Urteil des BGH vom 29.07.2004

BGH (gvg, rechtliches gehör, sache, antragsteller, abgabe, verwaltungsgericht, zpo, beschwerde, strafkammer, 1995)

BGHR
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
III ZB 2/04
vom
29. Juli 2004
in dem Rechtsstreit
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Schlick und die Richter Dr. Wurm, Dr. Kapsa, Dörr und Galke am 29. Juli 2004
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsteller wird der Beschluß
des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 16. De-
zember 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zu-
rückverwiesen.
Gegenstandswert: 2.000 €
Gründe:
I.
Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes,
dem Antragsgegner (Land Mecklenburg-Vorpommern) bestimmte Behauptun-
gen in Pressemitteilungen der Staatsanwaltschaft in einem gegen die Antrag-
steller eingeleiteten Ermittlungsverfahren zu untersagen. Die angerufene Zivil-
kammer hat das Verfahren formlos an eine Strafkammer desselben Landge-
richts abgegeben, diese hat unter Hinweis auf die §§ 23 und 25 EGGVG die
Sache an einen Strafsenat des Oberlandesgerichts verwiesen. Der Strafsenat
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wiederum hat sich für unzuständig erklärt und das Verfahren im Einverständnis
der Parteien an eine Zivilkammer des Landgerichts zurückgegeben. Das Land-
gericht hat daraufhin durch Beschluß den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen
Verfügung aus Sachgründen zurückgewiesen. Hiergegen haben die Antragstel-
ler sofortige Beschwerde eingelegt. Das Oberlandesgericht (Zivilsenat) hat die
Entscheidung des Landgerichts aufgehoben, den Rechtsweg zu den ordentli-
chen Gerichten für unzulässig erklärt und das Verfahren nunmehr an das Ver-
waltungsgericht verwiesen. Mit der vom Oberlandesgericht als "Beschwerde"
zugelassenen Rechtsbeschwerde erstreben die Antragsteller die Aufhebung
dieses Beschlusses.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1.
Das Rechtsmittel ist zulässig. Die nach § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG zum
Bundesgerichtshof führende Beschwerde ist nach der Zivilprozeßreform eine
Rechtsbeschwerde oder jedenfalls als solche zu behandeln (BGHZ 152, 213,
214 f.; Senatsbeschluß BGHZ 155, 365, 368 m.w.N.). Der Umstand, daß im
Verfahren der einstweiligen Verfügung gegen ein Berufungsurteil die Revision
gemäß § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht statthaft wäre und deshalb auch eine
Rechtsbeschwerde gegen eine in Beschlußform erlassene Entscheidung
grundsätzlich nicht gegeben ist (BGHZ 152, 195 ff.; 154, 102, 103 ff.; BGH,
Beschluß vom 16. September 2003 - VIII ZB 40/03 - NJW 2003, 3565), steht im
Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung über die Frage des Rechts-
weges der Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde im Fall des § 17a Abs. 4
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Satz 4 GVG nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluß vom 19. Dezember 2002
- I ZB 24/02 - NJW 2003, 1194; zur früheren Rechtslage BGH, Beschluß vom
30. September 1999 - V ZB 24/99 - NJW 1999, 3785; Senatsbeschluß vom
5. April 2001 - III ZB 48/00 - NJW 2001, 2181).
2.
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
a) Das Beschwerdegericht sieht sich an einer Prüfung, ob der zu den
Zivilgerichten beschrittene Rechtsweg zulässig ist, weder durch die vorausge-
gangenen Abgaben und Verweisungen innerhalb der ordentlichen Gerichtsbar-
keit noch durch die inhaltlichen Beschränkungen des § 17a Abs. 5 GVG gehin-
dert. Die formlose Abgabe durch den Strafsenat des Oberlandesgerichts an
das Landgericht entfalte diesem gegenüber ebensowenig Bindungswirkung wie
umgekehrt der Verweisungsbeschluß der Strafkammer gegenüber dem Straf-
senat. Dementsprechend habe die Zivilkammer nach Rückgabe der Sache An-
laß gehabt, sich mit den auch im Beschluß des Strafsenats angesprochenen
erheblichen Zweifeln an der Zulässigkeit des Zivilrechtswegs auseinanderzu-
setzen. Nach Ansicht des Beschwerdegerichts war das Landgericht deswegen
auch ohne Rüge der Parteien gemäß § 17a Abs. 3 Satz 1 GVG von Amts we-
gen verpflichtet, vorab über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu entscheiden.
