Urteil des BGH vom 17.04.2007

BGH (gewalt, vergewaltigung, geschlechtsverkehr, drohung, stpo, widerstand, stgb, verurteilung, opfer, bestand)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 34/07
vom
17. April 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 17. April 2007 gemäß § 349 StPO
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Saarbrücken vom 11. September 2006 mit
den Feststellungen aufgehoben
a) soweit der Angeklagte wegen Vergewaltigung in
10 Fällen (II 3 der Urteilsgründe) verurteilt worden
ist,
b)
im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landge-
richts zurückverwiesen.
3.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen
wegen Vergewaltigung in 11 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jah-
ren verurteilt. Mit seiner hiergegen eingelegten Revision rügt der Angeklagte die
Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus
der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegrün-
det im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat
zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Ange-
klagten ergeben, soweit das Landgericht ihn wegen der ersten vaginalen Ver-
gewaltigung seiner damals vierzehnjährigen Stieftochter (Fall II 2 der Urteils-
gründe) zu der Einsatzstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt hat.
Insbesondere ist, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Ein-
zelnen ausgeführt hat, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das
Landgericht zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der mittlerweile dreißigjährigen
Geschädigten keine sachverständige Hilfe in Anspruch genommen hat.
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2. Dagegen hat die Verurteilung wegen Vergewaltigung in den übrigen
zehn Fällen keinen Bestand.
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Nach den Urteilsfeststellungen übte der Angeklagte nach der oben ge-
nannten Vergewaltigung, die im Spätsommer/Herbst 1991 stattgefunden und
bei der er die Gegenwehr seiner Stieftochter mit Gewalt überwunden hatte, bis
Mitte 1993 noch weitere zehnmal den Geschlechtsverkehr mit der Nebenkläge-
rin aus. "Anfänglich versuchte die Nebenklägerin noch, sich gegen den Ange-
klagten zur Wehr zu setzen. Nachdem sie erkannte, dass sie keine Chance ge-
gen den ihr körperlich weit überlegenen Angeklagten hatte, leistete sie später
keine Gegenwehr mehr. Auch aus Angst, der Angeklagte werde etwaigen Wi-
derstand wie in der Vergangenheit gewaltsam brechen, ließ sie den Ge-
schlechtsverkehr über sich ergehen, ..." (UA 7).
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Diese Feststellungen tragen eine Verurteilung des Angeklagten, der von
seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat, wegen Vergewaltigung in diesen
Fällen nicht. Auch bei serienmäßig begangenen Vergewaltigungstaten, zumal
wenn diese über einen erheblichen Zeitraum (hier: mehr als anderthalb Jahre)
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begangen werden, bedarf der jeweilige Einsatz des Nötigungsmittels genauer
Feststellungen (st. Rspr., vgl. BGHSt 42, 107 f.; BGHR StPO § 267 Abs. 1
Satz 1 Mindestfeststellungen 7).
Zwar legen die Feststellungen nahe, dass es in einigen dieser Fälle zur
Anwendung von Gewalt gekommen ist, da sich die Nebenklägerin "anfänglich"
noch wehrte. Das Landgericht hat aber keine sicheren Feststellungen dazu ge-
troffen, in wie vielen Fällen der Angeklagte den Geschlechtsverkehr noch unter
Anwendung von Gewalt erzwungen hat (UA 16).
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Dennoch hält die Strafkammer jeweils den Tatbestand der Vergewalti-
gung für gegeben, weil sie der Annahme ist, in allen Fällen habe jedenfalls "die
früher angewendete Gewalt auf die Nebenklägerin als konkludente Gewaltan-
drohung fortgewirkt" (UA 16). Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Zwar
kann einmal angewandte Gewalt als Drohung im Sinne des § 177 Abs. 1 StGB
fortwirken (BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 8; vgl. auch Tröndle/Fischer
StGB 54. Aufl. § 177 Rdn. 20 m.w.N.) und dazu führen, dass das Opfer nur aus
Furcht vor weiterer Gewalt keinen nennenswerten Widerstand mehr leistet.
Wenn jedoch - wie hier - zwischen Gewaltanwendung und dem späteren Ge-
schlechtsverkehr ein längerer Zeitraum, etwa von Wochen oder sogar Monaten
liegt, kommt eine Gleichsetzung von Gewalt und Ausnutzung der Angst vor
Gewalt nicht in Betracht (vgl. BGHSt 42, 107, 111; BGH NStZ 1986, 409). Im
Übrigen setzt auch die konkludente Drohung durch Ausnutzen der Angst vor
Gewalt eine finale Verknüpfung mit der sexuellen Handlung voraus. Der Täter
muss erkennen und zumindest billigen, dass das Opfer sein Verhalten als Dro-
hung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben empfindet und nur deshalb
den Geschlechtsverkehr erduldet (BGHSt 42, 107, 111 m.w.N.). Dies könnte
hier deswegen fraglich sein, weil die Nebenklägerin nach ihren Bekundungen
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"in einer großen Zahl der späteren Fälle" noch nicht einmal "auch nur verbalen
Widerstand mehr geleistet hat" (UA 10).
3. Hinsichtlich der unter II 3 der Urteilsgründe beschriebenen Fälle bedarf
die Sache daher erneuter Verhandlung und Entscheidung.
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Wegen der teilweisen Aufhebung der Verurteilung hat auch die erkannte
Gesamtfreiheitsstrafe keinen Bestand.
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Tepperwien Kuckein Athing
Solin-Stojanović Ernemann