Urteil des BGH vom 02.02.2005

BGH (sexuelle handlung, schwerer fall, stgb, vergewaltigung, gewalt, wohnung, freiwillig, verhalten, begründung, umfang)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 163/05
vom
13. September 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 13. September 2005 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Paderborn vom 2. Februar 2005 im gesam-
ten Strafausspruch aufgehoben.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landge-
richts zurückverwiesen.
3.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei
Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten ver-
urteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und
sachlichen Rechts.
Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge zum Strafausspruch Erfolg; im
Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte
in beiden Fällen das Tatopfer, eine 24 Jahre jüngere Frau und Mutter von drei
Kindern, mit Gewalt zur Duldung einer beischlafähnlichen, unter den hier ge-
gebenen Tatumständen besonders erniedrigenden sexuelle Handlung (Eindrin-
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benen Tatumständen besonders erniedrigenden sexuelle Handlung (Eindrin-
gen mit dem Finger in die Scheide) im Sinne des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB ge-
nötigt und sich jeweils der Vergewaltigung schuldig gemacht. Das Landgericht
hat jedoch, was sich hier aufdrängt, die Regelwirkung des § 177 Abs. 2 Nr. 1
StGB verneint und die verhängten Einzelfreiheitsstrafen von jeweils zwei Jah-
ren dem Normalstrafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB entnommen. Zur Begrün-
dung hat es ausgeführt, "dass sich die angewandte Gewalt jeweils im unteren
Bereich des bei solchen Taten Erforderlichen" bewegte und die Geschädigte
durch ihr "ambivalentes Verhalten zumindest auch dazu beigetragen hat, dass
es jedenfalls zu den Situationen kam, welche der Angeklagte zur Begehung der
Vergewaltigung nutzte". So habe sie den Angeklagten Silvester 2003 freiwillig
in seiner Wohnung besucht und ihn im Juli 2004 trotz der vorausgegangenen
Tat in der Silvesternacht freiwillig eingeladen, in ihrer Wohnung zu übernach-
ten.
Entfällt die Regelwirkung des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB, weil das Regel-
beispiel - wie hier - mit gewichtigen Milderungsgründen zusammentrifft, so
kommt in Betracht, die Tat darüber hinaus als minder schwerer Fall nach § 177
Abs. 5 StGB (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren) zu beurtei-
len. Allerdings müssen die Umstände, die der Tat trotz Erfüllung eines Regel-
beispiels das Gepräge eines minder schweren Falles geben könnten, in einem
ganz außergewöhnlichen Umfang schuldmildernd sein (vgl. BGH StV 2000,
557; BGHR StGB § 177 Abs. 5 [i.d.F. d. 6. StrRG] Strafrahmenwahl 1, 3). Dies
hat das Landgericht zwar nicht verkannt. Es hat aber die Verneinung eines
minder schweren Falles des § 177 Abs. 1 StGB lediglich formelhaft und mit
dem Hinweis darauf begründet, dass hierfür "keine Anhaltspunkte" gesehen
werden könnten. Unter den hier gegebenen Umständen hätte die Verneinung
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eines minder schweren Falles jedoch näherer Begründung bedurft. Dabei hätte
neben dem vom Landgericht zu Recht strafmildernd bewerteten geringen Maß
der in den beiden Fällen aufgewendeten Gewalt und dem ambivalenten Verhal-
ten der Geschädigten an den beiden Tattagen nicht unberücksichtigt bleiben
dürfen, dass der Angeklagte in beiden Fällen nach Vornahme der erzwungenen
sexuellen Handlung, als die sich wehrende Geschädigte aufstand und das
Zimmer verließ, von weiteren sexuellen Handlungen Abstand genommen hat.
In die gebotene Gesamtbetrachtung (vgl. BGHR § 177 Abs. 5 [i.d.F. d.
6. StrRG] Strafrahmenwahl 3) hätte zudem einbezogen werden müssen, dass
die seit Oktober 2003 zwischen dem Angeklagten und dem Tatopfer bestehen-
de Beziehung erst mit der Erstattung der Strafanzeige durch das Tatopfer An-
fang Oktober 2004 beendet wurde, dass es bei den vielfältigen Kontakten über
das Internet, unter anderem zum „virtuellen“ Austausch von Zärtlichkeiten kam
(UA 10) und dass diese - ebenso wie die telefonischen Kontakte - nach den
Taten, ohne diese dabei zu thematisieren, fortgesetzt wurden, wobei weiterhin
ein "freundschaftlicher vertrauter Tonfall herrschte" (vgl. UA 9/12).
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Der dargestellte Mangel des Urteils führt zur Aufhebung des gesamten
Strafausspruchs. Die zugrunde liegenden Feststellungen können jedoch be-
stehen bleiben, weil sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind. Ergänzende
Feststellungen sind zulässig.
Tepperwien RiBGH Prof.Dr.Kuckein und Athing
Ri'inBGH Sost-Scheible sind
wegen Urlaubs gehindert zu
unterschreiben
Tepperwien
Ernemann