Außerdem sei es erforderlich gewesen, dem Antragsgegner rechtliches Gehör
zu gewähren. Die Beteiligung der Generalstaatsanwaltschaft in dem vor dem
1. Strafsenat des Oberlandesgerichts geführten Verfahren reiche nicht aus; die
Frage der Rechtswegzuständigkeit behandelten dort weder der Hinweis des
Senatsvorsitzenden noch die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft.
Sei es somit dem Antragsgegner mangels Beteiligung im erstinstanzlichen Ver-
fahren nicht möglich gewesen, zur Frage des zulässigen Rechtswegs und da-
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mit zugleich des gesetzlichen Richters Stellung zu nehmen, so dürfe ihm die
Zulässigkeitsrüge in der Rechtsmittelinstanz nicht aus formellen Gründen nach
§ 17a Abs. 5 GVG abgeschnitten werden.
b) Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Es ist schon zweifelhaft, ob die Zivilgerichte nicht bereits wegen der "Ab-
gabe" des Verfahrens durch den Strafsenat an die Zivilkammer in entspre-
chender Anwendung des § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG gehindert sind, die Zuläs-
sigkeit des Zivilrechtswegs nunmehr zu verneinen. § 17a GVG ist auch im Ar-
rest- und einstweiligen Verfügungsverfahren anwendbar (Senatsbeschluß vom
5. April 2001 - III ZB 48/00 - NJW 2001, 2181, 2182; Zöller/Gummer, ZPO,
24. Aufl., vor §§ 17-17b GVG Rn. 11 m.w.N.).
Bisher ist allerdings noch nicht abschließend geklärt, inwieweit die
§§ 17 ff. GVG im Verhältnis zwischen dem besonderen Rechtsweg für die An-
fechtung von Justizverwaltungsakten (§§ 23 ff. EGGVG) und den sonstigen Zu-
ständigkeiten innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit gelten, insbesondere,
ob auf der Grundlage der §§ 23 ff. EGGVG erfolgte Verweisungsbeschlüsse
eine Weiterverweisung nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG innerhalb der ordentli-
chen Gerichte hindern. Vor allem die Strafgerichte und die strafprozessuale
Literatur verneinen teils eine entsprechende Anwendung dieser Vorschriften
überhaupt (OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 1997, 246; NJW 1998, 1165;
OLG Hamburg NStZ 1995, 252; OLG Stuttgart wistra 2002, 38, 39; a.A. KG GA
1985, 271, 272 f.; OLG Karlsruhe NJW 1988, 84, 85; OLG Saarbrücken NJW
1994, 1423, 1424 f.), teils jedenfalls eine derartige Bindungswirkung (OLG
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Karlsruhe MDR 1995, 88, Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 25 EGGVG Rn. 2;
Löwe/Rosenberg/Böttcher, StPO, 25. Aufl., § 25 EGGVG Rn. 3).
Die Frage muß hier nicht entschieden werden.
aa) Sind die §§ 17 ff. GVG insoweit auch auf interne Verweisungen in-
nerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit anwendbar, so war zwar der Strafse-
nat des Oberlandesgerichts an die Verweisung durch die Strafkammer gebun-
den und durfte die Sache nicht mehr an eine Zivilkammer des Landgerichts
zurückverweisen. Die tatsächlich erfolgte formlose "Abgabe" an diese wäre in
diesem Fall als Rückverweisung zu verstehen und wäre rechtswidrig gewesen.
Gleichwohl hätte dies die Zivilgerichte gebunden (vgl. Senatsbeschluß BGHZ
144, 21, 23 ff.; BGH, Beschlüsse vom 26. Juli 2001 - X ARZ 69/01 - NJW 2001,
3631, 3633 und vom 12. März 2002 - X ARZ 314/01 - BGH-Report 2002, 749,
750). Eine Weiterverweisung an das Verwaltungsgericht durch das Beschwer-
degericht war dann aus diesem Grunde ausgeschlossen.
bb) Andernfalls wäre dem Beschwerdegericht eine Überprüfung des vom
Landgericht in seiner erneuten Entscheidung stillschweigend bejahten Zivil-
rechtswegs gemäß § 17a Abs. 5 GVG verwehrt gewesen. Danach prüft das
Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache
entscheidet, nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Diese Be-
schränkung gilt grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes (BFH WM 1997, 2344, 2347; Baumbach/Lauterbach/Albers/
Hartmann, ZPO, 62. Aufl., § 17a GVG Rn. 15; Zöller/Gummer aaO, § 17a GVG
Rn. 18; a.A. VGH Kassel NJW 1995, 1170, 1171; MünchKomm/Wolf, ZPO,
2. Aufl., § 17a GVG Rn. 27). Gerade in einem auf rasche Erledigung angeleg-
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ten Verfahren besteht kein Anlaß, den Streit der Parteien über Zuständigkeits-
fragen ohne zwingende Gründe über die im Hauptsacheverfahren zulässigen
gerichtlichen Prüfungsmöglichkeiten hinaus zu verlängern.
