Urteil des BGH vom 12.09.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
III ZB 7/13
vom
12. September 2013
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 233 Fd
a) Die Faxübermittlung fristwahrender Schriftsätze darf einem Auszubildenden
nur dann übertragen werden, wenn dieser mit einer solchen Tätigkeit ver-
traut ist und eine regelmäßige Kontrolle seiner Tätigkeit keine Beanstan-
dungen ergeben hat (im Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 11. Februar
2003 - VI ZB 38/02, NJW-RR 2003, 935, 936 mwN und vom 26. Januar
2006 - I ZB 64/05, NJW 2006, 1519, 1520 Rn. 11).
b) Bei Fehlen einer konkreten Einzelanweisung müssen allgemeine organisa-
torische Regelungen in der Anwaltskanzlei bestehen, die die Beachtung
dieser Voraussetzungen und eine wirksame Kontrolle der Faxübermittlung
durch den Auszubildenden gewährleisten.
BGH, Beschluss vom 12. September 2013 - III ZB 7/13 - KG Berlin
LG Berlin
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. September 2013 durch
die Richter Dr. Herrmann, Seiters, Tombrink, Dr. Remmert und Reiter
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des
23. Zivilsenats des Kammergerichts vom 10. Januar 2013 - 23 U
214/12 - wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat die Beklagte zu
tragen.
Der Gegenstandswert für die Rechtsbeschwerde beträgt
10.213,90 €.
Gründe:
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einem Centermanagement-Vertrag
auf Zahlung restlicher Vergütung in Anspruch und hat vor dem Landgericht am
12. September 2012 ein überwiegend klagestattgebendes Urteil erwirkt. Dieses
Urteil ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 14. September 2012
zugestellt worden. Nach Einlegung der Berufung am 4. Oktober 2012 hat die
Beklagte mit Schriftsatz vom 14. November 2012, (als Original) eingegangen
beim Berufungsgericht am 16. November 2012, um (erstmalige) Verlängerung
der Berufungsbegründungsfrist bis zum 14. Dezember 2012 nachgesucht. Mit
Schriftsatz vom 15. November 2012, eingegangen per Telefax am selben Tage,
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hat sie hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist die Wieder-
einsetzung in den vorigen Stand beantragt. Diesem Antrag beigefügt war die
nicht unterschriebene Kopie eines Schriftsatzes vom 14. November 2012, mit
dem die Prozessbevollmächtigten der Beklagten um eine Verlängerung der Be-
rufungsbegründungsfrist bis zum 14. Dezember 2012 gebeten hatten. Mit Ein-
gang vom 5. Dezember 2012 hat sie ihre Berufung begründet.
Die Beklagte hat zu ihrem Wiedereinsetzungsgesuch vorgetragen: Das
Fristverlängerungsgesuch sei am 14. November 2012 um 16.28 Uhr durch die
in der Kanzlei seiner Prozessbevollmächtigten tätige Rechtsanwalts- und Notar-
fachangestellte F. M. erstellt und sodann dem sachbearbeitenden
Rechtsanwalt Fr. P. vorgelegt, von diesem gegen 16.50 Uhr unter-
zeichnet und wieder an Frau M. zur Übersendung an das Berufungsgericht
per Telefax übergeben worden. Frau M. habe die Akte mit dem unterschrie-
benen Fristverlängerungsantrag der Auszubildenden T. R. übergeben
und diese angewiesen, die Faxübersendung vorzunehmen. Nachdem Frau R. -
aus dem separaten Faxraum zurückgekehrt sei, habe sich Frau M. bei ihr
erkundigt, ob die Faxe durchgegangen seien, was Frau R. bejaht habe. Von
einer weiteren Überprüfung habe Frau M. abgesehen. Frau R. habe den
Schriftsatz sodann in den Postausgangskorb für die Gerichtspost gelegt. Ohne
weitere Kontrolle habe Frau M. die Änderung beziehungsweise Erledigung
der Fristen im elektronischen Fristenkalender und im Handkalender veranlasst.
