Urteil des BGH vom 16.10.2013

BGH: satzung, vag, schadenausgleich, verwaltungsrat, verwaltungskosten, deckung, haftpflicht, gefahr, leitbild, form

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IV ZR 6/13
vom
16. Oktober 2013
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller
am 16. Oktober 2013
beschlossen:
Der Senat beabsichtigt, die Revision des Beklagten ge-
gen das Urteil des 8. Zivilsenats des Kammergerichts
vom 26. November 2012 gemäß § 552a Satz 1 ZPO zu-
rückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen
eines Monats
Stellung zu nehmen.
Gründe:
I. Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit der Umstellung
der Umlageberechnung für den Ausgleich von Aufwendungen im Rahmen
des Kommunalen Schadenausgleichs.
Der Beklagte ist ein nichtrechtsfähiger Zusammenschluss nach § 1
Abs. 3 Nr. 3 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und dient gemäß § 1
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Abs. 1 Satz 2 seiner Satzung dem solidarischen Ausgleich von Aufwe n-
dungen seiner Mitglieder aus Haftpflicht-, Kraftfahrt- und Unfallschäden
(Schadenausgleich). Zum Stichtag 31. Dezember 2010 waren bei dem
Beklagten 5.412 Mitglieder verzeichnet. Die Klägerin, Trägerin eines
Kreiskrankenhauses, ist seit 1. Januar 1991 Mitglied des Beklagten.
Der Beklagte erhebt von seinen Mitgliedern getrennt nach Ver-
rechnungsstellen eine jährliche Umlage, über die der Schadenausgleich
sowie die Deckung der Verwaltungskosten und der sonstigen Aufwe n-
dungen erfolgen. Für den voraussichtlichen Bedarf des kommenden G e-
schäftsjahres wird stets eine Vorschussumlage erhoben.
§ 9 Abs. 1 der Satzung des KSA lautet:
"Die Schadenbeträge, die Verwaltungskosten und die son s-
tigen Aufwendungen des KSA werden nach Abschluss des
Geschäftsjahres auf die Mitglieder nach den für die Ver-
rechnungsstellen geltenden Schlüs
seln umgelegt. […] Zur
Deckung der voraussichtlichen Aufwendungen des G e-
schäftsjahres wird eine Vorschussumlage erhoben."
§ 10 der Satzung bestimmt, dass Geschäftsjahr de s KSA das Ka-
lenderjahr ist.
Bis einschließlich des Geschäftsjahres 2007 wurde die Umlage für
das einzelne Mitglied aufgrund des in den Allgemeinen Verrechnung s-
grundsätzen geregelten Umlageschlüssels ermittelt, wobei die sog. Ja h-
respunkte im Jahr der Schadenszahlung entscheidend waren. Mit Hilfe
der Jahrespunktzahlen wurde das von den Mitgliedern eingebrachte Ri-
siko ausgedrückt. Ab dem Geschäftsjahr 2008 stellte die Geschäftsfü h-
rung des Beklagten in der Verrechnungsstelle Heilwesen das bis dahin
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geltende Umlagesystem um. Die Zahlungen richten sich seither nach
jeweilige Umlagequote je Jahr gebildet wird. Der Verwaltungsrat stimmte
mit Beschluss vom 14. Oktober 2011 der seit 2008 eingeführten neuen
Umlageabrechnung zu. Für die Klägerin, deren Jahrespunktzahl seit
2004 deutlich gesunken war, hatte die Umstellung eine ganz erhebliche
Erhöhung der auf sie entfallenden Umlage bzw. Vorschussumlage zur
Folge.
Die Klägerin zahlte die ihr in Rechnung gestellten Umlagen für die
Geschäftsjahre 2008 und 2009 sowie den geforderten Vorschussumlage-
betrag für 2010 an den Beklagten unter Vorbehalt. Sie hält die Umste l-
lung der Umlageberechnung für formell und materiell unwirksam. Mit ih-
rer Klage begehrt sie Auskunft über die Höhe der Umlagen für die Jahre
2008, 2009 und die Vorschussumlage für 2010 sowie - abhängig vom Er-
gebnis des Auskunftsanspruchs - Rückzahlung der unberechtigt gezahl-
ten Umlagen.
II. Das Landgericht hat mit Teilurteil dem Auskunftsanspruch stat t-
gegeben.
Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg gehabt. Zur Begrün-
dung hat das Berufungsgericht ausgeführt, die Rechtsgrundlage für die
von den Mitgliedern zu zahlende Umlage sei in § 9 Abs. 1 der Satzung
geregelt. Diese enthalte in Verbindung mit den Allgemeinen Verrec h-
nungsgrundsätzen für Haftpflichtschäden (AVHaftpflicht) auch die maß-
geblichen Berechnungsgrundsätze. Unter Zugrundelegung des Ve r-
ständnisses eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers könne § 9
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Abs. 1 der Satzung nur dahingehend verstanden werden, dass die von
den Mitgliedern zu zahlenden Umlagen und Vorschussumlagen nach
Maßgabe der für das jeweilige Mitglied im Jahr der Schadenszahlung
geltenden Jahrespunkte berechnet werden. § 9 Abs. 1 der Satzung sei
folglich so zu verstehen, wie er bis 2007 auch angewandt worden sei.
