Urteil des BGH vom 17.01.2013

BGH: treu und glauben, bedingter vorsatz, unrichtigkeit, schiedsgutachten, erstellung, abrechnung, daten, schiedsgutachtervertrag, beobachter, leasing

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 11/12
Verkündet am:
17. Januar 2013
B o t t
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. Januar 2013 durch den Vizepräsidenten Schlick sowie die Richter
Dr. Herrmann, Wöstmann, Hucke und Seiters
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Stuttgart vom 20. Dezember 2011 aufgeho-
ben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin, eine Vertragshändlerin der B. AG, verlangt von den Be-
klagten - der Sachverständigenorganisation für den Automobilbereich D.
und deren Tochterunternehmen - Schadensersatz wegen der Erstellung angeb-
lich fehlerhafter Fahrzeugbewertungen.
Die Klägerin und ihre Schwestergesellschaften, die Automobile H.
GmbH in S. und die H. GmbH in St. , vermitteln
der B. -Leasing GmbH (im Folgenden: B. L) aufgrund einer "Vereinbarung
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über Leasinggeschäfte" vom 26./28. März 2002 nebst einer Zusatzvereinbarung
Leasinganträge ihrer Kunden. Nach Beendigung von ihnen vermittelter Lea-
singverträge waren die Klägerin und ihre Schwestergesellschaften verpflichtet,
die zurückgegebenen Fahrzeuge, die sogenannten Leasingrückläufer, auf ent-
sprechende Anforderung von der B. L anzukaufen. Bei der - in der Zusatz-
vereinbarung modifizierten - Berechnung des Kaufpreises sollte maßgeblich auf
den Händlereinkaufspreis abgestellt werden, der nach Ziffer 3.5.1 der Vereinba-
rung "derzeit von D. aufgrund des Baujahres und der tatsächlich gefahre-
nen Kilometer, aber ohne Berücksichtigung des jeweiligen Fahrzeugzustandes
im Auftrag der B. L ermittelt" werden sollte. Dazu sollten die zur Bewertung
erforderlichen Daten von der B. L per Computer an die D. übertragen
werden, das Bewertungsgutachten sollte dem (Rück-)Käufer ausgehändigt
werden. In einer Zusatzvereinbarung vom gleichen Tag ist unter anderem fest-
gestellt, dass die Berechnung von Restwertchancen/-risiken auf der Differenz
zwischen dem Rücknahmewert (RNW) und dem Händlereinkaufspreis (HEK)
gemäß D. basiert. Eine ähnliche Vereinbarung über Leasinggeschäfte
schlossen die Klägerin und ihre Schwestergesellschaften auch mit der A.
GmbH (im Folgenden: A. ), bei der es sich eben-
falls um ein Tochterunternehmen der B. Group handelt.
Grundlage für die Mitwirkung der Beklagten bei der Ermittlung des Händ-
lereinkaufspreises ist eine zwischen dem Beklagten zu 2 und der B. L ge-
schlossene Vereinbarung vom 31. Juli/5. August 1987 (im Folgenden: EDV-Ver-
bund-Vertrag), nach dem eine Datenfernleitung zwischen dem Hausrechner der
D. und der B. L eingerichtet wird, über die die B. L sogenannte
"B. -Leasing-Kurzbewertungen" zum Zwecke der Abrechnung von Leasing-
verträgen abrufen können sollte. Ziffer 3.1 dieses Vertrags weist unter anderem
darauf hin, dass nur Rechendaten druckaufbereitet gemäß D. -Spezifika-
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tion übertragen werden, die Bewertung aufgrund von Anwendervorgaben erfol-
ge und eine D. -Ing.-Leistung nicht in Anspruch genommen werde.