Rechtsanwalt P. habe gegen 19.00 Uhr die Fristenkalender kontrolliert
und festgestellt, dass alle notierten Fristen als erledigt gekennzeichnet gewesen
seien. Erst am folgenden Tage habe sich gezeigt, dass ein Faxprotokoll nicht
vorhanden und der Fristverlängerungsantrag nicht gefaxt worden sei. Frau
M. sei seit acht Jahren in der Kanzlei angestellt. Ihre Tätigkeit habe bis da-
hin nie zu Fristversäumnissen geführt. Die regelmäßige Kontrolle ihrer Arbeit
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habe keine Beanstandungen ergeben. Die Rechtsanwaltsangestellten seien
angewiesen, die ausgehenden Faxe anhand des Faxprotokolls zu überprüfen,
die erfolgte Prüfung auf dem Protokoll zu vermerken und erst dann die Frist im
Kalender als erledigt zu kennzeichnen. Von den Auszubildenden hätten sie sich
die Faxprotokolle vorlegen zu lassen und diese zu kontrollieren, bevor die Frist
als erledigt gekennzeichnet werde. Hierbei habe es in der Vergangenheit, auch
bei regelmäßigen Überprüfungen der ausgegangenen Faxschreiben, keinerlei
Grund zur Beanstandung durch die Rechtsanwälte gegeben. Grundsätzlich stri-
chen nur die ausgebildeten Rechtsanwaltsfachangestellten die im Kalender no-
tierten Fristen. Diese überprüften auch die korrekte Übermittlung von Tele-
faxsendungen, die die Auszubildenden oder sie selbst versandt hätten. Dieses
Vorgehen sei seit Jahren eingeübt und werde durch die Rechtsanwälte regel-
mäßig kontrolliert, ohne dass sich in der Vergangenheit Beanstandungen erge-
ben hätten.
Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewie-
sen. Es hat ausgeführt, die Beklagte habe nicht glaubhaft gemacht, dass die
Berufungsbegründungsfrist ohne Verschulden versäumt worden sei. Die Ver-
säumung der Rechtsmittelfrist beruhe auf einem der Beklagten gemäß § 85
Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten. Die
Organisation der Versendung fristwahrender Schriftsätze in der Kanzlei der
Prozessbevollmächtigten sei generell unzureichend gewesen. Diese Tätigkeit
dürfe Auszubildenden nur dann überlassen werden, wenn diese mit einer sol-
chen Tätigkeit vertraut seien und regelmäßige Kontrollen keine Beanstandun-
gen ergeben hätten. Diesen Erfordernissen sei nicht genügt worden, wie sich
daran zeige, dass die Auszubildende R, eine Kopie des Fristverlängerungs-
gesuchs und nicht dessen Original übermittelt habe.
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Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.
II.
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 522 Abs. 1
Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte sowie rechtzeitig eingelegte und be-
gründete Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil weder die Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Siche-
rung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbe-
schwerdegerichts erfordern (§ 574 Abs. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat den
Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis zu Recht zu-
rückgewiesen.
1.
Die Berufungsbegründungsfrist ist nicht schuldlos versäumt worden.
a) Wie aus dem Vorbringen der Beklagten ersichtlich wird und das Beru-
fungsgericht zutreffend festgestellt hat, ist der Einsatz von Auszubildenden bei
der Faxübermittlung fristgebundener Schriftsätze in der Kanzlei der Rechtsan-
wälte der Beklagten ausdrücklich vorgesehen. Zu Recht ist das Berufungsge-
richt davon ausgegangen, dass die Übersendung eines fristwahrenden Schrift-
satzes per Telefax einem Auszubildenden nur dann überlassen werden darf,
wenn dieser mit einer solchen Tätigkeit vertraut ist und eine regelmäßige Kon-
trolle seiner Tätigkeit keine Beanstandungen ergeben hat (BGH, Beschlüsse
vom 11. Februar 2003 - VI ZB 38/02, NJW-RR 2003, 935, 936 mwN und vom
26. Januar 2006 - I ZB 64/05, NJW 2006, 1519, 1520 Rn. 11). Allgemein muss
der Rechtsanwalt eine wirksame Ausgangskontrolle sicherstellen, indem er sei-
ne Mitarbeiter anweist, einen Einzelnachweis über den Sendevorgang ausdru-
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cken zu lassen, bevor die entsprechende Frist als erledigt vermerkt wird (s. et-
wa BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368).
