Urteil des BGH vom 09.02.1907

TOSCA BLU Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 96/03
Verkündet am:
30. März 2006
Walz
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
TOSCA BLU
EuGVÜ Art. 16 Nr. 4 (jetzt: Brüssel-I-VO Art. 22 Nr. 4); MarkenG § 115 Abs. 1,
§ 51 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 2, § 14 Abs. 2 Nr. 2
a) Für die Klage, die auf Entziehung des für das Inland bestehenden Schutzes
aus einer IR-Marke gerichtet ist, sind die inländischen Gerichte ausschließlich
zuständig.
b) Zwischen Parfums und Lederwaren besteht keine Warenähnlichkeit.
BGH, Urt. v. 30. März 2006 – I ZR 96/03 – OLG Köln
LG Köln
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 30. März 2006 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die
Richter Prof. Dr. Bornkamm, Dr. Büscher, Dr. Schaffert und Dr. Bergmann
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Köln vom 28. März 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
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Die Klägerin ist Inhaberin der u.a. für Parfümerien mit einem Zeitrang vom
9. Februar 1907 eingetragenen Wortmarke
TOSCA
sowie einer Reihe anderer identischer Wortmarken mit ähnlichen Warenverzeich-
nissen. Sie vertreibt unter dieser Marke seit 1921 ein Parfum und daraus entwi-
ckelte Parfümeriewaren, die in Serien mit überwiegend blauer Verpackung ange-
boten werden. Die Beklagte hat ihren Sitz in Bergamo/Italien. Sie vertreibt seit ei-
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nigen Jahren in Italien und anderen europäischen Ländern hochwertige Ledergür-
tel und -taschen, Lederbekleidung und Lederschuhe unter der Bezeichnung
TOSCA BLU.
Sie hat für sich das Wort-/Bildzeichen
u.a. für Deutschland mit Zeitrang vom 30. Januar 2001 als IR-Marke der Klassen
18 (Lederwaren etc.)
Sacs; sac à main; valises; sacs à dos; porte-feuilles; porte-monnaies; serviettes;
porte-documents en peau et en succédanés de peau; pochettes; malles, peau, articles
en peau; cuir et articles en cuir, imitations de peau et de cuir et articles produits en
ces matières; parasols; parasols de plage; parapluies; bâtons de promenade; orne-
ments et autres articles de sellerie
und 25 (Bekleidungsstücke etc.)
Vêtements pour hommes, dames et enfants en général, y compris: robes en peau;
chemises; chemisettes; jupes; tailleurs; jaquettes; pantalons; shorts; maillots de corps;
tricots; pyjamas; chaussettes; tricots de peau; corsages; porte-jarretelles; slips; sou-
tiens-gorge; combinaisons; chapeaux; foulards; cravates; imperméables; pardessus;
manteaux; costumes de bain; combinaisons de sport; anorak; pantalons de ski; cein-
tures; fourrures; écharpes; gants; robes de chambre; chaussures en général, y com-
pris pantoufles, chaussures, chaussures de sport, bottes et sandales
registrieren lassen.
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Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, es handele sich bei „TOSCA“ um eine
bekannte Marke, die durch das Zeichen der Beklagten verwässert werde. Sie hat
die Beklagte auf Unterlassung der Benutzung der oben wiedergegebenen IR-
Marke „TOSCA BLU“ sowie auf Einwilligung in die Schutzentziehung dieser Marke
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für Deutschland in Anspruch genommen. Die Beklagte ist der Klage entgegenge-
treten.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist
ohne Erfolg geblieben (OLG Köln GRUR-RR 2003, 243).
