Urteil des BGH vom 19.08.2005

POST Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 169/05 Verkündet
am:
5. Juni 2008
Führinger
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
POST
MarkenG § 23 Nr. 2, §§ 50, 54
a) Ist eine im patentamtlichen Löschungsverfahren wegen Vorliegens eines
absoluten Schutzhindernisses nach §§ 50, 54 MarkenG ergangene Lö-
schungsanordnung noch nicht rechtskräftig, ist im Verletzungsrechtsstreit
bis zur Rechtskraft der Entscheidung weiter vom Bestand der Marke auszu-
gehen.
b) Besteht eine Marke aus einem die geschützten Waren oder Dienstleistun-
gen beschreibenden Begriff (hier: POST), stellt dessen Benutzung durch ei-
nen Dritten als Bestandteil eines Kennzeichens (hier: Die Neue Post) für
entsprechende Waren oder Dienstleistungen keinen Verstoß gegen die gu-
ten Sitten i.S. von § 23 MarkenG dar, wenn der Dritte nach Wegfall des Mo-
nopols des Markeninhabers ein besonderes Interesse an der Verwendung
dieses Begriffs hat. Erforderlich ist allerdings, dass das Drittkennzeichen
sich durch Zusätze vom Markenwort abhebt und sich nicht an weitere
Kennzeichen des Markeninhabers (hier: Posthorn, Farbe Gelb) anlehnt.
BGH, Urt. v. 5. Juni 2008 - I ZR 169/05 - OLG Naumburg
LG
Magdeburg
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 19. März 2008 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm
und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Dr. Kirchhoff und Dr. Koch
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 10. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Naumburg vom 19. August 2005 im Kos-
tenpunkt und im Umfang der Zulassung der Revision aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 7. Zivilkammer
des Landgerichts Magdeburg vom 20. Januar 2005 auch im Um-
fang der Aufhebung abgeändert.
Die Klage wird mit den Klageanträgen zu 1 a und b (Verbotsanträge
"Die Neue Post" und "die-neue-post.de"), den hierauf bezogenen
Klageanträgen zu 2 und 4 (Auskunft und Feststellung der Scha-
densersatzverpflichtung) und dem Klageantrag zu 3 (Einwilligung in
die Löschung des Domain-Namens) abgewiesen.
Die Kosten erster und zweiter Instanz werden gegeneinander auf-
gehoben.
Die Gerichtskosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens fal-
len der Beklagten und die Gerichtskosten des Revisionsverfahrens
der Klägerin zur Last.
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Die außergerichtlichen Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdever-
fahrens und des Revisionsverfahrens tragen die Klägerin zu 2/3 und
die Beklagte zu 1/3.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin, die Deutsche Post AG, ist eines der weltweit größten Brief-,
Paket- und Kurierdienstleistungsunternehmen. Sie ist Inhaberin der mit Priorität
vom 22. Februar 2000 aufgrund Verkehrsdurchsetzung eingetragenen Wort-
marke Nr. 300 12 966 "POST", die für die Dienstleistungen "Beförderung und
Zustellung von Gütern, Briefen, Paketen und Päckchen" Schutz genießt. Sie ist
weiterhin Inhaberin zahlreicher Marken, die mit dem Bestandteil "Post" gebildet
sind. Zugunsten der Klägerin sind außerdem als Bildmarke ein schwarzes
Posthorn und als Farbmarke die Farbe "Gelb" (RAL Nr. 1032) eingetragen.
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Die Beklagte betreibt seit August 2002 ein Unternehmen für Kurierdiens-
te und Postdienstleistungen für die Bereiche Sachsen-Anhalt, Berlin und Bran-
denburg. Sie firmiert unter "Die Neue Post". Bei ihrem in den Klageanträgen
wiedergegebenen Internet-Auftritt verwendet sie die Internet-Adresse "die-neue-
post.de".
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Die Klägerin hat geltend gemacht, ihre Wortmarke "POST" und ihr Un-
ternehmenskennzeichen würden durch die Verwendung der Bezeichnungen
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"Die Neue Post" und die Farbe Gelb sowie das stilisierte Posthorn durch die
Beklagte verletzt.
