Urteil des BGH vom 23.12.2003

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 116/05
Verkündet
am:
13.
September
2006
Heinekamp
Justizhauptsekretär
als
Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
_____________________
VVG § 67
1. In der Gebäudeversicherung ergibt die ergänzende Vertragsauslegung einen Re-
gressverzicht des Versicherers für die Fälle, in denen der Mieter einen Schaden
am Gebäude durch leichte Fahrlässigkeit verursacht hat; dem Versicherer ist der
Regress auch dann verwehrt, wenn der Mieter eine Haftpflichtversicherung unter-
hält, die Ansprüche wegen Schäden an gemieteten Sachen deckt (Bestätigung
und Fortführung von BGHZ 145, 393).
2. Ein Regressverzicht des Gebäudeversicherers ist auch bei einem auf Dauer ange-
legten unentgeltlichen Nutzungsverhältnis anzunehmen.
BGH, Urteil vom 13. September 2006 - IV ZR 116/05 - OLG Köln
LG Bonn
- 2 -
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsit-
zenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Dr. Franke auf die mündliche Verhand-
lung vom 13. September 2006
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des
22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom
23. Dezember 2003 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der
1. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 25. Juni 2003
wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt den Beklagten in ihrer Eigenschaft als Gebäu-
deversicherer aus übergegangenem Recht auf Schadensersatz in An-
spruch. Der Beklagte ist ein Bruder der Schwiegertochter der Versiche-
rungsnehmerin und bewohnt in deren Haus Räume im Dachgeschoss.
Dort verursachte er durch Hantieren mit einem Stabfeuerzeug am
31. Dezember 2001 einen Brandschaden, den die Klägerin der Versiche-
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rungsnehmerin ersetzte. In der vom Beklagten genommenen Haftpflicht-
versicherung sind Ansprüche wegen derartiger Schäden eingeschlossen.
Die Klägerin nimmt beim Beklagten Rückgriff in Höhe von
49.729,97 €. Sie meint, der im Urteil des Bundesgerichtshofs vom
8. November 2000 (BGHZ 145, 393) angenommene Regressverzicht zu-
gunsten des Mieters bei leicht fahrlässiger Schadensverursachung stehe
dem nicht entgegen, weil der Beklagte grob fahrlässig gehandelt habe,
wegen unentgeltlicher Nutzung der Wohnung nicht Mieter sei und der
Regress bei leichter Fahrlässigkeit jedenfalls dann möglich sei, wenn der
Schädiger eine den Ersatzanspruch deckende Haftpflichtversicherung
habe. Demgegenüber beruft sich der Beklagte darauf, dass nach dem
Urteil des Bundesgerichtshofs der Regressverzicht auch bei bestehen-
dem Haftpflichtversicherungsschutz eingreife.
2
Das Landgericht (r+s 2003, 509) hat die Klage abgewiesen, das
Oberlandesgericht (VersR 2004, 593) hat ihr stattgegeben. Mit der Revi-
sion erstrebt der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision des Beklagten führt zur Wiederherstellung des land-
gerichtlichen Urteils.
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5
A. Das Berufungsgericht hat ebenso wie das Landgericht ein grob
fahrlässiges Verhalten des Beklagten nicht feststellen können. Dies gehe
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zu Lasten der beweispflichtigen Klägerin (BGHZ 145, 393, 400). Der Be-
klagte habe den Brandschaden aber leicht fahrlässig herbeigeführt und
hafte deshalb nach § 823 Abs. 1 BGB auf Schadensersatz.
