbehaltungsrecht an den Nebenkosten-
vorauszahlungen hätten ausgehen dürfen. Ein Verschulden des Mieterschutz-
vereins brauchten die Beklagten sich nicht gemäß § 278 BGB zurechnen zu
lassen, weil § 278 BGB im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht anwend-
bar sei. Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Miet-
verhältnisses könne sich nur aus einem persönlichen Fehlverhalten des Mieters
ergeben. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB setze deshalb ein eigenes Verschulden des
Mieters voraus.
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II.
Die Revision hat Erfolg. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Räumung
und Herausgabe der von den Beklagten gemieteten Wohnung zu (§ 546 Abs. 1
BGB). Ihre ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses vom 1. Februar 2005
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ist gemäß § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam. Das Berufungsgericht hat ein be-
rechtigtes Interesse der Klägerin an der Beendigung des Mietverhältnisses zu
Unrecht verneint. Die Beklagten haben ihre vertraglichen Pflichten schuldhaft
nicht unerheblich verletzt (§ 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB).
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1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der
mehr als zwei Monate andauernde Verzug mit der Entrichtung von Betriebs-
kostenvorauszahlungen in Höhe eines Betrages, der – wie hier – die Bruttomie-
te von zwei Monaten überschreitet, eine nicht unerhebliche Pflichtverletzung
eines Mieters im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB darstellt. Gemäß § 543
Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b BGB berechtigt dieser Umstand
den Vermieter sogar zu einer außerordentlichen Kündigung aus wichtigem
Grund. Nach Auffassung des Gesetzgebers handelt es sich bei einem solchen
Verhalten also um eine erhebliche Pflichtverletzung, die die Fortsetzung des
Mietverhältnisses für den Vermieter regelmäßig als unzumutbar erscheinen
lässt. Es begründet daher jedenfalls ein berechtigtes Interesse des Vermieters
an der Beendigung des Mietverhältnisses nach § 573 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2
Nr. 1 BGB (Palandt/Weidenkaff, BGB, 65. Aufl., § 573 Rdnr. 16; Schmidt-
Futterer/Blank, Mietrecht, 8. Aufl., § 573 BGB Rdnr. 26).
Verzug mit der Entrichtung von Betriebskostenvorauszahlungen in Höhe
von 1.736,02 € lag hier im Zeitpunkt der Kündigung am 1. Februar 2005 – vor-
behaltlich eines Verschuldens der Beklagten (siehe dazu unten unter 2) – vor.
Ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 Abs. 1 BGB wegen der Forderung
nach Übersendung von Belegen für die Nebenkostenabrechnungen der Jahre
2001 bis 2003 stand den Beklagten nicht zu. Wie der Senat durch Urteil vom
8. März 2006 (VIII ZR 78/05, NJW 2006, 1419 unter II A 1 a bb (2)) entschieden
hat, hat der Mieter preisfreien Wohnraums grundsätzlich keinen Anspruch ge-
gen den Vermieter auf Überlassung von Fotokopien der Abrechnungsbelege
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zur Betriebskostenabrechnung, sondern kann er zum Zwecke der Überprüfung
der Abrechnung nur Einsichtnahme in die Abrechnungsunterlagen verlangen.
Dass den Beklagten die Einsichtnahme in den Räumen der Vermieterin ver-
wehrt worden wäre oder dass sie ihnen ausnahmsweise nicht zuzumuten ge-
wesen wäre, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt und macht auch die
Revisionserwiderung nicht geltend.
Dass die Beklagten den Zahlungsrückstand am 11. Juli 2005 und damit
innerhalb von zwei Monaten nach Erhebung der Räumungsklage am 25. Mai
2005 ausgeglichen haben, beseitigt die Wirksamkeit der auf den Verzug ge-
stützten ordentlichen Kündigung nicht. Die Regelung des § 569 Abs. 3 Nr. 2
Satz 1 BGB, der zufolge eine außerordentliche fristlose Kündigung nach § 543
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB unwirksam wird, wenn der Vermieter spätestens bis
zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räu-
mungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete befriedigt wird, gilt, wie auch das
Berufungsgericht richtig gesehen hat, nicht für die ordentliche Kündigung nach
§ 573 Abs. 1 Satz 1 BGB (Senat, Urteil vom 16. Februar 2005 – VIII ZR 6/04,
WuM 2005, 250 unter II 2).
