Urteil des BGH vom 31.05.2000

Schaltmechanismus Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ZR 154/99
vom
31. Mai 2000
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR: ja
PatG 1981 §§ 110 ff. (i.d.F. des 2. PatGÄndG v. 16.07.1998)
Schaltmechanismus
Im ein Patentnichtigkeitsverfahren betreffenden Berufungsverfahren vor dem
Bundesgerichtshof muß die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand innerhalb
einer zweiwöchigen Frist beantragt werden (entspr. Anwendung von §§ 233,
234, 236 ZPO).
BGH, Beschl. v. 31. Mai 2000 - X ZR 154/99 - Bundespatentgericht
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. Mai 2000 durch
den Vorsitzenden Richter Rogge, die Richter Dr. Melullis, Scharen,
Keukenschrijver und die Richterin Mühlens
beschlossen:
Die Berufung gegen das am 6. Juli 1999 verkündete Urteil des
4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf
Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.
Gründe:
I. Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 10. Januar 1991 an-
gemeldeten deutschen Patents 41 00 547 (Streitpatent), das ein Gelenk zwi-
schen einem Getriebe und dessen Gang-Schaltmechanismus betrifft und fünf
Patentansprüche umfaßt. Die Klägerin hat Nichtigkeitsklage mit dem Ziel erho-
ben, das Streitpatent im Umfang des Patentanspruchs 1 für nichtig zu erklären.
Diese Klage hat das Bundespatentgericht durch Urteil vom 6. Juli 1999 abge-
wiesen, das der Klägerin am 2. August 1999 zugestellt wurde.
Mit am 1. September 1999 beim Bundesgerichtshof als Telefax einge-
gangenem Schriftsatz ihres Prozeßbevollmächtigten Patentanwalts Dr. J.
hat die Klägerin Berufung eingelegt und um Verlängerung der Berufungsbe-
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gründungsfrist gebeten. Der Vorsitzende des beschließenden Senats hat die
Frist zur Begründung der Berufung bis einschließlich 10. Dezember 1999 ver-
längert. Die Berufungsbegründung vom 10. Dezember 1999 ist beim Bundes-
gerichtshof - wiederum als Telefax - am 13. Dezember 1999 eingegangen. Der
Prozeßbevollmächtigte der Klägerin wurde deshalb mit Schreiben vom
23. Dezember 1999 unter Angabe der betreffenden Daten darauf hingewiesen,
daß die Berufungsbegründung verspätet sein dürfte. Auf dieses ihm nach eige-
ner Angabe am 28. Dezember 1999 zugegangene Schreiben äußerte sich der
Prozeßbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 24. Januar 2000. Er
bittet hierin für die Klägerin,
den tatsächlich verspätet eingegangenen Schriftsatz vom
10. Dezember 1999 dennoch als rechtzeitig eingegangen zu be-
handeln.
Diesem Begehren ist die Beklagte entgegengetreten.
II. 1. Die Berufung ist wegen Versäumung der Frist zu ihrer Begründung
unzulässig (§ 113 Abs. 1 PatG). Eine Berufungsbegründung war gemäß § 111
Abs. 2 Satz 3 PatG bis zum 10. Dezember 1999 beim Bundesgerichtshof einzu-
reichen. Der Schriftsatz vom 10. Dezember 1999 ist per Telefax erst am
13. Dezember 1999 eingegangen.
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist der Klägerin nicht zu ge-
währen. Der Senat wertet den Schriftsatz vom 24. Januar 2000 zwar als Antrag
auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungfrist. Dieser An-
trag ist jedoch ebenfalls verspätet und im übrigen auch unbegründet.
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a) Bis zum Inkrafttreten der Regelungen des 2. Gesetzes zur Änderung
des Patentgesetzes und anderer Gesetze (2. PatGÄndG) vom 16. Juli 1998
(BGBl. I S. 1823 ff.) war die an den Bundesgerichtshof stattfindende Berufung
gegen Urteile der Nichtigkeitssenate des Bundespatentgerichts bei diesem Ge-
richt einzulegen (§§ 110 Abs. 1 Satz 2, 112 Abs. 1, 113, 114 PatG jeweils a.F.