Die von dem Beklagten seit 2008 angewandte Umlageberechnung
verstoße gegen § 9 Abs. 1 der Satzung.
Außerdem sei gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 der Satzung der Verwal-
dem den Mitgliedern unter Darlegung der Gründe Gelegenheit zur Stel-
lungnahme in angemessener Frist gegeben worden sei. Aus Sicht ve r-
ständiger Vertragsparteien sei § 6 Abs. 1 Nr. 3 nicht nur anwendbar,
wenn der Umlageschlüssel geändert werde, sondern auch dann, wenn
die "Verrechnungsgrundsätze" (im Sinne von "Art der Umlageberech-
nung") geändert werden. Die seit 2008 vorgenommene Umlageberec h-
nung greife in die Rechte der Mitglieder mindestens genauso ein wie e i-
ne Änderung des Umlageschlüssels.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der
Beklagte weiter die Abweisung der Klage.
III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision i.S. von
§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO liegen nicht vor, und das Rechtsmittel hat auch
keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).
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1. Grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
ZPO kommt einer Rechtssache nicht schon deshalb zu, weil die En t-
scheidung von der Auslegung einer Klausel in Allgemeinen Versich e-
rungsbedingungen abhängt. Erforderlich ist weiter, dass deren Aus le-
gung über den konkreten Rechtsstreit hinaus in Rechtsprechung und
Rechtslehre oder in den beteiligten Verkehrskreisen umstritten ist (BGH,
Beschluss vom 13. Mai 2009 - IV ZR 217/08, VersR 2009, 1106 Rn. 2
m.w.N.) und dass die Rechtssache damit eine Recht sfrage im konkreten
Fall als entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und klärungsfähig
aufwirft und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der
einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ( BGH,
Beschlüsse vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 291; vom
1. Oktober 2002 - XI ZR 71/02, BGHZ 152, 182, 191). Klärungsbedürftig
ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie vom Bundesgerichtshof bisher nicht
entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich b e-
antwortet wird oder in den beteiligten Verkehrskreisen umstritten ist oder
wenn in der Literatur unterschiedliche Meinungen dazu vertreten werden
(Senatsbeschluss vom 10. Dezember 2003 - IV ZR 319/02, VersR 2004,
225 unter 2 a und b; BGH, Beschluss vom 8. Februar 2010 - II ZR 54/09,
NJW-RR 2010, 1047 Rn. 3, jeweils m.w.N.).
Danach ist eine grundsätzliche Bedeutung hier nicht gegeben.
Dass über die Auslegung des § 9 Abs. 1 der Satzung de s Beklagten in
Rechtsprechung und Literatur Streit herrscht, ist nicht er sichtlich. Der
Ausgang des Rechtsstreits hängt maßgeblich von der Auslegung dieser
Satzungsvorschrift ab, deren Transparenz der Senat bereits mit B e-
schluss vom 14. Juli 2010 (IV ZR 250/09, VersR 2010, 1598, 1599
Rn. 12) bestätigt hat. In dem genannten Senatsbeschluss (Rn. 11) hat
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der Senat auch ausgeführt, dass in die Umlageverpflichtung nicht nur die
eigenen Schadenfälle, sondern die sämtlicher Mitglieder einzubeziehen
sind. Beachtliche Zulassungsgründe sind danach nicht zu erkennen.
2. Das Rechtsmittel ist auch unbegründet.
a) Das Berufungsgericht hat zutreffend unter Berücksichtigung der
Senatsrechtsprechung angenommen, das zum Geschäftsjahr 2008 durch
den Beklagten eingeführte neue Umlagesystem sei nicht von § 9 Abs. 1
der Satzung des KSA gedeckt.
aa) Beim Kommunalen Schadenausgleich (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 VAG)
handelt es sich um eine freiwillige Selbstversicherungseinrichtung, we l-
che die Gemeinden und Gemeindeverbände in Form nicht rechtsfähiger
Vereine geschaffen haben, um im Wege des Ausgleichs insbesondere
Haftpflicht- und Kfz-Haftpflichtschäden sowie Kaskoschäden ihrer Mit-
glieder zu tragen. Er finanziert sich auf der Grundlage eines Umlageve r-
fahrens; es werden keine Rücklagen oder Rückstellungen gebildet (Pr ä-
ve in Prölss, VAG 12. Aufl. § 1 Rn. 68 m.w.N.). Der Senat hat bereits
dargelegt, dass beim kommunalen Schadenausgleich nicht nur die eig e-
nen Schadensfälle, sondern die sämtlicher Mitglieder in die Umlageve r-
pflichtung einzubeziehen sind. Eine umfassende Umlagepflicht der im
Laufe eines Geschäftsjahres ausgeschiedenen Mitglieder entspricht dem
Leitbild des § 25 Abs. 1 VAG (Senatsbeschluss vom 14. Juli 2010 - IV
ZR 250/09, VersR 2010, 1598, 1599 Rn. 12). Diese Norm kann auch hier
herangezogen werden. § 25 Abs. 1 Satz 1 VAG ist unmissverst ändlich zu
entnehmen, dass zu den Nachschüssen oder Umlagen nicht nur die im
Laufe des Geschäftsjahres ausgeschiedenen, sondern auch die eingetre-
tenen Mitglieder beitragen. In § 24 Abs. 1 VAG ist zudem das Umlag e-
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system als solches ausdrücklich anerkannt; auf diese Weise wird das
übernommene Risiko planmäßig auf die Gemeinschaft aller von der gle i-
chen Gefahr bedrohten Mitglieder verteilt (Senatsbe schluss vom 14. Juli
2010 aaO).