Das Landgericht sei weiter mit Recht davon ausgegangen, nach
neuerer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei dem Gebäudever-
sicherungsvertrag im Wege der ergänzenden Auslegung ein Regressver-
zicht des Versicherers bei leicht fahrlässiger Schadensverursachung
durch den Mieter zu entnehmen. Grundlage für die Annahme dieses Re-
gressverzichts sei namentlich das Interesse eines Vermieters, das in der
Regel auf längere Zeit angelegte Vertragsverhältnis zu seinem Mieter so
weit wie möglich unbelastet zu lassen. Außerdem solle der Mieter nicht
in seiner Erwartung getäuscht werden, bei Eintritt eines Brandschadens
eines gegen Feuer versicherten Gebäudes nicht in Anspruch genommen
zu werden. Diese Erwägungen träfen im Grundsatz auch auf den Streit-
fall zu. Zwar sei der Beklagte nicht Mieter der Versicherungsnehmerin.
Er nutze die Wohnung vielmehr unentgeltlich und zahle lediglich eine
Jahrespauschale zur Abgeltung von angefallenen Nebenkosten. Grund-
lage dieses Nutzungsverhältnisses sei ersichtlich sein persönliches Ver-
hältnis zur Eigentümerin, deren weiterem Familienkreis er als Bruder ih-
rer Schwiegertochter angehöre. Ein solches Nutzungsverhältnis könne
bei der Beurteilung der Frage eines Regressverzichts nicht anders beur-
teilt werden als ein Mietverhältnis. Auch dieses Nutzungsverhältnis sei
auf Dauer angelegt. Es bestehe nach Angaben des Beklagten seit 1985
und über den Schadensfall hinaus bis heute. Auch hier sei davon auszu-
gehen, dass der Eigentümerin an einem unbelasteten Verhältnis zum
Beklagten gelegen sei, wobei dieses Interesse sich aus dem Wohnen im
selben Haus und aus der familiären Beziehung zueinander ergebe. Zu-
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dem liege auch hier bei dem Nutzer der Wohnung die Vorstellung nahe,
bei nur einfach fahrlässiger Beschädigung eines gegen Brand versicher-
ten Gebäudes nicht in Regress genommen zu werden. Dass der Regress
keinen Anspruch der Eigentümerin auf Zahlung von Miete oder Nut-
zungsentgelt gefährde, sei von untergeordneter Bedeutung.
Dem Landgericht sei aber nicht darin zu folgen, der Regress sei
trotz den Schaden deckender Haftpflichtversicherung des Beklagten
ausgeschlossen. Diese Frage sei durch die Rechtsprechung des Bun-
desgerichtshofs noch nicht abschließend geklärt. In einem solchen Fall
sei für die Annahme eines Regressverzichts im Wege der ergänzenden
Vertragsauslegung kein Raum, weil der Mieter dieses Schutzes nicht be-
dürfe. Er laufe wirtschaftlich nicht Gefahr, den Schaden durch Einsatz
eigener Geldmittel ausgleichen zu müssen. Eine ernstliche Belastung
des Verhältnisses zwischen Eigentümer und Mieter/Nutzer sei nicht zu
besorgen. Beide würden sich vielmehr mit dem Gedanken beruhigen,
letztlich zahle alles "die Versicherung" und der Schadensfall werde sich
deshalb für sie ohne Missstimmung abwickeln lassen.
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B.
Dieser
Beurteilung
ist nicht in allen Punkten zuzustimmen. Die
Klägerin kann beim Beklagten trotz bestehender Haftpflichtdeckung kei-
nen Regress nehmen. Die Klage ist abzuweisen.
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I. Die Ausführungen des Berufungsgerichts, grobe Fahrlässigkeit
könne nicht festgestellt werden, der Beklagte habe aber leicht fahrlässig
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gehandelt, sind rechtsfehlerfrei und werden von den Parteien im Revisi-
onsverfahren nicht beanstandet.
II. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass die für
die Regressverzichtslösung im Senatsurteil vom 8. November 2000 aaO
tragenden Gründe auch für das hier gegebene Nutzungsverhältnis zutref-
fen. Die von der Klägerin auch in der Revisionsinstanz erhobenen grund-
sätzlichen Bedenken gegen die Rechtsprechung zum Regressverzicht
des Gebäudeversicherers greifen nicht durch.