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Sie hat beantragt,
1. die Beklagte unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu
verurteilen, es zu unterlassen, im Geschäftsverkehr die Kennzeich-
nungen,
a) "Die Neue Post" und/oder
b) "die-neue-post.de" und/oder
c) die Farbe "Gelb" und/oder
d) das stilisierte Posthorn
wie nachfolgend abgebildet (es folgen acht Internet-Seiten, von
denen nachstehend beispielhaft eine wiedergegeben ist):
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zum Anbieten und/oder Erbringen der folgenden Dienstleistungen
und/oder in Geschäftspapieren und/oder zum Bewerben für diese
Dienstleistungen zu benutzen und/oder benutzen zu lassen:
Auslieferung von Paketen, Briefen und/oder Karten; Austragen
(Verteilen) von Zeitungen; Kurierdienste (Nachrichten oder Wa-
ren); Nachrichtenüberbringung (Botendienst); Transport von
Wertsachen; Warenauslieferung; Zustellung (Auslieferung) von
Versandhandelsware und/oder gewerbsmäßige Beförderung von
Briefsendungen.
Die Klägerin hat die Beklagte weiter auf Auskunftserteilung und Einwilli-
gung in die Löschung des Domain-Namens in Anspruch genommen und die
Feststellung der Schadensersatzverpflichtung begehrt.
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Das Landgericht hat die Beklagte mit Ausnahme des Klageantrags zu 1 d
und der darauf bezogenen Auskunfts- und Schadensersatzansprüche antrags-
gemäß verurteilt (LG Magdeburg GRUR-RR 2005, 158).
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Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen
und sie auf die Anschlussberufung der Klägerin auch nach dem Klageantrag
zu 1 d und den damit im Zusammenhang stehenden Klageanträgen (Aus-
kunftserteilung und Feststellung der Schadensersatzverpflichtung) verurteilt
(OLG Naumburg GRUR-RR 2006, 256).
Der Senat hat die Revision beschränkt auf die Verurteilung nach den
Klageanträgen zu 1 a und b, auf die hierauf bezogene Verurteilung zur Aus-
kunftserteilung und Feststellung der Schadensersatzverpflichtung sowie auf die
Verurteilung zur Einwilligung in die Löschung des Domain-Namens zugelassen.
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Die Beklagte beantragt, die Klage in dem Umfang, in dem die Revision
zugelassen worden ist, abzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Revision zu-
rückzuweisen.
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Entscheidungsgründe:
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I. Das Berufungsgericht hat die mit den Klageanträgen zu 1 a und b, den
hierauf bezogenen Klageanträgen auf Auskunftserteilung und Feststellung der
Schadensersatzverpflichtung und dem Klageantrag zu 3 verfolgten Ansprüche
aufgrund einer Verletzung der Wortmarke "POST" der Klägerin i.S. von § 14
Abs. 2 Nr. 2 MarkenG bejaht. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Beklagte benutze die angegriffenen Bezeichnungen markenmäßig;
die angesprochenen Verkehrskreise sähen in den Bezeichnungen einen Her-
kunftshinweis und keinen bloßen Sachhinweis. Zwischen der Wortmarke
"POST" der Klägerin und den von der Beklagten benutzten Bezeichnungen be-
stehe Verwechslungsgefahr nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG. Die Parteien bö-
ten identische Dienstleistungen unter den Kollisionszeichen an. Die Klagemarke
sei als verkehrsdurchgesetztes Zeichen vom Deutschen Patent- und Marken-
amt eingetragen worden. Als kraft Verkehrsdurchsetzung registriert sei die
Wortmarke der Klägerin normal kennzeichnungskräftig. Der Grad der Zeichen-
ähnlichkeit zwischen den Kollisionszeichen sei hoch. Der Bestandteil "Post"
präge in den angegriffenen Zeichen deren Gesamteindruck, während die weite-
ren Wortbestandteile "Die Neue" und "die-neue" beschreibend seien und allen-
falls mitprägenden Charakter hätten. Die Verwendung der kollidierenden Zei-
chen sei für die Beklagte auch nicht nach § 23 Nr. 2 MarkenG freigestellt. Vor-
liegend seien über die Verwechslungsgefahr hinaus zusätzliche, die Unlauter-
keit der Annäherung begründende Umstände gegeben. Aus dem Gesamtauftritt
der Beklagten ergebe sich, dass diese es darauf angelegt habe, mit der Kläge-
rin auch unternehmensmäßig in Verbindung gebracht zu werden. Die Beklagte
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verwende mit ihrem in Gelb gehaltenem Internet-Auftritt eine dem klassischen
Post-Gelb sehr ähnliche Farbgestaltung.