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2. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht jedoch ein Verschulden der
Beklagten im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB verneint.
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a) Dabei ist allerdings seine Beurteilung, die Beklagten treffe kein eige-
nes Verschulden, entgegen der Ansicht der Revision aus Rechtsgründen nicht
zu beanstanden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind
zwar an das Vorliegen eines unverschuldeten Rechtsirrtums strenge Maßstäbe
anzulegen. Der Schuldner muss die Rechtslage sorgfältig prüfen, soweit erfor-
derlich Rechtsrat einholen und die höchstrichterliche Rechtsprechung sorgfältig
beachten (BGH, Urteil vom 12. Juli 2006 – X ZR 157/05, BB 2006, 1819 unter II
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3 c; Senatsurteil vom 4. Juli 2001 – VIII ZR 279/00, NJW 2001, 3114 unter II 3 d
m.w.Nachw.).
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Diesen Anforderungen haben die Beklagten jedoch genügt. Sie selbst
befanden sich in einem unvermeidbaren Rechtsirrtum darüber, dass das Ver-
langen nach Belegen für die Nebenkostenabrechnungen sie nicht zur Zurück-
behaltung der laufenden Betriebskostenvorschüsse berechtigte. Nach den un-
angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts sind sie einer Empfehlung
des Mieterschutzvereins gefolgt, die Betriebskostenvorschüsse bis zur Über-
sendung der Belege zurückzuhalten. Sie durften sich auf die Kompetenz des
Mieterschutzvereins, zu dessen satzungsgemäßen Aufgaben die Beratung in
Mietrechtsangelegenheiten gehört, verlassen (Schmidt-Futterer/Blank, aaO,
§ 543 BGB Rdnr. 97) und hatten keinen Anlass, an dem erteilten Rat zu zwei-
feln.
b) Die Revision macht jedoch zu Recht geltend, dass der Mieter im
Rahmen von § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB entgegen der Auffassung des Berufungs-
gerichts auch für das schuldhafte Verhalten eines Erfüllungsgehilfen nach § 278
BGB verantwortlich ist. Das entspricht der ganz herrschenden Auffassung in
Rechtsprechung und Schrifttum, die der Senat teilt (OLG Köln, ZMR 1998, 763,
766 = WuM 1998, 23, 24; LG Berlin, NZM 1998, 573 = ZMR 1998, 231 unter II;
Schmidt-Futterer/Blank, aaO, § 573 BGB Rdnrn. 19 und 31 i.V.m. § 543 BGB
Rdnr.
97; Palandt/Weidenkaff, aaO, § 573 Rdnr. 14; MünchKommBGB/
Häublein, 4.
Aufl., §
573 Rdnr.
64; Staudinger/Rolfs, BGB, 2003, §
573
Rdnr. 33; Reick in Bamberger/Roth, BGB, § 573 Rdnr. 23; Barthelmess, Wohn-
raumkündigungsschutzgesetz, Miethöhegesetz, 5. Aufl., § 564b BGB Rdnr. 57;
Grapentin in Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete,
3. Aufl., IV Rdnr. 63 f.; Haug in Emmerich/Sonnenschein, Miete, 8. Aufl., § 573
Rdnr. 22; Lammel, Wohraummietrecht, 2. Aufl., § 573 BGB Rdnr. 58; Krenek, in
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Müller/Walther, Miet- und Pachtrecht, Stand August 2006, C § 573 Rdnr. 20;
Wenger, MDR 2000, 1239). Die dagegen vom Kammergericht (Rechtsentscheid
vom 15. Juni 2000, NJW-RR 2000, 1397; vgl. auch Rechtsentscheid vom
11. Dezember 1997, NZM 1998, 110) erhobenen Bedenken, die sich das Beru-
fungsgericht zu Eigen gemacht hat, sind nicht berechtigt.