Gemäß diesen Vereinbarungen wurden in einer Vielzahl von Fällen die
Händlereinkaufspreise ermittelt. Entsprechende Schriftstücke sind mit "Bewer-
tungsgutachten/Rechendaten" überschrieben und weisen als Absender und
Empfänger in der Kopfzeile die B. L aus, während in der Fußzeile die Adres-
se der Beklagten zu 1 aufgeführt ist. Auf der Grundlage der so ermittelten
Händlereinkaufspreise übten die B. L und die A. ihr Andienungsrecht
aus und schlossen mit der Klägerin und deren Schwestergesellschaften ent-
sprechende Kaufverträge.
Die Klägerin wirft den Beklagten vor, im Zeitraum von Januar bis No-
vember 2008 nicht marktgerechte Händlereinkaufspreise ermittelt zu haben. Sie
hat in den Tatsacheninstanzen geltend gemacht, dass sie in den Schutzbereich
des EDV-Verbund-Vertrags einbezogen sei und sie deshalb unter dem Ge-
sichtspunkt des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter von den Beklag-
ten Schadensersatz verlangen könne. Gleiches gelte für ihre Schwestergesell-
schaften, deren Ansprüche sie aus abgetretenem Recht ebenfalls geltend
macht. Insgesamt sei der "H. -Gruppe" ein S
chaden von 134.513,31 €
entstanden.
Das Landgericht hat die Schadensersatzansprüche dem Grunde nach für
gerechtfertigt erklärt. Auf die Berufung der Beklagten ist dieses Grundurteil ab-
geändert und die Klage abgewiesen worden. Mit der vom Senat zugelassenen
Revision verfolgt die Klägerin ihre bisherigen Ansprüche weiter.
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Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin führt unter Aufhebung des angefochtenen
Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die Voraussetzungen für
die Inanspruchnahme der Beklagten aus dem EDV-Verbund-Vertrag in Verbin-
dung mit den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter
wegen Erstellung unrichtiger Gutachten bereits nach dem eigenen Sachvortrag
der Klägerin nicht gegeben seien. Denn sie sei jedenfalls nicht schutzbedürftig,
weil sie gleichwertige vertragliche Ansprüche gegenüber der B. L verfolgen
könne. Diese könnten auf die Anpassung der jeweiligen Kaufverträge an die
"richtigen" Kaufpreise gerichtet werden und beruhten auf den Gesichtspunkten
der Ersetzung einer unrichtigen Leistungsbestimmung im Sinne der §§ 317, 319
BGB. Die zwischen der Klägerin und der B. L geschlossene "Vereinbarung
über Leasinggeschäfte" enthalte eine Einigung dahingehend, dass die Beklag-
ten den Händlereinkaufspreis als ein wesentliches Element zur Bestimmung der
den Kaufverträgen über die Leasingrückläufer-Fahrzeuge zugrunde zu legen-
den Kaufpreise ermitteln sollten. Der Umstand, dass die Beklagten vorliegend
nur von einer der Parteien, der B. L, mit der Ermittlung der Händlereinkaufs-
preise beauftragt worden sei, sei unbeachtlich. Denn den Beklagten sei auf der
Grundlage des Sachvortrags der Klägerin bekannt gewesen, dass die Bewer-
tungsgutachten, bei denen es sich um Schiedsgutachten im engeren Sinne ge-
handelt habe, zur Abrechnung von Leasingverträgen dienen und auch gegen-
über der Klägerin Verwendung finden sollten. Da diese Bewertungsgutachten
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nach dem Vorbringen der Klägerin zumindest im Zeitraum von Januar bis No-
vember 2008 offenbar unrichtig und damit unverbindlich gewesen seien, könne
sie Ausgleichsansprüche gegen die B. L geltend machen, die dem gegen
die Beklagten gerichteten Zahlungsbegehren entgegenstünden. Zudem habe
die Klägerin im Hinblick darauf keinen Schaden erlitten. Weitere Fragen, etwa
wie der EDV-Verbund-Vertrag auszulegen sei, inwiefern die Beklagten zur Er-
stellung von Bewertungsgutachten verpflichtet gewesen und ihnen Pflichtverlet-
zungen vorzuwerfen seien, und die haftungsbegründende Kausalität ausrei-
chend dargelegt sei, könnten deshalb offen bleiben.
