Urteil des BGH vom 04.12.2006

BGH (antragsteller, aufschiebende wirkung, vermögensverfall, zulassung, rechtsanwaltschaft, widerruf, gefährdung, verfügung, höhe, zwangsvollstreckungsverfahren)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AnwZ (B) 98/05
vom
4. Dezember 2006
in dem Verfahren
wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch die Vorsitzenden
Richter Terno und Basdorf, die Richter Dr. Ernemann und Dr. Frellesen sowie
die Rechtsanwälte Dr. Wüllrich, Dr. Frey und Prof. Dr. Quaas nach mündlicher
Verhandlung am 4. Dezember 2006 beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Be-
schluss des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes
Nordrhein-Westfalen vom 20. Mai 2005 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen
und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren ent-
standenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu er-
statten.
Der Geschäftswert wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller ist seit 1972 zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsan-
walt bei dem Amts- und Landgericht H. zugelassen. Bereits mit Verfügung
vom 13. September 2002 hatte die Antragsgegnerin die Zulassung des An-
tragstellers zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls gemäß § 14
Abs. 2 Nr. 7 BRAO widerrufen, diesen Bescheid jedoch mit Verfügung vom
24. September 2002 wieder aufgehoben, nachdem der Antragsteller weitere
Auskünfte über seine Vermögensverhältnisse erteilt hatte. Mit Verfügung vom
15. Juni 2004 hat die Antragsgegnerin die Zulassung des Antragstellers erneut
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wegen Vermögensverfalls widerrufen und mit Bescheid vom 11. August 2004
die sofortige Vollziehung der Widerrufsverfügung angeordnet. Der Anwaltsge-
richtshof hat mit dem angefochtenen Beschluss die aufschiebende Wirkung des
Antrags auf gerichtliche Entscheidung wieder hergestellt und den Antrag des
Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Gegen die zu-
rückweisende Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit der sofortigen
Beschwerde.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 BRAO), hat in der
Sache aber keinen Erfolg. Die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwalt-
schaft ist mit Recht gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO wegen Vermögensverfalls
widerrufen worden.
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1. Zu Unrecht meint der Antragsteller, die Widerrufsverfügung sei bereits
deshalb (formell) rechtswidrig, weil der Widerruf nicht durch den Vorstand der
Antragsgegnerin (§ 224 a Abs. 4 BRAO), sondern durch deren Präsidenten
ausgesprochen worden sei. Der Präsident der Antragsgegnerin war – als deren
vertretungsberechtigtes Organ, das die Beschlüsse des Vorstandes ausführt
(§ 80 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 BRAO) – berechtigt, den Widerruf zu unterzeichnen.
Der Widerruf beruht auch, wie der Senat in der mündlichen Verhandlung an-
hand der Akten und der Geschäftsordnung der Antragsgegnerin im Einzelnen
nachvollziehen konnte, auf einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung des
Vorstands bzw. seiner hierfür zuständigen Abteilung (vgl. § 224 a Abs. 4 Satz 2
BRAO).
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2. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwalt-
schaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist,
es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet
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sind. Diese Voraussetzungen für den Widerruf waren bei Erlass der angegriffe-
nen Verfügung erfüllt.
a) Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordne-
te, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht
ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen.
Beweisanzeichen für einen Vermögensverfall sind die Erwirkung von Schuldti-
teln und fruchtlose Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Rechtsanwalt
(st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 25. März 1991 – AnwZ(B) 73/90,
BRAK-Mitt. 1991, 102; Beschluss vom 21. November 1994 – AnwZ(B) 40/94,
BRAK-Mitt. 1995, 126). Gegen den Antragsteller sind bis zum Widerruf mehr als
20 Klage- und Zwangsvollstreckungsverfahren durchgeführt worden. Sein Ge-
samtschuldenstand belief sich auf ca. 4,4 Millionen Euro. Neben Mobiliar-
zwangsvollstreckungen kam es auch zur Pfändung seines Anteils an der An-
waltssozietät, der er seinerzeit angehörte. Er hat im Beschwerdeverfahren
selbst eingeräumt, dass seine wirtschaftlichen Verhältnisse damals „offensicht-
lich desolat“ waren.
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b) Infolge des Vermögensverfalls waren auch die Interessen der Recht-
suchenden gefährdet. Der Vermögensverfall führt regelmäßig zu einer derarti-
gen Gefährdung insbesondere mit Blick auf den Umgang des Rechtsanwalts
mit Fremdgeldern und den darauf möglichen Zugriff seiner Gläubiger. Das Vor-
liegen eines Ausnahmefalles, in dem nach der Senatsrechtsprechung (vgl. Be-
schluss vom 18. Oktober 2004 – AnwZ(B) 43/03, NJW 2005, 511) eine Gefähr-
dung der Interessen der Rechtsuchenden durch den Vermögensverfall ausge-
schlossen werden könnte, hat der Anwaltsgerichtshof mit zutreffenden Erwä-
gungen verneint.
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3. Ein nachträglicher Wegfall des Widerrufsgrundes, der im gerichtlichen
Verfahren zu berücksichtigen wäre (BGHZ 75, 356; 84, 149), liegt nicht vor.
