Urteil des BGH vom 27.02.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 6/13
vom
27. Februar 2013
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG §§ 17 Abs. 2, 39, 117 Abs. 5; ZPO § 233 D
a) Enthält die Beschwerdeentscheidung eines Oberlandesgerichts in einer Fa-
milienstreitsache, mit der die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zu-
gelassen worden ist, nicht die gemäß § 39 FamFG erforderliche Rechts-
behelfsbelehrung, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur
bei Kausalität zwischen der fehlenden Rechtsbehelfsbelehrung und der Frist-
versäumung in Betracht (Fortführung der Senatsbeschlüsse vom 13. Juni
2012 - XII ZB 592/11 - FamRZ 2012, 1287 und vom 23. Juni 2010
- XII ZB 82/10 - FamRZ 2010, 1425 Rn. 11).
b) An dieser Kausalität fehlt es nicht nur bei einem anwaltlich vertretenen Betei-
ligten, sondern auch bei einer Behörde, die sich im Verfahren vor dem Bun-
desgerichtshof von einem Beschäftigten mit der Befähigung zum Richteramt
vertreten lässt (im Anschluss an BGH Beschluss vom 23. November 2011
- IV ZB 15/11 - FamRZ 2012, 367).
BGH, Beschluss vom 27. Februar 2013 - XII ZB 6/13 - OLG Oldenburg
AG Nordhorn
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Februar 2013 durch
den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Dr. Vézina und die Richter
Dr. Klinkhammer, Dr. Günter und Dr. Botur
beschlossen:
Der Antrag des Antragsgegners auf Wiedereinsetzung in den vori-
gen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der
Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 13. Zivilsenats
- 4. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg
vom 29. November 2012 wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde gegen den vorgenannten Beschluss wird
auf Kosten des Antragsgegners als unzulässig verworfen.
Beschwerdewert: 10.416
Gründe:
I.
Durch Beschluss vom 29. November 2012 hat das Oberlandesgericht als
Beschwerdegericht die Zwangsvollstreckung aus einem Unterhaltstitel, aus dem
der antragsgegnerische Landkreis aus übergegangenem Recht die Zwangsvoll-
streckung gegen den Antragsteller betrieb, teilweise für unzulässig erklärt. Die
Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss, der keine Rechtsbehelfsbelehrung
enthält, hat das Oberlandesgericht zugelassen.
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Die Entscheidung ist dem Antragsgegner am 30. November 2012 zuge-
stellt worden. Am Mittag des 21. Dezember 2012 (Freitag) hat der Antragsgeg-
ner vorab per Telefax bei dem Oberlandesgericht eine von einem Beschäftigten
mit Befähigung zum Richteramt unterzeichnete Rechtsbeschwerdeschrift nebst
Begründung eingereicht; das Original dieses Schriftsatzes ist am 28. Dezember
2012 (Freitag) bei dem Oberlandesgericht eingegangen. Am 3. Januar 2013 hat
der Vorsitzende des Beschwerdesenats die Übersendung der Akten an den
Bundesgerichtshof verfügt und dem Antragsgegner mitgeteilt, dass die Rechts-
beschwerdeschrift bei dem Bundesgerichtshof einzureichen gewesen wäre und
eine vorherige Weiterleitung der Rechtsbeschwerdeschrift an das Rechtsbe-
schwerdegericht aufgrund der Weihnachtsfeiertage im geordneten Geschäfts-
gang nicht mehr möglich gewesen sei.
Die Rechtsmittelschrift ist mit den Verfahrensakten am 7. Januar 2013
bei dem Bundesgerichtshof eingegangen; mit Schriftsatz vom 10. Januar 2013
beantragt der Antragsgegner Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die
Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist.
II.
1. Die nach § 70 Abs. 1 FamFG statthafte Rechtsbeschwerde ist als un-
zulässig zu verwerfen, weil sie nicht binnen der Notfrist von einem Monat nach
der am 30. November 2012 erfolgten Zustellung des Beschlusses des Oberlan-
desgerichts, mithin spätestens am 31. Dezember 2012 (Montag), bei dem Bun-
desgerichtshof eingelegt worden ist.