Eine Inanspruchnahme der Beklagten könne auch nicht auf eine delikti-
sche Haftung gemäß § 826 BGB gestützt werden. Aufgrund der Aktenlage so-
wie der vor dem Landgericht gemachten Angaben des Geschäftsführers der
Beklagten zu 1 und des Zeugen W. könne nicht angenommen wer-
den, dass den Beklagten eine zumindest bedingt vorsätzliche sittenwidrige
Schädigung der Klägerin zur Last zu legen sei.
II.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten
stand.
1.
Ausgehend von seinem eigenen Lösungsansatz und der von ihm ge-
troffenen Feststellungen hätte das Berufungsgericht vertragliche Schadenser-
satzansprüche der Klägerin nicht verneinen dürfen.
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a) Das Berufungsgericht hat auf der Grundlage des Vorbringens der Klä-
gerin die mit der B. L beziehungsweise mit der A. abgeschlossene
Vereinbarung über Leasinggeschäfte dahingehend ausgelegt, dass die Beklag-
ten als Schiedsgutachter im engeren Sinne den Händlereinkaufspreis als ein
wesentliches Element zur Bestimmung des Kaufpreises ermitteln sollten. Dies
hat es der Ziffer 3.5.1 des Vertrags und dem Sachvortrag der Klägerin entnom-
men, wonach sich die B. L und die B. -Vertragshändler zur Kaufpreisfin-
dung in die Hände der Beklagten als neutrale und sachverständige Instanz zur
Ermittlung des jeweiligen Händlereinkaufspreises begeben hätten. Des Weite-
ren hat es die Ziffer 1.1 des EDV-Verbund-Vertrags (Einsatz der Kurzbewertun-
gen zur Abrechnung von Sonderleasing-Verträgen) sowie das Vorbringen der
Klägerin, die Beklagten hätten jahrelang detaillierte Kenntnis davon gehabt,
dass die Fahrzeugbewertungen im B. -Leasinggeschäft aufgrund der mit den
Autohäusern getroffenen Abreden als zwingende Kaufpreisgrundlage fungier-
ten, dahin gewürdigt, dass die Beklagten von der B. L den Auftrag erhalten
hätten, die Bewertungsgutachten zur Abrechnung der Leasingverträge mit den
Vertragshändlern zu erstellen.
aa) Schiedsgutachten im engeren Sinne, auf die die §§ 317 ff BGB ent-
sprechende Anwendung finden, dienen vor allem dazu, den von den Parteien
zwar objektiv bestimmten, aber nur mit einer gewissen Sachkunde feststellba-
ren Vertragsinhalt zu ermitteln. Es handelt sich um privatrechtlich vereinbarte
Sachverständigengutachten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens, die der
Klärung oder Feststellung von Tatsachen dienen, so beispielsweise auch der
Feststellung des Wertes eines Autos. Dabei erkennen die Parteien die durch
das Gutachten zu treffende Bestimmung bis an die Grenze der offenbaren Un-
richtigkeit als verbindlich an (vgl. BGH, Urteile vom 22. April 1965 - VII ZR
15/65, BGHZ 43, 374, 376 f, vom 18. Mai 1983 - VIII ZR 83/82, NJW 1983,
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1854, 1855; vgl. auch Urteil vom 25. September 2008 - IX ZR 133/07, NJW
2008, 3641 Rn. 9; Grüneberg in: Palandt, BGB, 72. Aufl., § 317 Rn. 6; Erman/
Hager, BGB, 13. Aufl., § 317 Rn. 8 ff; MünchKommBGB/Würdinger, 6. Aufl.,
§ 317 Rn. 31 f; Staudinger/Rieble, BGB, Neubearbeitung 2009, § 317 Rn. 13).