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aa) Der Wortlaut von § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB (entspricht § 564b Abs. 2
Nr. 1 BGB in der bis zum 31. August 2001 geltenden Fassung) schließt eine
Anwendung von § 278 BGB jedenfalls nicht aus, auch wenn er ein schuldhaftes
Verhalten des Mieters und nicht ein Vertretenmüssen der Pflichtverletzung
durch den Mieter voraussetzt. Denn gemäß § 278 BGB ist der Schuldner für ein
Verschulden seines Erfüllungsgehilfen in gleichem Umfang verantwortlich wie
für ein eigenes Verschulden. Zu vertreten hätte er dagegen über ein eigenes
oder ein ihm nach § 278 BGB zuzurechnendes Verschulden eines Dritten hin-
aus auch eine (unverschuldete) finanzielle Leistungsunfähigkeit (BGHZ 107, 92,
102 m. w. Nachw.) oder bloßen Zufall (etwa im Fall des § 287 Satz 2 BGB).
bb) Die vom Kammergericht weiter als Argument herangezogene Vor-
schrift des § 553 BGB (in der bis zum 31. August 2001 geltenden Fassung)
– die zugunsten des Vermieters ausdrücklich ein (außerordentliches) Kündi-
gungsrecht für den Fall vorsah, dass derjenige, welchem der Mieter den
Gebrauch der gemieteten Sache überlassen hat, ungeachtet einer Abmahnung
des Vermieters einen vertragswidrigen Gebrauch der Sache fortsetzt – ist in-
zwischen außer Kraft getreten. Ihr Regelungsgehalt ist insoweit nicht in die
Nachfolgenorm des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB übernommen worden, so
dass ihr schon deshalb im Rahmen einer systematischen Auslegung keine Be-
deutung mehr zukommen kann.
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cc) Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 573 Abs. 2 Nr. 1
BGB auf ein eigenes schuldhaftes Verhalten des Mieters ist ferner nicht mit
Rücksicht auf Sinn und Zweck der Regelung wegen des in Absatz 1 geforderten
berechtigten Interesses des Vermieters an der Kündigung veranlasst. Ein sol-
ches kann sich zum Beispiel auch aus einem schuldhaften erheblichen Fehl-
verhalten eines in der Wohnung lebenden – und im Hinblick auf den vertrags-
gemäßen Gebrauch der Sache als Erfüllungsgehilfe anzusehenden – Familien-
angehörigen des Mieters ergeben, selbst wenn den Mieter persönlich daran
kein Verschulden trifft. Das besondere Interesse an der Beendigung des Miet-
verhältnisses wird in diesen Fällen dadurch begründet, dass die Beeinträchti-
gung aus dem allgemeinen Einflussbereich des Mieters herrührt. Dafür, dass
dennoch ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des
Mietverhältnisses nur bei einer Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwi-
schen Vermieter und Mieter gerade durch ein persönliches Fehlverhalten des
letzteren bestehen soll, wie das Berufungsgericht meint, bietet § 573 Abs. 2
Nr. 1 BGB keine Stütze. Dem entgegenstehenden Bestandsinteresse des Mie-
ters, dessen Lebensmittelpunkt die Mietwohnung ist und für den ein Umzug mit
nicht unbeträchtlichen Kosten und Unzuträglichkeiten verbunden ist, trägt die
Vorschrift dadurch Rechnung, dass nicht schon jede Pflichtverletzung eine or-
dentliche Kündigung rechtfertigt, sondern eine nicht unerhebliche Verletzung
vertraglicher Pflichten vorliegen muss.
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Die vom Kammergericht und von der Revisionserwiderung gezogene Pa-
rallele zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 5. Februar 1959
(BGHZ 29, 275), in der ausgesprochen ist, dass der Ausgleichsanspruch des
Handelsvertreters nach § 89b Abs. 3 Satz 2 (jetzt § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB)
grundsätzlich nur wegen eines eigenen schuldhaften Verhaltens, nicht wegen
eines Verschuldens seiner Angestellten entfällt, ist nicht gerechtfertigt. Aus den
Voraussetzungen, unter denen nach dem Grundgedanken von § 89b HGB der
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Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters ausgeschlossen ist, lässt sich nichts
für die Frage herleiten, in welchen Fällen ein berechtigtes Interesse des Ver-
mieters an einer ordentlichen Kündigung eines Mietverhältnisses bestehen
kann.