- sogenanntes Vorschaltverfahren). Wer ohne Verschulden verhindert war,
dem Bundespatentgericht gegenüber die Berufungsfrist von einem Monat ein-
zuhalten, konnte deshalb gemäß § 123 Abs. 1 PatG innerhalb der in Abs. 2
Satz 1 dieser Vorschrift vorgesehenen Frist von zwei Monaten nach Wegfall
des Hindernisses in zulässiger Weise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
beantragen. In der nunmehr geltenden Fassung des Patentgesetzes ist § 123
PatG im Falle der Berufung in Patentnichtigkeitssachen nicht mehr direkt an-
wendbar, weil er ausdrücklich nur für das Verfahren vor dem Deutschen Pa-
tent- und Markenamt sowie vor dem Bundespatentgericht gilt und das Rechts-
mittel gemäß § 110 Abs. 2 PatG in der Fassung des 2. PatGÄndG durch Ein-
reichung der Berufungsschrift beim Bundesgerichtshof eingelegt wird. Für das
Berufungsverfahren in Patentnichtigkeitssachen fehlt damit eine gesetzliche
Regelung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Die Statthaftigkeit dieses Rechtsbehelfs auch für das Berufungsverfah-
ren in Patentnichtigkeitssachen ist jedoch ein aus Art. 2 Abs. 1 GG und dem
Rechtsstaatsprinzip folgendes Gebot. Unter welchen Voraussetzungen im Be-
rufungsverfahren in Patentnichtigkeitssachen Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand gewährt werden kann, muß deshalb die analoge Anwendung eines ge-
eigneten Regelwerks ergeben. In Betracht zu ziehen sind insoweit einmal der
bereits erwähnte § 123 PatG sowie zum anderen die §§ 233, 234, 236 ZPO,
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wonach die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Falle der Versäumung
der Berufungsfrist als Notfrist oder der Frist zur Begründung der Berufung bin-
nen deutlich kürzerer Frist, nämlich binnen zwei Wochen beantragt werden
muß (§ 234 Abs. 1 ZPO).
b) Dazu, welcher Regelung nach der von ihm geschaffenen neuen
Rechtslage der Vorzug zu geben sein könnte, läßt sich dem 2. PatGÄndG ein
eindeutiger Hinweis nicht entnehmen. Die Tatsache, daß § 123 PatG a.F.
- abgesehen von der hier nicht interessierenden Abs. 1 Satz 2 und Abs. 7 be-
treffenden Änderung - trotz Abschaffung des sogenannten Vorschaltverfahrens
(§§ 112-114 PatG a.F.) vor dem Bundespatentgericht, in dessen Rahmen bis-
her im Falle der Berufung in Patentnichtigkeitssachen über Anträge auf Wie-
dereinsetzung in den vorigen Stand zu entscheiden war, keine Novellierung
erfahren hat, könnte zwar dahin gedeutet werden, daß die Anwendung dieser
Vorschrift in dem nunmehr von Anfang an vor dem Bundesgerichtshof durch-
zuführenden Berufungsverfahren vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt ist; der
gegenteilige Schluß ließe sich aber ebenfalls rechtfertigen, weil der Gesetzge-
ber es auch unterlassen hat, für das Berufungsverfahren vor dem Bundesge-
richtshof eine dem § 106 Abs. 1 PatG entsprechende Regelung zu schaffen,
nach welcher im Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesgerichtshof die
Vorschriften der ZPO über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand analog
anzuwenden sind. Ob sich die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand in Berufungsverfahren in Patentnichtigkeitssachen aus § 123
PatG oder den §§ 233, 234, 236 ZPO ergeben, ist deshalb danach zu ent-
scheiden, welche Vorschriften nach dem allgemeinen Werturteil der in Betracht
zu ziehenden Gesetze eher geeignet erscheinen, den ähnlich gelagerten Fall
zu regeln und zu beherrschen (vgl. Engisch, Einführung in das juristische Den-
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ken, Kapitel VII, I 2). Dies führt zur Anwendbarkeit der Vorschriften der ZPO (im
Ergebnis ebenso Busse, PatG, 5. Aufl., § 121 Rdn. 18).
