Urteil des BGH vom 16.01.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 39/10
Verkündet am:
16. Januar 2013
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 1578 b
a) Wird ein aus dem Ausland stammender Ehegatte im Zusammenhang mit seiner
Eheschließung in Deutschland ansässig und hätte er ohne die Ehe sein Heimat-
land nicht verlassen, bestimmt sich sein angemessener Lebensbedarf im Sinne
von § 1578 b Abs. 1 Satz 1 BGB nach den Erwerbs- und Verdienstmöglichkeiten,
die sich ihm bei einem Verbleib in seinem Heimatland geboten hätten.
b) Das von dem ausländischen Ehegatten in seinem Heimatland hypothetisch er-
zielbare Einkommen ist gegebenenfalls im Hinblick auf Kaufkraftunterschiede an
das deutsche Preisniveau anzupassen.
c) Der angemessene Lebensbedarf des unterhaltsberechtigten Ehegatten kann
auch in diesen Fällen nicht unter das unterhaltsrechtliche Existenzminimum sin-
ken, welches dem in den unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Oberlandesgerichte
ausgewiesenen Selbstbehalt eines nichterwerbstätigen Unterhaltsschuldners
entspricht.
BGH, Urteil vom 16. Januar 2013 - XII ZR 39/10 - OLG Rostock
AG Schwerin
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Januar 2013 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin
Dr. Vézina und die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Günter und Dr. Botur
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 1. Familiensenats des Oberlan-
desgerichts Rostock vom 26. Februar 2010 wird als unzulässig
verworfen, soweit das Oberlandesgericht über Unterhaltsansprü-
che bis zum 31. Dezember 2008 entschieden hat.
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens werden der Beklagten aufer-
legt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Abänderung einer Verbundentscheidung
zum nachehelichen Unterhalt.
Die Parteien hatten im Mai 1990 ihre kinderlos gebliebene Ehe geschlos-
sen. Sie trennten sich spätestens im August 2002. Auf den im Oktober 2002
zugestellten Scheidungsantrag wurde ihre Ehe durch Urteil des Amtsgerichts
vom 11. März 2005 geschieden und der Kläger im Scheidungsverbund dazu
verurteilt, an die Beklagte einen monatlichen Aufstockungsunterhalt in Höhe
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€ zu zahlen. Dabei ging das Amtsgericht aufseiten des Klägers von
monatlichen Nettoeinkünften in Höhe von 2.950
€ aus, die um verschiedene
ehebedingte Verbindlichkeiten zu bereinigen waren. Der Beklagten rechnete
das Amtsgericht fiktive monatliche Nettoeinkünfte in Höhe von 650
€ zu.
Der 1948 geborene Kläger ist als Montageleiter bei einem Unternehmen
des Maschinen- und Anlagenbaus angestellt und wird von seinem Arbeitgeber
weltweit auf Baustellen eingesetzt. Die 1963 geborene Beklagte stammt aus der
Ukraine und war im Zusammenhang mit der Eheschließung im Jahre 1990 aus
der damaligen Ukrainischen SSR in die ehemalige DDR übergesiedelt. In der
Ukraine hatte sie zuvor als Sekretärin für ein kommunales Verwaltungsorgan
gearbeitet. Sie hat im Jahre 1993 die deutsche Staatsangehörigkeit erworben;
eine Erwerbstätigkeit in Deutschland übt sie nicht aus.
