Urteil des BGH vom 13.07.2005

BGH (vorläufige einstellung, vorläufige einstellung des verfahrens, wiederaufnahme des verfahrens, einstellung des verfahrens, stpo, einstellung, strafkammer, sache, wiederaufnahme, anklage)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 184/05
vom
13. Juli 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
- 2 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Juli 2005 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
München II vom 4. Januar 2005 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwen-
digen Auslagen zu tragen.
Gründe:
Die 1. Strafkammer des Landgerichts München II hat die Anklage gegen
den Angeklagten wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung seiner Ehefrau in
sechs Fällen zugelassen, in der Hauptverhandlung indessen das Verfahren
wegen der Fälle zwei bis sechs (Ziffer 2. der Anklage) nach § 154 Abs. 2 StPO
eingestellt und eine Vergewaltigungstat abgeurteilt. Der Senat hat dieses Urteil
auf die Revision des Angeklagten hin aufgehoben und die Sache an eine ande-
re Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die jetzt zuständige
4. Strafkammer hat in der neuen Hauptverhandlung auf Antrag der Staatsan-
waltschaft und nach Anhörung der Verteidigung den Anklagevorwurf weiterer
fünf Vergewaltigungen wieder aufgenommen und den Angeklagten auch inso-
weit verurteilt. Die erneute Revision des Angeklagten, die die Verletzung sach-
lichen Rechts rügt, bleibt erfolglos. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils
aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen den Angeklagten beschwe-
- 3 -
renden Rechtsfehler aufgedeckt (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Erörterung bedarf
lediglich folgendes:
1. Ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis liegt
hinsichtlich der Verurteilung in den Fällen B. 2. der Urteilsgründe (Anklage Zif-
fer 2.) nicht vor. Die vorläufige Einstellung des Verfahrens wegen dieser Taten
in der ersten gegen den Angeklagten geführten Hauptverhandlung (gemäß
§ 154 Abs. 2 StPO) beendete zwar die gerichtliche Anhängigkeit und schuf ein
Verfahrenshindernis (BGHSt 30, 197, 198). Mit der Wiederaufnahme des Ver-
fahrens wegen der nämlichen Taten durch das Landgericht nach Aufhebung
des ersten in dieser Sache ergangenen Urteils und der Zurückverweisung der
Sache ist dieses Verfahrenshindernis aber ausgeräumt worden. Daran ändert
nichts, daß die Wiederaufnahme von einer anderen großen Strafkammer des
Landgerichts beschlossen worden ist als derjenigen, die das Verfahren inso-
weit vorläufig eingestellt hatte.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für den Wieder-
aufnahmebeschluß nach § 154 Abs. 5 StPO zwar allein das Gericht zuständig,
das die vorläufige Einstellung ausgesprochen hat (BGH, Urt. vom 21. Februar
1957 - 4 StR 3/57; Beschl. vom 28. September 1972 - 1 StR 364/72 = MDR bei
Dallinger 1973, 192, Beschl. vom 30. April 1980 - 2 StR 104/80 = GA 1981,
36). Dieser Grundsatz greift hier aber nicht ein. Den genannten Entscheidun-
gen des Bundesgerichtshofs lagen Fallgestaltungen zu Grunde, in denen zu-
nächst das Amtsgericht eine vorläufige Einstellung vorgenommen, dann jedoch
das Verfahren im übrigen an das Landgericht verwiesen und dieses die einge-
stellten Verfahrensteile wieder aufgenommen hatte. In jenen Verfahren war die
vorläufige Einstellung also vor einer Verweisung an ein Gericht höherer Ord-
nung erfolgt. Wegen der vorherigen Einstellung konnte die Verweisung den
- 4 -
eingestellten Verfahrensteil nicht ergreifen (vgl. KK-Schoreit, 5. Aufl. § 154
Rdn. 44 m.w. N.). Hier hingegen liegt es so, daß auch die Taten, derentwegen
das Verfahren vorläufig eingestellt worden war, zur großen Strafkammer des
Landgerichts München II angeklagt waren. Eine Verweisung an ein Gericht hö-
herer Ordnung hat nicht stattgefunden. Auch die Zurückverweisung der Sache
nach Aufhebung des ersten Urteils durch das Revisionsgericht ist an das
Landgericht München II erfolgt. Mithin war die sachliche und örtliche Zustän-
digkeit dieses Landgerichts - große Strafkammer - für den Wiederaufnahme-
beschluß weiter gegeben. Hier konnte deshalb auch über die Wiederaufnahme
hinsichtlich der eingestellten Verfahrensteile entschieden werden, denn das
Verfahren war auch nach der Zurückverweisung der Sache im übrigen hier
gleichsam "latent" weiter anhängig: Es lag eine an dieses Gericht und einen
Spruchkörper dieser Art gerichtete, zugelassene Anklage vor und der Beschluß
über die vorläufige Einstellung war noch nicht endgültig (vgl. § 154 Abs. 4
StPO).
2. Liegt mithin kein Verfahrenshindernis vor, muß nicht mehr entschie-
den werden, ob es verfahrensrechtsfehlerhaft war, daß die Entscheidung über
die Wiederaufnahme nicht von demselben Spruchkörper des sachlich und ört-
lich zuständigen Gerichts getroffen worden ist, der die vorläufige Einstellung
ausgesprochen hat (so etwa OLG Koblenz StraFo 2001, 242, 243; vgl. auch
LG Heilbronn StV 1986, 52; Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 154 Rdn. 22).
Denn diese Frage betrifft die geschäftsplanmäßige Zuständigkeit der beiden
Strafkammern für den Wiederaufnahmebeschluß und die ordnungsgemäße
Besetzung der erkennenden Strafkammer insoweit, ist also in diesem Punkte
allein auf eine Verfahrensrüge hin überprüfbar. Eine solche Rüge ist nicht er-
hoben
- 5 -
(vgl. zur verfahrensrechtlichen Problematik auch Gollwitzer in Lö-
we/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 237 Rdn. 1 unter Bezugnahme auf BGHSt 26,
271, 273; BGH NJW 1995, 1688, 1689; BGHSt 38, 376, 379 einerseits, aber
auch KK-Tolksdorf, 5. Aufl. § 237 Rdn. 2; Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 237
Rdn. 3).
Nack Wahl Schluckebier
Kolz Hebenstreit