Urteil des BGH vom 08.01.2009

BGH (stgb, sicherungsverwahrung, anordnung, stpo, unterbringung, hauptverhandlung, strafkammer, hinweispflicht, menge, schuldfähigkeit)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 568/08
vom
8. Januar 2009
in der Strafsache
gegen
wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-
anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 8. Januar 2009 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Dortmund vom 19. Juni 2008 mit den zuge-
hörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unter-
bringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung
angeordnet worden ist.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landge-
richts zurückverwiesen.
3.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen unerlaub-
ten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt sowie seine Unter-
bringung in der Sicherungsverwahrung und die Einziehung sichergestellter Be-
täubungsmittel angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit
seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.
Das Rechtsmittel hat hinsichtlich der Maßregelanordnung nach § 66 Abs. 2
StGB Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung hat keinen Bestand; inso-
weit greift die sie betreffende Verfahrensrüge durch. Zu Recht beanstandet die
Revision, dass der Angeklagte auf die Möglichkeit der Anordnung dieser Maß-
regel nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form hingewiesen worden ist
(§ 265 Abs. 1 und 2 StPO).
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a) In der dem Verfahren zu Grunde liegenden Anklageschrift wird die
Möglichkeit, Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten zu verhängen,
überhaupt nicht erwähnt; auch der Eröffnungsbeschluss enthält keine eindeuti-
gen Hinweise darauf. Während der Hauptverhandlung wurde ebenfalls kein
förmlicher Hinweis erteilt, wie die Sitzungsniederschrift beweist (§ 274 StPO).
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In dem Eröffnungsbeschluss hat die Strafkammer allerdings auch die Un-
tersuchung des Angeklagten durch einen psychiatrischen Sachverständigen
angeordnet zu der Frage, "ob aus medizinischer Sicht bei ihm zur Zeit der ihm
zur Last gelegten Straftaten eine Einschränkung der Schuldfähigkeit (§ 21
StGB) vorgelegen habe und ob die Voraussetzungen für Maßregeln zur Besse-
rung und Sicherung (§§ 63, 64, 66 StGB) gegeben sind." Zwar kann in der ge-
richtlichen Anordnung, ein Gutachten zur Frage der Schuldfähigkeit und einer
eventuellen Unterbringung einzuholen, ein nach § 265 Abs. 1 und 2 StPO erfor-
derlicher Hinweis liegen (vgl. BGH NStZ 1992, 249). Der Hinweis muss aber,
wenn er seine Funktion erfüllen soll, dem Angeklagten in einer solchen Form
erteilt werden, dass dieser eindeutig sehen kann, auf welche Maßregel das Ge-
richt zu erkennen gedenkt (vgl. BGHR StPO § 265 Abs. 2 Hinweispflicht 6).
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Diesem Erfordernis genügt die allgemein gehaltene Aufzählung sämtli-
cher freiheitsentziehender Maßregeln im Eröffnungsbeschluss nicht. Die Anord-
nung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung stellt mit ihrer in das Le-
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ben eines Angeklagten tief eingreifenden Wirkung einen besonders gravieren-
den Eingriff dar. Deshalb dürfen an die Hinweispflicht des Gerichts in einem
solchen Fall keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (vgl. BGHR aaO;
BGH NStZ-RR 2004, 297 f.).
b) Das Beruhen der Anordnung der Maßregel auf dem fehlenden rechtli-
chen Hinweis wird auch nicht durch andere Vorgänge in der Hauptverhandlung
ausgeschlossen. Insbesondere sind die Ausführungen der Strafkammer in dem
Beschluss vom 18. Juni 2008, mit dem ein Beweisantrag des Angeklagten zu-
rückgewiesen wurde, nicht geeignet, einen förmlichen rechtlichen Hinweis ent-
behrlich zu machen. Denn auch dadurch wurde dem Angeklagten nicht mit hin-
reichender Eindeutigkeit vor Augen geführt, dass ihm die Anordnung der Siche-
rungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB drohte. Dies gilt umso mehr, als sich
der Angeklagte zur Tatzeit im Maßregelvollzug nach § 64 StGB befunden hatte
und die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB bei ihm nicht vorlagen.
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c) Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung war daher aufzuhe-
ben. Das übrige Urteil wird hiervon nicht erfasst.
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2. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass der
Tatrichter - ungeachtet der Regelung des § 67 c Abs. 1 StGB - bei der Ermes-
sensentscheidung nach § 66 Abs. 2 StGB stets zu prüfen hat, ob die Anord-
nung der Sicherungsverwahrung angesichts der Höhe der erkannten Strafe un-
erlässlich ist (vgl. Fischer StGB 56. Aufl. § 66 Rdn. 40 m.w.N.).
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Der neue Tatrichter wird ferner zu beachten haben, dass ein psychiatri-
scher Sachverständiger nicht deswegen an der ihm obliegenden Begutachtung
gehindert ist, weil der Angeklagte eine Exploration verweigert (vgl. BGHR StPO
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§ 246 a Satz 1 Sachverständiger 1; vgl. auch Fischer in KK 6. Aufl. § 246 a
Rdn. 5 m.w.N.). Gegebenenfalls hat das Gericht dem Sachverständigen die
entsprechenden Anknüpfungstatsachen zu vermitteln.
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Mutzbauer