Urteil des BGH vom 09.10.2012

BGH: versprechen, verbreitung, gesetzesentwurf, sexualstrafrecht, verfügung, besitz, erwerb, missbrauch, verbrechen, freispruch

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 381/12
vom
9. Oktober 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-
anwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 9. Oktober 2012 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Land-
gerichts Essen vom 12. März 2012 werden als unbegründet
verworfen.
2. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihres Rechtsmittels,
die dadurch entstandenen besonderen Kosten des Adhä-
sionsverfahrens und die im Revisionsverfahren entstandenen
notwendigen Auslagen des Neben- und Adhäsionsklägers zu
tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten P. wegen schweren sexu-
ellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von
Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Verbreitung, Erwerb und Besitz von kinder-
pornografischen Schriften, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs
Fällen sowie wegen Verbreitung, Erwerb und Besitz von kinderpornografischen
Schriften in Tateinheit mit Verbreitung von gewalt- und tierpornografischen
Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und die Angeklagte
R. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit
sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen sowie wegen sexuellen Miss-
brauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.
1
- 3 -
Ferner wurden Adhäsionsentscheidungen getroffen. Gegen dieses Urteil haben
beide Angeklagte Revision eingelegt. Beide Rechtsmittel sind offensichtlich un-
begründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Die von dem Angeklagten P. nach der Antragstellung durch den
Generalbundesanwalt erhobenen Einwände gegen die Strafzumessung zeigen
keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Das Landgericht hat zu Recht straf-
schärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte das Tatopfer mit der Angeklag-
ten R. in der Absicht gezeugt hat, es später bereits als Säugling sexuell
missbrauchen zu können. Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang
ausgeführt hat, der Angeklagte habe seinen eigenen Sohn „einzig und allein auf
die Funktion eines Sexualobjektes reduziert“, liegt darin kein Verstoß gegen
§ 46 Abs. 3 StGB. Zwar sind derartige Formulierungen grundsätzlich nicht
unbedenklich (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Mai 2003
– 2 StR 143/03), doch
durfte hier die sich von üblichen Missbrauchsfällen abhebende, die gesamte
Existenz des Tatopfers umfassende Herabwürdigung durch den Angeklagten
strafschärfend berücksichtigt werden. Dies gilt umso mehr, als es sich bei den
§§ 176a, 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht um Straftaten handelt, die ausschließlich
gegen die sexuelle Selbstbestimmung gerichtet sind (vgl. BGH, Beschluss vom
10. August 2000
– 1 StR 343/00, NStZ 2001, 28, 29).
II.
Die Verurteilung der Angeklagten R. im Fall II. 2b der Urteilsgründe
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 5 StGB in der
Alternative des Anbietens begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
2
3
- 4 -
1. Nach den Feststellungen trafen sich die Angeklagte R. und der
Angeklagte P. mehrfach, um zuvor im Internet abgesprochene sexuelle
Rollenspiele auszuleben. Dabei hatten beide Gefallen an sadomasochistischen
Praktiken. Im Juni 2010 bekundete der Angeklagte P. Interesse an
einer Einbeziehung von Säuglingen in die sexuellen Handlungen, weil er deren
Saugreflexe bei oralen Penetrationen ausnutzen wollte. Daraufhin spiegelte die
Angeklagte R. dem Angeklagten P. vor, Mutter eines 10 Monate
alten Säuglings mit dem Namen „N. “ zu sein und bot ihm mehrfach an, ihr
(nicht existierendes) Kind für sexuelle Kontakte zur Verfügung zu stellen. Zur
Untermauerung ihrer Angebote übersandte sie dem Angeklagten P.
Fotos unbekannter Kinder und behauptete, dass es sich um Bilder ihres Sohnes
handeln würde. Dabei war sich die Angeklagte R. bewusst, dass der An-
geklagte P. ihre Angebote ernst nahm. Durch ihr Verhalten wollte sie
den Angeklagten P. an sich binden, um die Beziehung zu ihm fortset-
zen zu können.
