Urteil des BGH vom 14.10.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
RiZ(R) 5/12
Verkündet am:
14. Oktober 2013
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
DRiG §§ 83, 66 Abs. 1 Satz 1
Die gem. §§ 83, 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG angeordnete sinngemäße Geltung der Vor-
schriften der Verwaltungsgerichtsordnung für das Prüfungsverfahren (§ 62 Abs. 1 Nr.
3 und 4 DRiG) erfasst die Bestimmung des § 84 VwGO über die Entscheidung ohne
mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nicht.
BGH, Urteil vom 14. Oktober 2013
– RiZ (R) 5/12 – Dienstgericht für Richter bei dem
Landgericht Leipzig
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in dem Prüfungsverfahren
des Richters am Arbeitsgericht
Antragsteller und Revisionskläger,
- Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte
-
gegen
Antragsgegner und Revisionsbeklagter,
wegen Feststellung und Anfechtung einer Maßnahme der Dienstaufsicht
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Der Bundesgerichtshof - Dienstgericht des Bundes - hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 11. Juli 2013 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesge-
richtshof Prof. Dr. Bergmann, die Richterin am Bundesgerichtshof Safari
Chabestari, den Richter am Bundesgerichtshof Dr. Drescher sowie die Richter
am Bundesarbeitsgericht Reinfelder und Dr. Spinner
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Antragstellers wird der Gerichtsbescheid des
Dienstgerichts für Richter bei dem Landgericht Leipzig vom
19. April 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
- auch über die Kosten der Revision - an das Dienstgericht für
Richter zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsteller durch den Weih-
nachtsbrief des Ministerpräsidenten des Freistaats Sachsen vom Advent 2009
aus dem Dienstverhältnis als Richter entlassen wurde und er in seiner richterli-
chen Unabhängigkeit beeinträchtigt ist.
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Der geborene Antragsteller steht seit dem 1. August 1991 im rich-
terlichen Dienst des Antragsgegners. Seit dem 1. März 2000 ist er als Richter
am Arbeitsgericht L. tätig und dort Vorsitzender einer Kammer.
Am 17. Dezember 2009 wurde dem Antragsteller per E-Mail der sog.
„Weihnachtsbrief des Ministerpräsidenten“ auf seinen Dienstrechner übermit-
telt. Dieser Brief lautet:
„Stanislaw Tillich
Ministerpräsident des Freistaates Sachsen
An die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sächsischen
Landesverwaltung
Dresden im Advent 2009
Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
ich wünsche Ihnen, Ihren Familien und Freunden eine ge-
segnete und frohe Weihnachtszeit. Für 2010 wünsche ich
Ihnen Gesundheit, Zufriedenheit und uns gemeinsam viel
Schaffenskraft für die Gestaltung unseres Freistaates
Sachsen.
Ein ereignisreiches Jahr geht zu Ende. Ich danke Ihnen
ganz herzlich für Ihre Leistungen und Ihren Einsatz in der
täglichen Arbeit für die Bürgerinnen und Bürger, Unter-
nehmen und Vereine.
Für mich persönlich war es ein besonderes Jahr. Die
Wählerinnen und Wähler haben mir nach über einem Jahr
im Amt ihr Vertrauen ausgesprochen. Wir haben die Wah-
len auch deshalb gewonnen, weil Sie in der Verwaltung
unsere politischen Ideen umsetzen und die Menschen
spüren, dass ihr Heimatland gut geführt und verwaltet
wird. Ich danke Ihnen ganz persönlich für Ihren Anteil am
erfolgreichen Wahljahr 2009.
Vor uns liegen schwierige Jahre. Davon lassen wir uns
aber nicht beirren. Wir gehen weiter den erfolgreichen
sächsischen Weg. Gerade in diesen Wochen blicken wir
auf 20 Jahre friedliche Revolution und damit 20 Jahre
modernen Freistaat Sachsen zurück. Wir haben vieles
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erreicht, viele Herausforderungen bestanden und ein
stabiles Fundament für einen neuen Aufbruch im neuen
Jahrzehnt gelegt.
Die Staatsregierung hat sich einer umfassenden Verwal-
tungsmodernisierung verpflichtet. Bitte gestalten Sie die-
sen Prozess offen und fair mit. Lassen Sie uns eine mo-
derne, bürger- und wirtschaftsfreundliche Verwaltung
schaffen, die finanzierbar bleibt und die für Sie ein guter
Arbeitgeber ist.