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Der Antragsteller hat am 24. August 2004 die eidesstattliche Versiche-
rung abgegeben. Durch Beschluss des Amtsgerichts H. vom 10. April 2006
ist zudem der Antrag der Stadtsparkasse He. auf Eröffnung des Insolvenz-
verfahrens über das Vermögen des Antragstellers mangels einer die Kosten
deckenden Masse zurückgewiesen worden. Schließlich ist nach einer Mitteilung
des Amtsgerichts H. vom 10. Oktober 2006 in dem Zwangsvollstreckungsver-
fahren 47 M /06 am 9. Oktober 2006 gegen den Antragsteller eine erneute
Haftbefehlsanordnung (§ 903 ZPO) ergangen. Die hierdurch begründete Ver-
mutung für einen Vermögensverfall (vgl. § 14 Abs. Nr. 7 BRAO i.V.m. § 915
ZPO und § 26 Abs. 2 InsO) hat der Antragsteller nicht zu widerlegen vermocht.
Vielmehr ist in dem im Insolvenzverfahren zur Aufklärung seiner Vermögens-
verhältnisse eingeholten Gutachten (Stand: 23. Februar/16. März 2006) der be-
auftragte Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt, dass gegen den An-
tragsteller sofort fällige Verbindlichkeiten in Höhe von insgesamt 3.751.636, 22
€ bestehen und dass er über keine liquiden Mittel verfügt, um diese Verbind-
lichkeiten auszugleichen. Der Einschätzung des Sachverständigen ist der An-
tragsteller nicht substantiiert entgegengetreten.
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Soweit er – wie bereits in erster Instanz – darauf verweist, an sieben
hochwertigen Ölgemälden von bekannten Künstlern im Gesamtwert von über
20 Millionen Euro im Verkaufsfall gewinnbeteiligt zu sein, vermag dies an der
Einschätzung des Vermögensverfalls in diesem Verfahren nichts zu ändern.
Der Senat kann weder den Wert der angeführten Bilder noch die Wirksamkeit
der mit dem zwischenzeitlich verstorbenen Eigentümer der Gemälde getroffe-
nen Gewinnbeteiligungsabreden beurteilen. Unklar bleibt zudem, ob dessen
Erben sich an die behaupteten Vereinbarungen gebunden sehen oder ob zu
ihrer etwaigen Durchsetzung gerichtliche Verfahren, die sich über Jahre erstre-
cken können, notwendig werden. Das vorgelegte Schreiben des Steuerberaters
Axel Sch. vom 30. November 2006 gibt hierüber keine verlässliche Auskunft.
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Offen bleibt schließlich weiterhin, zu welchen konkreten Zeitpunkten und wel-
chen Preisen gegebenenfalls Verkäufe stattfinden könnten. Der Senat ist inso-
weit auch nicht zu einer Beweiserhebung verpflichtet. Da die Berücksichtigung
des nachträglichen Wegfalls des Vermögensverfalls im Beschwerdeverfahren
nur dazu dienen soll, eine Verdoppelung des Verfahrens bei ansonsten zwei-
felsfrei gegebenen Voraussetzungen für eine sofortige neue Zulassung zu ver-
meiden, ist eine weiter gehende Aufklärung im Beschwerdeverfahren nicht ge-
boten (vgl. Senatsbeschlüsse vom 31. Mai 2002 – AnwZ(B)3/01 und vom
8. November 2004 – AnwZ(B) 83/03).
b) Ein Ausnahmefall, in dem trotz des fortbestehenden Vermögensver-
falls eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden ausgeschlossen
werden könnte, ist auch zum jetzigen Zeitpunkt nicht gegeben. Der Antragstel-
ler übt – wenn auch in einer Sozietät mit einem weiteren Rechtsanwalt – wei-
terhin den Rechtsanwaltsberuf selbständig aus. Die von ihm vorgeschlagenen
Maßnahmen sind daher – schon mangels jeder Kontrollmöglichkeit – nicht ge-
eignet, die durch den Vermögensverfall indizierte Gefährdung der Interessen
der Rechtsuchenden auszuschließen (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 5. De-
zember 2005 –AnwZ(B) 13/05; BRAK-Mitt. 2006, 280 und AnwZ(B) 14/05,
AnwBl. 2006, 281). Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller
nahezu 35 Jahre hindurch den Rechtsanwaltsberuf ohne Beanstandungen aus-
geübt hat.
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4. Die vom Antragsteller gerügten Verstöße gegen Art. 3, 12 Abs. 1 GG
und Art. 12, 49 EGV vermag der Senat nicht zu erkennen. Insoweit nimmt er zur
Vermeidung von Wiederholungen auf die diesbezüglichen zutreffenden Ausfüh-
rungen des Anwaltsgerichtshofs Bezug.
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5. Der Senat hat den Geschäftswert in der üblichen (niedrigeren) Höhe
festgesetzt (vgl. Henssler/Prütting-Dittmann, BRAO, 2.Aufl. § 202 Rdn. 2).
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Terno Basdorf Ernemann Frellesen
Wüllrich Frey Quaas
Vorinstanz:
AGH Hamm, Entscheidung vom 20. Mai 2005 - 1 ZU 73/04 -