Urteil des BGH vom 01.12.2005

BGH (wert, sendung, abweisung der klage, mitverschulden, bundesrepublik deutschland, verlust, sorgfalt, kenntnis, schaden, beförderung)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 46/04 Verkündet
am:
1. Dezember 2005
Walz
Justizamtsinspektor
als
Urkundsbeamter
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 1. Dezember 2005 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann
und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Pokrant, Dr. Büscher und Dr. Bergmann
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 18. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 10. März 2004 im Kos-
tenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht ein
Mitverschulden verneint hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Be-
rufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin ist Transportversicherer der H. GmbH in
Münster (im Weiteren: Versicherungsnehmerin). Sie nimmt die Beklagte, die
einen Paketbeförderungsdienst betreibt, aus abgetretenem und übergegange-
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nem Recht ihrer Versicherungsnehmerin wegen Verlustes von Transportgut in
drei Fällen auf Schadensersatz in Anspruch.
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Die Beklagte führte für die Versicherungsnehmerin, mit der sie in laufen-
der Geschäftsbeziehung stand, den Transport von Paketsendungen zu fest ver-
einbarten Preisen durch. Den dabei geschlossenen Verträgen lagen die Allge-
meinen Beförderungsbedingungen der Beklagten zugrunde.
Die im Streitfall maßgeblichen Beförderungsbedingungen der Beklagten
(Stand: Februar 1998) enthielten neben dem Hinweis auf die Geltung der All-
gemeinen Deutschen Spediteurbedingungen u.a. folgende Bestimmungen:
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"…
2. Transportierte Güter und Servicebeschränkungen
Sofern nicht schriftlich abweichend mit U. vereinbart, bietet U.
den Transport von Gütern unter folgenden Einschränkungen an:
b) Die Wert- oder Haftungshöchstgrenze ist pro Paket einer Sen-
dung auf den Gegenwert von 50.000 $ in der jeweiligen Landes-
währung begrenzt, es sei denn, dies ist in der jeweils gültigen
U. -Tariftabelle anders festgelegt. …
10. Haftung
… U. haftet bei Verschulden für nachgewiesene direkte Schäden
bis zu einer Höhe von … DM 1.000 pro Sendung in der Bundesre-
publik Deutschland oder bis zu dem nach § 54 ADSp … ermittelten
Erstattungsbetrag, je nach dem, welcher Betrag höher ist, es sei
denn, der Versender hat, wie im Folgenden beschrieben, einen hö-
heren Wert angegeben.
Die Wert- und Haftungsgrenze wird angehoben durch die korrekte
Deklaration des Wertes der Sendung … . Diese Wertangabe gilt als
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Haftungsgrenze. Der Versender erklärt durch die Unterlassung der
Wertangabe, dass sein Interesse an den Gütern die oben genannte
Grundhaftung nicht übersteigt.
Vorstehende Haftungsbegrenzungen gelten nicht bei Vorsatz oder
grober Fahrlässigkeit von U: , seiner gesetzlichen Vertreter oder
Erfüllungsgehilfen.
Sofern vom Versender nicht anders vorgeschrieben, kann U: die
Wertzuschläge als Prämie für die Versicherung der Interessen des
Versenders in seinem Namen an ein oder mehrere Versicherungsun-
ternehmen weitergeben.
…"
Die Versicherungsnehmerin beauftragte die Beklagte im Januar und April
2001 in drei Fällen mit der Beförderung von Paketen innerhalb Deutschlands.
Die Sendungen kamen bei den jeweiligen Empfängern aus ungeklärten Um-
ständen nicht an. Der Handelswert der in den abhanden gekommenen Paketen
enthaltenen Ware lag zwischen 2.954,70 € (Schadensfall 2) und 23.285,25 €
(Schadensfall 1).
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Die Versicherungsnehmerin hatte den Wert der Sendungen in allen drei
Verlustfällen nicht besonders deklariert, weshalb die Beklagte ihre Ersatzleis-
tung unter Berufung auf Nr. 10 ihrer Beförderungsbedingungen auf jeweils
1.000 DM beschränkt hat.
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Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte hafte wegen qua-
lifizierten Verschuldens unbeschränkt. Aus dem Umstand, dass die Beklagte
nicht in der Lage sei, den Verbleib der ihr übergebenen Sendungen aufzuklä-
ren, ergebe sich ihre mangelhafte Betriebsorganisation mit der Folge, dass sie
sich nicht auf Haftungsbeschränkungen berufen könne.
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Ein Mitverschulden wegen der unterlassenen Wertdeklaration sei nicht
anzunehmen, da die Beklagte die Sendungen auch im Falle einer Wertangabe
nicht anders behandelt hätte. Jedenfalls hätten die von der Beklagten behaup-
teten Maßnahmen keine höhere Sicherheit gewährleistet.