c) Die Entscheidung über Berufungen in Patentnichtigkeitsverfahren ist
seit den Anfängen des deutschen Patentrechts dem obersten deutschen Ge-
richt für Zivilsachen übertragen. Die Begründung zum Entwurf des
2. PatGÄndG (abgedruckt BlPMZ 1998, 393 ff.) betont, daß mit der Neufassung
die Vorschriften über das Berufungsverfahren vor dem Bundesgerichtshof in
Patentsachen an die in der Zivilprozeßordnung enthaltenen Vorschriften über
das Verfahren vor den Berufungsgerichten angeglichen werden soll (BlPMZ
1998, 396 f.). Da die §§ 233, 234, 236 ZPO eine ausdrückliche Regelung für
die Wiedereinsetzung in die eine Notfrist darstellende Berufungsfrist und in die
Berufungsbegründungsfrist im Falle der Berufung an ein deutsches Zivilgericht
beinhalten, spricht schon dies dafür, daß die zivilprozessualen Regelungen
nach der gesetzlichen Wertung als sachgerechtere Normen angesehen werden
müssen, die Geltendmachung dieses Rechtsbehelfs auch im Rahmen des bei
Patentnichtigkeitssachen zugelassenen Rechtsmittels zu regeln. Im Hinblick
auf die dabei einzuhaltende Frist ist zudem vor allem von Bedeutung, daß das
2. PatGÄndG die Verpflichtung wieder eingeführt hat, die Berufung zum Bun-
desgerichtshof zu begründen (§ 111 Abs. 1 PatG), und die mit der Einlegung
der Berufung beginnende Frist für die Berufungsbegründung einen Monat be-
trägt (§ 111 Abs. 2 Satz 2 PatG). Dies soll die Zusammenfassung und Be-
schleunigung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz ermöglichen, wie es in
der Begründung zum Entwurf des 2. PatGÄndG heißt (BlPMZ 1998, 397). Mit
diesem Gesetzeszweck wäre die nach § 123 Abs. 2 Satz 1 PatG vorgeschrie-
bene Frist von zwei Monaten kaum vereinbar, weil sie die für die Berufungsbe-
gründung gesetzlich vorgesehene Frist deutlich übersteigt. Wer die Berufungs-
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begründungsfrist versäumt, hätte zur Nachholung der Begründung erheblich
mehr Zeit zur Verfügung, als derjenige für die Berufungsbegründung hat, der
die gesetzlich vorgesehene Frist einhält. Schließlich ist auch noch auf § 99
Abs. 1 PatG zu verweisen. Er regelt für das Verfahren vor dem Bundespatent-
gericht, daß das erstinstanzlich zur Entscheidung in Nichtigkeitsverfahren be-
rufene Gericht das GVG und die ZPO als subsidiäres Regelwerk anzuwenden
haben, wenn dies durch die Besonderheiten des Verfahrens nicht ausge-
schlossen wird. Für das Verfahren vor dem Bundesgerichtshof kann ein solcher
Ausschluß hinsichtlich der §§ 233, 234, 236 ZPO nicht festgestellt werden. Ihre
Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprechen
im wesentlichen denen in § 123 PatG; ein praktischer Unterschied besteht le-
diglich hinsichtlich der Frist zur Geltendmachung des Rechtsbehelfs. Eine kür-
zere Frist einzuhalten als vor dem Bundespatentgericht, ist für die Partei, wel-
che die Berufungsfrist oder die Berufungsbegründungsfrist versäumt hat, je-
doch zumutbar angesichts der gesetzlichen Notwendigkeit, sich vor dem Bun-
desgerichtshof durch einen Rechtsanwalt oder einen Patentanwalt als Bevoll-
mächtigten vertreten zu lassen (§ 111 Abs. 4 Satz 1 PatG). Rechtsanwälte sind
ausgebildet und gewohnt, auch binnen kurzer Fristen das zur Wahrung der
Belange ihrer Mandanten Erforderliche zu veranlassen. Von Patentanwälten,
welche die Vertretung vor dem Bundesgerichtshof übernehmen, kann dies
ebenfalls verlangt werden, weil sie gemäß § 111 Abs. 4 Satz 1 PatG dieselbe
Stellung wie ein Rechtsanwalt haben.