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Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer – vom Senat zugelassenen –
Revision. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
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Entscheidungsgründe:
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I. Das Berufungsgericht hat es – anders als das Landgericht – offen gelas-
sen, ob im Streitfall die Voraussetzungen für den Schutz einer bekannten Marke
vorliegen; denn der Klageanspruch ergebe sich bereits aus einer Markenverlet-
zung nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG. Zur Begründung hat es ausgeführt:
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Der Vertrieb der Waren der Beklagten stelle eine Verletzung der Klagemar-
ken nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG dar. Zunächst fehle es im Streitfall nicht an
der Warenähnlichkeit. Vom Fehlen der Warenähnlichkeit könne nur ausgegangen
werden, wenn angesichts des Abstands der Waren voneinander trotz großer Ähn-
lichkeit der Marken und trotz besonders hoher Kennzeichnungskraft der älteren
Marke die Annahme einer Verwechslungsgefahr von vornherein ausgeschlossen
sei. Damit lasse sich die Warenähnlichkeit im Streitfall nicht verneinen. Zwar
stammten Lederwaren, Gürtel, modische Schuhe auf der einen und Parfums und
Parfümeriewaren auf der anderen Seite im Allgemeinen von verschiedenen Her-
stellern, was dem durchschnittlichen Verbraucher auch bekannt sei. An der Wa-
renähnlichkeit ändere dies aber nichts, weil es in der Modebranche einer ständi-
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gen Übung entspreche, die Produkte anderer Unternehmen und insbesondere
Parfums markenrechtlich zu lizenzieren. Dem Verkehr sei bekannt, dass Unter-
nehmen aus der Modebranche („JOOP“, „Hugo Boss“ und „Calvin Klein“) nicht zu-
letzt für Parfums Lizenzen erteilten. Der Durchschnittsverbraucher realisiere aller-
dings nicht, dass derartige Lizenzerteilungen stets die Verwendung von Marken
aus dem Modebereich für Parfums beträfen und nicht umgekehrt.
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Sei Warenähnlichkeit gegeben, müsse auch die Verwechslungsgefahr bejaht
werden. Der Klagemarke „TOSCA“ komme von Haus aus zumindest eine durch-
schnittliche Kennzeichnungskraft zu. Es könne dahinstehen, ob es sich bei
„TOSCA“ – wie vom Bundesgerichtshof vor mehr als vierzig Jahren angenommen
– um eine berühmte Marke handele. Denn jedenfalls sei es nicht zweifelhaft, dass
die von Haus aus durchschnittliche Kennzeichnungskraft von „TOSCA“ im Hinblick
auf die über 80jährige Marktpräsenz, auf die Umsatzzahlen, Werbeaufwendungen
und Marktanteile eine deutliche Steigerung erfahren habe. Schließlich seien sich
die beiden Marken „TOSCA“ und „TOSCA BLU“ hochgradig ähnlich. Der Verkehr
assoziiere mit „BLU“ die Farbe Blau und erkenne darin eine beschreibende Farb-
angabe. Außerdem bleibe der Zeichenbestandteil „BLU“ in der Darstellung so
stark hinter „TOSCA“ zurück, dass er bei der Beurteilung der Markenähnlichkeit
letztlich außer Betracht bleibe.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Er-
folg. Sie führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverwei-
sung der Sache an das Berufungsgericht.
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1. Ohne Erfolg wendet sich die Revision allerdings gegen die Annahme des
Berufungsgerichts, die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte sei ge-
geben.
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Die Revision kann auch nach dem Inkrafttreten des Zivilprozessreformgeset-
zes darauf gestützt werden, dass in dem angefochtenen Urteil die internationale
Zuständigkeit zu Unrecht bejaht oder verneint worden sei (BGHZ 153, 82, 84 f.;
BGH, Urt. v. 20.11.2003 – I ZR 102/02, TranspR 2004, 74, 75; Urt. v. 13.10.2004
– I ZR 163/02, GRUR 2005, 431, 432 = WRP 2005, 493 – HOTEL MARITIME).
Das Berufungsgericht hat jedoch mit Recht die internationale Zuständigkeit bejaht.