Mit seiner am 31. Mai 2006 bei dem Amtsgericht eingegangenen Abän-
derungsklage hat der zwischenzeitlich wiederverheiratete Kläger unter anderem
auf den vollständigen Wegfall der Unterhaltspflicht nach Ablauf eines Jahres
seit Rechtshängigkeit seiner Klage angetragen. Die Beklagte ist diesem Begeh-
ren entgegengetreten und hat ihrerseits Abänderungswiderklage mit dem Ziel
einer Erhöhung des Unterhalts für den Zeitraum ab Januar 2006 auf monatlich
bis zu 2.480
€ erhoben. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und den
Kläger auf die Widerklage in Abänderung des Scheidungsverbundurteils verur-
teilt, an die Beklagte Unterhaltsrückstände für den Zeitraum Januar 2006 bis
Oktober 2006 in Höhe von 11.694,12
€ sowie einen laufenden unbefristeten
Ehegattenunterhalt in monatlicher Höhe von 1.235,12
€ seit November 2006 zu
zahlen. Gegen diese Entscheidung haben die Parteien wechselseitige Berufun-
gen eingelegt, mit denen sie im Wesentlichen ihre erstinstanzlichen Begehren
weiterverfolgt haben; der Kläger hat im Berufungsverfahren eine Befristung des
Unterhaltsanspruchs bis zum 31. Dezember 2007 begehrt. Das Oberlandesge-
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richt hat die angefochtene Entscheidung teilweise abgeändert, der Beklagten
für den Zeitraum zwischen Januar 2006 und Dezember 2008 monatliche Unter-
haltsbeträge in wechselnder Höhe zwischen 828,78
€ und 1.462,11 € zuge-
sprochen und die Unterhaltspflicht des Klägers ab dem 1. Januar 2009 entfallen
lassen.
Mit ihrer zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte den Wegfall der
Befristung und weiterhin einen höheren Unterhalt für den Zeitraum seit Januar
2006.
Entscheidungsgründe:
Auf das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis zum
31. August 2009 geltende Prozessrecht anzuwenden, weil das Verfahren vor
diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 3. Novem-
ber 2010 - XII ZB 197/10 - FamRZ 2011, 100 Rn. 10).
I.
Die Revision ist unzulässig, soweit sich die Beklagte dagegen wendet,
dass sie für den Zeitraum zwischen Januar 2006 und Dezember 2008 mit ihrer
Abänderungswiderklage auf Erhöhung des im Scheidungsverbund titulierten
Unterhalts nicht vollständig durchgedrungen ist. Denn insoweit hat das Beru-
fungsgericht die Revision nicht zugelassen (§ 543 Abs. 1 ZPO).
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann sich eine wirksame
Beschränkung des Rechtsmittels auch bei uneingeschränkter Zulassung im Te-
nor der angefochtenen Entscheidung aus dessen Entscheidungsgründen erge-
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ben. Eine solche Beschränkung setzt voraus, dass das Berufungsgericht die
Möglichkeit einer Nachprüfung im Revisions- oder Rechtsbeschwerdeverfahren
hinreichend klar auf einen abtrennbaren Teil seiner Entscheidung begrenzt hat
(vgl. zuletzt Senatsurteile BGHZ 189, 284 = FamRZ 2011, 1041 Rn. 10 und
vom 15. September 2010 - XII ZR 20/09 - FamRZ 2010, 1880 Rn. 9).
Das ist hier der Fall. Enthält das angefochtene Urteil - wie hier - einen
Ausspruch zur Befristung, ist der streitgegenständliche Unterhalt in zeitlicher
Hinsicht teilbar und eine entsprechend eingeschränkte Zulassung der Revision
möglich (Senatsurteile BGHZ 179, 43 = FamRZ 2009, 406 Rn. 10 und vom
25. Januar 1995 - XII ZR 195/93 - FamRZ 1995, 1405; anders für den Fall der
Ablehnung der Befristung: Senatsurteile vom 27. Januar 2010 - XII ZR 100/08 -
FamRZ 2010, 538 Rn. 19 und vom 27. Mai 2009 - XII ZR 78/08 - FamRZ 2009,
1300 Rn. 16). Das Oberlandesgericht hat die Revision zugelassen, weil "eine
einheitliche Rechtsprechung zur Begrenzung von nachehelichen Unterhaltsan-
sprüchen" bislang noch nicht bestehe und im Hinblick hierauf die Zulassung der
Revision der Fortbildung des Rechts diene. Den Gründen der angefochtenen
Entscheidung ist somit hinreichend deutlich zu entnehmen, dass das Beru-
fungsgericht die Revision nur wegen des Ausspruchs zur Befristung zulassen
wollte; die zulassungsrelevante Rechtsfrage wirkt sich insoweit für die Beklagte
nur auf den Unterhaltsanspruch ab Januar 2009 aus. Bezieht sich in einem Un-
terhaltsrechtsstreit die Zulassungsfrage indessen nur auf einen Teil des streiti-
gen Zeitraums, liegt regelmäßig die Annahme nahe, das Berufungsgericht habe
die Revision auch nur hinsichtlich des von der Zulassungsfrage betroffenen
Teils zulassen wollen. Ein derartiges Verständnis des Ausspruchs über die Zu-
lassung trägt auch der mit dem Prinzip der Zulassungsrevision verfolgten Kon-
zentration des Revisionsgerichts auf rechtsgrundsätzliche Fragen Rechnung.