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II. Die Revision ist in dem Umfang, in dem der Senat sie zugelassen hat,
begründet. Gegenstand des Rechtsstreits sind nur noch die behaupteten Ver-
letzungen der Kennzeichenrechte der Klägerin aufgrund der Verwendung der
Bezeichnungen "Die Neue Post" und "die-neue-post.de" durch die Beklagte und
die Einwilligung in die Löschung des Domain-Namens.
1. Der Klägerin steht der auf ein Verbot der Verwendung der Zeichen
"Die Neue Post" und "die-neue-post.de" gerichtete Unterlassungsanspruch
nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 und 3, Abs. 5 MarkenG aufgrund der Klagemarke
Nr. 300 12 966 "POST" nicht zu.
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a) Im vorliegenden Verletzungsprozess ist vom Bestand der Klagemarke
auszugehen. Der Verletzungsrichter ist grundsätzlich an die Eintragung der
Marke gebunden (BGHZ 156, 112, 116 f. - Kinder I; 164, 139, 142 - Dentale
Abformmasse). Die Klagemarke steht nach wie vor in Kraft. Sie ist zwar nach
Erlass des Berufungsurteils in mehreren Löschungsverfahren vom Deutschen
Patent- und Markenamt gelöscht worden, und die hiergegen gerichteten Be-
schwerden der Klägerin sind vom Bundespatentgericht zurückgewiesen worden
(BPatG, Beschl. v. 10.4.2007 - 26 W (pat) 24/06, GRUR 2007, 714 und
26 W (pat) 25-29/06). Eine Veränderung der Schutzrechtslage ist im Marken-
verletzungsstreit auch noch in der Revisionsinstanz zu beachten (BGH, Beschl.
v. 13.3.1997 - I ZB 4/95, GRUR 1997, 634 = WRP 1997, 758 - Turbo II; Urt. v.
24.2.2000 - I ZR 168/97, GRUR 2000, 1028, 1030 = WRP 2000, 1148 - Baller-
mann). Die Beschwerdeentscheidungen, mit denen das Bundespatentgericht
die Löschungsanordnungen des Deutschen Patent- und Markenamts bestätigt
hat, sind jedoch noch nicht rechtskräftig. Die Klägerin hat gegen die Entschei-
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dungen des Bundespatentgerichts Rechtsbeschwerde eingelegt. Solange die
Löschungsanordnung nach §§ 50, 54 MarkenG nicht rechtskräftig ist, besteht
im Verletzungsverfahren keine Änderung der Schutzrechtslage (OLG Dresden
NJWE-WettbR 1999, 133, 136; OLG Hamburg GRUR-RR 2004, 71; GRUR-RR
2005, 149; Hacker in Ströbele/Hacker, Markengesetz, 8. Aufl., § 14 Rdn. 13;
a.A. OLG Köln ZUM RD 2001, 352, 354; Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 2. Aufl.,
§ 14 Rdn. 16). Die gegenteilige Auffassung berücksichtigt nicht hinreichend die
aufschiebende Wirkung des im Löschungsverfahren eingelegten Rechtsmittels
(§ 66 Abs. 1 Satz 3, § 83 Abs. 1 Satz 2 MarkenG) und die Aufgabenverteilung
zwischen den Eintragungsinstanzen und den Verletzungsgerichten, nach denen
nur den ersten eine Zuständigkeit zur Prüfung der Eintragungsvoraussetzungen
zugewiesen ist (BGH, Urt. v. 7.10.2004 - I ZR 91/02, GRUR 2005, 427, 428
= WRP 2005, 616 - Lila-Schokolade; Urt. v. 3.2.2005 - I ZR 45/03, GRUR 2005,
414, 416 = WRP 2005, 610 - Russisches Schaumgebäck). Würde bereits eine
nicht rechtskräftige Löschungsanordnung ausreichen, um die Bindungswirkung
des Verletzungsrichters an die Markeneintragung zu beseitigen, bestünde die
Gefahr widersprechender Entscheidungen zwischen den Eintragungsinstanzen
und den Verletzungsgerichten bei der Prüfung der absoluten Schutzhindernisse
nach § 8 MarkenG.
b) Ob die Beurteilung des Berufungsgerichts im Ergebnis zutrifft, zwi-
schen der Wortmarke "POST" der Klägerin und den angegriffenen Zeichen "Die
Neue Post" und "die-neue-post.de" in Alleinstellung bestehe Verwechslungsge-
fahr, kann offenbleiben. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, steht der Klägerin
der geltend gemachte Unterlassungsanspruch jedenfalls nach § 23 Nr. 2 Mar-
kenG nicht zu.