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1. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen und auf welchem
rechtlichen Weg (mietvertraglicher Haftungsverzicht einerseits, Mitversi-
cherung des Sachersatzinteresses in der Gebäudeversicherung oder
Regressverzicht andererseits) der einen Schaden nur leicht fahrlässig
verursachende Mieter gegen einen Regress des Gebäudeversicherers
des Vermieters/Eigentümers zu schützen ist, wurde seit der Entschei-
dung des Reichsgerichts in RGZ 122, 292 in der Literatur immer wieder
kontrovers diskutiert und durch die Rechtsprechung des Bundesgerichts-
hofs nicht in jeder Hinsicht überzeugend beantwortet (vgl. zur Entwick-
lung der Rechtsprechung und den unterschiedlichen Auffassungen in der
Literatur Armbrüster, NJW 1997, 177; Günther, Der Regress des Sach-
versicherers 2. Aufl. S. 104 f.; Römer in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl.
§ 74 Rdn. 9; Bayer, Haftung, Versicherung und Regress bei Beschädi-
gung des Vermietereigentums durch den Mieter, Festschrift für Egon Lo-
renz zum 70. Geburtstag, S. 129 ff.). Der Senat hat sich im Urteil vom
8. November 2000 (IV ZR 298/99 - BGHZ 145, 393 = VersR 2001, 94 m.
Anm. Lorenz und Wolter) mit den verschiedenen Lösungsmöglichkeiten
auseinandergesetzt und sich für eine versicherungsrechtliche Lösung
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entschieden. Danach ist der Gebäudeversicherungsvertrag, wenn nicht
konkrete Anhaltspunkte für eine Mitversicherung des Sachersatzinteres-
se des Mieters vorliegen, dahin ergänzend auszulegen, dass ihm ein
Regressverzicht des Versicherers für die Fälle zu entnehmen ist, in de-
nen der Mieter einen Schaden durch einfache Fahrlässigkeit verursacht
hat. Dieser Ansicht haben sich die für das Mietrecht zuständigen Senate
des Bundesgerichtshofs angeschlossen (Urteile vom 14. Februar 2001
- VIII ZR 292/98 - VersR 2001, 856 unter 2 c und vom 3. November 2004
- VIII ZR 28/04 - VersR 2005, 498 unter 2 für die Wohnungsmiete; Be-
schluss vom 12. Dezember 2001 - XII ZR 153/99 - VersR 2002, 433 für
die gewerbliche Miete). Diese nunmehr als gefestigt anzusehende
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat bei den Instanzgerichten
und überwiegend auch in der Literatur im Grundsatz Zustimmung gefun-
den (unter anderem OLG Dresden VersR 2003, 497 und 1391; OLG Köln
VersR 2004, 593; OLG Düsseldorf VersR 2005, 71; OLG München VersR
2005, 500; OLG Naumburg VuR 2005, 471; Lorenz, VersR 2001, 96 ff.;
Armbrüster, NVersZ 2001, 193, 195; Prölss, ZMR 2001, 157 f.; Römer,
aaO; zur umstrittenen Bedeutung einer Haftpflichtversicherung des Mie-
ters unten II. 3.). Die gegen die Annahme eines Regressverzichts gerich-
tete grundsätzliche Kritik (Wolter, VersR 2001, 98 ff.; Gaul/Pletsch,
NVersZ 2001, 490, 495 ff.) überzeugt schon deshalb nicht, weil sie ein-
seitig das Regressinteresse des Gebäudeversicherers in den Vorder-
grund stellt. Demgegenüber ermöglicht die im Grundsatz weitgehend ak-
zeptierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine den Interessen
aller Beteiligten angemessenere Lösung, die auch zu einer einfacheren
und kostengünstigeren Schadensabwicklung führen kann. Deshalb und
auch aus Gründen der Rechtssicherheit ist daran festzuhalten.