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3. Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als
richtig dar (§ 561 ZPO).
a) Die Beklagten haben sich des von ihnen eingeschalteten Mieter-
schutzvereins im Sinne von § 278 BGB bezüglich der Erfüllung ihrer mietver-
traglichen Verpflichtung zur monatlichen Entrichtung von Betriebskostenvor-
schüssen bedient. Die Zurechnung eines Verschuldens des Mieterschutzver-
eins nach § 278 BGB scheitert daher nicht an einer fehlenden Erfüllungsgehil-
feneigenschaft.
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Erfüllungsgehilfe ist, wer nach den tatsächlichen Verhältnissen des ge-
gebenen Falles mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung der diesem
obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird (BGHZ 13, 111,
113; st.Rspr.). Der Mieterschutzverein ist allerdings nicht zur Ausführung der
eigentlichen Erfüllungshandlung, der Zahlung der Betriebskostenvorschüsse,
tätig geworden, sondern hat die Beklagten in rechtlicher Hinsicht bei der Ent-
scheidung darüber beraten, ob erfüllt werden oder von einem Zurückbehal-
tungsrecht Gebrauch gemacht werden soll. Es ist umstritten, ob ein in dieser
Weise mitwirkender Rechtsberater als Erfüllungsgehilfe anzusehen sein kann.
Teilweise wird die Auffassung vertreten, der Beratene hafte nur für ein Aus-
wahlverschulden (Erman/Battes, BGB, 10. Aufl., § 285 Rdnr. 5; LG Karlsruhe,
WuM 1990, 294); nach überwiegender Ansicht hat er dagegen für ein Verschul-
den seines Rechtsberaters, auch eines Rechtsanwalts, nach § 278 BGB einzu-
stehen (BGH, Urteil vom 12. Juli 2006, aaO; BAG, ZIP 1987, 1339 unter B IV 2
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b; Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., § 285 Rdnr. 13; Staudinger/Löwisch,
BGB (2004), § 286 Rdnr. 163; Fischer, ZMR 1994, 309, 311; Kinne in Kin-
ne/Schach/Bieber, Miet- und Mietprozessrecht, 4. Aufl., § 543 Rdnr. 87; Münch-
KommBGB/Häublein, aaO, § 573 Rdnr. 64; Lammel, aaO, § 573 Rdnr. 58;
Schmidt-Futterer/Blank, aaO, § 543 BGB, Rdnr. 97; OLG Köln, aaO; vgl. auch
LG Berlin, aaO).
Der Senat teilt die herrschende Meinung, weil nur sie eine angemessene
Risikoverteilung zwischen Gläubiger und Schuldner ermöglicht und eine unge-
rechtfertigte Privilegierung des Beraters verhindert (vgl. auch BGHZ 58, 207,
211). Müsste der Schuldner nur für eine sorgfältige Auswahl des Beraters haf-
ten, ginge eine etwaige Falschberatung durch diesen zulasten des Gläubigers,
der an dem Beratungsverhältnis nicht beteiligt ist und dem auch kein Scha-
densersatzanspruch gegen den Berater zustünde, während der Schuldner da-
durch geschützt ist, dass er bei seinem Rechtsberater Regress nehmen kann.
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b) Den von den Beklagten zu Rate gezogenen Mieterschutzverein trifft
der Vorwurf schuldhaften Verhaltens im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Das
gilt unabhängig davon, ob sich der für den Mieterschutzverein Handelnde sei-
nerseits in einem Rechtsirrtum befand oder ob er den Beklagten in Kenntnis
einer ungeklärten Rechtslage geraten hat, die vertraglich geschuldeten Be-
triebskostenvorschüsse wegen der fehlenden Übersendung von Belegen zu
den Nebenkostenabrechnungen zurückzuhalten.