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aa) Nach dieser Vorschrift, die Art. 6 Abs. 1 lit. b MarkenRL umsetzt, ge-
währt die Marke ihrem Inhaber nicht das Recht, einem Dritten zu verbieten, ein
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mit der Marke identisches oder ähnliches Zeichen als Angabe über Merkmale
der Dienstleistungen, insbesondere ihre Art oder ihre Beschaffenheit, im ge-
schäftlichen Verkehr zu benutzen, sofern die Benutzung nicht gegen die guten
Sitten verstößt. Diese Voraussetzungen der Schutzschranke des § 23 Nr. 2
MarkenG sind im Streitfall erfüllt.
bb) Die Vorschrift unterscheidet nicht nach den verschiedenen Möglich-
keiten der Verwendung der in § 23 Nr. 2 MarkenG genannten Angaben (zu
Art. 6 Abs. 1 lit. b MarkenRL: EuGH, Urt. v. 7.1.2004 - C-100/02, Slg. 2004,
I-691 = GRUR 2004, 234 Tz. 19 - Gerolsteiner Brunnen). Die Anwendung des
§ 23 Nr. 2 MarkenG ist deshalb nicht ausgeschlossen, wenn die Voraussetzun-
gen des § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG einschließlich einer Benutzung des ange-
griffenen Zeichens als Marke, also zur Unterscheidung von Waren oder Dienst-
leistungen, vorliegen (BGH, Urt. v. 15.1.2004 - I ZR 121/01, GRUR 2004, 600,
602 = WRP 2004, 763 - d-c-fix/CD-FIX; Urt. v. 24.6.2004 - I ZR 308/01, GRUR
2004, 949, 950 = WRP 2004, 1285 - Regiopost/Regional Post). Entscheidend
ist vielmehr, ob die angegriffenen Zeichen als Angabe über Merkmale oder Ei-
genschaften der Dienstleistungen verwendet werden und die Benutzung den
anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel entspricht (Art. 6 Mar-
kenRL) sowie - was inhaltlich mit der Formulierung der Richtlinienvorschrift
übereinstimmt - nicht gegen die guten Sitten verstößt (§ 23 MarkenG).
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cc) Die Beklagte benutzt den mit der Klagemarke übereinstimmenden
Bestandteil "POST" der Kollisionszeichen zur Bezeichnung von Merkmalen ih-
rer Dienstleistungen. Unter den angegriffenen Zeichen erbringt die Beklagte
Kurierdienste und Postdienstleistungen.
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Der Begriff "POST" bezeichnet in der deutschen Sprache einerseits die
Einrichtung, die Briefe, Pakete, Päckchen und andere Waren befördert und zu-
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stellt, und andererseits die beförderten und zugestellten Güter selbst, z.B. Brie-
fe, Karten, Pakete und Päckchen. Im letzteren Sinn beschreibt der Bestandteil
"POST" der angegriffenen Zeichen den Gegenstand, auf den sich die Dienst-
leistungen der Beklagten beziehen. Er ist daher eine Angabe über ein Merkmal
der Dienstleistungen i.S. von § 23 Nr. 2 MarkenG.
dd) Die Benutzung der Kollisionszeichen "Die Neue Post" und "die-neue-
post.de" durch die Beklagte verstößt auch nicht gegen die guten Sitten i.S. von
§ 23 MarkenG.
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(1) Das Tatbestandsmerkmal des Verstoßes gegen die guten Sitten im
Sinne dieser Bestimmung ist richtlinienkonform auszulegen. Danach ist von
einer Unlauterkeit der Verwendung der angegriffenen Bezeichnungen auszuge-
hen, wenn die Benutzung den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder
Handel nicht entspricht (Art. 6 Abs. 1 MarkenRL). Der Sache nach verpflichtet
dies den Dritten, den berechtigten Interessen des Markeninhabers nicht in un-
lauterer Weise zuwiderzuhandeln (EuGH GRUR 2004, 234 Tz. 24 - Gerol-
steiner Brunnen; Urt. v. 11.9.2007 - C-17/06, GRUR 2007, 971 Tz. 33 und 35
- Céline). Dies erfordert eine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände des
Einzelfalls (EuGH, Urt. v. 16.11.2004 - C-245/02, Slg. 2004, I-10989 = GRUR
2005, 153 Tz. 82 und 84 - Anheuser Busch; BGH, Urt. v. 1.4.2004 - I ZR 23/02,
GRUR 2004, 947, 948 = WRP 2004, 1364 - Gazoz), die Sache der nationalen
Gerichte ist (EuGH, Urt. v. 17.3.2005 - C-228/03, Slg. 2005, I-2337 = GRUR
2005, 509 Tz. 52 - Gillette). Diese gebotene umfassende Beurteilung aller Um-
stände ergibt vorliegend, dass die Benutzung der jetzt noch in Rede stehenden
Zeichen durch die Beklagte nicht unlauter ist.