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2. Das Berufungsgericht hat die Grundsätze zum Regressverzicht
bei der Wohnungsmiete mit überzeugenden Ausführungen auf das hier
gegebene Nutzungsverhältnis übertragen. Der Versicherungsnehmer, der
aus familiären oder sonstigen persönlichen Gründen auf Entgelt für die
Überlassung einer Wohnung verzichtet, hat im Vergleich zur Vermietung
an fremde Personen ein eher stärkeres Interesse daran, sein Verhältnis
zu dem Bewohner nicht durch einen Regress des Gebäudeversicherers
zu belasten. Der Versicherungsnehmer würde mit Recht kein Verständnis
dafür aufbringen, wenn seine Freigebigkeit gegenüber dem Bewohner
dem Versicherer den Regress erst eröffnen würde. Demgegenüber ist es
für den Versicherer - was er in der Regel auch nicht weiß - ohne jede
Bedeutung, ob für die Gebrauchsüberlassung ein Entgelt gezahlt wird
und wer die Prämie wirtschaftlich trägt.
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3. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist dem Gebäude-
versicherer der Regress gegen den Mieter oder einen wie hier Nut-
zungsberechtigten auch dann verwehrt, wenn dieser haftpflichtversichert
ist und abweichend von § 4 Nr. I 6 a der Allgemeinen Versicherungsbe-
dingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) Deckungsschutz auch
für Haftpflichtansprüche wegen Schäden an gemieteten Sachen hat.
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a) Das ergibt sich bereits aus der Formulierung im Senatsurteil
vom 8. November 2000, die allgemeine ergänzende Vertragsauslegung
eines Regressverzichts für leichte Fahrlässigkeit könne nicht davon ab-
hängen, ob der Mieter im Einzelfall eine Haftpflichtversicherung abge-
schlossen habe (BGHZ 145, 399). Unter Hinweis darauf hat der Senat
durch Beschluss vom 16. Oktober 2002 (IV ZR 308/01) die Revision ge-
gen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom
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31. Oktober 2001 (4 U 78/00) nicht angenommen, in dem dieses den Re-
gress des Gebäudeversicherers gegen den Mieter trotz Deckungsschut-
zes in der Haftpflichtversicherung wegen Schäden an der Mietsache ab-
gelehnt hatte. Aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. Februar
2001 (aaO) ergibt sich nichts anderes. Der VIII. Zivilsenat hat zum Ein-
fluss der Haftpflichtversicherung auf den Regressverzicht keine abwei-
chende Meinung vertreten, sondern sich den Erwägungen des IV. Zivil-
senats im Urteil vom 8. November 2000 in vollem Umfang angeschlos-
sen. Offen geblieben ist nur die Frage des Ausgleichs unter den Versi-
cherern.
b) Dennoch sind die Urteile des IV. und des VIII. Zivilsenats dahin
verstanden worden, es sei noch nicht abschließend geklärt, ob dem Ge-
bäudeversicherer der Regress auch dann verwehrt ist, wenn der schädi-
gende Mieter eine Haftpflichtversicherung unterhält. In der Rechtspre-
chung der Instanzgerichte und der Literatur ist die Frage umstritten. Ei-
nige Oberlandesgerichte sind dem Bundesgerichtshof gefolgt (außer dem
Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht die Oberlandesgerichte
Dresden, VersR 2003, 497, Stuttgart, VersR 2004, 592, Hamm, VersR
2002, 1280, Nichtzulassungsbeschwerde durch Senatsbeschluss vom
16. Oktober 2002 zurückgewiesen, IV ZR 361/02, München, VersR 2005,
500 und Urteil vom 16. Mai 2001, 3 U 6151/00 und Zweibrücken, Urteil
vom 29. August 2001, 1 U 5/01). Das Berufungsgericht und das Oberlan-
desgericht Düsseldorf (VersR 2006, 541) meinen, die Frage sei höchst-
richterlich noch nicht abschließend geklärt und dahin zu entscheiden,
dass der Gebäudeversicherer den Mieter in Regress nehmen könne,
wenn dieser eine den Schadensersatzanspruch deckende Haftpflichtver-
sicherung habe. In diesem Fall bedürfe der Mieter keines Schutzes durch
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den Regressverzicht, weil er nicht Gefahr laufe, für den Schaden selbst
aufkommen zu müssen. Eine ernsthafte Belastung des Mietverhältnisses
sei nicht zu befürchten, weil der Vermieter und der Mieter annehmen
dürften, die Auseinandersetzung über die Schadensregulierung werde
faktisch zwischen den beiden Versicherern geführt. Mit entsprechenden
Erwägungen ist die Literatur ganz überwiegend der Meinung, der Re-
gressverzicht sei bei bestehendem Haftpflichtversicherungsschutz des
Mieters subsidiär (Günther, aaO S. 111 ff. und VersR 2004, 595, 597;
Breideneichen, VersR 2005, 501, 503 a.E.; Armbrüster, aaO S. 195 f.