bb) Hiervon ausgehend ist die Würdigung des Klägervorbringens durch
das Berufungsgericht dahin möglich, bei den auf der Grundlage des EDV-
Verbund-Vertrags erstellten Bewertungsgutachten der Beklagten handele es
sich - in Vollzug der zwischen der B. L und den B. -Vertragshändlern ge-
troffenen vertraglichen Vereinbarungen (hier: der "Vereinbarung über Leasing-
geschäfte" mit der Klägerin vom 26./28. März 2002) - um Schiedsgutachten im
engeren Sinne. Dieser Würdigung, die von der Revision als ihr günstig hinge-
nommen wird, steht - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - insbe-
sondere nicht entgegen, dass die Beauftragung der Beklagten - vertragsge-
mäß - allein durch die B. L erfolgte. Denn grundsätzlich kann auch einer der
Vertragspartner der Schiedsgutachtenabrede allein den Schiedsgutachterver-
trag mit dem Sachverständigen abschließen. Dabei muss jedoch eindeutig of-
fengelegt werden, dass es sich um für beide Seiten zu erstattende Schiedsgut-
achten handelt, also der Gutachter als neutraler Dritter und nicht nur als Privat-
gutachter seines Auftraggebers tätig wird (vgl. BGH, Urteile vom 6. Juni 1994
- II ZR 100/92, NJW-RR 1994, 1314 und vom 14. Februar 2005 - II ZR 365/02,
NZG 2005, 394, 395).
b) Rechtsfehlerhaft verkannt hat das Berufungsgericht jedoch die Haf-
tungsfolgen, die sich auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung für die Be-
klagten ergeben können, wenn von ihr erstellte Fahrzeugbewertungen unrichtig
sind.
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aa) Ein Schiedsgutachter verfehlt seinen Auftrag (nur) dann, wenn er ein
offenbar unrichtiges und damit entsprechend § 319 BGB unverbindliches Gut-
achten erstellt. Offenbare Unrichtigkeit ist anzunehmen wenn sich einem sach-
kundigen und unbefangenen Beobachter, wenn auch erst nach eingehender
Prüfung, offensichtliche Fehler der Leistungsbestimmung aufdrängen, die das
Gesamtergebnis verfälschen. Sie verlangt mehr als bloße Unrichtigkeit, so dass
ein Gutachten offenbar unrichtig erst dann ist, wenn es den Grundsatz von Treu
und Glauben in grober Weise verletzt und sich seine Unrichtigkeit dem Blick
eines sachkundigen und unbefangenen Beurteilers sofort aufdrängen muss
(vgl. Senatsurteil vom 14. Dezember 1967 - III ZR 22/66, WM 1968, 307, 308;
BGH, Urteile vom 27. Juni 2001 - VIII ZR 235/00, NJW 2001, 3775, 3776 f so-
wie vom 21. Januar 2004 - VIII ZR 74/03, NJW-RR 2004, 760, 761; in: Münch-
KommBGB/Würdinger, aaO, § 319 Rn. 15).
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts waren die von den Be-
klagten erstellten Fahrzeugbewertungen nach dem Klägervorbringen in dem
hier maßgeblichen Zeitraum von Januar bis November 2008 in entsprechender
Anwendung des § 319 Abs. 1 BGB offenbar unrichtig, weil die ermittelten Preise
in erheblichem Ausmaß von den tatsächlichen Marktpreisen abgewichen sind,
was für einen sachverständigen Beobachter zumindest nach eingehender Prü-
fung offenkundig war.
bb) Ist ein Schiedsgutachten offenbar unrichtig, so können sich hieraus
(werk-)vertragliche Schadensersatzansprüche ergeben (vgl. BGH, Urteil vom
22. April 1965 aaO), ohne dass sich der Gutachter wie ein Richter oder
Schiedsrichter auf die Vergünstigung des § 839 Abs. 2 BGB berufen kann (vgl.