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(2) Der Senat hat offengelassen, ob zwischen der Klagemarke und den
beanstandeten Zeichen der Beklagten eine Verwechslungsgefahr i.S. von § 14
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Abs. 2 Nr. 2 MarkenG besteht. Zugunsten der Klägerin ist deshalb bei der gebo-
tenen Gesamtabwägung vom Vorliegen einer Verwechslungsgefahr auszuge-
hen. Ein erheblicher Teil des Publikums wird danach eine Verbindung zwischen
den Dienstleistungen der Parteien herstellen, was der Beklagten hätte bewusst
sein müssen. Dies führt jedoch nicht zwangsläufig zur Annahme eines Versto-
ßes gegen die anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel, weil die
Schutzschranke des § 23 MarkenG ansonsten leer liefe (vgl. EuGH GRUR
2004, 234 Tz. 25 - Gerolsteiner Brunnen; GRUR 2007, 971 Tz. 36 - Céline;
BGH, Urt. v. 20.1.2005 - I ZR 34/02, GRUR 2005, 423, 425 = WRP 2005, 496
- Staubsaugerfiltertüten).
Der Annahme eines Verstoßes gegen die anständigen Gepflogenheiten
in Gewerbe oder Handel steht im Streitfall der Umstand entgegen, dass die
Rechtsvorgängerin der Klägerin, die Deutsche Bundespost, als früheres Mono-
polunternehmen ausschließlich mit der Postbeförderung in Deutschland betraut
war und seit der teilweisen Öffnung des Marktes für Postdienstleistungen auch
für private Anbieter in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts ein besonde-
res Interesse dieser Unternehmen an der Verwendung des die in Rede stehen-
den Dienstleistungen beschreibenden Wortes "POST" zur Kennzeichnung ihrer
Dienstleistungen besteht. Ohne eine entsprechende Beschränkung des Schutz-
umfangs der Klagemarke würden die erst später auf den Markt eintretenden
privaten Wettbewerber von vornherein von der Benutzung des Wortes "POST"
ausgeschlossen und ausschließlich auf andere (Fantasie-)Bezeichnungen ver-
wiesen. Da Art. 6 MarkenRL und § 23 MarkenG dazu dienen, die Interessen
des Markenschutzes und des freien Warenverkehrs sowie der Dienstleistungs-
freiheit in der Weise in Einklang zu bringen, dass das Markenrecht seine Rolle
als wesentlicher Teil eines Systems unverfälschten Wettbewerbs spielen kann
(vgl. EuGH GRUR 2004, 234 Tz. 16 - Gerolsteiner Brunnen; GRUR 2005, 509
Tz. 29 - Gillette; Urt. v. 10.4.2008 - C-102/07, GRUR 2008, 503 Tz. 45
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- adidas), ist Wettbewerbern, die neu auf einem bisher durch Monopolstrukturen
gekennzeichneten Markt auftreten, die Benutzung eines beschreibenden Beg-
riffs wie "POST" auch dann zu gestatten, wenn eine Verwechslungsgefahr mit
der gleichlautenden, für die Rechtsnachfolgerin des bisherigen Monopolunter-
nehmens eingetragenen bekannten Wortmarke besteht. Dadurch tritt zwar eine
Beschränkung des Schutzumfangs der Klagemarke ein. Diese Beschränkung
ist wegen der Schutzschranke des § 23 Nr. 2 MarkenG im vorliegenden Fall
aber im Kern bereits dadurch angelegt, dass eine beschreibende Angabe als
Marke verwendet wird. Entgegen der Ansicht der Revision kommt es nicht ent-
scheidend darauf an, dass die Beklagte zur Kennzeichnung ihrer Dienstleistun-
gen und ihres Unternehmens nicht zwingend auf den Begriff "POST" angewie-
sen ist, sondern auch andere Bezeichnungen wählen könnte. Die Beschrän-
kung des Schutzumfangs ist allerdings auf ein angemessenes Maß dadurch zu
verringern, dass die neu hinzutretenden Wettbewerber sich durch Zusätze von
dem in Alleinstellung benutzten Markenwort abgrenzen müssen und nicht durch
eine Anlehnung an weitere Kennzeichen der Markeninhaberin (Posthorn, Farbe
Gelb) die Verwechslungsgefahr erhöhen dürfen.
Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte mit den angegriffenen Zeichen,
die den Zusatz "Die Neue" in Groß- oder Kleinschreibung tragen, einen ausrei-
chenden Abstand von der Klagemarke gewahrt, um nicht gegen die anständi-
gen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel zu verstoßen. Anders verhält es
sich dagegen, soweit die Beklagte zur Kennzeichnung ihrer Dienstleistungen
die Farbe "Gelb" oder das beanstandete Posthorn in Verbindung mit den Zei-
chen "Die Neue Post" und "die-neue-post.de" verwandt hat. Dadurch hat die
Beklagte sich der Klagemarke "POST" in einer Weise angenähert, die die Klä-
gerin nicht mehr als anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel ent-
sprechend hinnehmen muss.
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c) Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch lässt sich auch nicht
auf den Schutz einer bekannten Marke nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 5 Mar-
kenG stützen. In diesem Zusammenhang kann zugunsten der Klägerin unter-
stellt werden, dass die Klagemarke die Voraussetzungen einer bekannten Mar-
ke erfüllt (hierzu näher Büscher, FS Ullmann, 2006, S. 129, 140 f.).
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Die Verwendung der angegriffenen Zeichen erfolgt jedoch nicht ohne
rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise i.S. von § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG.
Insoweit gelten dieselben Erwägungen (II 1 b dd), die der Annahme eines Ver-
stoßes gegen die guten Sitten i.S. von § 23 Nr. 2 MarkenG entgegenstehen
(vgl. BGH, Urt. v. 14.1.1999 - I ZR 149/96, GRUR 1999, 992, 994 = WRP 1999,
931 - BIG PACK).
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d) Die auf die Klageanträge zu 1 a und b bezogenen Klageanträge auf
Auskunftserteilung und Feststellung der Schadensersatzverpflichtung sowie der
Antrag auf Einwilligung in die Löschung des Domain-Namens (§ 14 Abs. 2, 5
und 6, § 19 MarkenG, § 242 BGB) sind ebenfalls nicht begründet, weil die Kla-
gemarke nicht verletzt worden ist.
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2. Die Klägerin kann die geltend gemachten Ansprüche auch nicht mit
Erfolg auf das Unternehmenskennzeichen "Deutsche Post AG" und das Fir-
menschlagwort "POST" der vollständigen Firmenbezeichnung stützen.
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a) Zugunsten der Klägerin kann eine Verwechslungsgefahr i.S. von § 15
Abs. 2 MarkenG zwischen den sich gegenüberstehenden Zeichen unterstellt
werden. Ebenso kann davon ausgegangen werden, dass die Bezeichnungen
"Deutsche Post AG" und "Post" die Voraussetzungen erfüllen, die an ein be-
kanntes Unternehmenskennzeichen nach § 15 Abs. 3 MarkenG zu stellen sind.
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b) Den aus § 15 Abs. 2, 4 und 5 MarkenG abgeleiteten Ansprüchen we-
gen Verwechslungsgefahr steht jedoch die Schutzschranke des § 23 Nr. 2 Mar-
kenG entgegen. Hierfür sind dieselben Erwägungen maßgeblich, die zum Aus-
schluss der markenrechtlichen Ansprüche nach § 23 Nr. 2 MarkenG geführt
haben.
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c) Die aus dem Schutz des bekannten Unternehmenskennzeichens nach
§ 15 Abs. 3 MarkenG hergeleiteten Ansprüche sind nicht gegeben, weil die Be-
klagte die Kollisionszeichen nicht ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer
Weise verwendet hat. Insoweit gilt nichts anderes als das zum Schutz der Mar-
ke "POST" der Klägerin Ausgeführte.
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- 15 -
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
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Bornkamm
Pokrant
Büscher
Kirchhoff
Koch
Vorinstanzen:
LG Magdeburg, Entscheidung vom 20.01.2005 - 7 O 2369/04 (061) -
OLG Naumburg, Entscheidung vom 19.08.2005 - 10 U 9/05 -