Urteil des BGH vom 08.07.2014

BGH: steuerhinterziehung, verjährungsfrist, ausnahme, steuerberechnung, strafzumessung, fristablauf, ruhe, erlass, bestimmungsort, abgabe

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 S t R 2 4 0 / 1 4
vom
8. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Juli 2014 gemäß § 349
Abs. 2 und 4, § 206a StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Land-
gerichts Augsburg vom 8. November 2013 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall 1
der Urteilsgründe wegen Steuerhinterziehung verurteilt
worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des
Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklag-
ten der Staatskasse zur Last;
b) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahingehend ge-
ändert, dass der Angeklagte der Steuerhinterziehung in
59 Fällen schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten seines
Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in
60 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten ver-
urteilt und eine Entscheidung gemäß § 111i Abs. 2 StPO getroffen. Gegen die-
ses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge
gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus dem Tenor ersichtlichen
Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Das Verfahren ist wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen,
soweit der Angeklagte im Fall 1 der Urteilsgründe wegen Steuerhinterziehung
gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO verurteilt worden ist. Wie der Generalbundesan-
walt in seiner Antragsschrift zutreffend dargelegt hat, ist insoweit Verfolgungs-
verjährung eingetreten.
Der Angeklagte ist seiner Pflicht, für die ohne deutsche Steuerzeichen in
das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland verbrachten Zigaretten un-
verzüglich eine Steuererklärung abzugeben (vgl. § 19 Satz 3 TabStG aF; § 23
Abs. 1 Satz 3 TabStG), nicht nachgekommen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Da in
solchen Fällen mangels kontinuierlichen abschnittsbezogenen Veranlagungs-
verfahrens kein allgemeiner Veranlagungsschluss festgestellt werden kann und
§ 168 AO - anders als bei Steueranmeldungen (vgl. § 150 Abs. 1 Satz 3 AO) -
nicht eingreift, ist für die Tatvollendung derjenige Zeitpunkt maßgeblich, zu dem
bei rechtzeitiger Abgabe einer Steuererklärung mit der Bekanntgabe einer
Steuerfestsetzung zu rechnen gewesen wäre (vgl. zur Hinterziehung von
Schenkungsteuer BGH, Beschluss vom 25. Juli 2011 - 1 StR 631/10, Rn. 41,
wistra 2011, 428). Tatbeendigung tritt bei Verstößen gegen § 23 Abs. 1 Satz 3
TabStG bzw. § 19 Satz 3 TabStG aF nach der Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofs demgegenüber erst dann ein, wenn die Tabakwaren die "gefährliche"
Phase des Grenzübertritts passiert haben und der Verbringer oder Versender
sein Unternehmen insgesamt erfolgreich abgeschlossen hat. Dies ist in der Re-
gel dann der Fall, wenn die Tabakwaren ihren Bestimmungsort erreicht haben
und dort "zur Ruhe gekommen" sind (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2010
- 1 StR 635/09, wistra 2010, 226 mwN).
Ausgehend von diesen Maßstäben ist angesichts des für den Monat Feb-
ruar 2008 nicht sicher feststehenden Lieferzeitpunkts der Zigaretten zugunsten
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des Angeklagten davon auszugehen, dass die Tat im Fall 1 der Urteilsgründe
bereits in den ersten Tagen des Februar 2008 beendet war (zur Anwendung
des Zweifelsatzes auf für die Verjährung bedeutsame Tatsachen vgl. BGH, Be-
schlüsse vom 27. Juni 2006 - 1 StR 224/06, StraFo 2006, 408 und vom
31. August 1987 - 4 StR 435/87, BGHR StGB § 78 Abs. 3 Fristablauf 1). Die
fünfjährige Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB konnte daher im Fall 1
durch den Erlass eines Haftbefehls sowie von Durchsuchungsbeschlüssen am
13. Februar 2013 nicht mehr unterbrochen werden. Die Voraussetzungen einer
zehnjährigen Verjährungsfrist gemäß § 376 Abs. 1 AO lagen nicht vor.
2. Die Schuldsprüche in den Fällen 2 bis 60 der Urteilsgründe wegen
Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO sind nicht zu beanstanden.
3. Die Einzelstrafaussprüche in diesen Fällen haben trotz unvollständiger
Feststellungen zu den Besteuerungsgrundlagen der Tabaksteuer sowie unzu-
reichender Darstellung der Berechnung der verkürzten Tabaksteuer Bestand.
Zwar fehlt es mit Ausnahme der Monate Januar und Juli 2012 sowie
Februar 2013 an den für die Berechnung der Tabaksteuer gemäß § 4 TabStG
aF bzw. § 2 TabStG erforderlichen Feststellungen zum jeweiligen Kleinver-
kaufspreis der betreffenden Zigaretten. Zudem wird das Urteil den Anforderun-
gen an die Darstellung der Berechnung der verkürzten Tabaksteuer nicht in
vollem Umfang gerecht. Die auf den festgestellten Besteuerungsgrundlagen
aufbauende Steuerberechnung ist Rechtsanwendung und daher Aufgabe des
Tatgerichts. Das Tatgericht ist zwar nicht gehindert, sich Steuerberechnungen
von Beamten der Finanzverwaltung anzuschließen, die auf den festgestellten
Besteuerungsgrundlagen aufbauen. Allerdings muss im Urteil zweifelsfrei
erkennbar sein, dass das Tatgericht eine eigenständige - weil ihm als Rechts-
anwendung obliegende - Steuerberechnung durchgeführt hat (vgl. BGH, Be-
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schluss vom 25. März 2010 - 1 StR 52/10, NStZ-RR 2010, 207 mwN). Dies gilt
auch dann, wenn der Angeklagte keine Einwände gegen die von den Finanz-
behörden vorgenommene Schadensberechnung erhoben hat. Daran fehlt es
hier. Die Urteilsgründe ermöglichen es dem Revisionsgericht mit Ausnahme der
exemplarisch dargestellten Berechnungen für die Monate Januar und Juli 2012
sowie Februar 2013 nicht, die Berechnung der von dem Angeklagten hinterzo-
genen Tabaksteuern nachzuvollziehen.
Der Senat schließt jedoch angesichts der vom Generalbundesanwalt in
seiner Antragsschrift aufgezeigten nur geringfügigen Abweichung der vom Tat-
gericht der Strafzumessung zugrunde gelegten verkürzten Tabaksteuer von der
niedrigsten rechnerisch möglichen Tabaksteuer (zur Berechnung vgl. BGH, Be-
schluss vom 25. März 2010 - 1 StR 52/10, NStZ-RR 2010, 207) aus, dass sich
dies auf die festgesetzten Einzelstrafen ausgewirkt hat.
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4. Die Teileinstellung des Verfahrens führt zum Wegfall der im Fall 1 der
Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe von sieben Monaten. Der Gesamtstraf-
ausspruch bleibt hiervon unberührt, da der Senat angesichts der verbleibenden
Einzelstrafen ausschließt, dass das Landgericht ohne die entfallende Einzel-
strafe auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte.
Raum Graf Jäger
Radtke Mosbacher
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