BGH, Urteil vom 13. Dezember 1956 - VII ZR 22/56, BGHZ 22, 343, 345). Wird,
wie hier, der Schiedsgutachtervertrag nur von einer Partei der Schiedsgutach-
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tenabrede abgeschlossen, so ändert dies nichts daran, dass - entsprechend
seiner Funktion und dem "Wesen" seiner Aufgabenstellung - der Schiedsgut-
achter allen Parteien der Schiedsgutachtenabrede gegenüber gleichermaßen
zur ordnungsgemäßen Erstellung seines Gutachtens verpflichtet ist (vgl. BGH,
Urteil vom 6. Juni 1994 aaO; RGZ 87, 190, 194). Folgerichtig können - was das
Berufungsgericht verkannt hat - bei einer Schlechtleistung des Schiedsgutach-
ters auch den nicht am Schiedsgutachtervertrag beteiligten Partnern der
Schiedsgutachtenabrede unmittelbare vertragliche Schadensersatzansprüche
zustehen. (Wobei dies vorliegend rechtlich unbedenklich auch für die B. -Ver-
tragshändler gelten könnte, die - wie die Klägerin - zum Zeitpunkt des
Abschlusses des EDV-Verbund-Vertrags noch keine Vereinbarungen über
Leasinggeschäfte abgeschlossen hatten, vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 1979
- VII ZR 248/78, BGHZ 75, 75, 78 f). Auf eine, bei Anwendung der Grundsätze
des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zu prüfende, besondere
Schutzbedürftigkeit der geschädigten "Hauptvertragspartei" kommt es dabei
nicht an.
c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lässt sich nach den
bisherigen Feststellungen auch nicht der Eintritt eines auf die - anzunehmen-
den - Pflichtverletzungen der Beklagten zurückzuführenden Schadens vernei-
nen.
aa) Allerdings ist ein offenbar unrichtiges Gutachten im Verhältnis der
B. L zu den betroffenen Vertragshändlern unverbindlich; die Bestimmung
der Leistung - hier: die Ermittlung eines marktgerechten Händlereinkaufsprei-
ses - erfolgt in diesem Fall entsprechend § 319 Abs. 1 Satz 2 BGB durch Urteil.
Dabei kann die von der Unrichtigkeit betroffene Partei unmittelbar auf (Rück-)
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Zahlung des ihr noch zustehenden oder des überzahlten Betrags klagen (vgl.
BGH, Urteil vom 7. April 2000 - V ZR 36/99, NJW 2000, 2986, 2987).
bb) Der Umstand, dass die Klägerin gegebenenfalls von der B. L oder
der A. Rückerstattung der gezahlten Kaufpreise verlangen kann, soweit
diese die bei Zugrundelegung marktgerechter Händlereinkaufspreise geschul-
deten Beträge übersteigen, und durch eine Realisierung dieser Ansprüche der
verursachte Vermögensverlust möglicherweise ausgeglichen werden könnte,
hindert indes nicht den Eintritt eines ersatzfähigen Schadens. Vielmehr steht es
der Klägerin, die neben dem Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten
noch einen anderen, zum Ausgleich des Schadens führenden Anspruch gegen
einen Dritten haben könnte, grundsätzlich frei, den Schuldner, gegen den
sie vorgehen möchte, auszuwählen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 1982
- IVa ZR 284/80, NJW 1982, 1806). Ersatz- oder Rückforderungsansprüche, die
den von einer Pflichtverletzung Betroffenen infolge der Pflichtverletzung gegen-
über Dritten entstehen, schließen die Annahme eines Schadens im Verhältnis
zwischen ihnen und den für die Pflichtverletzung Verantwortlichen nicht aus.