Ich wünsche uns und unserem Freistaat Sachsen einen
guten Start in die zweite Dekade des 21. Jahrhunderts.
Mit herzlichen Grüßen, Ihr
…“
Der Antragsteller erhob mit Schreiben vom 29. Juli 2010 Widerspruch
gegen den „Weihnachtsbrief“. Am 16. August 2010 teilte ihm die Sächsische
Staatskanzlei mit, es werde kein Handlungsbedarf gesehen. Die Rundmail be-
inhalte ersichtlich keinen einem Widerspruch zugänglichen Verwaltungsakt.
Mit seinem am 16. Dezember 2010 beim Dienstgericht für Richter einge-
gangenen Antrag begehrt der Antragsteller die Feststellung, dass er über den
17. Dezember 2009 hinaus zum Antragsgegner in einem Amtsverhältnis als
Richter stehe sowie die Feststellung der Unzulässigkeit einzelner Formulierun-
gen in dem Weihnachtsbrief vom Advent 2009.
Der Antragsteller hat seinen als Statusfeststellungsantrag bezeichneten
Antrag im Wesentlichen damit begründet, das E-Mailschreiben sei an ihn in
seiner ausdrücklich so bezeichneten Funktion als Mitarbeiter der Sächsischen
Landesverwaltung gerichtet gewesen. Angesichts der Anrede und der eindeuti-
gen Formulierung sei ihm sein verfassungsrechtlicher Status als unabhängiger
Richter durch das Schreiben des Ministerpräsidenten entzogen und ihm eine
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Tätigkeit als „Mitarbeiter der Sächsischen Landesverwaltung“ übertragen wor-
den. Diese Maßnahme sei mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig und verstoße
gegen die Verfassung des Freistaats Sachsen. Sie beseitige die Rechtspre-
chung als eigenständige dritte Gewalt und gliedere das dortige „Personal“, ins-
besondere die Richterschaft einschließlich des Antragstellers als nunmehr wei-
sungsgebundene Mitarbeiter in die Exekutive ein. Die dienstgerichtliche Fest-
stellung, dass er über den 17. Dezember 2009 hinaus in einem Richterverhält-
nis und nicht in einem Beschäftigungsverhältnis als Mitarbeiter der Landesver-
waltung stehe, sei erforderlich. Die angefochtene Verfügung gehe über bloße
Weihnachtswünsche hinaus und ziele auf die vollständige Eingliederung der
dritten Gewalt in die Exekutive und damit deren Beseitigung als Staatsgewalt.
Nach Art. 66 Satz 1 der Verfassung des Freistaats Sachsen sei der Minister-
präsident für die Entlassung der Richter und Ernennung der Beamten auch zu-
ständig. Der Qualifizierung der E-Mail als Maßnahme der Dienstaufsicht stehe
nicht entgegen, dass der Ministerpräsident zur Dienstaufsicht über Richter nicht
befugt sei.
Auch sei er nicht bereit, die unzulässigen Eingriffe in seine richterliche
Unabhängigkeit durch das E-
Mailschreiben hinzunehmen. Er solle „unsere poli-
tischen Ideen umzusetzen“, mithin die Vorstellungen der CDU und FDP, und
seine Rechtsprechung solle nicht mehr Gesetz und Recht unterworfen sein,
sondern vorrangig am Kriterium der Wirtschaftsfreundlichkeit ausgerichtet wer-
den. Für einen Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit bedeute dies, dass er den
Interessen der Arbeitgeber entgegenzukommen habe.
Der Antragsteller hat beantragt
festzustellen, dass er über den 17. Dezember 2009 hin-
aus zu dem Antragsgegner in einem Amtsverhältnis als
Richter auf Lebenszeit (Richter am Arbeitsgericht) steht,
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festzustellen, dass es sich bei den Ausführungen des Ver-
treters des Antragsgegners in dem Schreiben „Advent
2009“ um unzulässige Eingriffe in die richterliche Unab-
hängigkeit handelt, sofern es dort heißt:
1.
„Wir haben die Wahlen auch deshalb gewonnen,
weil Sie in der Verwaltung unsere politischen Ideen
umsetzen.“
2.
„Ich danke Ihnen ganz persönlich für Ihren Anteil am
erfolgreichen Wahljahr 2009.“
3.