b) Nach diesen Maßgaben hat die Beklagte ein ihr gemäß § 85 Abs. 2
ZPO zuzurechnendes Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten nicht auszu-
räumen vermocht.
aa) Abzustellen ist insoweit zunächst allein auf diejenigen Angaben, die
die Beklagte in ihrem Wiedereinsetzungsantrag mitgeteilt hat. Denn die eine
Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen müssen gemäß § 236 Abs. 2
Satz 1 ZPO grundsätzlich bereits im Wiedereinsetzungsantrag enthalten sein;
jedenfalls sind sie innerhalb der für die Wiedereinsetzung geltenden Frist nach
§ 234 Abs. 1 ZPO vorzubringen. Zulässig ist nur die Ergänzung von fristgerecht
gemachten, aber erkennbar unklaren oder unvollständigen Angaben, deren Auf-
klärung nach § 139 ZPO geboten war (s. zu alldem etwa Senatsbeschlüsse
vom 24. Juni 2010 - III ZB 63/09, BeckRS 2010, 16574 Rn. 14 mwN und vom
20. Dezember 2012 - III ZB 47/12, BeckRS 2013, 02649 Rn. 9; BGH, Beschlüs-
se vom 23. Oktober 2003 aaO S. 369 und vom 21. Oktober 2010 - IX ZB 73/10,
NJW 2011, 458, 460 Rn. 17).
bb) In dem Wiedereinsetzungsantrag finden sich, wie das Berufungsge-
richt zutreffend ausgeführt hat, keine Angaben zum Ausbildungsstand, zur Zu-
verlässigkeit und zur Befähigung der Auszubildenden R. . Ebenso fehlen An-
gaben dazu, welche allgemeinen Anweisungen zum Einsatz von Auszubilden-
den bei der Faxübermittlung fristgebundener Schriftsätze in der betreffenden
Anwaltskanzlei bestanden haben. Damit war organisatorisch insbesondere nicht
ausgeschlossen, dass unerfahrene oder unzuverlässige Auszubildende mit der
Aufgabe der Faxübermittlung betraut werden. Dass die Auszubildenden die
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Faxprotokolle den ausgebildeten Fachangestellten zur Kontrolle vorlegen müs-
sen, bevor die Frist als erledigt gekennzeichnet werden darf, macht Regelungen
über die Voraussetzungen für den Einsatz von Auszubildenden mit Rücksicht
auf deren Zuverlässigkeit und Erfahrungsstand nicht entbehrlich. So kann es
etwa bei der Erledigung mehrerer Faxaufträge durch unerfahrene Auszubilden-
de leicht dazu kommen, dass Faxprotokolle verwechselt, falsch zugeordnet
oder missdeutet werden oder ihr Fehlen übersehen wird oder dass es eigen-
mächtig zur Eintragung der Fristerledigung im Kalender kommt. Dies macht je-
denfalls in der ersten Zeit ihrer Ausbildung eine weitergehende Überwachung
dieser Auszubildenden erforderlich, wenn man sie zur Faxübermittlung einsetzt.
Ihnen fehlt in diesem Stadium typischerweise die nötige Erfahrung im Umgang
mit dem anwaltlichen Schriftverkehr und ein Bewusstsein für die Bedeutung und
den Nachweis der Wahrung von Fristen.