Der Schädiger kann den Geschädigten nicht darauf verweisen, er habe gegen
einen Dritten einen Anspruch, der zum Ausgleich seiner Vermögensbeeinträch-
tigungen führen könne. Dies folgt aus der Regelung des § 255 BGB (vgl. BGH,
Urteile vom 19. Juli 2001 - IX ZR 62/00, NZI 2001, 544, 546 und vom 15. April
2010 - IX ZR 223/07, NJW 2010, 1961, Rn. 28 mwN). Dementsprechend ist
- der vorliegenden Konstellation durchaus vergleichbar - der durch Fehler eines
Tierarztes bei der Ankaufsuntersuchung eines Pferdes geschädigte Käufer nicht
verpflichtet, zur Beseitigung oder Minderung seines Schadens zunächst seine
Ansprüche gegen den Verkäufer geltend zu machen (vgl. BGH, Urteil vom
22. Dezember 2011 - VII ZR 136/11, NJW 2012, 1070 f).
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Dabei liegt entgegen der Revisionserwiderung auch kein Fall der Vor-
teilsausgleichung vor. Zwar ist zutreffend, dass die Klägerin wegen eines etwai-
gen Vermögensschadens nicht doppelten Ausgleich, sowohl von den Beklagten
als auch von ihrem eigentlichen Vertragspartner, der B. L, im Wege eines
vertraglichen Anpassungsanspruchs verlangen kann. Es handelt sich hier aber
nicht um die Frage der Anrechnung einer etwa schon von der B. L oder der
A. erhaltenen Leistung auf die Ansprüche gegen die Beklagten.
2.
Demgegenüber ist das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler zu dem Er-
gebnis gekommen, dass ein deliktischer Anspruch der Klägerin aus § 826 BGB
nicht besteht.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt die Haftung
eines Gutachters aus dieser Vorschrift voraus, dass der Sachverständige bei
Erstellung des Gutachtens leichtfertig oder gewissenlos und zumindest mit be-
dingtem Vorsatz gehandelt hat. Der Sachverständige muss sich etwa durch
nachlässige Ermittlungen zu den Grundlagen seines Auftrags oder gar durch
"ins Blaue" gemachte Angaben der Gutachtenaufgabe leichtfertig entledigt und
damit eine Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Adressaten des Gutachtens
oder den in seinem Informationsbereich stehenden Dritten an den Tag gelegt
haben, die angesichts der Bedeutung, die das Gutachten für deren Entschlie-
ßung hatte, und der von ihm in Anspruch genommenen Kompetenz als gewis-
senlos bezeichnet werden muss (vgl. BGH, Urteile vom 20. Mai 2003 - VI ZR
312/02, NJW 2003, 2825, 2826 f und vom 20. April 2004 - X ZR 250/02, NJW
2004, 3035, 3038).
b) Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht im Streitfall beachtet und
eine rechtsfehlerfreie tatrichterliche Würdigung auf der Grundlage des beider-
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seitigen Vorbringens auch hinsichtlich des möglichen Vorliegens bedingten
Vorsatzes vorgenommen. Es obliegt dem Tatrichter zu entscheiden, ob nur be-
wusste Fahrlässigkeit oder bereits bedingter Vorsatz vorliegt; die Beurteilung ist
revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbar, nämlich dahingehend, ob der
Begriff des bedingten Vorsatzes verkannt wurde oder ob Verstöße gegen § 286
ZPO vorliegen, sei es durch mangelnde Berücksichtigung entscheidungserheb-
licher Umstände, sei es durch Verstöße gegen Denkgesetze und Erfahrungs-
sätze (vgl. Senatsurteil vom 8. März 2012 - III ZR 191/11, NZS 2012, 546,
Rn. 15). Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden.
