Urteil des BGH vom 17.09.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ARZ 423/13
vom
17. September 2013
in dem Gerichtsstandbestimmungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3, § 697 Abs. 2
Das zuständige Gericht kann, wenn ein Mahnverfahren vorangegangen ist und
mehrere Antragsgegner Widerspruch oder Einspruch eingelegt haben, noch
nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO bestimmt werden, wenn der Antragsteller einen
entsprechenden Antrag mit der Anspruchsbegründung stellt oder, bei Unkennt-
nis des dafür zuständigen Obergerichts, gegenüber den Streitgerichten zumin-
dest ankündigt und den Antrag unverzüglich nachholt.
BGH, Beschluss vom 17. September 2013 - X ARZ 423/13 - OLG Hamm
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. September 2013
durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richterin Mühlens,
den Richter Gröning, die Richterin Schuster und den Richter Dr. Deichfuß
beschlossen:
Als zuständiges Gericht wird das Amtsgericht Iserlohn bestimmt.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin, die eine Spezialwerkstatt für klassische Automo-
bile betreibt, nimmt die in Neubrandenburg bzw. Iserlohn wohnhaften Antrags-
gegnerinnen zu 1 und 2 als Gesamtschuldnerinnen auf Zahlung der Unterstell-
kosten für von ihr reparierte und nicht abgeholte Fahrzeuge Mercedes Pull-
man 600 und Tatra sowie auf deren Abholung in Anspruch. Die Fahrzeuge ge-
hören einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, deren Sitz in Italien liegen soll
und der neben den Antragsgegnerinnen deren Vater angehört, der den Repara-
turauftrag erteilt hatte.
Die Antragstellerin hat gegen die Antragsgegnerinnen wegen der Unter-
stellkosten Mahnbescheide des Amtsgerichts Hünfeld erwirkt. Dieses hat die
Verfahren nach Widerspruchseinlegung an die in den Mahnbescheidsanträgen
benannten Amtsgerichte Neubrandenburg bzw. Iserlohn abgegeben. Die Akten
sind beim Amtsgericht Iserlohn am 13. November 2012 und beim Amtsgericht
Neubrandenburg am darauf folgenden Tag eingegangen. Mit zwei Schriftsätzen
vom 30. November 2012 hat die Antragstellerin ihren Anspruch begründet, die
Klagen auf den Abholungsantrag erweitert und in beiden Sachen einen Antrag
auf Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ange-
kündigt, den sie am 7. März 2013 gestellt hat.
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Das vorlegende Oberlandesgericht kann einen gemeinsamen besonde-
ren Gerichtsstand nicht zuverlässig feststellen und möchte das Amtsgericht
Iserlohn, das es auch unter Berücksichtigung der Klageerweiterung sachlich
weiterhin für zuständig erachtet, als das zuständige Gericht bestimmen. So zu
entscheiden, sieht es sich durch eine Entscheidung des Oberlandesgerichts
Düsseldorf gehindert.
II. Die Vorlage ist zulässig.
Die Voraussetzungen für eine Vorlage der Sache durch das an sich nach
§ 36 Abs. 2 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufene Oberlan-
desgericht Hamm nach § 36 Abs. 3 ZPO an den Bundesgerichtshof liegen vor.
Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Düsseldorf (MDR 2013, 56; Beschluss
vom 27. März 2013 - I-5 Sa 16/13) kommt eine Anwendung des § 36 Abs. 1
Nr. 3 ZPO nach vorangegangenem Mahnverfahren und Einlegung des Wider-
spruchs nur in Betracht, solange - anders als hier - entweder gar kein Verfahren
oder allenfalls eines an das Prozessgericht abgegeben worden ist.