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde liegt keine hinreichend
konkrete anwaltliche Einzelanweisung vor, die das Fehlen allgemeiner organi-
satorischer Regelungen ausgleichen könnte. Der Vortrag der Beklagten hat sich
hierzu darin erschöpft, dass Rechtsanwalt P. das Fristverlängerungsge-
such nach Unterzeichnung "an Frau M. zur Übersendung an das Kammer-
gericht per Fax" übergeben habe. Eine Einzelweisung, die - wie hier - lediglich
darin besteht, den fristgebundenen Schriftsatz per Telefax an das Rechtsmittel-
gericht zu übersenden, regelt nur die Art und Weise sowie den Adressaten der
Übermittlung. Sie macht eine organisatorische Regelung zur Kontrolle der
Faxübermittlung und zur Einschaltung von Auszubildenden weder entbehrlich
noch setzt sie eine hierzu bestehende - unvollständige oder sonst mangelhafte -
organisatorische Regelung außer Kraft (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Oktober
2003 aaO; vom 4. Juli 2006 - VI ZB 48/05, BeckRS 2006, 08980 Rn. 5 und vom
21. Oktober 2010 aaO S. 459 Rn. 9 f; s. auch BGH, Beschluss vom 26. Juni
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2012 - VI ZB 12/12, NJW 2012, 3309, 3310 Rn. 8). Sie schließt - wie auch im
vorliegenden Fall - insbesondere nicht aus, dass die Faxübermittlung ohne hin-
reichende Kontrolle einem unerfahrenen Auszubildenden übertragen wird.
cc) Auf die von der Rechtsbeschwerde beanstandeten Ausführungen des
Berufungsgerichts, die organisatorischen Unzulänglichkeiten in der Kanzlei der
Prozessbevollmächtigten der Beklagten zeigten sich daran, dass die Auszubil-
dende R. eine (nicht unterzeichnete) Kopie des Fristverlängerungsgesuchs
und nicht dessen Original übermittelt habe und mit der Aufgabe der Faxüber-
mittlung somit sichtlich überfordert gewesen sei, kommt es hiernach nicht ent-
scheidungserheblich an. Zutreffend weist die Beklagte freilich darauf hin, dass
sich für ein solches Geschehen - nämlich die Übersendung einer (nicht unter-
zeichneten) "Kopie" als "Original" - bei genauerer Betrachtung des Akteninhalts
kein tragfähiger Hinweis findet. Hiervon bleibt jedoch unberührt, dass es an An-
gaben zu den erforderlichen allgemeinen Regelungen über den Einsatz von
Auszubildenden bei der Faxübermittlung fristgebundener Schriftsätze und zum
Ausbildungsstand, zur Zuverlässigkeit und zur Befähigung der Auszubildenden
R. gefehlt hat.
dd) Soweit die Beklagte in ihrer Rechtsbeschwerdebegründung - ohne
die gebotene Glaubhaftmachung (§ 236 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2, § 294 ZPO) -
mitteilt, dass es in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten organisatorisch
vorgesehen sei, dass ohne Vorliegen einer Direktanweisung Auszubildende
(erst) ab dem zweiten Ausbildungsjahr fristwahrende Schriftsätze unter Aufsicht
der Fachangestellten versenden, dass die Fachangestellte M. nach dem
Inhalt der ihr erteilten Direktanweisung persönlich zur Erledigung des Faxver-
sands gehalten gewesen sei und dass sich die Auszubildende R. bereits am
Ende ihres zweiten Ausbildungsjahres befunden habe, kann sie - abgesehen
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davon, dass konkrete Angaben zur persönlichen Zuverlässigkeit von Frau R.
auch weiterhin fehlen - mit diesem neuen Vortrag im Rechtsbeschwerdeverfah-
ren nicht mehr gehört werden. Das Berufungsgericht hat insoweit auch keine
Hinweispflichten versäumt, weil ein erfahrener Rechtsanwalt selbst wissen
muss, welche Anforderungen für die Darlegung einer konkreten Einzelanwei-
sung und die Einschaltung von Auszubildenden bei der Faxübermittlung fristge-
bundener Schriftsätze zu beachten und welche Tatsachen hierzu im Wiederein-
setzungsgesuch vorzutragen sowie glaubhaft zu machen sind (vgl. BGH, Be-
schluss vom 23. Oktober 2003 aaO).
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Nach alldem hat das Berufungsgericht der Beklagten zu Recht die Wie-
dereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Beru-
fungsbegründungsfrist versagt.
Herrmann
Seiters
Tombrink
Remmert
Reiter
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 12.09.2012 - 23 O 397/10 -
KG Berlin, Entscheidung vom 10.01.2013 - 23 U 214/12 -
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