„Lassen Sie uns eine moderne (…) wirtschafts-
freundliche Verwaltung schaffen.“
Der Antragsgegner hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
Das Dienstgericht für Richter hat mit Gerichtsbescheid vom 19. April
2012 den Statusfeststellungsantrag als unzulässig zurückgewiesen und den
Prüfungsantrag für unbegründet gehalten. Soweit es den Statusantrag betreffe,
fehle dem Antragsteller das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Es sei nicht
ersichtlich, dass der Antragsgegner oder eine Behörde des Antragsgegners die
Rechtsstellung des Antragstellers als Richter am Arbeitsgericht und die Fort-
dauer seines Richterverhältnisses zum Freistaat Sachsen in Zweifel gezogen
hätten. Der Antragsgegner habe im Rahmen des vorliegenden Prüfungsverfah-
rens mehrfach erklärt und zum Ausdruck gebracht, dass das Amtsverhältnis
des Antragstellers als Richter durch den angegriffenen Weihnachtsbrief nicht
berührt worden sei. Ein Feststellungsinteresse habe der Antragsteller nicht dar-
getan. Der zulässige Prüfungsantrag sei unbegründet. Das E-Mailschreiben
stelle keine Maßnahme der Dienstaufsicht dar, die in die richterliche Unabhän-
gigkeit des Antragstellers eingreifen könnte.
Mit der Revision verfolgt der Antragsteller seine ursprünglichen Anträge
weiter und rügt neben der Verletzung materiellen Rechts die nicht ordnungs-
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gemäße Besetzung des Dienstgerichts für Richter und die Unzulässigkeit der
Entscheidung durch Gerichtsbescheid. Der Antragsgegner begehrt die Zurück-
weisung der Revision.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen
Gerichtsbescheids und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das Dienstge-
richt für Richter.
I. Das Dienstgericht für Richter hat über die Anträge rechtsfehlerhaft oh-
ne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nach § 84 VwGO entschie-
den. Nach §§ 83, 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG und § 45 Abs. 1 Satz 1 SächsRiG gel-
ten für das Verfahren nach § 34 Nr. 3 und 4 SächsRiG (Prüfungsverfahren) die
Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend. Die angeordnete
entsprechende Geltung der Verwaltungsgerichtsordnung erfasst entgegen der
Auffassung des Dienstgerichts den Gerichtsbescheid nach § 84 VwGO nicht.
Der Verfahrensfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbe-
scheids und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung
und Entscheidung an das Dienstgericht für Richter, § 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG
i.V.m. § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO. Auf die von der Revision geltend ge-
machten Besetzungs- und materiell-rechtlichen Rügen kommt es nicht an.
1. Die durch §§ 83, 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG und § 45 Abs. 1 Satz 1
SächsRiG bestimmte sinngemäße bzw. entsprechende Geltung der Vorschrif-
ten der Verwaltungsgerichtsordnung für das Verfahren nach § 34 Nr. 3 und 4
SächsRiG (Prüfungsverfahren) erfasst den Gerichtsbescheid nach § 84 VwGO
nicht.
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a) Nach § 83 DRiG sind durch den Landesgesetzgeber Disziplinarverfah-
ren, Versetzungsverfahren und Prüfungsverfahren entsprechend § 63 Abs. 2,
§ 64 Abs. 1, §§ 65 bis 68 DRiG zu regeln. Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG gelten
für die Prüfungsverfahren die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung
sinngemäß. Diese bundesrechtlichen Vorgaben setzt § 45 Abs. 1 SächsRiG
um, indem es u.a. für die Prüfungsverfahren nach § 34 Nr. 3 und Nr. 4 Sächs-
RiG die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung für entsprechend an-
wendbar erklärt, soweit das Sächsische Richtergesetz nichts anderes bestimmt.
Die Vorschriften des II. Teiles der Verwaltungsgerichtsordnung sind demnach
mit Ausnahme des 8. Abschnitts über die Anfechtungs- und Verpflichtungskla-
ge sinngemäß bzw. entsprechend anwendbar (vgl. für das DRiG: Schmidt-
Räntsch, Deutsches Richtergesetz, 6. Aufl., § 65 Rn. 5), nicht jedoch die Be-
stimmung des § 84 VwGO über die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
durch Gerichtsbescheid.
b) Zwar lässt der Wortlaut von § 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG und § 45 Abs. 1
Satz 1 SächsRiG auch eine Auslegung zu, wonach die Anordnung der sinnge-
mäßen bzw. entsprechenden Geltung der Verwaltungsgerichtsordnung die An-
wendbarkeit der Vorschrift des § 84 VwGO erfasst. Die rahmenrechtlich gem.