und ZMR 2001, 185, 186; Prölss, aaO S. 158 und ZMR 2004, 389, 391 f.;
a.A. Bayer, aaO S. 144).
c) Die an der Begründung des Senatsurteils vom 8. November
2000 geübte Kritik ist teilweise berechtigt. Der Umstand, dass bei Ab-
schluss des Gebäudeversicherungsvertrages häufig noch unbekannt sei,
ob der Mieter eine Haftpflichtversicherung habe, und dass viele Mieter
keine hätten, stünde einer rechtlichen Konstruktion des Regressverzichts
nur für den Fall der fehlenden Haftpflichtversicherungsdeckung grund-
sätzlich nicht entgegen. Richtig ist auch, dass der Risikoausschluss des
§ 4 Nr. I 6 a AHB überwiegend abbedungen wird, allerdings mit Ein-
schränkungen (vgl. den Einschluss von Mietsachschäden in Nr. 4.2 des
Mustertarifs 2000, abgedruckt bei Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. S. 1332,
1346 und Schwickert, VersR 2004, 174). Bei Mehrfamilienhäusern betrifft
der Risikoausschluss im Übrigen nur den dem Mietgebrauch unterliegen-
den, nicht aber den übrigen Teil des Gebäudes (Littbarski, AHB § 4
Rdn. 206 f.; Späte, Haftpflichtversicherung § 4 AHB Rdn. 113).
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d) Diese Einwände gegen einzelne Punkte der Begründung sind
jedoch nicht geeignet, das Ergebnis in Frage zu stellen. Der entschei-
dende Grund dafür, dass der Regressverzicht nicht vom Bestehen eines
Haftpflichtversicherungsschutzes des Mieters abhängt, ergibt sich aus
den Erwägungen, aus denen der Senat im Wege der ergänzenden Aus-
legung dem Gebäudeversicherungsvertrag überhaupt einen Regressver-
zicht entnommen hat.
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aa) Der Inhalt typischer Gebäudeversicherungsverträge wird im
Wesentlichen durch Allgemeine Versicherungsbedingungen festgelegt.
Die ergänzende Auslegung solcher Verträge hat nach einem objektiv-
generalisierenden Maßstab zu erfolgen, der am Willen und Interesse der
typischerweise beteiligten Verkehrskreise (und nicht nur der konkret be-
teiligten Parteien) ausgerichtet sein muss; die Vertragsergänzung muss
deshalb für den betroffenen Vertragstyp als allgemeine Lösung eines
stets wiederkehrenden Interessengegensatzes angemessen sein (BGHZ
164, 297, 317; Lorenz, aaO S. 97).
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bb) Da es um die ergänzende Auslegung des Versicherungsvertra-
ges zwischen dem Versicherungsnehmer als Vermieter und dem Gebäu-
deversicherer geht, kommt es - wie dem Senatsurteil vom 8. November
2000 zu entnehmen ist - auf deren Interessen an und nicht unmittelbar
auf die Interessen des Mieters (Prölss, ZMR 2001, 157, 158). Allerdings
sind die Interessen des Mieters mittelbar einzubeziehen, soweit sie sich
in einem auf dem Mietverhältnis beruhenden Interesse des Vermieters
niederschlagen (vgl. Armbrüster, VersR 1994, 893, 895 f.; ders. Der
Schutz von Haftpflichtinteressen in der Sachversicherung S. 113 ff.;
Prölss, r+s 1997, 221, 223 und ZMR 2004, 389 f.).