Die Annahme, die von den Beklagten dargestellte Information der
B. L über die Unrichtigkeit der Daten sei letztlich ausreichend gewesen und
es sei nicht sicher auszuschließen, dass die zuständigen Mitarbeiter der Be-
klagten darauf vertraut hätten, die B. L werde im Verhältnis zu den B. -
Vertragshändlern daraufhin geeignete Vorkehrungen treffen, so dass ein auch
nur bedingter Schädigungsvorsatz der Beklagten nicht mit der erforderlichen
Sicherheit festgestellt werden könne, beruht auf einer umfassenden tatrichterli-
chen Würdigung. Das Berufungsgericht hat die von der Klägerin in den Vorder-
grund gestellten Umstände berücksichtigt und insbesondere die Angaben des
Geschäftsführers der Beklagten zu 1, dessen Schreiben vom 4. Mai 2009 und
die Aussage des Zeugen W. eingehend gewürdigt. Das Berufungsge-
richt ist zudem von den Grundsätzen für die Unterscheidung von bedingtem
Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit bei seiner Beurteilung ausgegangen und
hat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen ohne Rechtsfehler ein nur
bewusst fahrlässiges Verhalten angenommen, weil die Beklagten darauf ver-
traut hätten, dass das von ihnen erkannte Schadensrisiko nicht eintreten werde,
und aus diesem Grund die Gefahr in Kauf genommen haben (vgl. zur Abgren-
zung BGH, Urteil vom 26. Juni 2001 - IX ZR 209/98, NJW 2001, 3187, 3189;
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Erman/Schiemann, BGB, 13. Aufl., § 826 Rn. 14 f). Dabei kann entgegen der
Auffassung der Revision nicht angenommen werden, die Beklagten hätten kei-
nen begründeten Anlass für ein solches Vertrauen gehabt. Nachdem sie die
Mitarbeiter der B. L entsprechend über fehlerhafte Daten informiert hatten,
durften sie von einer entsprechenden Weitergabe an die Vertragshändler aus-
gehen. Davon will auch das Berufungsgericht ersichtlich ausgehen. Die Revisi-
on hat demgegenüber keine rechtserheblichen Gesichtspunkte aufgezeigt, die
eine andere Beurteilung rechtfertigten. Sie räumt vielmehr ein, dass das
Schreiben der Beklagten zu 1 vom 4. Mai 2009 gegen eine vorsätzliche Vorge-
hensweise spreche. Die Aussage des Zeugen W. widerspricht dem
ersichtlich nicht, zumal sie sich auf Ende 2008 bezieht; im Streit stehen jedoch
Fahrzeugbewertungen für die Monate Januar bis November 2008. Dass eine
andere tatrichterliche Würdigung möglich wäre, ist revisionsrechtlich unbeacht-
lich.
III.
Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die
Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zu-
rückzuverweisen. Die Sache ist noch nicht zur Endentscheidung reif (§ 563
Abs. 1, Abs. 3 ZPO). Da sich auf der Grundlage des bisher als allein maßgeb-
lich angesehenen Vorbringens der Klägerin ein vertraglicher Schadensersatz-
anspruch gegen die Beklagten nicht mit der bisherigen Begründung verneinen
lässt, wird das Berufungsgericht nunmehr die von ihm offen gelassenen Fragen,
insbesondere nach dem Inhalt und der Bedeutung des EDV-Verbund-Vertrags
und der Verpflichtung der Beklagten, als Schiedsgutachter tätig zu werden, un-
ter Berücksichtigung ihres Vorbringens und den von ihnen angebotenen Bewei-
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sen zu klären haben. Denn sie haben stets in den Vordergrund ihres Vortrags
gestellt, dass sie nach dem EDV-Verbund-Vertrag und auch ausweislich der
Notiz vom 15. November 1989 nur Zugriff auf den Hausrechner der D. -
Hauptverwaltung, und damit nur den Abruf von Rechendaten hätten ermög-
lichen sollen, jedoch keine Verpflichtung zur Korrektur oder Überprüfung der
"Schwacke-Werte" bestanden habe.
Schlick
Herrmann
Wöstmann
Hucke
Seiters
Vorinstanzen:
LG Stuttgart, Entscheidung vom 19.05.2011 - 35 O 74/09 KfH -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 20.12.2011 - 6 U 107/11 -