§ 83 DRiG in Verbindung mit § 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG vorgegebene sinngemä-
ße Geltung der Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung bedeutet aber
deren Anwendbarkeit nur, soweit diese sich mit der Ausgestaltung des Prü-
fungsverfahrens im Deutschen Richtergesetz vereinbaren lässt (BGH, Urteil
vom 29. März 2000 - RiZ(R) 4/99, BGHZ 144, 123, 130). Die Gesetzgebungs-
geschichte sowie Sinn und Zweck der Regelung sprechen dafür, die Bestim-
mung über den Gerichtsbescheid als von der entsprechenden bzw. sinngemä-
ßen Anwendung der Verwaltungsgerichtsordnung nicht erfasst anzusehen.
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aa) Die Möglichkeit der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
durch Gerichtsbescheid wurde durch Art. 2 § 1 des Gesetzes zur Entlastung
der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978
(BGBl. I S. 446) geschaffen. Dadurch sollte der akuten Überlastung der Gerich-
te der Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie des Bundesdisziplinargerichts, und
damit ganz bestimmter Gerichte, durch zeitlich begrenzte Maßnahmen entge-
gengewirkt werden. Es sollte insbesondere der langen Verfahrensdauer der
dort anhängigen Verfahren begegnet und diesen Gerichten die Möglichkeit ge-
geben werden, ihre Rückstände zu erledigen (vgl. BT-Drucks. 8/842 S. 7 f.).
Mit Wirkung ab dem 1. Januar 1991 wurde der Gerichtsbescheid in § 84
VwGO in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung des verwaltungsgerichtli-
chen Verfahrens (Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung
- 4. VwGO-ÄndG - vom 17. Dezember 1990, BGBl. I S. 2809) als Dauerrecht in
die Verwaltungsgerichtsordnung übernommen (vgl. Eyermann/Geiger, VwGO,
13. Aufl., § 84 Rn. 1
. Der Gesetzgeber wollte mit der Einfügung des Gerichts-
bescheids in die Verwaltungsgerichtsordnung und der gleichzeitig erfolgten Ein-
fügung in die Bundesdisziplinarordnung (vgl. § 70a BDO) der besonderen Be-
lastungssituation dieser Gerichte dauerhaft begegnen. Der Gerichtsbescheid
nach Art. 2 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs-
und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 (BGBl. I S. 446) habe sich be-
währt und als besonders wirkungsvolle Entlastungsmaßnahme für die Verwal-
tungsgerichte erwiesen (BR-Drucks. 135/90 S. 77 f). Es ist aber nicht ersicht-
lich, dass der Gesetzgeber damit zugleich den Dienstgerichten für Richter, für
die er ein solches Entlastungsbedürfnis ersichtlich nicht geprüft hat, diese Ent-
scheidungsform zur Verfügung stellen wollte.
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bb) Der Gesamtzusammenhang sowie der Sinn und Zweck der Rege-
lungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG und des § 45 Abs. 1 SächsRiG sprechen
dafür, den Gerichtsbescheid nach § 84 VwGO als von der entsprechenden
bzw. sinngemäßen Anwendung nicht erfasst anzusehen. Das dienstgerichtliche
Prüfungsverfahren dient der Sicherung der Unabhängigkeit der Richter. Der
Gesetzgeber hat diesem in Art. 97 GG verfassungsrechtlich verankerten Prinzip
besondere Bedeutung beigemessen und das dienstgerichtliche Verfahren im
Deutschen Richtergesetz gesondert geregelt. Der Besonderheit des Prüfungs-
verfahrens als eigenständiges, durch die verfassungsrechtlich garantierte Un-
abhängigkeit der Richter (Art. 97 Abs. 1 GG) bestimmtes Verfahren ist bei der
Festlegung des Umfangs, in dem die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsord-
nung (sinngemäß) anzuwenden sind, Rechnung zu tragen (vgl. BGH, Urteil
vom 31. Januar 1984 - RiZ(R) 4/83, BGHZ 90, 34, 36). Dabei ist für die hier
maßgebliche Frage, ob im Prüfungsverfahren durch Gerichtsbescheid ent-
schieden werden kann, weiter zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber das