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(1) Wie der Senat bereits im Urteil vom 8. November 2000 darge-
legt hat, besteht ein für den Versicherer erkennbares Interesse des Ver-
mieters daran, das in der Regel auf längere Zeit angelegte Vertragsver-
hältnis zu seinem Mieter so weit wie möglich unbelastet zu lassen (eben-
so Armbrüster und Prölss, aaO). Bei einem Regress des Versicherers
liegt eine ernsthafte Belastung des Mietverhältnisses aber auf der Hand.
Denn Vermieter und Mieter müssten gegenläufige Positionen vertreten
oder zumindest unterstützen. Denn den Vermieter trifft die Obliegenheit,
seinen Gebäudeversicherer bei der Durchsetzung der Regressforderung
zu unterstützen (vgl. u.a. § 13 Nr. 1 c und e AFB 87, § 15 Nr. 1 c VGB
99). Die Erfüllung dieser Obliegenheit führt notwendig zu einem Konflikt
mit den Interessen des Mieters, der bemüht sein wird, den Regress des
Versicherers abzuwehren. Dies gilt ebenso, wenn der Mieter haftpflicht-
versichert ist und dann seinerseits der Obliegenheit nachzukommen hat,
den Haftpflichtversicherer bei der Abwehr des Schadens zu unterstützen
(§ 5 Nr. 3 Satz 2 AHB).
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(2) Die Ansicht des Berufungsgerichts und des Oberlandesgerichts
Düsseldorf und der überwiegenden Literatur, die Auseinandersetzung
über die Schadensregulierung spiele sich dann faktisch zwischen den
beiden Versicherern ab und führe zu keiner ernstlichen Belastung des
Mietverhältnisses, weil Vermieter und Mieter beruhigt davon ausgehen
könnten, letztlich zahle alles "die Versicherung", ist nur auf den ersten
Blick einleuchtend. Sie unterstellt, dass alle Beteiligten sich der objekti-
ven Rechtslage entsprechend vernünftig verhalten und nicht einseitig auf
die Wahrnehmung ihrer jeweiligen Interessen bedacht sind. Es ist zwar
grundsätzlich davon auszugehen, dass die Haftpflichtversicherer in der
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ganz überwiegenden Zahl der Fälle bedingungsgemäß regulieren, also
unberechtigte Haftpflichtansprüche abwehren und den Versicherungs-
nehmer von berechtigten Haftpflichtansprüchen freistellen. Die Gerichts-
praxis zeigt aber, dass Haftpflichtversicherer in vielen Fällen den De-
ckungsschutz auch ablehnen, möglicherweise mit vertretbaren, im späte-
ren Rechtsstreit aber nicht durchschlagenden Gründen. Unabhängig da-
von, ob die Deckungsablehnung berechtigt oder unberechtigt ist, müsste
der Mieter einen Deckungsprozess gegen seinen Haftpflichtversicherer
führen, selbst wenn er die Erfolgsaussichten nicht hoch einschätzt. Ver-
zichtet er auf den Deckungsprozess, muss er befürchten, vom Gebäude-
versicherer in Regress genommen zu werden mit der Begründung, er
habe auf den Deckungsprozess nur deshalb verzichtet, um seinen Haft-
pflichtversicherer zu schonen. Ein vorgezogener Deckungsprozess ist
überdies problematisch, wenn auch die Haftpflichtfrage streitig ist.
Außerdem besteht die Gefahr, dass der Versicherungsnehmer den
an sich gegebenen Deckungsschutz wegen Obliegenheitsverletzungen
nach Eintritt des Versicherungsfalles verliert (§ 5 i.V. mit § 6 Nr. I AHB).