Es verhindert umgekehrt, dass durch eine formal undifferenzierte Zulassung der
Revision abtrennbare Teile des Streitstoffs ohne ersichtlichen Grund einer revi-
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sionsgerichtlichen Prüfung unterzogen werden müssen (Senatsurteile BGHZ
180, 170 = FamRZ 2009, 770 Rn. 9 und vom 27. Mai 2009 - XII ZR 111/08 -
FamRZ 2009, 1207 Rn. 10).
II.
Soweit die Revision zulässig ist, ist sie nicht begründet.
1. Das Berufungsgericht hat die Abänderungsklage des Klägers für zu-
lässig gehalten, weil die zweite Ehefrau des Klägers seit dem 1. Januar 2008
wegen der durch das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz vom 21. Dezember
2007 (UÄndG) erfolgten Rechtsänderungen unterhaltsrechtlich gegenüber der
Beklagten nicht mehr nachrangig sei und seit diesem Zeitpunkt auch eine Mög-
lichkeit zur zeitlichen Begrenzung des nachehelichen Unterhalts für Ehen von
langer Dauer bestünde. In der Sache hat das Berufungsgericht den Unterhalts-
anspruch der Beklagten bis zum 31. Dezember 2008 befristet und insoweit zur
Begründung seiner Entscheidung das Folgende ausgeführt:
Eine zeitliche Begrenzung des Unterhalts nach § 1578 b Abs. 2 BGB
könne sich im vorliegenden Fall, da die Parteien keine gemeinsamen Kinder
hätten, nur dann als unbillig darstellen, wenn bei der Beklagten ehebedingte
Nachteile vorlägen. Solche Nachteile für die Zeit nach dem 1. Januar 2009 ha-
be die Beklagte nicht hinreichend dargelegt. Der Kläger habe ausgeführt, dass
die Beklagte bei Ausübung einer Berufstätigkeit in der Lage sei, ihren vor der
Ehe in der Ukraine erreichten bzw. den für sie heute dort erreichbaren Lebens-
standard selbst zu decken. Dem sei die Beklagte nicht substantiiert entgegen-
getreten. Zwar könne bei der Ermittlung ehebedingter Nachteile nicht auf die
Lebensverhältnisse der Beklagten vor 1990 abgestellt werden, da in der
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Ukraine gravierende politische und wirtschaftliche Veränderungen eingetreten
seien. Es komme vielmehr darauf an, über welche Einkommensverhältnisse die
Beklagte heute verfügen würde, wenn sie in der Ukraine geblieben wäre. Dage-
gen könnten die ehebedingten Nachteile nicht nach den deutschen Lebens- und
Einkommensverhältnissen bemessen werden, weil keinerlei Anhaltspunkte da-
für vorlägen, dass die Beklagte ohne die Eheschließung mit dem Kläger die
Möglichkeit gehabt hätte, nach Deutschland zu ziehen. Die von einer Sekretärin
mit der Vorbildung der Beklagten in der Ukraine erzielbaren Einkünfte würden
allerdings auch unter Berücksichtigung von Verbrauchergeldparitäten das der
Beklagten in diesem Verfahren fiktiv zugerechnete Einkommen von 650
€ nicht
übersteigen. Die Zurechnung dieser fiktiven Einkünfte sei zu Recht erfolgt, denn
das Amtsgericht habe zutreffend erkannt, dass die Beklagte ihre Erwerbsoblie-
genheit gegenüber dem Kläger verletze, weil sie seit der spätestens im August
2002 erfolgten Trennung von dem Kläger weder einer Erwerbstätigkeit nachge-
gangen sei noch sich um eine solche bemüht habe. Die Beklagte verfüge über
gute Deutschkenntnisse und dazu aufgrund ihrer Herkunft über umfangreiche
Fremdsprachenkenntnisse, so dass das ihr fiktiv zugerechnete Nettoeinkom-
men von 650
€ z.B. als Fremdsprachenkorrespondentin oder Dolmetscherin
jedenfalls zu erzielen sei. Ehebedingte Nachteile könnten sich auch nicht dar-
aus ergeben, dass die Beklagte wegen der Eheschließung nach Deutschland
übergesiedelt sei. Es fehlten Darlegungen dazu, warum die Beklagte nach der
Scheidung nicht wieder in die Ukraine zurückkehren und ihre vor der Ehe aus-
geübte Tätigkeit als Sekretärin nicht wieder habe aufnehmen können. Dies gel-
te umso mehr, als die Beklagte zwischenzeitlich gute Deutschkenntnisse er-
worben habe und nicht ersichtlich sei, warum diese nicht auch in der Ukraine für
eine Berufstätigkeit nutzbar gemacht werden könnten. Schließlich ergebe sich
ohne Hinzutreten weiterer Umstände auch aus der mehr als zwölfjährigen Dau-
er der Ehe kein ehebedingter Nachteil.