Prüfungsverfahren wie auch das Versetzungsverfahren dadurch gegenüber den
sonstigen dienstgerichtlichen Verfahren hervorgehoben hat, dass nach § 80
Abs. 2 DRiG in Versetzungs- und Prüfungsverfahren stets eine Zulassung der
Revision zum Dienstgericht des Bundes vorgesehen ist. Demgegenüber ist in
Disziplinarverfahren nach § 81 DRiG der Zugang zur Revisionsinstanz - vorbe-
haltlich der grundsätzlichen landesrechtlichen Eröffnung der Revision in Diszip-
linarsachen (vgl. § 79 Abs. 3 DRiG) - auf die Fälle grundsätzlicher Bedeutung
und Divergenz begrenzt (§ 81 Abs. 1 Nr. 1 und 2 DRiG) und der Rechtsbehelf
der Nichtzulassungsbeschwerde vorgesehen (§ 81 Abs. 2 DRiG). Der stetigen
Zulassung der Revision zum Dienstgericht des Bundes lässt sich die Wertung
des Gesetzgebers entnehmen, dass die Versetzungs- und Prüfungsverfahren
aus seiner Sicht grundsätzlich sehr bedeutsam sind (vgl. schon Schmidt-
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Räntsch, Deutsches Richtergesetz, 1. Aufl. 1962, § 80 Rn. 4) und er die Bil-
dung einer bundeseinheitlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung außerhalb
der jeweiligen Bundesländer für geboten hält (vgl. Schmidt-Räntsch, Deutsches
Richtergesetz, 6. Aufl., Einleitung Rn. 41a). Die Entscheidung durch Gerichts-
bescheid ist dagegen nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur für Streitfälle vorge-
sehen, die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einfach gelagert sind. Die
Bestimmung des § 84 VwGO steht daher schon von ihrem grundsätzlichen An-
wendungsbereich her in Widerspruch zur Besonderheit und Bedeutung des
dienstgerichtlichen Prüfungsverfahrens.
cc) Weiter ist zu beachten, dass den Dienstgerichten und - soweit lan-
desrechtlich in Prüfungsverfahren vorgesehen - den Dienstgerichtshöfen die
tatrichterliche Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts obliegt,
die vom Dienstgericht des Bundes als Revisionsgericht nur in einem einge-
schränkten Umfang überprüft werden kann (vgl. etwa BGH, Urteil vom
16. Dezember 2010 - RiZ(R) 2/10, BGHZ 188, 20 Rn. 32 ff.). Das Dienstgericht
des Bundes ist an die vom Tatrichter getroffenen tatsächlichen Feststellungen
gebunden, es sei denn, dass zulässige und begründete Revisionsgründe gegen
diese Feststellungen vorgebracht werden, § 82 Abs. 2 DRiG. Die Revision kann
nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Nichtanwen-
dung oder unrichtigen Anwendung einer Rechtsnorm beruht, § 80 Abs. 3 DRiG.
Will die Revision beispielsweise beanstanden, wie das Dienstgericht eine Maß-
nahme der Dienstaufsicht i.S.v. § 26 Abs. 3 DRiG in tatsächlicher Hinsicht ge-
würdigt, etwa eine bestimmte Formulierung in einer dienstlichen Beurteilung
oder einem Schreiben einer dienstaufsichtführenden Stelle verstanden hat,
muss sie einen Rechtsfehler des Tatrichters aufzeigen und darf nicht aus-
schließlich das aus ihrer Sicht zutreffende Verständnis der Maßnahme an die
Stelle der Würdigung des Tatrichters setzen (vgl. dazu nur BGH, Urteil vom
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14. April 1997 - RiZ(R) 1/96, DRiZ 1997, 467, 469). Auch wegen dieses einge-
schränkten Überprüfungsmaßstabs in der Revisionsinstanz ist es geboten, dem
Antragsteller eines Prüfungsverfahrens die Möglichkeit einer mündlichen Ver-
handlung in der Tatsacheninstanz zu eröffnen, damit er dort durch seinen
mündlichen Vortrag und das Rechtsgespräch mit dem Dienstgericht und dem
Antragsgegner seine Sichtweise mündlich erläutern kann. Soweit nach § 84
Abs. 2 Nr. 2, 4 und 5 VwGO die Beteiligten nach einer Entscheidung durch Ge-
richtsbescheid unter bestimmten Voraussetzungen mündliche Verhandlung be-
antragen können, sind die Voraussetzungen dieser Bestimmungen wegen der
uneingeschränkten Eröffnung der Revision in Prüfungsverfahren nicht gegeben.
