Urteil des BGH vom 25.04.2001

BGH (stgb, unterbringung, revolver, diebstahl, waffe, schuldfähigkeit, staatsanwaltschaft, strafkammer, wohnung, gas)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 533/00
vom
25. April 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. April
2001, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Kutzer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan,
die Richter am Bundesgerichtshof
Winkler,
von Lienen,
Becker
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Land-
gerichts Duisburg vom 13. Juni 2000 mit den Feststellungen auf-
gehoben. Jedoch werden die Feststellungen zum objektiven Tat-
geschehen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls zu einer Geld-
strafe von 60 Tagessätzen zu je 10 DM verurteilt. Dem Antrag der Staatsan-
waltschaft, den Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzu-
bringen, ist es nicht gefolgt. Mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision be-
anstandet die Staatsanwaltschaft namentlich, daß das Landgericht den Ange-
klagten nicht wegen Diebstahls mit Waffen (§ 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB)
verurteilt oder zumindest einen besonders schweren Fall des Diebstahls (§ 243
Abs. 1 StGB) angenommen hat. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen war der Angeklagte, der am Tattag zehn
Tabletten Diazepam eingenommen hatte, von dem anderweitig verfolgten
B. , dessen Wohnung er mitbenutzte, aufgefordert worden, eine Handtasche
zu stehlen, damit beide zu Geld kämen; andernfalls werde er aus der Wohnung
fliegen. Der Angeklagte lehnte dies zunächst ab und packte seine Sachen,
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darunter einen mit drei Schuß CS-Gasmunition geladenen Schreckschußrevol-
ver, den er in die Hosentasche steckte. Nachdem er die Wohnung verlassen
hatte, entdeckte er auf der Straße die 84-jährige G. , die ihre Geldbör-
se in der Hand hielt. Er sah dies als günstige Gelegenheit und faßte daher den
Entschluß, sich die Geldbörse zuzueignen. Er schlich sich von hinten an, zog
der überraschten Geschädigten die Geldbörse aus der Hand und lief weg. Als
ihm hierbei die Pistole aus der Hoschentasche rutschte, hob er sie auf und
setzte sodann die Flucht fort. Die Geldbörse enthielt 70 DM, von denen der
Angeklagte nur 10 DM für sich behielt, während er den Rest an B. über-
gab.
2. Das Landgericht hat sich an einer Verurteilung des Angeklagten we-
gen Diebstahls mit Waffen gehindert gesehen, weil er den Schreckschußrevol-
ver während der Tatausführung nicht gezogen und daher nicht in einer Weise
eingesetzt habe, die geeignet sei, erhebliche Körperverletzungen herbeizufüh-
ren. Der Revolver sei daher keine Waffe im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1
Buchst. a StGB. Auch der Tatbestand des § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB
sei nicht erfüllt, weil der Angeklagte den Revolver nicht bei sich geführt habe,
um den Widerstand seines Opfers zu überwinden. Hiergegen wendet sich die
Beschwerdeführerin mit Recht.
Die Urteilsgründe erlauben dem Senat nicht die Prüfung, ob das Land-
gericht rechtsfehlerfrei von einer Verurteilung des Angeklagten wegen Dieb-
stahls mit Waffen nach § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB abgesehen hat. Un-
ter den Begriff der Waffe im Sinne dieser Vorschrift fallen auch geladene
Gaspistolen, wenn das Gas nach vorne durch den Lauf austreten kann; denn
derartige Pistolen sind nach ihrer Beschaffenheit und ihrem Zustand bei be-
stimmungsgemäßer Verwendung geeignet, erhebliche Verletzungen zuzufügen
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(st. Rspr.; vgl. zu § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB: BGHSt 45, 92, 93; BGH
NStZ 1999, 301, 302 jew. m.w.Nachw.). Nichts anderes gilt für Schreckschuß-
revolver, mit denen neben Platzpatronen auch Gasmunition abgefeuert werden
kann, wenn sie mit derartiger Munition geladen sind und das Gas beim Abfeu-
ern durch den Lauf nach vorne austritt. In diesem Falle ist es für die Einord-
nung des Revolvers als Waffe ohne Belang, ob und wie er in der konkreten
Tatsituation eingesetzt wird (vgl. BGHSt 45, 92, 93 f.; BGH NStZ 1999, 301,
302; anders bei Aufmunitionierung mit Platzpatronen: s. etwa BGHR StGB
§ 250 Abs. 2 Nr. 1 Waffe 2; BGH NStZ-RR 1999, 102 f.).
Der Angeklagte hätte sich daher des Diebstahls mit Waffen schuldig
gemacht, wenn der mit CS-Gaspatronen aufmunitionierte Revolver, den er bei
der Tat in der Hosentasche mit sich führte, beim Abfeuern das Gas durch den
Lauf nach vorne verschießt. Da das Landgericht hierzu keine Feststellungen
getroffen hat, kann sein Urteil keinen Bestand haben. Dies gilt indessen nicht
für die bisherigen Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen. Diese wurden
rechts-
fehlerfrei getroffen und können daher bestehen bleiben. Die nunmehr zur Ent-
scheidung berufene Strafkammer wird daher insoweit lediglich ergänzende
Feststellungen zur Konstruktionsweise des Schreckschußrevolvers des Ange-
klagten zu treffen haben. Auch sonstige weitere Feststellungen zum objektiven
Tathergang sind möglich, soweit sie mit den bisher getroffenen nicht in Wider-
spruch stehen.
3. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
a) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin belegen die getroffe-
nen Feststellungen nicht, daß der Angeklagte durch seine Tat das Regelbei-
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spiel des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StGB verwirklicht hätte. Allein das hohe
Alter des Tatopfers begründet für sich noch nicht Hilflosigkeit im Sinne dieser
Vorschrift. Auch die Annahme eines unbenannten besonders schweren Falles
des Diebstahls (§ 243 Abs. 1 Satz 1 StGB) liegt eher fern.
b) Sollte sich der nunmehr zur Entscheidung berufenen Strafkammer
wiederum die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatri-
schen Krankenhaus stellen, wird sie zu beachten haben, daß diese nur in Be-
tracht kommt, wenn die Schuldfähigkeit des Täters im Tatzeitpunkt nicht nur
vorübergehend, sondern aufgrund eines länger andauernden Zustands im Sin-
ne des § 63 StGB aufgehoben oder erheblich vermindert war. Beruhte die Be-
einträchtigung der Schuldfähigkeit auf dem Mißbrauch von Drogen oder Medi-
kamenten, kann es hieran fehlen. Etwas anderes gilt, wenn eine krankhafte
bzw. auf einer schweren anderen seelischen Abartigkeit beruhende Drogen-
oder Medikamentensucht vorliegt, die immer wieder zu einem Zustand führt, in
dem die Schuldfähigkeit als Folge eines Zusammenwirkens von geistig-
seelischer Störung und alkoholischer Beeinträchtigung oder aktuellem Drogen-
konsum zumindest erheblich beeinträchtigt ist (vgl. BGHSt 44, 369, 373 ff.; 44,
338, 341 ff.; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 63 Rdn. 3 m.w.Nachw.). Gege-
benenfalls wird alternativ eine Unterbringung nach § 64 StGB zu erwägen sein.
Für die Frage der Schuldfähigkeit und der Unterbringung könnte insbesondere
der Zustand des Angeklagten von Bedeutung sein, der zur Anordnung seiner
Betreuung geführt hat.
Soweit in der angefochtenen Entscheidung die Unterbringung des Ange-
klagten in einem psychiatrischen Krankenhaus allein deshalb abgelehnt wird,
weil die von ihm künftig zu erwartenden rechtswidrigen Taten nicht als erheb-
lich einzustufen seien, bestehen indessen rechtliche Bedenken. Die Erheblich-
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keit der künftig zu erwartenden Taten könnte schon dann eine andere Bewer-
tung erfahren, wenn es sich bei der abzuurteilenden Tat nicht nur um einen
"einfachen" Diebstahl nach § 242 Abs. 1 StGB, sondern um einen Diebstahl mit
Waffen gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB handeln sollte. Jedoch las-
sen auch schon die bisherigen Feststellungen besorgen, daß das Landgericht
die Erheblichkeit der vom Angeklagten in Zukunft zu erwartenden Straftaten
nach unzutreffenden rechtlichen Maßstäben beurteilt haben könnte. Nach
Überzeugung des Landgerichts sind vom Angeklagten Taten zu befürchten, die
mit dem abgeurteilten Diebstahl und den ihm früher zur Last gelegten Taten
(drei Fälle des Diebstahls, ein Fall des Betruges) vergleichbar sind. Da er bei
keiner dieser Taten Gewalt angewendet oder Drohungen ausgestoßen habe
und der jeweils verursachte Schaden gering gewesen sei, scheide eine Unter-
bringung nach § 63 StGB aus. Ob diese Bewertung zutrifft, vermag der Senat
nicht zu beurteilen, da das Landgericht keine Einzelheiten zu den dem Ange-
klagten in den früheren - überwiegend wegen angeblicher Schuldunfähigkeit
des Angeklagten eingestellten - Strafverfahren zur Last gelegten Taten mitteilt.
Immerhin wurde dem Angeklagten in einem dieser Verfahren ein Diebstahl im
besonders schweren Fall zur Last gelegt, ein Delikt, das durchaus bereits dem
Bereich mittlerer Kriminalität zuzurechnen sein kann (vgl. BGH bei Holtz MDR
1989, 1051). Allein geringe Beute und das Fehlen von Gewalt und Drohungen
verleiht den zu befürchtenden weiteren Straftaten des Angeklagten noch nicht
den Charakter der Kleinkriminalität.
4. Mit der Aufhebung des landgerichtlichen Urteils entfällt auch der Aus-
spruch über die Entschädigung des Angeklagten für die von ihm erlittene
einstweilige Unterbringung. Damit hat sich die hiergegen gerichtete sofortige
Beschwerde der Staatsanwaltschaft erledigt. Sollte sich der nunmehr zur Ent-
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scheidung berufenen Strafkammer wiederum die Frage einer Entschädigung
des Angeklagten für die einstweilige Unterbringung stellen, wird sie zu prüfen
haben, ob die Entschädigung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG ausgeschlossen
ist, weil der Angeklagte Symptome einer paranoid halluzinatorischen Psychose
lediglich vorspiegelte.
Kutzer Rissing-van Saan Winkler
von Lienen Becker