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Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung zwar nicht in allen
Punkten der Begründung, aber jedenfalls im Ergebnis stand.
2. Entgegen der Ansicht der Revision ist der Kläger mit seinem Befris-
tungsverlangen nicht ausgeschlossen.
a) Die Abänderung einer rechtskräftigen Entscheidung über den Unter-
halt setzt nach dem hier noch anwendbaren § 323 Abs. 1 ZPO aF voraus, dass
sich die für die Bestimmung der Höhe und Dauer der Leistungen maßgebenden
Verhältnisse wesentlich geändert haben. Dabei ist zu beachten, dass die
Grundlagen der Ausgangsentscheidung im Abänderungsverfahren zu wahren
sind und eine Fehlerkorrektur wegen der Rechtskraft des Ausgangsurteils nicht
zulässig ist. Deshalb kann die Abänderungsklage nach § 323 Abs. 2 ZPO aF
nur auf solche Gründe gestützt werden, die erst nach dem Schluss der letzten
mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz des Ausgangsverfahrens
entstanden sind, in der eine Erweiterung des Klageantrags oder die Geltend-
machung von Einwendungen spätestens hätte erfolgen müssen.
Richtig ist im vorliegenden Fall zwar, dass der Kläger insbesondere den
Einwand, die Beklagte habe durch die Ehe keine Erwerbsnachteile erlitten, be-
reits im Ausgangsverfahren hätte anbringen können. Eine wesentliche Ände-
rung der Verhältnisse im Sinne des § 323 Abs. 1 ZPO aF kann sich aber nicht
nur aus der Änderung tatsächlicher Verhältnisse, sondern auch daraus erge-
ben, dass sich die rechtliche Beurteilung eines gegenüber dem Ausgangsver-
fahren unverändert gebliebenen Tatsachenstoffs geändert hat. Eine wesentli-
che Änderung der insoweit maßgebenden rechtlichen Verhältnisse kann sich
nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht nur aus einer Gesetzesände-
rung, sondern auch aus einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtspre-
chung durch den Bundesgerichtshof ergeben (Senatsurteile vom 8. Juni 2011
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- XII ZR 17/09 - FamRZ 2011, 1381 Rn. 18 und vom 29. September 2010
- XII ZR 205/08 - FamRZ 2010, 1884 Rn. 16 mwN), wie nunmehr auch durch
§ 238 Abs. 1 Satz 2 FamFG bzw. durch § 323 Abs. 1 Satz 2 ZPO in der seit
dem 1. September 2009 geltenden Fassung gesetzlich klargestellt ist.
b) Der Senat hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass sich eine solche
Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - bezogen auf die zur
Befristung des Aufstockungsunterhalts schon im Rahmen des § 1573 Abs. 5
BGB aF anzustellenden Billigkeitsabwägungen - durch die Änderung der Se-
natsrechtsprechung aufgrund des Urteils vom 12. April 2006 (XII ZR 240/03
- FamRZ 2006, 1006) vollzogen hat (zuletzt Senatsurteil vom 23. Mai 2012
- XII ZR 147/10 - FamRZ 2012, 1284 Rn. 18 mwN). Denn der Senat hat mit die-
sem Urteil seine zunächst nach dem Unterhaltsänderungsgesetz vom 20. Feb-
ruar 1986 (BGBl. I S. 301) ergangene und grundlegend auf das Jahr 1990 zu-
rückgehende Rechtsprechung geändert.