bb) § 9 Abs. 1 der Satzung ist wirksam und verstößt nicht - wie der
Senat ebenfalls mit Beschluss vom 14. Juli 2010 (aaO) bereits ausge-
führt hat - gegen das Transparenzgebot. Das Berufungsgericht nimmt zu
Recht an, dass er in Verbindung mit den AVHaftpflicht das Verfahren der
Umlageberechnung regelt. Danach erfolgt die Umlegung n ach Abschluss
des Geschäftsjahres. § 10 der Satzung bestimmt das Kalenderjahr als
Geschäftsjahr. Auch ein durchschnittliches, bei dem Beklagten versiche r-
tes rechtskundiges Mitglied kann die Regelung im Zusammenhang mit
der Regelung des § 7 AVHaftpflicht (Umlageschlüssel) - worauf die Revi-
sionserwiderung zutreffend hinweist - nur dahingehend verstehen, dass
die von den Mitgliedern zu zahlende Umlage und Vorschussumlage unter
Zugrundelegung der für das jeweilige Mitglied im Jahr der Schadensza h-
lung geltenden Jahrespunkte berechnet wird. Wenn für den Umlage-
schlüssel die Jahrespunktzahlen maßgeblich sind und die Berechnung
der Umlage am Ende des Geschäftsjahres erfolgt, ist daraus zu schli e-
ßen, dass die Jahrespunkte für das jeweils abgelaufene Geschäftsjahr
gelten und der Beklagte seine Mitglieder mit der Umlage belastet, wenn
ihm selbst die Aufwendungen entstanden sind, wie dies der Beklagte bis
zum Jahr 2008 auch durchgehend gehandhabt hatte. Die Satzung sieht
keine Ausnahme für Neumitglieder hinsichtlich ihrer Haftung für Altver-
bindlichkeiten vor.
b) Schon aus diesem Grund hat die Revision keinen Erfolg. Nur
ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das Berufungsgericht auch
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zu Recht der Ansicht war, es fehle an einem wirksamen Beschluss für
die Änderung des Berechnungsmodus. Änderungen der Umlageberech-
nung fallen gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1 der Satzung in den Zu-
ständigkeitsbereich des Verwaltungsrats. Danach ist dieser zuständig
"für die Änderung der Verrechnungsgrundsätze, nachdem den Mitgli e-
dern unter Darlegung der Gründe Gelegenheit zur Stellungnahme in a n-
gemessener Frist gegeben worden ist". Auch wenn der Wortlaut der
Norm dafür sprechen könnte, dass § 6 Abs. 1 Nr. 3 nur dann greift, wenn
der Umlageschlüssel in den AVHaftpflicht geändert werden soll, so ergibt
sich aus dem Sinn und Zweck der Regelung, worauf die Revisionserw i-
derung zutreffend hinweist, dass auch eine Änderung der Umlag ebe-
rechnung erfasst wird. Der Verwaltungsrat ist nach § 6 und § 7 Abs. 2
Satz 2 der Satzung zuständig für alle Entscheidungen "von größerer Be-
deutung". Dazu zählt, entgegen der Ansicht der Revision, auch die Art
der Umlageberechnung. Im Ergebnis macht es keinen Unterschied, ob
der Umlageschlüssel selbst oder das Bezugsjahr für die Ermittlung der
Jahrespunktzahlen geändert wird. Im letzteren Fall kann es, wie das Be i-
spiel der Klägerin zeigt, ebenfalls zu einer gravierenden Umlageveränd e-
rung zu Lasten der Mitglieder kommen.
Zutreffend hat das Berufungsgericht schließlich auch angeno m-
men, dass mit dem Beschluss des Verwaltungsrats vom 14. Oktober
2011 die Änderung der Umlageberechnung nachträglich schon deshalb
nicht geheilt werden konnte, weil die Mitglieder nicht ordnungsgemäß im
Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 3 der Satzung unter Setzung einer angemess e-
nen Frist zur Stellungnahme aufgefordert wurden. Nur bei Einhaltung
dieses Verfahrens kann festgestellt werden, ob 10 % der Stimmen der
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Mitglieder der Änderung widersprechen und gegebenenfalls dann nach
§ 4 Abs. 2 Nr. 6 der Satzung die Mitgliederversammlung für die Änd e-
rung zuständig ist.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Hinweis:
Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme
erledigt worden.
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 30.08.2011 - 7 O 405/10 -
KG Berlin, Entscheidung vom 26.11.2012 - 8 U 222/11 -