Das kann, wie die Erfahrung des Senats belegt, leicht vorkommen, ins-
besondere deshalb, weil der Versicherungsnehmer die Beweislast dafür
trägt, dass er die Obliegenheit nicht vorsätzlich und nicht grob fahrlässig
verletzt hat und bei grob fahrlässiger Verletzung der Obliegenheit den
Kausalitätsgegenbeweis führen muss. Die Gefahr der Obliegenheitsver-
letzung in Gestalt der unterlassenen Anzeige des Versicherungsfalles ist
hier überdies besonders groß, weil der Versicherungsnehmer, insbeson-
dere als versicherungsrechtlicher Laie, annehmen kann, der Schaden sei
durch die Gebäudeversicherung gedeckt, und mit einem Rückgriff des
Gebäudeversicherers nicht rechnet. Zudem ist anzunehmen, dass der
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Gebäudeversicherer den Mieter stets in Regress nehmen wird, wenn er
weiß, dass dieser haftpflichtversichert ist. Er wird, um Rechtsnachteile zu
vermeiden, vorsorglich gegen den Mieter vorgehen, auch wenn dieser
wegen Deckungsablehnung einen Prozess gegen seinen Haftpflichtversi-
cherer führt. Denn er muss den Fall bedenken, dass der Mieter letztlich
doch Anspruch auf Deckungsschutz hat, auch wenn sich dies erst nach
einem längeren Rechtsstreit herausstellt. Wartet der Gebäudeversicherer
aber so lange ab, kann es sein, dass seine Regressforderung verjährt ist
oder ihrer Durchsetzung Beweisschwierigkeiten entgegenstehen. Es be-
steht also die Gefahr, dass der haftpflichtversicherte Mieter bei De-
ckungsablehnung seines Versicherers zwischen zwei Fronten gerät. Er
muss gegen seinen Haftpflichtversicherer vorgehen und ohne dessen
Unterstützung den Anspruch des Gebäudeversicherers abwehren. Bis
zur rechtskräftigen Entscheidung über die Deckungspflicht hat er mit
Vollstreckungsmaßnahmen zu rechnen, wenn der Gebäudeversicherer
vorher ein stattgebendes Urteil im Rückgriffsprozess erstreitet. Für den
Mieter kann sogar der Fall eintreten, dass er letztlich den Prozess gegen
seinen Haftpflichtversicherer verliert und den Prozess gegen den Ge-
bäudeversicherer. Er wäre also, anders als der nicht haftpflichtversicher-
te Mieter, der Gefahr ausgesetzt, dass letztlich kein Versicherer den
Schaden zu tragen hat, sondern er selbst. Die Streitverkündung an den
Haftpflichtversicherer im Regressprozess ist ebenso wenig wie die ohne-
hin gegebene Bindungswirkung des Haftpflichturteils geeignet, alle strei-
tigen Deckungsfragen im Haftpflichtversicherungsverhältnis abschlie-
ßend zu klären. Das ist nur bei Voraussetzungsidentität der Fall (Se-
natsurteil vom 18. Februar 2004 - IV ZR 126/02 - VersR 2004, 590 unter
III 1 m.w.N.). Der Regressverzicht des Gebäudeversicherers, der dem
nicht haftpflichtversicherten Mieter zugute kommt, könnte deshalb beim
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haftpflichtversicherten Mieter unterlaufen werden. Das wiederum hätte
Auswirkungen auf die Zahlungsfähigkeit des Mieters. Bei einer De-
ckungsablehnung des Haftpflichtversicherers wäre die Belastung des
Mietverhältnisses deshalb nicht geringer, sondern eher stärker als dann,
wenn der Mieter keine Haftpflichtversicherung hätte. Der haftpflichtversi-
cherte Mieter stünde dann im Ergebnis schlechter als der nicht haft-
pflichtversicherte. Das aber läge nicht im Interesse des Vermieters, für
den eine Haftpflichtversicherung des Mieters wegen von der Gebäude-
versicherung nicht gedeckter Schäden dennoch vorteilhaft sein kann.