Nach ihr war die mit der Einführung des § 1573 Abs. 5 BGB aF erstmals
möglich gewordene Befristung des Aufstockungsunterhaltsanspruchs bei Ehen
von einer bestimmten Dauer regelmäßig ausgeschlossen und allenfalls unter
außergewöhnlichen Umständen zulässig (vgl. Senatsurteile vom 28. März 1990
- XII ZR 64/89 - FamRZ 1990, 857, 859 und vom 10. Oktober 1990
- XII ZR 99/88 - FamRZ 1991, 307, 310; zur Entwicklung der Senatsrechtspre-
chung vgl. Dose FamRZ 2007, 1289, 1294). Zwar hatte der Senat bereits im
Zusammenhang mit der Änderung seiner Rechtsprechung zur Anrechnungsme-
thode (sogenannte Surrogatrechtsprechung) im Jahre 2001 angedeutet, dass
einer Begrenzung des Unterhalts nach §§ 1578 Abs. 1 Satz 2, 1573 Abs. 5
BGB aF als Korrektiv gegenüber der mit der Anwendung der Differenzmethode
auf die Einkünfte des erst nach der Trennung wieder erwerbstätigen Ehegatten
verbundenen wirtschaftlichen Mehrbelastung des Unterhaltspflichtigen gestei-
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gerte Bedeutung zukommen könnte (Senatsurteil BGHZ 148, 105 = FamRZ
2001, 986, 991). Eine Änderung der Rechtsprechung zur Frage der zeitlichen
Begrenzung des Aufstockungsunterhaltsanspruches war damit aber noch nicht
verbunden. Vielmehr hatte der Senat auch in der Folgezeit zunächst daran
festgehalten, dass sich eine Ehedauer von mehr als zehn Jahren dem Grenzbe-
reich nähern dürfte, in dem unter Berücksichtigung der Umstände des Einzel-
falls der Dauer der Ehe als Billigkeitskriterium im Rahmen von § 1573 Abs. 5
BGB aF ein durchschlagendes Gewicht für eine dauerhafte "Unterhaltsgarantie"
und gegen die Möglichkeit zeitlicher Begrenzung des Unterhalts zukommen
wird (vgl. Senatsurteil vom 9. Juni 2004 - XII ZR 308/01 - FamRZ 2004, 1357,
1360 mit ausdrücklichem Hinweis auf die Senatsrechtsprechung aus dem Jahre
1990). Von dieser Rechtsprechung ist der Senat erst in seinem Urteil vom
12. April 2006 in Bezug auf die grundsätzliche Gewichtung des Merkmals der
Ehedauer vollständig abgerückt; er hat seither für die Entscheidung über eine
Befristung des Aufstockungsunterhalts nach § 1573 Abs. 5 BGB aF das haupt-
sächliche Gewicht auf die mit der Ehe verbundenen Erwerbsnachteile für den
Unterhaltsberechtigten gelegt.
c) Nach alledem kann dem Berufungsgericht zwar nicht in seiner Beurtei-
lung gefolgt werden, dass sich die Möglichkeit einer Befristung von Aufsto-
ckungsunterhalt bei Ehen von langer Dauer erst durch das Inkrafttreten des Un-
terhaltsrechtsänderungsgesetzes ergeben habe. Da das abzuändernde Urteil
allerdings am 11. März 2005 und damit vor Erlass des Senatsurteils vom
12. April 2006 ergangen ist, ist der Kläger aus Rechtsgründen nicht daran ge-
hindert, den Befristungseinwand in diesem Abänderungsverfahren geltend zu
machen, auch wenn dieser nicht auf neue Tatsachen gestützt wird (vgl. Se-
natsurteil vom 5. Oktober 2011 - XII ZR 117/09 - FamRZ 2011, 1854 Rn. 31).