2. Der Wiedereinsetzungsantrag vom 10. Januar 2013 ist zurückzuwei-
sen, weil der Antragsgegner nicht ohne sein Verschulden verhindert war, die
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Notfrist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde einzuhalten (§ 117 Abs. 5 FamFG
i.V.m. § 233 ZPO). Diese Beurteilung wird weder durch die fehlende Rechts-
behelfsbelehrung noch durch die Behandlung des Rechtsbeschwerdeschriftsat-
zes im Geschäftsbetrieb des Oberlandesgerichts in Frage gestellt.
a) Richtig ist im Ausgangspunkt, dass nach der Rechtsprechung des Se-
nats die Verpflichtung des Gerichts zur Erteilung einer Rechtsbehelfsbelehrung
unterschiedslos für alle nach dem FamFG geführten Verfahren besteht und in
entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 2 FamFG auch in Ehesachen und
Familienstreitsachen ein Fehlen des Verschuldens vermutet wird, wenn die er-
forderliche Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist (vgl. Se-
natsbeschluss vom 13. Juni 2012 - XII ZB 592/11 - FamRZ 2012, 1287 Rn. 7).
aa) Allerdings kommt auch unter der Geltung des § 17 Abs. 2 FamFG ei-
ne Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur dann in Betracht, wenn die feh-
lende oder unvollständige Rechtsbehelfsbelehrung für die Fristversäumnis ur-
sächlich geworden ist. An einer solchen Ursächlichkeit fehlt es in denjenigen
Fällen, in denen der Beteiligte wegen vorhandener Kenntnis über seine
Rechtsmittel keiner Unterstützung durch eine Rechtsmittelbelehrung bedarf;
dies ist bei einem anwaltlich vertretenen Beteiligten regelmäßig der Fall (Se-
natsbeschlüsse vom 13. Juni 2012 - XII ZB 592/11 - FamRZ 2012, 1287 Rn. 8
und vom 23. Juni 2010 - XII ZB 82/10 - FamRZ 2010, 1425 Rn. 11).
bb) Die Grundsätze dieser Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof
auch auf Behörden angewendet, die ein gerichtliches Verfahren in einem ihnen
zugewiesenen Aufgabenkreis führen. Es obliegt grundsätzlich der Behörde,
durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass ihre mit
der Sachbearbeitung betrauten Mitarbeiter die für die Erfüllung ihrer täglichen
Aufgaben benötigten Rechtskenntnisse erwerben (BGH Beschluss vom 23. No-
vember 2011 - IV ZB 15/11 - FamRZ 2012, 367 Rn. 12 f.) oder die Vorgänge in
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Zweifelsfällen einem Beschäftigten vorgelegt werden, der über die erforderli-
chen Rechtskenntnisse verfügt.
Familiengerichtliche Verfahren im Zusammenhang mit der Geltendma-
chung und Beitreibung übergegangener Unterhaltsansprüche gehören zweifel-
los zu den wiederkehrend anfallenden Vorgängen im Geschäftsbereich eines
Landkreises als Träger öffentlicher Sozialleistungen. Auch der Hinweis darauf,
dass von dem Antragsgegner in den letzten zehn Jahren noch kein Rechtsbe-
schwerdeverfahren in einer Familiensache vor dem Bundesgerichtshof eingelei-
tet worden sei, rechtfertigt hier keine andere Beurteilung. In Familiensachen
und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit können sich Behörden und
juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur
Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse gemäß § 10
Abs. 4 Satz 2 FamFG bzw. § 114 Abs. 3 Satz 2 FamFG vor dem Bundesge-
richtshof (nur) durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt vertreten las-
sen. Mit der Einführung einer besonderen juristischen Qualifikation des Behör-
denvertreters in den Verfahren vor dem Bundesgerichtshof sollten gerade die
zur Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens erforderlichen "hohen
Rechtskenntnisse" sichergestellt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Juli
2010 - XII ZB 149/10 - FamRZ 2010, 1544 Rn. 9 mit Hinweis auf die Begrün-
dung zum Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechtes; BT-Drucks.
16/3655 S. 85, dort zu § 78 Abs. 2 ZPO nF). Damit stünde es nicht im Einklang,
wenn an die Rechtskenntnisse eines juristisch qualifizierten Behördenvertreters
mit Befähigung zum Richteramt grundlegend andere Maßstäbe angelegt wer-
den würden als an die Rechtskenntnisse eines anwaltlichen Verfahrensbevoll-
mächtigten. Wie von einem Rechtsanwalt kann und muss daher auch von ihm
erwartet werden, dass er die sich aus dem Gesetz ergebenden Voraussetzun-
gen für die Einlegung eines Rechtsmittels kennt oder sich diese Kenntnis un-
schwer zu verschaffen vermag. Im Übrigen weist das familiengerichtliche Ver-
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fahren im Hinblick auf die Empfangszuständigkeit des Bundesgerichtshofs für
einen Rechtsmittelschriftsatz in der Rechtsbeschwerdeinstanz (§ 71 Abs. 1
Satz 1 FamFG) keine Besonderheiten gegenüber den Vorschriften der Zivilpro-
zessordnung über Revision und Rechtsbeschwerde (§§ 549 Abs. 1 Satz 1, 575
Abs. 1 Satz 1 ZPO) auf.
b) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt auch auf der
Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Fürsorge-
pflicht des unzuständigen Gerichts bei der Behandlung von fehlgeleiteten
Schriftsätzen nicht in Betracht.
aa) Geht ein fristgebundener Rechtsmittelschriftsatz statt beim Rechts-
mittelgericht bei dem in der Vorinstanz befasst gewesenen Gericht ein, ist die-
ses verpflichtet, den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das Rechts-
mittelgericht weiterzuleiten. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlichen An-
spruch des Rechtssuchenden auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG in Ver-
bindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Geht der Schriftsatz so zeitig bei dem
mit der Sache befasst gewesenen Gericht ein, dass die fristgerechte Weiterlei-
tung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres
erwartet werden kann, darf der Beteiligte darauf vertrauen, dass der Schriftsatz
noch rechtzeitig beim Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich
nicht, wirkt sich das Verschulden des Beteiligten oder seines Verfahrensbevoll-
mächtigten nicht mehr aus, so dass ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
zu gewähren ist (BVerfGE 93, 99, 115 f. = FamRZ 1995, 1559, 1561; BVerfG
FamRZ 2001, 827).
Eine weitergehende Verpflichtung, etwa eine beschleunigte Weiterleitung
an das zuständige Gericht oder eine Verpflichtung, den Beteiligten oder dessen
Verfahrensbevollmächtigten durch Telefonat oder Telefax von der Einreichung
des Rechtsmittels bei einem unzuständigen Gericht zu unterrichten, ergibt sich
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von Verfassungs wegen jedoch nicht. Denn sonst würde dem Beteiligten die
Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener
Schriftsätze vollständig abgenommen und dem nicht empfangszuständigen Ge-
richt übertragen (BVerfG FamRZ 2001, 827; ständige Rechtsprechung, vgl. Se-
natsbeschlüsse vom 15. Juli 2011 - XII ZB 468/10 - FamRZ 2011, 1389, 1390
und vom 17. August 2011 - XII ZB 50/11 - FamRZ 2011, 1649, 1650).
bb) Die Erwartung, dass der Rechtsmittelschriftsatz bei einer Weiterlei-
tung im ordentlichen Geschäftsgang noch rechtzeitig den Bundesgerichtshof
erreichen würde, war unter den hier obwaltenden Umständen nicht gerechtfer-
tigt.
Zwischen dem Eingang der Rechtsmittelschrift bei dem Oberlandesge-
richt am Mittag des 21. Dezember 2012 (Freitag) und dem Ablauf der Rechts-
beschwerdefrist am 31. Dezember 2012 (Montag) lagen mit dem 27. Dezember
2012 (Donnerstag) und dem 28. Dezember 2012 (Freitag) lediglich zwei Ar-
beitstage. Selbst wenn der Vorsitzende des Beschwerdesenats oder dessen
Vertreter schon am nächsten Arbeitstag nach dem Eingang des Schriftsatzes
dessen Weiterleitung an den Bundesgerichtshof angeordnet hätte - was im
Rahmen eines gewöhnlichen Geschäftsganges noch nicht einmal geboten ge-
wesen wäre (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Dezember 2012 - XII ZB 61/12 -
juris Rn. 8 und vom 15. Juni 2011 - XII ZB 468/10 - FamRZ 2011, 1389
Rn. 13) - und diese Weiterleitung am nächsten Tag von der Geschäftsstelle
veranlasst worden wäre, hätte (weil es inzwischen Freitag war) wegen des be-
vorstehenden Wochenendes nicht erwartet werden können, dass das Schrei-
ben noch am selben Tag an das Postbeförderungsunternehmen zur Übermitt-
lung an den Bundesgerichtshof gelangte (vgl. auch BGH Beschluss vom
6. November 2008 - IX ZB 208/06 - FamRZ 2009, 320, 321). Es konnte daher
auch nicht damit gerechnet werden, dass der Schriftsatz im gewöhnlichen Ge-
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schäftsgang noch rechtzeitig vor dem Fristablauf am Montag bei dem Bundes-
gerichtshof eingehen würde, ohne dass es für diese Beurteilung noch darauf
ankäme, dass in der Urlaubszeit zwischen Weihnachten und Neujahr ohnehin
einer erheblichen personellen Unterbesetzung sowohl des richterlichen als auch
des nichtrichterlichen Dienstes bei dem Oberlandesgericht hätte Rechnung ge-
tragen werden müssen.
Dose
Vézina
Klinkhammer
Günter
Botur
Vorinstanzen:
AG Nordhorn, Entscheidung vom 23.05.2012 - 11 F 799/11 UK -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 29.11.2012 - 13 UF 77/12 -