III. In der Sache tritt der Senat der Ansicht des vorlegenden Gerichts
bei.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Bestim-
mung eines zuständigen Gerichts für eine Klage gegen mehrere Personen, die
bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben und als
Streitgenossen in diesem verklagt werden sollen, zwar nicht mehr möglich,
wenn der Antragsteller gegen die Beklagten bereits vor verschiedenen Gerich-
ten Klage erhoben hat (BGH, Beschluss vom 23. Februar 2011 - X ARZ 388/10,
NJW-RR 2011, 929). Dieser Grundsatz kann entgegen der Ansicht des Ober-
landesgerichts Düsseldorf aber nicht uneingeschränkt auf Fälle der hier vorlie-
genden Art übertragen werden, in denen der Anspruch gegen mehrere Streit-
genossen zunächst im Mahnverfahren verfolgt worden ist. Die Bestimmung des
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zuständigen Gerichts ist nach vorangegangenem Mahnverfahren gegen mehre-
re Antragsgegner vielmehr grundsätzlich auch noch zulässig, nachdem Wider-
spruch bzw. Einspruch eingelegt worden ist und die Verfahren daraufhin an die
im Mahnbescheidsantrag angegebenen, für die Antragsgegner als zuständig
bezeichneten Gerichte abgegeben worden sind (BGH, Beschluss vom 2. Juni
1978 - I ARZ 202/78, NJW 1978, 1982). Die genannte Entscheidung des Bun-
desgerichtshofs ist zwar zu einer Fassung von § 696 ZPO ergangen, der zufol-
ge die Sache nach Widerspruch zwingend an das Gericht abzugeben war, bei
dem der Antragsgegner seinen allgemeinen Gerichtsstand hatte. Nichts ande-
res kann jedoch gelten, wenn sich, wie hier, ein gemeinsamer besonderer Ge-
richtsstand für den Rechtsstreit nicht zuverlässig feststellen lässt, was für eine
Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO genügt (BGH, Beschluss
vom 20. Mai 2008 - X ARZ 98/08, NJW-RR 2008, 1514). Die vorübergehende
Verfahrenstrennung ist auch in einem solchen Fall in den gesetzlichen Rege-
lungen für das Verfahren nach Einlegung des Widerspruchs oder Einspruchs
gegen den Mahnbescheid angelegt und kann dem Antragsrecht auf Bestim-
mung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 deshalb grundsätzlich
nicht entgegenstehen. Fehlt ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand, kann
in Fällen wie dem vorliegenden in der Angabe des für die Streitgenossen je-
weils für die Durchführung des streitigen Verfahrens zuständigen Gerichts auch
keine nach § 35 ZPO bindende Gerichtsstandswahl gesehen werden.
2. Ist dem streitigen Verfahren ein Mahnverfahren vorangegangen,
stellt es eine der Klageerhebung im Klageverfahren gegen mehrere Beklagte
vor verschiedenen Gerichten vergleichbare Zäsur, nach der die Bestimmung
des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht mehr zulässig ist,
erst dar, wenn der Antragsteller den Anspruch begründet (§ 697 Abs. 2 ZPO),
ohne zugleich auf eine Zuständigkeitsbestimmung hinzuwirken. Ist der Antrag-
steller im Zeitpunkt der Anspruchsbegründung mangels Kenntnis vom Zeitpunkt
des Eingangs der Akten bei den verschiedenen Streitgerichten noch im Unkla-
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ren über das für den Antrag zuständige Oberlandesgericht, reicht es aus, wenn
er den Bestimmungsantrag in der Anspruchsbegründungsschrift zunächst nur
ankündigt und die beteiligten Gerichte um diesbezügliche Mitteilung der Akten-
eingangsdaten bittet. In solchen Fällen gebietet es der Gedanke der Pro-
zessökonomie allerdings, dass der Antrag unverzüglich nachgeholt wird, damit
die getrennten Verfahren so bald wie möglich zusammengeführt werden kön-
nen. Der dafür erforderliche zeitliche Zusammenhang ist im Streitfall noch ge-
wahrt.
3. Die vom Oberlandesgericht Düsseldorf für seinen gegenteiligen
Standpunkt angeführten Gründe überzeugen nicht. Soweit es meint, der An-
tragsteller könne die Abgabe an verschiedene Gerichte verhindern, indem er
entweder keinen Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens stellt oder
- falls die Gegenseite dies beantragt - die Gebühr nach KV Nr. 1210 nicht ent-
richtet, begibt es sich in Widerspruch zu seinem eigenen - zutreffenden - An-
satzpunkt, dass der Antragsteller seinen Anspruch begründen muss, damit die
weiteren Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts nach
§ 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO überhaupt geprüft werden können. Soweit das Oberlan-
desgericht Düsseldorf den Antragsteller darauf verweisen will, den Anspruch
gegebenenfalls nur gegenüber einem der Antragsgegner zu begründen, ist zu
bedenken, dass es dem Antragsteller grundsätzlich freistehen muss, sein ge-
gen mehrere Schuldner gerichtetes Begehren im Rahmen der von der Zivilpro-
zessordnung dafür bereitgestellten prozessualen Instrumentarien bestmöglich
zu verfolgen und ihm deshalb nicht angesonnen werden kann, davon abzuse-
hen, den Verfahren gerade so Fortgang zu geben, wie es das Gesetz für eine
Rechtsverfolgung gegen mehrere Antragsgegner an sich vorsieht und wie es für
eine effektive Verfolgung des Anspruchs gegen alle Antragsgegner auch
zweckmäßig sein kann, nur um das Antragsrecht auf Zuständigkeitsbestim-
mung nicht zu verlieren.
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IV. Wie das vorlegende Oberlandesgericht ebenfalls zutreffend ange-
nommen hat, ist es zweckmäßig und prozessökonomisch, entsprechend der
Anregung der Klägerin, der die Beklagten nicht widersprochen haben, als zu-
ständiges Gericht das Amtsgericht Iserlohn zu bestimmen.
Meier-Beck
Mühlens
Gröning
Schuster
Deichfuß
Vorinstanz:
OLG Hamm, Entscheidung vom 23.07.2013 - I-32 SA 16/13 -