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d) Entgegen der Auffassung der Revision steht auch § 36 Nr. 1 EGZPO
dem Befristungsverlangen des Klägers nicht entgegen, weil diese Vorschrift hier
keine Anwendung findet. Hierzu hat der Senat bereits mehrfach ausgespro-
chen, dass § 36 Nr. 1 EGZPO nur auf die Abänderung solcher Unterhaltstitel
bzw. Unterhaltsvereinbarungen anwendbar ist, deren Grundlagen sich durch
das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz geändert haben. Bei der Abänderung
eines vor dem 1. Januar 2008 erlassenen Urteils oder einer zuvor geschlosse-
nen Vereinbarung zum Aufstockungsunterhalt ist das mit Blick auf das Senats-
urteil vom 12. April 2006 nicht der Fall (Senatsurteile BGHZ 183, 197 = FamRZ
2010, 111 Rn. 16 und vom 27. Januar 2010 - XII ZR 100/08 - FamRZ 2010, 538
Rn. 22). § 36 Nr. 1 EGZPO kann deshalb für sich genommen nicht als Begrün-
dung dafür herangezogen werden, für Unterhaltszeiträume nach dem 1. Januar
2008 von einer zeitlichen Begrenzung des Anspruches auf Aufstockungsunter-
halt abzusehen (Senatsurteil vom 8. Juni 2011 - XII ZR 17/09 - FamRZ 2011,
1381 Rn. 22 f.).
3. Die vom Berufungsgericht nach § 1578 b Abs. 1 und 2 BGB vorge-
nommene Befristung des Unterhaltsanspruches der Beklagten hält der revisi-
onsrechtlichen Überprüfung stand. Zwar sind seine Erwägungen nicht frei von
Rechtsfehlern. Diese wirken sich aber im Ergebnis nicht aus.
Ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt ist nach § 1578 b Abs. 1
Satz 1 BGB auf den angemessenen Lebensbedarf herabzusetzen, wenn eine
an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierte Bemessung des Unterhalts-
anspruchs auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege
oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wäre. Nach
§ 1578 b Abs. 2 Satz 1 BGB ist ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt zeit-
lich zu begrenzen, wenn ein zeitlich unbegrenzter Unterhaltsanspruch unbillig
wäre. Die Kriterien für die Billigkeitsabwägung ergeben sich aus § 1578 b
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Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB. Danach ist vorrangig zu berücksichtigen, inwieweit
durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den
eigenen Unterhalt zu sorgen. Solche Nachteile können sich vor allem aus der
Dauer der Pflege und Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes, aus der Ge-
staltung von Haushaltsführung oder Erwerbstätigkeit während der Ehe sowie
aus der Dauer der Ehe ergeben.
a) Im Ausgangspunkt hat das Berufungsgericht mit Recht darauf abge-
stellt, ob aufseiten des Unterhaltsberechtigten ehebedingte Nachteile entstan-
den sind. Um einen ehebedingten Nachteil der Höhe nach bemessen zu kön-
nen, muss der Tatrichter Feststellungen zum angemessenen Lebensbedarf des
Unterhaltsberechtigten im Sinne des § 1578 b Abs. 1 Satz 1 BGB und zum Ein-
kommen treffen, das der Unterhaltsberechtigte tatsächlich erzielt bzw. gemäß
§§ 1574, 1577 BGB erzielen könnte. Der Maßstab des angemessenen Lebens-
bedarfs bemisst sich dabei regelmäßig nach dem Einkommen, das der unter-
haltsberechtigte Ehegatte ohne die Ehe und Kindererziehung aus eigenen Ein-
künften zur Verfügung hätte, wobei eine Schätzung entsprechend § 287 ZPO
bei ausreichenden Grundlagen zulässig ist (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 11. Juli
2012 - XII ZR 72/10 - FamRZ 2012, 1483 Rn. 43 mwN).