(1) § 17a Abs. 5 GVG gilt allerdings nicht, wovon das Beschwerdegericht
im Ansatz zutreffend ausgeht, wenn das erstinstanzliche Gericht eine nach
§ 17a Abs. 3 Satz 2 GVG notwendige Vorabentscheidung unterlassen hat
(BGHZ 119, 246, 250; Senatsurteil BGHZ 121, 367, 370 ff.; BGHZ 130, 159,
163; Senatsbeschluß vom 26. Februar 1998 - III ZB 25/97 - NJW 1998, 2745;
BGH, Urteil vom 18. November 1998 - VIII ZR 269/97 - NJW 1999, 651). Unter
den hier gegebenen Umständen war eine Vorabentscheidung des Landgerichts
aber nicht geboten. Keine der Parteien hatte bis dahin die Zulässigkeit des Zi-
vilrechtswegs gerügt, im Gegenteil entsprach die Abgabe der Sache an die Zi-
vilkammer auch dem damaligen Antrag des Antragsgegners. Mangels einer
Rüge lag es nunmehr im Ermessen des Landgerichts, ob es - bei eigenen
Zweifeln - über die Zulässigkeit des Rechtswegs gleichwohl vorab entscheiden
wollte (s. BGHZ 120, 204, 206). Diese Ermessensentscheidung ist im Rechts-
mittelverfahren grundsätzlich nicht zu überprüfen (a.A. wohl Boin, NJW 1998,
3747, 3748). Im vorliegenden Fall liegt überdies ein Ermessensfehler des
Landgerichts im Gegensatz zur Ansicht des Oberlandesgerichts schon deshalb
fern, weil auch der Strafsenat des Oberlandesgerichts für die hier gestellten
Anträge eine Zuständigkeit der Zivilgerichte bejaht und keinen Anlaß für eine
Verweisung an das Verwaltungsgericht gesehen hatte.
(2) Es mag ferner sein, daß eine Bindungswirkung nach § 17a Abs. 5
GVG auch dann entfällt, wenn dem Gegner vor der erstinstanzlichen Sachent-
scheidung kein rechtliches Gehör gewährt worden ist (insoweit zutreffend
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MünchKomm/Wolf aaO, § 17a Rn. 27; ebenso OLG Frankfurt am Main OLG-
Report 1995, 247, 248). Davon kann entgegen der Auffassung des Oberlan-
desgerichts im vorliegenden Fall indes keine Rede sein. Der 1. Strafsenat des
Oberlandesgerichts hatte mit Verfügung seines Vorsitzenden dem Antragsgeg-
ner förmlich Gelegenheit gegeben, zur Zuständigkeit des Strafsenats und der
beabsichtigten Rückverweisung an die Zivilkammer Stellung zu nehmen. Dar-
auf hatte die Generalstaatsanwaltschaft eine Abgabe an die zuständige Zivil-
kammer des Landgerichts beantragt und sich in der Begründung auch mit den
teilweise abweichenden Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts in
NJW 1984, 2233 und NJW 1989, 412 auseinandergesetzt, auf die das Ober-
landesgericht seine Verweisung an das Verwaltungsgericht jetzt stützt und auf
die im übrigen bereits die Strafkammer hingewiesen hatte. Damit war dem An-
tragsgegner in der Rechtswegfrage hinreichende Möglichkeit zur Äußerung
gegeben worden. Das bezieht sich zugleich auf die anschließende Entschei-
dung des Landgerichts in dem vor der Zivilkammer fortgesetzten Verfahren.
c) Infolgedessen kann der angefochtene Beschluß nicht bestehenblei-
ben, ohne daß es noch auf die für die Zulassungsentscheidung maßgebenden
Rechtswegfragen ankommt. Die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung
und die Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht gibt diesem
Gelegenheit, nunmehr über die Beschwerde der Antragsteller in der Sache zu
befinden.
Schlick
Wurm
Kapsa
Dörr
Galke