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Nachdem die Klägerin die Klage erstinstanzlich in Höhe eines Teilbetra-
ges von 1.533,87 € zurückgenommen hat, hat sie beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 37.959,17 € nebst Zinsen zu
bezahlen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie ist der Auffassung, sie
verfüge über eine ausreichende Betriebsorganisation, so dass ein qualifiziertes
Verschulden nicht gegeben sei. Jedenfalls müsse sich die Klägerin ein Mitver-
schulden der Versicherungsnehmerin wegen unterlassener Wertdeklaration
zurechnen lassen. Im Falle der Wertangabe hätte sie die Pakete sicherer beför-
dert. Zumindest hätte sie die Möglichkeit gehabt, die Sendungen angemessen
zu versichern.
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Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen eingelegte
Berufung hatte keinen Erfolg.
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Mit der vom Senat beschränkt auf die Frage des Mitverschuldens zuge-
lassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage. Die
Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
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Entscheidungsgründe:
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I. Das Berufungsgericht hat der Klägerin aus abgetretenem Recht ihrer
Versicherungsnehmerin einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 425
Abs. 1, §§ 435, 459 HGB zuerkannt. Dazu hat es ausgeführt:
Die Aktivlegitimation der Klägerin ergebe sich aus einer konkludenten
Abtretung der Ansprüche ihrer Versicherungsnehmerin.
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Der Beklagten falle ein qualifiziertes Verschulden i.S. von § 435 HGB zur
Last, da sie an ihren Umschlagstellen keine ausreichenden Eingangs- und Aus-
gangskontrollen durchführe. Die Versicherungsnehmerin habe hierauf auch
nicht verzichtet.
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Die in Verlust geratenen Warensendungen hätten einen von der Beklag-
ten zu ersetzenden Wert von insgesamt 37.959,17 € gehabt. Bei kaufmänni-
schen Absendern sei prima facie anzunehmen, dass die im Lieferschein und in
der dazu korrespondierenden Rechnung aufgeführten Waren in den Paketen
enthalten gewesen seien. Diesen Anscheinsbeweis habe die Beklagte nicht
erschüttert.
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Die an die Klägerin abgetretenen Schadensersatzansprüche seien nicht
aufgrund eines Mitverschuldens der Versicherungsnehmerin gemindert oder
ausgeschlossen. Ein Mitverschulden der Versicherungsnehmerin ergebe sich
nicht aus der fehlenden Wertdeklaration der Sendungen. Zwar sei nach der
höchstrichterlichen Rechtsprechung davon auszugehen, dass ein Versender in
einen nach § 254 Abs. 1 BGB beachtlichen Selbstwiderspruch geraten könne,
wenn er trotz der Kenntnis, dass der Spediteur die Sendung bei zutreffender
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Wertangabe mit größerer Sorgfalt behandele, von einer Wertdeklaration absehe
und bei Verlust gleichwohl Schadensersatz verlange. Dies sei im vorliegenden
Fall jedoch schon deshalb nicht anzunehmen, weil die Beklagte nicht dargetan
habe, dass die Versicherungsnehmerin bei Auftragserteilung Kenntnis von der
besonderen Beförderung von Wertpaketen gehabt habe oder eine solche be-
sondere Behandlung von Wertpaketen hätte kennen müssen. Die erforderliche
Kenntnis der Versicherungsnehmerin ergebe sich auch nicht aus Nr. 10 der Be-
förderungsbedingungen der Beklagten. Eine Mithaftung gemäß § 254 Abs. 2
BGB komme ebenfalls nicht in Betracht, weil kein ungewöhnlich hoher Schaden
eingetreten sei. Ein solcher Schaden sei erst oberhalb eines Wertes von
50.000 US-Dollar anzunehmen, da die Beklagte nach ihren Allgemeinen Ge-
schäftsbedingungen Pakete mit einem Inhalt bis zu diesem Wert als Standard-
pakete befördern wolle und deshalb auch bis zu diesem Wert mit einem Scha-
denseintritt rechnete.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Beklagten ist be-
gründet. Das Berufungsgericht hat ein Mitverschulden der Versicherungsneh-
merin wegen unterlassener Wertdeklaration zu Unrecht verneint.
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1. Mit Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme des Beru-
fungsgerichts, die Klägerin müsse sich das Unterlassen der Wertdeklaration bei
den in Verlust geratenen Sendungen nicht als Mitverschulden ihrer Versiche-
rungsnehmerin anrechnen lassen.
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a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der
Mitverschuldenseinwand auch im Fall des qualifizierten Verschuldens i.S. von
§ 435 HGB zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2003 - I ZR 234/00,
TranspR 2003, 467, 471 = NJW 2003, 3626; Urt. v. 23.10.2003 - I ZR 55/01,
TranspR 2004, 177, 179 = NJW-RR 2004, 394).