aa) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hätte die Beklagte
ohne ihre Eheschließung mit dem Kläger nicht nach Deutschland übersiedeln
können, sondern sie hätte voraussichtlich weiter in der Ukraine gelebt. Dies
räumt auch die Revision ein. Soweit indessen im Rahmen des § 1578 b Abs. 1
Satz 1 BGB beim unterhaltsberechtigten Ehegatten ein Vergleich zwischen sei-
ner jetzigen Lebenslage und seiner hypothetischen Lebenssituation ohne Ehe-
schließung angestellt werden muss, kann es in solchen Fällen folgerichtig nicht
beanstandet werden, wenn für die Ermittlung eines hypothetischen Erwerbsein-
kommens auf die Erwerbs- und Verdienstmöglichkeiten des ausländischen
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Ehegatten abgestellt wird, die sich ihm bei einem Verbleib in seinem Heimat-
land geboten hätten. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hätte die
Beklagte bei einer Beschäftigung als Sekretärin oder Assistentin der Geschäfts-
führung in einem ukrainischen Wirtschaftsunternehmen seit 2009 kein Einkom-
men erzielen können, welches auch unter Berücksichtigung der unterschiedli-
chen Kaufkraft in Deutschland einem Betrag von mehr als 650
€ entsprochen
hätte. Diese Feststellungen greift die Revision nicht an; sie lassen auch keine
Rechtsfehler erkennen.
Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich für die Beklagte kein
weitergehender ehebedingter Nachteil dadurch, dass sie durch die in der Ehe
gewählte Übernahme der Hausfrauenrolle daran gehindert worden sei, sich
durch Fortbildung oder Umschulung weitergehend für den deutschen Arbeits-
markt zu qualifizieren. Bei einem im Hinblick auf die Eheschließung in
Deutschland ansässig gewordenen ausländischen Ehegatten ist die ungenü-
gende Verwertbarkeit seiner im Ausland absolvierten Berufsausbildung auf dem
deutschen Arbeitsmarkt nicht ehebedingt (vgl. Senatsurteil BGHZ 170, 77
= FamRZ 2007, 450, 451). Auch wenn der Beklagten durch die eheliche Rol-
lenverteilung die Möglichkeit beruflicher Qualifikation für den deutschen Ar-
beitsmarkt genommen worden sein sollte, würde eine sich dadurch im Zusam-
menhang mit der Scheidung von dem Kläger ergebende Bedarfslage nicht auf
einem ehebedingten Nachteil, sondern auf dem Entgehen von Erwerbschancen
beruhen, die sich ihr - als ehebedingter Vorteil - mit der Übersiedlung nach
Deutschland hätten eröffnen können. Ihr angemessener Lebensbedarf kann
deshalb nicht auf der Grundlage einer fiktiven Erwerbsbiographie bestimmt
werden, die erst im Jahre 1990 mit ihrer Übersiedlung nach Deutschland an-
setzt.
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bb) Allerdings folgt aus dem Begriff der "Angemessenheit" des Lebens-
bedarfs in § 1578 b Abs. 1 Satz 1 BGB zugleich, dass es sich um einen Bedarf
handeln muss, der das Existenzminimum mindestens erreicht. Der Senat hat
bereits mehrfach ausgesprochen, dass dieser Bedarf dem in den Leitlinien der
Oberlandesgerichte ausgewiesenen notwendigen Selbstbehalt eines nichter-
werbstätigen Unterhaltsschuldners von 770
€ (seit dem 1. Januar 2013: 800 €)
entspricht, und zwar auch dann, wenn von dem Unterhaltsgläubiger noch eine
Erwerbstätigkeit erwartet werden kann. Denn der darüber hinausgehende not-
wendige Selbstbehalt eines erwerbstätigen Unterhaltsschuldners schließt einen
Erwerbsanreiz ein, der aufseiten des Unterhaltsgläubigers keine Berechtigung
hat (Senatsurteil vom 17. Februar 2010 - XII ZR 140/08 - FamRZ 2010, 629
Rn. 33; vgl. auch Senatsurteil vom 13. Januar 2010 - XII ZR 123/08 - FamRZ
2010, 444 Rn. 18 zum Mindestbedarf beim Unterhaltsanspruch nach § 1615 l
BGB). Diesen Bedarf kann auch ein im Hinblick auf die Eheschließung in
Deutschland ansässig gewordener Ehegatte als Mindestbedarf verteidigen, weil
der unterhaltspflichtige Ehegatte ihn nicht auf eine Rückkehr in sein Heimatland
und deshalb nicht darauf verweisen kann, dass sein Existenzminimum unter
den dortigen wirtschaftlichen Bedingungen gesichert werden könnte.