2. Der Tatbestand des § 176 Abs.
5 StGB in der Alternative des „Anbie-
tens“ ist erfüllt, wenn der Täter gegenüber einer oder mehreren Personen aus-
drücklich oder konkludent erklärt, dass er willens und in der Lage ist, ein Kind
für sexuelle Handlungen im Sinne der Absätze 1 bis 4 zur Verfügung zu stellen
(vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 176 Rn. 22; LK-StGB/Hörnle, 12. Aufl., § 176
Rn. 102; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 176 Rn. 6; MK-StGB/Renzikowski,
2. Aufl., § 176 Rn. 50; Gössel, Das neue Sexualstrafrecht, § 6 Rn. 30). Dabei ist
es nicht erforderlich, dass er sein Versprechen auch erfüllen will. Es reicht aus,
wenn das Angebot als ernst gemeint erscheinen kann und der Täter dies in sei-
nen (bedingten) Vorsatz aufgenommen hat (vgl. BT-Drucks. 15/350, S. 18;
Fischer, StGB, 59. Aufl., § 176 Rn. 22; HK-GS/Laue, 2. Aufl., § 176 StGB
Rn. 10; von Heintschel-Heinegg, StGB, § 176 Rn. 32; Lackner/Kühl, StGB,
4
5
- 5 -
27. Aufl., § 176 Rn. 6; NK-StGB/Frommel, 3. Aufl., § 176 Rn. 24; Amelung/
Funcke-Auffermann, StraFo 2004, 265, 267; Frühsorger, Der Straftatbestand
des sexuellen Kindesmissbrauchs gemäß § 176 StGB, S. 238 ff.; Gössel, Das
neue Sexualstrafrecht, § 6 Rn. 31; Thalheimer, Die Vorfeldstrafbarkeit nach
§§ 30, 31 StGB, S. 220 ff.). Die Gegenauffassung, wonach nur Angebote den
Tatbestand des § 176 Abs. 5 StGB erfüllen können, denen der Täter auch
nachzukommen beabsichtigt (LK-StGB/Hörnle, 12. Aufl., § 176 Rn. 103; SSW-
StGB/Wolters, § 176 Rn. 37; Perron/Eisele in Schönke/Schröder, StGB,
28. Aufl., § 176 Rn. 20; SK-StGB/Wolters, § 176 Rn. 31), widerspricht dem Wil-
len des Gesetzgebers (zur Gesetzeskritik vgl. Funcke-Auffermann, Symbolische
Gesetzgebung im Lichte der positiven Generalprävention, S. 122 ff.; Amelung/
Funcke-Auffermann, StraFo 2004, 265, 267; Duttge/Hörnle/Renzikowski, NJW
2004, 1065, 1068). Anlass für die Regelung des § 176 Abs. 5 StGB war ein Fall,
in dem ein Ehepaar unter anderem vom Vorwurf der Verabredung zu Verbre-
chen nach den §§ 176a, 176b StGB a.F. freigesprochen worden war, das einem
potentiellen Kunden ihres „S/M-Studios“ telefonisch die Beschaffung eines Kin-
des für extrem sadistische Praktiken angeboten hatte. Der vom Bundesge-
richtshof bestätigte Freispruch erfolgte, weil sich das Landgericht nicht davon
überzeugen konnte, dass das Angebot tatsächlich ernst gemeint war und auch
eine Bestrafung nach § 111 StGB ausschied (vgl. BGH, Urteil vom 7. April 1998
– 1 StR 801/97, NStZ 1998, 403 f.). Daraufhin wurden vom Bundesrat (BT-
Drucks. 14/1125) und aus der Mitte des Bundestages (BT-Drucks. 14/6709
und 15/29) unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diesen Fall mehrere Geset-
zesentwürfe vorgelegt, die jeweils eine Erweiterung des § 176 StGB um einen
gesonderten Tatbestand vorsahen. Dadurch sollte die Strafbarkeitslücke
geschlossen werden, die bei § 30 StGB in Bezug auf nicht erweislich ernst
gemeinte Angebote von Kindern für Missbrauchstaten besteht (BT-
Drucks. 14/1125, S. 1 und 5; 14/6709, S. 1 und 7; 15/29, S. 10). Diese Entwürfe
- 6 -
sahen gleichlautend zunächst nur vor, das Versprechen des Nachweises eines
Kindes für Missbrauchstaten gesondert unter Strafe zu stellen. Durch den Ge-
setzesentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom
28. Januar 2003 wurde der neu zu schaffende Tatbestand
– bei gleichbleiben-
der Zielsetzung
– um die Varianten des „Anbietens“ und der „Verabredung“ er-
gänzt (BT-Drucks. 15/350, S. 6 und 18). Soweit dabei in der Begründung davon
die Rede ist, dass der Tatbestand „keine Ernstlichkeit des Versprechens“ erfor-
dert (BT-Drucks. 15/350, S. 18), gilt dies mit Rücksicht auf die Vorgeschichte
und den Kontext nicht nur für das Versprechen des Nachweises einer Gelegen-
heit, sondern ersichtlich auch für die angefügte Tatmodalität des Anbietens (LK-
StGB/Hörnle, 12. Aufl., § 176 Rn. 103). Dieser Gesetzesentwurf liegt § 176
Abs. 5 StGB in der geltenden Fassung zugrunde.
Roggenbuck
Cierniak
Franke
Quentin
Reiter