2. Danach konnte das Dienstgericht für Richter das vorliegende Prü-
fungsverfahren nicht durch Gerichtsbescheid nach § 84 VwGO entscheiden.
Der Gerichtsbescheid ist von der Verweisung in §§ 83, 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG
bzw. § 45 Abs. 1 Satz 1 SächsRiG nicht erfasst. Das Dienstgericht hat für die
angefochtene Entscheidung mit dem Gerichtsbescheid folglich eine Entschei-
dungsform gewählt, die das dienstgerichtliche Verfahrensrecht nicht vorsieht.
Dieser Verfahrensfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbe-
scheids und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung
und Entscheidung, § 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG i.V.m. § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
VwGO.
II. Für das weitere Verfahren vor dem Dienstgericht weist der Senat da-
rauf hin, dass die Annahme des Dienstgerichts, hinsichtlich des Statusantrags
sei das erforderliche Vorverfahren durchgeführt, der Antrag jedoch mangels
Rechtsschutzinteresse unzulässig, nicht fernliegend ist und Rechtsfehler nicht
erkennen lässt. Darüber hinaus wird das Dienstgericht ggf. zu prüfen haben, ob
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der Antragsteller für ein Prüfungsverfahren nach § 34 Nr. 3 Buchst. c SächsRiG
überhaupt antragsbefugt ist (vgl. § 48 SächsRiG).
Soweit es die Prüfungsanträge nach § 34 Nr. 4 SächsRiG betrifft, weist
der Senat darauf hin, dass ein Prüfungsantrag nur dann zulässig ist, wenn eine
Maßnahme der Dienstaufsicht i.S.v. § 26 Abs. 3 DRiG vorliegt (vgl. BGH, Urteil
vom 15. November 2007 - RiZ(R) 4/07, NJW 2008, 1448 Rn. 24) und nachvoll-
ziehbar dargelegt ist, dass diese Maßnahme die richterliche Unabhängigkeit
beeinträchtigt (BGH, Urteil vom 20. Januar 2011 - RiZ(R) 1/10, NJW-RR 2011,
700 Rn. 22; Urteil vom 3. November 2004 - RiZ(R) 2/03, DRiZ 2005, 83). Nach
ständiger Rechtsprechung des Dienstgerichts des Bundes genügt dazu die
schlichte - nachvollziehbare - Behauptung einer Beeinträchtigung der richterli-
chen Unabhängigkeit (vgl. nur BGH, Urteil vom 14. Februar 2013 - RiZ 3/12
Rn. 16, juris; Urteil vom 3. Dezember 2009 - RiZ(R) 1/09 Rn. 44, juris; Urteil
vom 24. November 1994 - RiZ(R) 4/94, NJW 1995, 731, 732
. Die Frage, ob die
beanstandeten Maßnahmen tatsächlich so wie behauptet vorgenommen wor-
den sind und die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigen, ist eine Frage der
Begründetheit des Prüfungsantrags. Das Dienstgericht für Richter wird deshalb
insbesondere zu prüfen haben, ob in dem Weihnachtsbrief des Ministerpräsi-
denten an alle Mitarbeiter des Freistaats überhaupt eine Maßnahme der
Dienstaufsicht erblickt werden kann und diese einen Bezug zur spruchrichterli-
chen Tätigkeit des Antragstellers hat.
III. Das Dienstgericht für Richter wird auch über die Kosten der Revision
zu entscheiden haben. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
78.510,58 Euro festgesetzt. Der Antragsteller hat mit dem Statusantrag ein Ver-
fahren über das Bestehen eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Amtsverhält-
nisses auf Lebenszeit anhängig gemacht. Für den Streitwert sind insoweit nach
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§ 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 GKG der 13fache Betrag des Endgrundgehalts i.H.v.
5.654,66 Euro und damit 73.510,58 Euro anzusetzen. Für den Antrag zu 2 sind
5.000,00 Euro gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2 GKG festzusetzen. Die
Werte sind nach § 39 Abs. 1 GKG zusammenzurechnen.
Bergmann Safari Chabestari Drescher
Reinfelder Spinner
Vorinstanzen:
Dienstgericht für Richter beim LG Leipzig, Entscheidung vom 19.04.2012
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