Dies hat das Berufungsgericht zwar verkannt; seine Beurteilung, dass
aufseiten der Beklagten keine ehebedingten Nachteile vorliegen, wird dadurch
jedoch nicht in Frage gestellt. Ein ehebedingter Nachteil kann sich für die Be-
klagte im Zeitraum seit Januar 2009 nur ergeben, wenn und soweit sie ihr un-
terhaltsrechtliches Existenzminimum nicht zu sichern vermag, obwohl sie eine
angemessene Erwerbstätigkeit ausübt oder bei gehöriger Erfüllung ihrer Er-
werbsobliegenheit ausüben könnte. Davon kann unter den obwaltenden Um-
ständen nicht ausgegangen werden. Nach den insoweit nicht angegriffenen
Feststellungen des Berufungsgerichts hätte die Beklagte angesichts ihrer Vor-
bildung und ihrer in Deutschland erworbenen guten Sprachkenntnisse bei ent-
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sprechenden Erwerbsbemühungen eine angemessene Erwerbstätigkeit als
Dolmetscherin oder Fremdsprachenkorrespondentin ausüben können. Schon
die der Beklagten in der Ausgangsentscheidung vom 11. März 2005 zugerech-
neten fiktiven Einkünfte in Höhe von monatlich 650
€ entsprachen dem notwen-
digen Selbstbehalt eines Nichterwerbstätigen nach den im Bezirk des Beru-
fungsgerichts geltenden Leitlinien in der zum Entscheidungszeitpunkt gültigen
Fassung (Ziffer 21.2. der unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate des
OLG Rostock, Stand: 1. Juli 2003). Die Annahme, dass die spätestens seit
Sommer 2003 zur Ausübung einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit verpflichtete
Beklagte selbst bei zunehmender Berufserfahrung in Deutschland keine Aus-
sicht auf eine Einkommenssteigerung hätte, mit der nachhaltig zumindest der
Mindestbedarf gesichert werden kann, erscheint im Hinblick darauf nicht ge-
rechtfertigt.
b) § 1578 b BGB ist allerdings nicht auf die Kompensation ehebedingter
Nachteile beschränkt, sondern erfasst auch eine darüber hinausgehende nach-
eheliche Solidarität, die auch beim Aufstockungsunterhalt einer Befristung des
Unterhaltsanspruchs aus Billigkeitsgründen entgegenstehen kann (vgl. zuletzt
Senatsurteil vom 25. Januar 2012 - XII ZR 139/09 - FamRZ 2012, 525 Rn. 50).
Das Maß der geschuldeten nachehelichen Solidarität bestimmt sich neben der
Ehedauer (vgl. nunmehr ausdrücklich BT-Drucks. 17/11885, S. 6) vor allem
durch die wirtschaftliche Verflechtung, die durch den Verzicht des haushaltsfüh-
renden Ehegatten auf eine eigene Erwerbstätigkeit und hier insbesondere
dadurch eingetreten ist, dass die Beklagte zum Zwecke der Eheschließung ihr
Heimatland verlassen hat. Das Berufungsgericht ist auf der Grundlage der von
ihm getroffenen Feststellungen im Ergebnis zu einer ungekürzten Unterhalts-
pflicht bis zum 31. Dezember 2008, mithin für mehr als dreieinhalb Jahre nach
Rechtskraft der Scheidung und mehr als sechs Jahre nach Zustellung des
Scheidungsantrags gelangt. Dieses Ergebnis ist angesichts einer zwölfeinhalb-
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jährigen Ehedauer, des Alters der Parteien bei Trennung und Scheidung, der
Kinderlosigkeit der Ehe und des Umstandes, dass der Kläger durch seine Wie-
derverheiratung neue Unterhaltspflichten eingegangen ist, nach revisionsrecht-
lichen Maßstäben noch vertretbar.
Dose
Vézina
Klinkhammer
Günter
Botur
Vorinstanzen:
AG Schwerin, Entscheidung vom 15.02.2007 - 21 F 99/06 -
OLG Rostock, Entscheidung vom 26.02.2010 - 10 UF 97/07 -