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Dies steht insoweit außer Frage, als die Klägerin mit ihrem Klageantrag die
Einwilligung der Schutzentziehung der IR-Marke für Deutschland beansprucht
(§ 115 Abs. 1, § 51 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG). Hier handelt es sich um ei-
ne Klage, die „die Eintragung oder die Gültigkeit von … Warenzeichen … zum
Gegenstand“ hat (Art. 16 Nr. 4 EuGVÜ; vgl. auch Art. 22 Nr. 4 Brüssel-I-VO); eine
solche Klage muss vor den Gerichten des Vertragsstaats erhoben werden, in des-
sen Hoheitsgebiet das fragliche Schutzrecht registriert worden ist. Die internatio-
nale Zuständigkeit ist aber auch insoweit gegeben, als die Klägerin Unterlassung
wegen einer drohenden Rechtsverletzung begehrt. Zwar enthielt das Brüsseler
Übereinkommen (EuGVÜ), das als Gerichtsstand der unerlaubten Handlung
(Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ) den Ort des Schadenseintritts (und nicht den Ort des dro-
henden Schadenseintritts) bezeichnete, noch keine ausdrückliche Regelung für
die vorbeugende Unterlassungsklage. Die an seine Stelle getretene Verordnung
(EG) 44/2001 (Brüssel-I-VO), die den Ort des drohenden Schadenseintritts in
Art. 5 Nr. 3 nunmehr ausdrücklich anführt, gilt erst für Klagen, die nach Inkrafttre-
ten der Verordnung am 1. März 2002 erhoben worden sind (Art. 66 Abs. 1, Art. 76
Brüssel-I-VO). Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat jedoch ent-
schieden, dass eine vorbeugende Unterlass3 EuGVÜ
eine unerlaubte Handlung oder doch zumindest eine Handlung zum Gegenstand
hat, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist (EuGH, Urt. v. 1.10.2002
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– C-167/00, Slg. 2002, I-8111 Tz 46 u. 50 = NJW 2002, 3617 – Verein für Konsu-
menteninformation/Karl Heinz Henkel).
2. Das Berufungsgericht hat die Warenähnlichkeit zwischen Parfum und
hochwertigen Lederwaren mit der Lizenzierungspraxis, insbesondere damit be-
gründet, dass es in der Modebranche einer ständigen Übung entspreche, für an-
dere Produkte, vor allem für Parfums, Markenlizenzen zu vergeben. Mit einer sol-
chen Praxis kann indessen eine an sich bestehende (absolute) Warenunähnlich-
keit nicht überwunden werden.
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a) Bei der Beurteilung der Warenähnlichkeit sind alle erheblichen Faktoren
zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen den Waren kennzeichnen; hierzu
gehören insbesondere die Art der Waren, ihr Verwendungszweck und ihre Nut-
zung sowie die Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzen-
de Waren. In die Beurteilung einzubeziehen ist, ob die Waren regelmäßig von
denselben Unternehmen oder unter ihrer Kontrolle hergestellt werden oder ob sie
beim Vertrieb Berührungspunkte aufweisen, weil sie in denselben Verkaufsstätten
angeboten werden (BGH, Beschl. v. 16.3.2000 – I ZB 43/97, GRUR 2000, 886,
887 = WRP 2001, 37 – Bayer/BeiChem; Urt. v. 10.10.2002 – I ZR 235/00, GRUR
2003, 428, 432 = WRP 2003, 647 – BIG BERTHA). Dabei kann von Warenunähn-
lichkeit nur ausgegangen werden, wenn trotz (unterstellter) Identität der Marken
die Annahme einer Verwechslungsgefahr wegen des Abstands der Waren von
vornherein ausgeschlossen ist (vgl. BGH, Urt. v. 16.11.2000 – I ZR 34/98, GRUR
2001, 507, 508 = WRP 2001, 694 – EVIAN/REVIAN; Urt. v. 19.2.2004
– I ZR 172/01, GRUR 2004, 594, 596 = WRP 2004, 909 – Ferrari-Pferd). Nach der
Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH, Urt.
v. 29.9.1998 – C-39/97, Slg. 1998, I-5507 Tz 15 = GRUR 1998, 922 – Canon) ist
in diesem Zusammenhang davon auszugehen, dass es eine absolute Grenze der
Warenähnlichkeit gibt (vgl. BGH, Urt. v. 24.1.2002 – I ZR 156/99, GRUR 2002,
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544, 546 = WRP 2002, 537 – BANK 24, zur Ähnlichkeit von Dienstleistungen), die
auch bei Identität der Zeichen nicht durch eine erhöhte Kennzeichnungskraft über-
schritten werden kann.
b) Aus den zutreffenden Erwägungen des Berufungsgerichts ergibt sich,
dass die hier in Rede stehenden Waren an sich keine Ähnlichkeit in dem be-
schriebenen Sinne aufweisen. Parfums und Lederwaren stammen im Allgemeinen
nicht aus denselben Herkunftsstätten und werden auch nicht unter der Qualitäts-
kontrolle eines Unternehmens erzeugt. Auch im Vertrieb kommen sich diese Wa-
ren nicht so nahe, dass der Verkehr auf dieselbe Herkunft oder doch zumindest
auf eine die Qualität des Produkts berücksichtigende Kontrolle schließen würde.
