Urteil des BGH vom 12.06.2012

BGH: verjährungsfrist, sozialversicherung, einziehung, verfügung, liquidität, erlass, körperschaft

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
II ZR 105/10
vom
12. Juni 2012
in dem Rechtsstreit
- 2 -
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Juni 2012 durch den
Richter Dr. Strohn, die Richterinnen Caliebe und Dr. Reichart und die Richter
Born und Sunder
einstimmig beschlossen:
Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beab-
sichtigt, die Revision des Beklagten gegen das Urteil der - 2. Zivil-
kammer - des Landgerichts Görlitz vom 4. Mai 2010 gemäß
§ 552a ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 1.572,31 € fest-
gesetzt (davon 86,19 € für den Feststellungsantrag).
Gründe:
Die Revision ist zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen für ihre Zu-
lassung nicht (mehr) vorliegen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat.
1. Einen Grund für die Revisionszulassung benennt weder das Beru-
fungsgericht noch zeigt die Revision einen solchen auf. Ein Zulassungsgrund ist
auch nicht ersichtlich. Insbesondere entspricht die Auffassung des Berufungs-
gerichts, bei Behörden und öffentlichen Körperschaften richte sich der Beginn
der Verjährungsfrist für zivilrechtliche Schadensersatzansprüche nach dem
Kenntnisstand der Bediensteten der für die Vorbereitung und Verfolgung des
Regressanspruchs zuständigen Abteilung, der ständigen Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs, an der, wie der Bundesgerichtshof nach dem Erlass des
Berufungsurteils klargestellt hat, auch nach dem seit dem 1. Januar 2002 gel-
tenden Verjährungsrecht festzuhalten ist (BGH, Urteil vom 17. April 2012
1
2
- 3 -
- VI ZR 108/11 Rn. 14; vgl. auch BGH, Urteil vom 20. Oktober 2011
- III ZR 252/10, WM 2012, 940 Rn. 18 ff.; Urteil vom 28. Februar 2012
- VI ZR 9/11 Rn. 11 ff.).
2. Die Revision hat keine Aussicht auf Erfolg.
a) Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Be-
klagte der Klägerin wegen der von ihm als Vorstand des Vereins zu verantwor-
tenden Nichtabführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung für die
Monate November und Dezember 2003 gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a
Abs. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB Schadensersatz zu leisten hat.
Der Arbeitgeber ist nach § 266a Abs. 1 StGB verpflichtet, im Falle eines
Mangels an Zahlungsmitteln vorrangig die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversi-
cherung abzuführen. Er hat geeignete Vorkehrungen zu treffen, um ausreichen-
de Liquidität zur Begleichung dieser Beiträge bei Fälligkeit bereitzustellen. Ver-
letzt er diese Pflicht, ist der Tatbestand des § 266a StGB auch dann verwirk-
licht, wenn der Beitragsschuldner zum Fälligkeitszeitpunkt zahlungsunfähig ist
(BGH, Urteil vom 21. Januar 1997 - VI ZR 338/95, BGHZ 134, 304, 308; Urteil
vom 25. September 2006 - II ZR 108/05, ZIP 2006, 2127 Rn. 10; Urteil vom
16. Februar 2012 - IX ZR 218/10, WM 2012, 660 Rn. 10). Das geschäftsleitende
Organ einer juristischen Person hat insoweit kraft seiner Organisationsgewalt
sicherzustellen, dass die der Körperschaft obliegenden Aufgaben durch die da-
mit betrauten Personen auch tatsächlich erfüllt werden (BGH, Urteil vom
15. Oktober 1996 - VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 378; Urteil vom 2. Juni 2008
- II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 Rn. 10).
3
4
5
- 4 -
Dies zu Grunde gelegt kann der Beklagte sich nicht mit Erfolg darauf be-
rufen, dass ihm infolge eines Cash-Pool-Managements zum Fälligkeitszeitpunkt
keine finanziellen Mittel zur Verfügung gestanden hätten. Die Einwände, es ha-
be dem Beklagten innerhalb des Vereinsvorstandes nicht oblegen, sich um die
Beitragsabführung zu kümmern und er habe von der Nichtzahlung keine Kennt-
nis gehabt, sind neu und können im Revisionsverfahren gemäß § 559 Abs. 1
ZPO nicht mehr berücksichtigt werden. Entsprechend ist das Berufungsgericht
auch ohne Rechtsfehler von einem vorsätzlichen Handeln des Beklagten aus-
gegangen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 15. Oktober 1996 - VI ZR 319/95, BGHZ
133, 370, 381). Im Übrigen traf den Beklagten zumindest eine Überwachungs-
pflicht (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juni 2008 - II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 Rn. 11),
von deren vorsätzlicher Verletzung auf der Grundlage des unstreitigen Sach-
verhalts und der getroffenen Feststellungen auszugehen ist.
b) Ebenfalls rechtsfehlerfrei ist die Auffassung des Berufungsgerichts,
der Anspruch sei nicht verjährt. Anders als die Revision meint, kann für den hier
maßgebenden Zeitraum bis zum 31. Dezember 2003 keine Kenntnis oder auf
grober Fahrlässigkeit der Klägerin beruhende Unkenntnis der anspruchsbe-
gründenden Umstände und der Person des Schuldners i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2
Fall 2 BGB angenommen werden. Die mit der Einziehung der Beiträge befasste
Abteilung der Klägerin war schon nicht gehalten, sofort nach dem Verstreichen
des Fälligkeitstermins am 15. Dezember 2003 die Regressabteilung einzuschal-
ten. Im Übrigen wäre die Verjährungsfrist auch dann nicht bis zum
6
7
- 5 -
31. Dezember 2003 in Lauf gesetzt worden, wenn die für die Beitragseinzie-
hung zuständige Abteilung ihr Wissen grob fahrlässig nicht an die Regressabtei-
lung weitergleitet hätte (vgl. BGH, Urteil vom 17. April 2012 - VI ZR 108/11
Rn. 14).
Strohn Caliebe Reichart
Born Sunder
Hinweis:
2012 gemäß § 552a ZPO zurückgewiesen.
Vorinstanzen:
AG Zittau, Entscheidung vom 03.03.2009 - 5 C 290/07 -
LG Görlitz, Entscheidung vom 04.05.2010 - 2 S 26/09 -