Unter diesen Umständen muß in Berufungsverfahren in Patentnichtig-
keitssachen hinsichtlich der Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand der aus verschiedenen Verfahrensgesetzen (vgl. §§ 523, 557
ZPO, §§ 125 Abs. 1, 141 VwGO) ersichtliche und vom Senat in anderem Zu-
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sammenhang auch für das vor ihm stattfindende Verfahren bereits angewandte
(BGH, Beschl. v. 26.9.1996 - X ZR 17/94, GRUR 1997, 119 - Schwimmrah-
menbremse) Grundsatz zurücktreten, im Rechtsmittelverfahren notfalls die für
die Vorinstanz geltenden Regeln heranzuziehen.
d) Die danach maßgebliche Zwei-Wochen-Frist hat die Klägerin nicht
eingehalten. Nach eigener Angabe hat Patentanwalt Dr. J. den gerichtli-
chen Hinweis vom 23. Dezember 1999 über den verspäteten Eingang seiner
Berufungsbegründung vom 10. Dezember 1999 am 28. Dezember 1999 erhal-
ten; jedenfalls damit war das behauptete Hindernis, die Frist zur Begründung
der Berufung einzuhalten, behoben (BGH, Beschl. v. 13.5.1992 - VIII ZB 3/92,
NJW 1992, 2098). Gleichwohl ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in die ver-
säumte Berufungsbegründungsfrist erst am 24. Januar 2000 beim Bundesge-
richtshof eingegangen.
e) Es kann überdies nicht festgestellt werden, daß die Klägerin ohne
Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten, für dessen Verhalten sie einzuste-
hen hat (vgl. § 85 Abs. 2 ZPO; Busse, PatG, 5. Aufl., § 123 PatG Rdn. 31
m.w.N.), verhindert war, die gesetzte Frist zur Begründung der Berufung einzu-
halten. Nach seinen Angaben will Patentanwalt Dr. J. am 10. Dezember
1999 zwar alles getan haben, damit das Faxgerät in seinem Büro um 23.00 Uhr
dieses Tages die Berufungsbegründungsschrift an den Bundesgerichtshof
sende. Damit war aber den Sorgfaltspflichten, die von einem anwaltlichen Ver-
treter verlangt werden können, nicht Genüge getan. Nach ständiger Rechtspre-
chung gehört hierzu im Falle der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per
Telefax, für eine geeignete Ausgangskontrolle zu sorgen (etwa BGH, Beschl. v.
24.3.1993 - XII ZB 12/93, NJW 1993, 1655). Dies erfordert organisatorische
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Maßnahmen des anwaltlichen Prozeßbevollmächtigten, die erwarten lassen,
daß ein Fehler bei der Ausführung eines gegebenen Sendebefehls noch am
Tage des Fristablaufs bemerkt wird (vgl. BGH, Beschl. v. 15.4.1995
- XII ZB 38/95, FamRZ 1995, 1135). An diesen Maßstäben müssen sich auch
die in Patentnichtigkeitssachen mit der Vertretung einer Partei vor dem Bun-
desgerichtshof betrauten Patentanwälte messen lassen, weil sie gemäß § 111
Abs. 4 Satz 1 PatG dieselbe Stellung wie ein Rechtsanwalt haben. Daß in der
Praxis des Patentanwalts Dr. J. die für eine effektive Ausgangskontrolle
der Telefaxversendung fristwahrender Schriftsätze notwendige Vorsorge ge-
troffen gewesen sei, läßt sich dem patentanwaltlich versicherten Vorbringen im
Schriftsatz vom 24. Januar 2000 jedoch nicht entnehmen. Patentanwalt
Dr. J. hat lediglich angegeben, durch einen routinemäßigen Blick auf das
ihm vertraute Faxgerät überprüft zu haben, daß seine freie Speicherkapazität
erkennen lasse, der eingescannte Eingabetext sei richtig in den zum zeitver-
setzten Senden für 23.00 Uhr vorgesehenen Gerätespeicher gelangt.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit
§ 121 Abs. 2 Satz 2 PatG.
Rogge
Melullis
Scharen
Keukenschrijver
Mühlens