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b) Gemäß § 425 Abs. 2 HGB hängen die Verpflichtung zum Schadens-
ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Schadensersatzes davon ab, in-
wieweit bei der Entstehung des Schadens ein Verhalten des Absenders mitge-
wirkt hat. Die Vorschrift des § 425 Abs. 2 HGB greift den Rechtsgedanken des
§ 254 BGB auf und fasst alle Fälle mitwirkenden Verhaltens des Ersatzberech-
tigten in einer Vorschrift zusammen (Begründung zum Regierungsentwurf des
Transportrechtsreformgesetzes, BT-Drucks. 13/8445, S. 60). Ein mitwirkender
Schadensbeitrag des Versenders kann sich daraus ergeben, dass er eine
Wertdeklaration unterlassen oder von einem Hinweis auf die Gefahr eines un-
gewöhnlich hohen Schadens abgesehen hat. Die vom Senat zur Rechtslage
vor dem Inkrafttreten des Transportrechtsreformgesetzes am 1. Juli 1998 zu
§ 254 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB ergangenen Entscheidungen sind ohne inhalt-
liche Änderungen auf § 425 Abs. 2 HGB übertragbar (BGH TranspR 2003, 467,
471).
c) Nicht beigetreten werden kann dem Berufungsgericht jedoch in seiner
Annahme, ein Mitverschulden der Versicherungsnehmerin gemäß § 254 Abs. 1
BGB (§ 425 Abs. 2 HGB) wegen unterlassener Wertdeklaration komme nicht in
Betracht, weil die Beklagte nicht dargetan habe, dass die Versicherungsnehme-
rin bei Auftragserteilung Kenntnis von der besonderen Beförderung von Wert-
paketen gehabt habe oder eine solche besondere Behandlung von Wertpake-
ten hätte kennen müssen.
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aa) Das Berufungsgericht ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen,
dass ein Versender in einen gemäß § 254 Abs. 1 BGB (§ 425 Abs. 2 HGB) be-
achtlichen Selbstwiderspruch geraten kann, wenn er trotz Kenntnis, dass der
Spediteur die Sendung bei richtiger Wertangabe mit größerer Sorgfalt behan-
delt, von einer Wertdeklaration absieht und bei Verlust gleichwohl vollen Scha-
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densersatz verlangt (vgl. BGHZ 149, 337, 353; BGH, Urt. v. 17.6.2004
- I ZR 263/01, TranspR 2004, 399, 401 = NJW-RR 2005, 265). Mit Recht hat
das Berufungsgericht auch angenommen, dass es für ein zu berücksichtigen-
des Mitverschulden ausreichen kann, wenn der Versender die sorgfältigere Be-
handlung von Wertpaketen hätte kennen müssen. Denn gemäß § 254 Abs. 1
BGB ist ein Mitverschulden bereits dann anzunehmen, wenn diejenige Sorgfalt
außer Acht gelassen wird, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur
Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt (BGHZ 74, 25, 28; BGH,
Urt. v. 17.10.2000 - VI ZR 313/99, NJW 2001, 149, 150, jeweils zu § 254 BGB;
Koller, Transportrecht, 5. Aufl., § 425 HGB Rdn. 74; Soergel/Mertens, BGB,
12. Aufl., § 254 Rdn. 23). Von einem Kennenmüssen der Anwendung höherer
Sorgfalt bei korrekter Wertangabe kann im Allgemeinen ausgegangen werden,
wenn sich aus den Beförderungsbedingungen des Transporteurs ergibt, dass er
für diesen Fall bei Verlust oder Beschädigung des Gutes höher haften will.
Denn zur Vermeidung der versprochenen höheren Haftung werden erfahrungs-
gemäß höhere Sicherheitsstandards gewählt.
bb) Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Annahme des Beru-
fungsgerichts, die Versicherungsnehmerin habe eine sorgfältigere Behandlung
von Wertpaketen durch die Beklagte nicht kennen müssen.
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Dem Versender wird durch Nr. 10 der Allgemeinen Beförderungsbedin-
gungen der Beklagten die Kenntnis vermittelt, dass die Beklagte nur bei einer
Wertdeklaration über die in Nr. 10 genannte Haftungshöchstgrenze hinaus
(1.000 DM oder Erstattungsbetrag nach § 54 ADSp a.F.) haften will. Bereits aus
der versprochenen Haftung bis zum deklarierten Wert ergibt sich, dass die Be-
klagte alles daran setzen wird, Haftungsrisiken möglichst auszuschließen. Die-
se Haftung ist von der Zahlung eines Wertzuschlags nach der Tariftabelle der
Beklagten abhängig. Die erhöhte Transportvergütung legt zusätzlich nahe, dass
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die Beklagte ihren Geschäftsbetrieb darauf ausgerichtet hat, wertdeklarierte
Sendungen sorgfältiger zu behandeln. Dem steht nicht entgegen, dass Nr. 10
der Allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten die Möglichkeit er-
öffnet, die Wertzuschläge als Prämie für eine Versicherung weiterzugeben. Ein
verständiger Versender, der die Möglichkeit der Versendung von Wertpaketen
gegen höhere Vergütung ebenso kennt wie die erhöhte Haftung der Beklagten
in diesem Fall wird davon ausgehen, dass die Beklagte bei der Beförderung von
Wertpaketen erhöhte Sorgfalt aufwendet. Er wird zur Vermeidung eigenen
Schadens den Wert der Sendung deklarieren, wenn dieser den in den Beförde-
rungsbedingungen des Spediteurs genannten Haftungshöchstbetrag über-
schreitet.