(3) Abgesehen davon darf der Mieter, der die Versicherungsprämie
der Gebäudeversicherung des Vermieters finanziert, im Verhältnis zum
Vermieter die berechtigte Erwartung haben, dass ihm seine Aufwendun-
gen im Schadensfall in irgendeiner Weise zugute kommen (vgl. BGH, Ur-
teil vom 3. November 2004 - VIII ZR 28/04 - VersR 2005, 498 unter 2 und
3 vor a). Dabei ist es unerheblich, ob die Versicherungsprämie offen um-
gelegt oder in die Miete einkalkuliert worden ist (ebenso Armbrüster,
ZMR 2001, 185 und r+s 1998, 221, 223; Prölss, ZMR 2001, 157;
Gaul/Pletsch, NVersZ 2001, 490, 492). Bei einem typischen Mietvertrag
über Wohnräume, aber auch über Gewerberäume liegt es auf der Hand,
dass die Betriebskosten letztlich vom Mieter getragen werden, entweder
offen ausgewiesen oder verdeckt. Jeder wirtschaftlich denkende Vermie-
ter muss jedenfalls die Betriebskosten erwirtschaften. Der Mieter, der im
Ergebnis die Prämie (mit-)trägt, darf also berechtigterweise vom Vermie-
ter erwarten, hierfür eine Art Gegenleistung zu erhalten, die darin be-
steht, dass er in gewisser Weise geschützt ist, wenn er leicht fahrlässig
einen Schaden verursacht. Die Erfüllung dieser berechtigten Erwartung
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des Mieters liegt aber auch im Interesse des Vermieters, weil anderen-
falls das Vertragsverhältnis auch insoweit belastet werden kann.
(4) Zusammengefasst geht das Interesse des Vermieters letztlich
dahin, dass der Schadensfall, auch wenn einiges in den beiden Versiche-
rungsverhältnissen und im Mietverhältnis in tatsächlicher oder rechtlicher
Hinsicht streitig sein sollte, ausschließlich auf der Ebene der beiden Ver-
sicherer geregelt wird. Nur dann ist der Zustand erreicht, den das Beru-
fungsgericht und das Oberlandesgericht Düsseldorf sowie die überwie-
gende Auffassung in der Literatur als gegeben voraussetzen.
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(5) Dem Regressverzicht trotz Bestehens einer Haftpflichtversiche-
rung des Mieters stehen berechtigte Interessen des Versicherers nicht
entgegen, wie der Senat bereits im Urteil vom 8. November 2000 ausge-
führt hat. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Gebäudeversiche-
rer ein konkretes Risiko versichert, für das er eine bestimmte Prämie er-
hält. Welches Risiko er versichern will, ist seine Sache, er kann sich vor-
her darüber informieren. Er kann sich Aufklärung darüber verschaffen, ob
Gebäude oder Wohnungen vermietet sind. Häufig wird sich das schon
von selbst ergeben, beispielsweise bei Mehrfamilienhäusern und großen
Mietshäusern. Bei einem Einfamilienhaus kann der Versicherer danach
fragen, ob es vermietet ist oder nicht. Der Versicherer ist also in der La-
ge, eine risikogerechte Prämie zu verlangen. In diese kann er eventuelle
Regressausfälle wegen des Regressverzichts einerseits und eventuelle
Ausgleichserlöse nach § 59 VVG andererseits einkalkulieren.
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e) Wie der Senat durch Urteil vom 13. September 2006 (IV ZR
273/05) entschieden hat, steht dem Gebäudeversicherer gegen den Haft-
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Haftpflichtversicherer des Mieters in analoger Anwendung von § 59
Abs. 2 Satz 1 VVG ein Ausgleichsanspruch zu.
Terno Dr. Schlichting Seiffert
Dr. Kessal-Wulf Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Bonn, Entscheidung vom 25.06.2003 - 1 O 6/03 -
OLG Köln, Entscheidung vom 23.12.2003 - 22 U 146/03 -