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aa) Wie oben (unter 2 a) bereits ausgeführt, sind nach höchstrichterlicher
Rechtsprechung an das Vorliegen eines unverschuldeten Rechtsirrtums grund-
sätzlich strenge Maßstäbe anzulegen. Der Schuldner muss die Rechtslage un-
ter Einbeziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sorgfältig prüfen. Ent-
schuldigt ist ein Rechtsirrtum nur dann, wenn der Irrende bei Anwendung der im
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Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerich-
te nicht zu rechnen brauchte (BGH, Urteil vom 12. Juli 2006, aaO; Urteil vom
26. Januar 1983 – IVb ZR 351/81, NJW 1983, 2318 unter B II 2 b; Urteil vom
18. April 1974 – KZR 6/73, NJW 1974, 1903 unter III). Bei einer zweifelhaften
Rechtsfrage handelt bereits fahrlässig, wer sich erkennbar in einem Grenzbe-
reich des rechtlich Zulässigen bewegt, in dem er eine von der eigenen Ein-
schätzung abweichende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit des fraglichen
Verhaltens in Betracht ziehen muss (BGH, Urteil vom 18. Dezember 1997
– I ZR 79/95, NJW 1998, 2144 unter II 1). Der Schuldner darf nicht das Risiko
einer zweifelhaften Rechtslage dem Gläubiger zuschieben (BGH, Urteil vom
16. Dezember 1986 - KZR 36/85, GRUR 1987, 564 unter 3; Urteil vom 7. März
1972 - VI ZR 169/70, WM 1972, 589 unter II 2).
Nach diesen Maßstäben war die Beratung durch den Mieterschutzverein
dahingehend, dass den Beklagten wegen der fehlenden Übersendung von Be-
legen zu den Nebenkostenabrechnungen durch die Klägerin ein Zurückbehal-
tungsrecht an den laufenden Betriebskostenvorauszahlungen zustand, schuld-
haft falsch. Bis zu der Entscheidung des Senats vom 8. März 2006 (aaO), die
erst nach dem hier maßgeblichen Zeitraum von März 2004 bis Januar 2005 er-
gangen ist, war in der Rechtsprechung der Berufungsgerichte und im Schrifttum
umstritten, ob dem Mieter ein Anspruch auf Übermittlung von Fotokopien der
Abrechnungsbelege zusteht oder ob er nur verlangen kann, in die Abrech-
nungsunterlagen Einsicht zu nehmen (vgl. die Nachweise im Senatsurteil vom
8. März 2006, aaO, unter II A 1 a bb), ohne dass sich insoweit eine als herr-
schend anzusehende oder gar ganz überwiegend vertretene Meinung heraus-
gebildet hatte. Höchstrichterliche Rechtsprechung lag zu dieser Frage noch
nicht vor. In dieser Situation durfte der Mitarbeiter des Mieterschutzvereins nicht
darauf vertrauen, der Mieter werde mit der Rechtsauffassung, Übersendung
von Belegen verlangen und deshalb bis zur Erfüllung seiner Forderung die ge-
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schuldete Miete oder Betriebskostenvorauszahlungen zurückhalten zu dürfen,
im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung Erfolg haben. Deshalb handel-
te er fahrlässig, wenn er dem Mieter in Kenntnis der ungeklärten Rechtslage zu
der Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts riet. Beruhte der Rat dagegen
darauf, dass dem Mitarbeiter des Mieterschutzvereins die ungeklärte Streitfrage
unbekannt war, hat er schon deshalb fahrlässig gehandelt, weil er die gebotene
sorgfältige Prüfung der Rechtslage unterlassen hat.
bb) Es besteht kein Grund, im Rahmen der Kündigungsregelung des
§ 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB bei den Sorgfaltsanforderungen an den Schuldner im
Zusammenhang mit seiner Verpflichtung zur Mietzahlung einen geringeren
Maßstab anzulegen als etwa im Rahmen der Schadensersatzhaftung nach den
§§ 280 ff. BGB. Allerdings wird teilweise die Auffassung vertreten, das Risiko
der fehlerhaften Beurteilung einer streitigen Rechtsfrage sei – abweichend vom
Grundsatz (Urteil vom 18. April 1974 aaO) – nicht dem Mieter als Schuldner,
sondern dem Vermieter als Gläubiger aufzuerlegen, soweit ein Kündigungs-
recht des Vermieters in Rede stehe (Schmidt-Futterer/Blank, aaO, § 543 BGB
Rdnr. 97; LG Hagen, WuM 1988, 58, noch zu § 564b Abs. 2 Nr. 1 BGB a.F.;
vgl. auch Haug, in Emmerich/Sonnenschein, aaO, § 573 Rdnr. 22; Sternel,
Mietrecht, 3. Aufl., IV Rdnr. 406; a. A. Fischer, ZMR 1994, 309, 310). Dem ist
nicht zu folgen.
