Urteil des BGH vom 13.02.2008

BGH (gesamtstrafe, aufhebung, stpo, verletzung, form, strafe, folge, anhörung, falle, teil)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3. StR 563/07
vom
13. Februar 2008
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerde-
führers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 13. Feb-
ruar 2008 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Osnabrück vom 11. Juni 2007 im Straf-
ausspruch aufgehoben; die zugehörigen Feststellungen
bleiben aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer
Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen da-
durch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwie-
sen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "gemeinschaftlichen
schweren Raubes und wegen gemeinschaftlicher Vergewaltigung in Tateinheit
mit Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung" zur Gesamtfreiheits-
strafe von zehn Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung
formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt auf
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die Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist das Rechts-
mittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Die vom Landgericht für die festgestellte Verletzung des Gebots einer
zügigen Verfahrenserledigung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i. V. m.
Art. 20 Abs. 3 GG) vorgenommene Kompensation kann keinen Bestand haben.
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Das Landgericht hat für die beiden festgestellten Taten mit rechtsfehler-
freien Erwägungen Einzelfreiheitsstrafen von neun bzw. acht Jahren für an sich
verwirkt angesehen. Sodann hat es unter Beachtung der bisherigen Rechtspre-
chung (vgl. hierzu BGH NJW 2007, 3294) die beide Taten gleichermaßen
betreffende rechtsstaatswidrige Verzögerung des Verfahrens dadurch kompen-
siert, dass es von diesen beiden fiktiven Einzelstrafen jeweils sechs Monate
abgezogen, mithin Einzelstrafen von acht Jahren und sechs Monaten bzw. sie-
ben Jahren und sechs Monaten festgesetzt und hieraus eine Gesamtfreiheits-
strafe von zehn Jahren gebildet hat. Eine fiktive Gesamtfreiheitsstrafe hat es
- obwohl sich dies empfohlen hätte (vgl. BGH NStZ 2003, 601) - nicht bestimmt.
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Diese Verfahrensweise ("Strafabschlagslösung") entspricht nicht der
- nach dem Erlass der angefochtenen Entscheidung - geänderten Rechtspre-
chung des Bundesgerichtshofs zur Kompensation des Verstoßes gegen Art. 6
Abs. 1 Satz 1 MRK ("Vollstreckungsmodell"; vgl. BGH - Großer Senat, Beschl.
vom 17.
Januar 2008 - GSSt 1/07
). Dies hat hier die Aufhebung des gesamten
Strafausspruches zur Folge.
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Die Feststellungen des Landgerichts zur rechtsstaatswidrigen Verfah-
rensverzögerung und zu den Strafzumessungstatsachen sind durch die Form
der Kompensation nicht berührt. Sie können daher aufrechterhalten bleiben.
Der neue Tatrichter kann ergänzende, zu ihnen nicht in Widerspruch stehende
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Feststellungen treffen. Zur nunmehr gebotenen Durchführung der Kompensati-
on im Wege des Vollstreckungsmodells hat er Folgendes zu beachten:
Zunächst hat er in der neuen Hauptverhandlung nach den Kriterien des
§ 46 StGB schuldangemessene, die festgestellte rechtsstaatswidrige Verfah-
rensverzögerung außer Acht lassende Einzelstrafen festzusetzen und aus die-
sen eine Gesamtstrafe zu bilden. Sodann hat er die gebotene Kompensation
dadurch vorzunehmen, dass er in der Urteilsformel - zusätzlich zu der neu ge-
bildeten Gesamtstrafe - ausspricht, dass ein bezifferter Teil dieser Strafe als
vollstreckt gilt. Dabei ist er durch § 358 Abs. 2 StPO nicht gehindert, höhere
Einzelstrafen als die bisher erkannten zu verhängen und auch eine höhere Ge-
samtstrafe auszusprechen. Indes dürfen die neuen Einzelstrafen die im ange-
fochtenen Urteil als an sich verwirkt und - ohne Kompensationsabschlag - als
schuldangemessen ausgewiesenen Einzelstrafen nicht übersteigen. Außerdem
darf die im Falle vollständiger Vollstreckung zu verbüßende Strafe (schuldan-
gemessene Gesamtstrafe abzüglich des als vollstreckt geltenden Teils) nicht
höher sein, als die im angefochtenen Urteil ausgesprochene Gesamtfreiheits-
strafe von zehn Jahren. Damit wird sichergestellt, dass der Angeklagte, auch
wenn der neue Tatrichter auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zehn Jah-
ren erkennt, durch die Kompensation in Form der Vollstreckungslösung im Er-
gebnis nicht schlechter steht; denn die höchst mögliche Gesamtverbüßung
kann im Vergleich zum bisherigen Straferkenntnis auch dann nicht länger dau-
ern. Zugleich erhält der Angeklagte einen Vorteil, weil sich in Folge der vollen
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Anrechnung eines zehn Jahre übersteigenden Teils der neuen Gesamtstrafe
der Zeitpunkt, zu dem ein Strafrest zur Bewährung ausgesetzt werden kann,
nach vorne verlagert. Der Angeklagte könnte deshalb - bei Vorliegen der übri-
gen Voraussetzungen - früher als bisher aus dem Strafvollzug entlassen wer-
den.
Becker Pfister von Lienen
Hubert Schäfer