Allein die vom Berufungsgericht ins Feld geführte Lizenzierungspraxis führt nicht
zur Ähnlichkeit der Waren. Eine solche Praxis beruht auf der Erfahrung, dass sich
die positiven Assoziationen, die bekannte, als exklusiv geltende Marken erwecken,
auch für völlig andere Produkte nutzbar machen lassen. Diese Verwertungsmög-
lichkeit steht durchaus unter dem Schutz des Markenrechts, das die Wertschät-
zung und die Unterscheidungskraft bekannter Marken auch außerhalb der Waren-
oder Dienstleistungsähnlichkeit vor einer Ausnutzung oder Beeinträchtigung
schützt (§ 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG). Sie bestimmt aber nicht die Grenzen der Wa-
renähnlichkeit. Durch die Erteilung von Vermarktungsrechten zum Zwecke der
Verkaufsförderung bleibt der Warenähnlichkeitsbereich grundsätzlich unberührt
(vgl. BGH GRUR 2004, 594, 596 – Ferrari-Pferd, m.w.N.). Dies schließt es nicht
aus, dass bei funktionsverwandten Produkten, bei denen im Falle einer Lizenzie-
rung der Verkehr nicht nur von einem Imagetransfer, sondern auch von einem
Know-how-Transfer ausgeht, die Lizenzierungspraxis einen Faktor darstellt, der im
Grenzbereich für die Warenähnlichkeit bzw. bei gegebener Warenähnlichkeit für
die Verwechslungsgefahr sprechen kann.
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c) Danach scheidet im Streitfall eine Markenverletzung nach § 14 Abs. 2
Nr. 2 MarkenG aus. Ob sich das Berufungsurteil aus anderen Gründen als richtig
erweist, kann aufgrund der getroffenen Feststellungen nicht entschieden werden.
In Betracht kommt der – vom Landgericht bejahte – Schutz der bekannten Marke
(§ 14 Abs. 2 Nr. 3, § 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG). Das Berufungsgericht hat zur Be-
kanntheit der Klagemarke jedoch keine abschließenden Feststellungen getroffen.
Des Weiteren bedarf es Feststellungen dazu, dass die Beklagte die Unterschei-
dungskraft oder die Wertschätzung der Klagemarke in unlauterer Weise ausnutzt
oder beeinträchtigt (vgl. BGH, Urt. v. 2.4.1987 – I ZR 27/85, GRUR 1987, 711,
713 f. = WRP 1987, 667 – Camel Tours; Urt. v. 29.4.2004 – I ZR 191/01, GRUR
2004, 779, 783 = WRP 2004, 1046 – Zwilling/Zweibrüder; Urt. v. 3.2.2005 –
I ZR 159/02, GRUR 2005, 583, 584 = WRP 2005, 896 – Lila-Postkarte). Diese
können auch dem landgerichtlichen Urteil nicht entnommen werden.
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III. Danach kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Es ist auf-
zuheben. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Beru-
fungsgericht zurückzuverweisen. Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis ge-
langen, dass es sich bei der Klagemarke um eine bekannte Marke handelt, die
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durch die drohende Verwendung des angegriffenen Zeichens in ihrer Unterschei-
dungskraft und Wertschätzung auf unlautere Weise ausgenutzt oder beeinträchtigt
wird, bliebe zu prüfen, ob ein solcher Sachverhalt die beantragte umfassende Ver-
urteilung für sämtliche Waren des Warenverzeichnisses zu rechtfertigen vermag.
Ullmann Bornkamm
RiBGH Dr. Büscher ist in Ur-
laub und daher an der Unter-
schriftsleistung
gehindert.
Ullmann
Schaffert
Bergmann
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 16.05.2002 - 31 O 710/01 -
OLG Köln, Entscheidung vom 28.03.2003 - 6 U 113/02 -