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Abgesehen davon, dass es dem Mieter nicht generell unzumutbar ist, bei
einer infolge von streitigen Rechtsfragen unklaren Rechtslage die vertraglich
vereinbarte Miete zumindest unter Vorbehalt (MünchKommBGB/Häublein, aaO,
§ 573 Rdnr. 64) oder auf ein Anderkonto zu zahlen, um einer Kündigung zu
entgehen, greift § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB erst bei einer nicht unerheblichen Ver-
tragsverletzung des Mieters ein. Die für den Mieter schwerwiegende Kündi-
gungsfolge ist also bereits im Rahmen der objektiven Tatbestandsmerkmale an
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engere Voraussetzungen geknüpft als die allgemeine Haftung nach den
§§ 280 ff. BGB. Er braucht, selbst wenn er die geschuldete Miete oder – wie
hier – geschuldete Betriebskostenvorauszahlungen fahrlässig nicht leistet, eine
Kündigung nicht zu befürchten, solange der sich letztlich als unberechtigt er-
weisende Zahlungsrückstand in zeitlicher Hinsicht und im Hinblick auf seine
Höhe noch als unerhebliche Vertragsverletzung anzusehen ist. Insoweit besteht
deshalb kein Grund, zur Vermeidung der Kündigungsfolge zusätzlich die Sorg-
faltsanforderungen an den Mieter zu senken. Eine – wie hier – nicht mehr als
unerheblich anzusehende Pflichtverletzung durch einen Zahlungsrückstand in
Höhe von mehr als zwei Monatsmieten hat eine spürbare Gefährdung der Inte-
ressen des Vermieters zur Folge, der das Insolvenzrisiko des Mieters zu tragen
hat. Es ist nicht ersichtlich, warum ihm in diesem Fall nicht auch ein Kündi-
gungsrecht zustehen sollte, wenn sich herausstellt, dass der Mieter zu Unrecht
einen erkennbar ungesicherten Rechtsstandpunkt eingenommen hat.
c) Aus dem Senatsurteil vom 16. Februar 2005 (aaO, unter II 2 d cc)
lässt sich entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung zugunsten der
Beklagten ebenfalls nichts herleiten. Sie haben zwar inzwischen den Zahlungs-
rückstand ausgeglichen. Die Beklagten haben jedoch mit der Zahlung zugewar-
tet, bis sie dazu vom Amtsgericht verurteilt worden sind, die streitige Rechtsfra-
ge also jedenfalls durch die erste Instanz zu ihren Ungunsten entschieden wor-
den war. Gleichzeitig wussten sie, dass die Klägerin ihre Rechtsauffassung
nicht teilte und auch nicht bereit war, die Sache bis zu einer gerichtlichen Ent-
scheidung über die Zahlungspflicht auf sich beruhen zu lassen; denn sie hatte
wegen des Zahlungsrückstands im Februar 2005 die Kündigung erklärt und
nach Ablauf der Kündigungsfrist auch bereits die vorliegende Räumungsklage
erhoben. Die Beklagten sind demnach zumindest vom Zeitpunkt der Kündigung
durch die Klägerin an bewusst das Risiko einer von ihrem Rechtsstandpunkt
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abweichenden gerichtlichen Beurteilung der Streitfrage eingegangen und haben
erst gezahlt, nachdem sich dieses Risiko verwirklicht hatte.
III.
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Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Der Se-
nat kann in der Sache selbst entscheiden, weil es weiterer tatsächlicher Fest-
stellungen nicht bedarf (§ 563 Abs. 3 ZPO). Auf die Revision der Klägerin ist
daher das Berufungsurteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen
das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.
Ball
Wiechers
Dr. Frellesen
Hermanns
Dr. Hessel
Vorinstanzen:
AG Herne-Wanne, Entscheidung vom 14.10.2005 - 14 C 216/05 -
LG Bochum, Entscheidung vom 24.03.2006 - 5 S 277/05 -