Urteil des BGH vom 29.06.2004

BGH (private vermögensverwaltung, zpo, errichtung, rechtsmittel, anzahl, zeitpunkt, stand, mandant, rechtsmittelfrist, annahme)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZR 264/02
vom
29. Juni 2004
in dem Rechtsstreit
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Kreft und die Richter Dr. Fischer, Dr. Ganter, Kayser und Vill
am 29. Juni 2004
beschlossen:
Dem Kläger wird für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwer-
de unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. Schott Prozeßkosten-
hilfe bewilligt.
Er hat monatliche Raten von 464,60 € an die Bundeskasse zu
zahlen.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil
des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 21. Novem-
ber 2002 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf
298.287 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Kläger ist nach den von ihm vorgetragenen persönlichen und wirt-
schaftlichen Verhältnissen ohne die Gewährung von Ratenzahlungen nicht in
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der Lage, die Kosten der Prozeßführung aufzubringen. Ihm ist deshalb Prozeß-
kostenhilfe zu gewähren (§§ 114, 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig (§ 544 ZPO); sie hat indes-
sen keinen Erfolg. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung
(§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisi-
onsgerichts (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
1. Die steuerrechtlichen Fragen, welche die Nichtzulassungsbeschwerde
im Zusammenhang mit der Errichtung und der Veräußerung des Sie-
ben-Familienhauses durch den Kläger formuliert, stellen sich in dieser Weise
nicht.
a) Für den Beratungsfehler der Beklagten ist ausschlaggebend, daß zum
Zeitpunkt der Beratung keine gesicherte Rechtsprechung ergangen war, die
den in dem Schreiben vom 23. Juni 1993 eingenommenen Standpunkt stützt,
wonach es sich um den unproblematischen Fall der erstmaligen Errichtung und
den anschließenden Verkauf eines Objekts handele; kritisch werde es erst,
wenn zwei solche Objekte gebaut und verkauft würden. Nach der Erlaßlage
(vgl. BMF-Schreiben v. 20. Dezember 1990, BStBl. I 884, 885) sprach mehr
dafür, daß es angesichts des Umfangs der Baumaßnahme (sieben Wohnun-
gen) auf die Anzahl der Verkäufe gar nicht ankam und es deshalb in hohem
Maße unsicher war, ob die Einstufung der Aktivitäten als gewerblicher Grund-
stückshandel im Falle des Verkaufs des Hausgrundstücks vermieden werden
konnte (vgl. auch Belehrungsschreiben vom 23. Juni 1993). Unter diesen Um-
ständen durfte die Beklagte die erwogene Baumaßnahme auf dem kurz zuvor
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ersteigerten Grundstück nicht als "unbedenklich" bezeichnen, sondern mußte
auf die offene Rechtslage sowie darauf hinweisen, daß es möglicherweise auf
die Anzahl der Objekte gar nicht ankomme. Grundsatzfragen sind in diesem
Zusammenhang nicht zu beantworten.
b) Ob die von dem Kläger in den Jahren 1992 bis 1994 entfalteten Akti-
vitäten noch als private Vermögensverwaltung oder schon als gewerblicher
Grundstückshandel einzuordnen sind, ist im Regreßprozeß unter Einbeziehung
der im maßgeblichen Zeitpunkt geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung
zu beurteilen, und zwar unabhängig davon, ob der über den Schadensersatz
entscheidende Richter die damalige Rechtsauffassung für zutreffend hält (vgl.
BGHZ 145, 256, 262 f.; BGH, Urt. v. 27. März 2003 - IX ZR 399/99, WM 2003,
1146, 1150).
Von diesen Grundsätzen geht das Berufungsgericht aus, indem es sich
mit der Rechtsprechung der Finanzgerichte und insbesondere des Bundesfi-
nanzhofs zur steuerlichen Einordnung der Errichtung und Veräußerung von
Mehrfamilienhäusern im einzelnen auseinandersetzt. Die hierbei angestellten
Erwägungen betreffen einen - zudem längere Zeit zurückliegenden - Einzelfall.
Es ist nicht erkennbar, daß die von der Nichtzulassungsbeschwerde eingefor-
derte Leitentscheidung über den entschiedenen Regreßfall hinaus zur Klärung
vergleichbarer steuerrechtlicher Sachverhalte beitragen könnte.
2. Die Verneinung des Mitverschuldens durch das Berufungsgericht wirft
ebenfalls keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf. Ein Mitver-
schulden gemäß § 254 Abs. 2 BGB kommt nur in Betracht, wenn das von dem
Mandanten versäumte Rechtsmittel gegen die nachteilige behördliche Ent-
scheidung - hier die Einspruchsentscheidung vom 4. September 1998 - zuläs-
sig, aussichtsreich und zumutbar war (vgl. BGHZ 90, 17, 32; BGH, Urt. v.
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18. Dezember 1997 - IX ZR 153/96, WM 1998, 301, 304). Das Berufungsge-
richt hat einer Klage gegen die Einspruchsentscheidung nach dem Stand der
Rechtsprechung der Finanzgerichte bei Ablauf der Rechtsmittelfrist im Herbst
1998 keine hinreichende Aussicht auf Erfolg beigemessen. Diese Annahme,
die sich auf Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs stützen kann (vgl. BFH,
Urt. v. 14. Januar 1998 - X R 1/96, BStBl. II 1998, 346, 348), beruht auf der
Auswertung des damaligen Standes der Rechtsprechung und ihrer Anwendung
auf den Einzelfall. Es ist nicht ersichtlich, daß eine andere Einschätzung der
Erfolgsaussichten durch den Bundesgerichtshof die Voraussetzungen, unter
denen der Mandant ein Rechtsmittel ergreifen muß, im Sinne einer Leitent-
scheidung konkretisieren könnte.
Kreft Fischer Ganter
Kayser Vill