Danach hätte die Versicherungsnehmerin zumindest wissen müssen,
dass die Beklagte Wertpakete im Vergleich zu Standardsendungen mit größerer
Sorgfalt behandelt.
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2. Der Einwand des Mitverschuldens wegen unterlassener Wertdeklara-
tion scheitert nicht bereits dann an der fehlenden Kausalität, wenn bei wertde-
klarierten Sendungen ein Verlust nicht vollständig ausgeschlossen werden kann
(vgl. BGH TranspR 2004, 399, 401). Ein bei der Entstehung des Schadens mit-
wirkendes Verschulden der Versender kommt vielmehr auch in Betracht, wenn
bei wertdeklarierten Sendungen Lücken in der Schnittstellenkontrolle verbleiben
und nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Sendung gerade in diesem
Bereich verloren gegangen ist und die Angabe des Werts der Ware daher deren
Verlust nicht verhindert hätte (vgl. BGH, Urt. v. 8.5.2003 - I ZR 234/02, TranspR
2003, 317, 318 = NJW-RR 2003, 1473).
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3. Das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig -
bislang keine Feststellungen zu der Frage getroffen, ob die unterlassenen
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Wertangaben auf den in Verlust geratenen Sendungen den Schaden mit verur-
sacht haben, weil die Beklagte bei richtigen Wertangaben und entsprechender
Bezahlung des höheren Beförderungstarifs ihre Sorgfaltspflichten besser erfüllt
hätte und es dann nicht zu den Verlusten gekommen wäre. Die Beklagte hat
unter Beweisantritt vorgetragen, dass der Transportweg einer dem Wert nach
deklarierten Sendung weiterreichenden Kontrollen als der Weg einer nicht wert-
deklarierten Sendung unterliege. Diesem Vorbringen wird das Berufungsgericht
im wiedereröffneten Berufungsverfahren nachzugehen haben. Gelingt der Be-
klagten dieser Beweis nicht, wird sich das Berufungsgericht mit dem Einwand
des Mitverschuldens nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB auseinanderzusetzen ha-
ben, bei dem es nicht darauf ankommt, ob der Auftraggeber Kenntnis davon
hatte oder hätte wissen müssen, dass der Frachtführer das Gut mit größerer
Sorgfalt behandelt hätte, wenn er den tatsächlichen Wert der Sendung gekannt
hätte. Den Auftraggeber trifft vielmehr eine allgemeine Obliegenheit, auf die
Gefahr eines außergewöhnlich hohen Schadens hinzuweisen, um seinem Ver-
tragspartner die Möglichkeit zu geben, geeignete Maßnahmen zur Verhinde-
rung eines drohenden Schadens zu ergreifen. Daran wird der Schädiger jedoch
gehindert, wenn er über die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens im
Unklaren gelassen wird (vgl. BGH, Urt. v. 20.1.2005 - I ZR 95/01, TranspR
2005, 311, 314 f.).
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt ein ungewöhnlich
hoher Schaden nicht erst bei einem Wert der Sendung oberhalb von
50.000 US-Dollar vor. Die Voraussetzung einer ungewöhnlichen Höhe des
Schadens lässt sich nicht in einem bestimmten Betrag oder in einer bestimmten
Wertrelation (etwa zwischen dem unmittelbar gefährdeten Gut und dem Ge-
samtschaden) angeben (vgl. Staudinger/Schiemann, BGB [2005], §
254
Rdn. 75). Die Frage, ob ein ungewöhnlich hoher Schaden droht, kann vielmehr
regelmäßig nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen
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Einzelfalls beurteilt werden. Hierbei ist maßgeblich auf die Sicht des Schädigers
abzustellen (vgl. BGH, Urt. v. 18.2.2002 - II ZR 355/00, NJW 2002, 2553, 2554;
OLG Hamm NJW-RR 1998, 380; Bamberger/Roth/Grüneberg, BGB, § 254
Rdn. 28). Es ist dabei auch in Rechnung zu stellen, welche Höhe Schäden er-
fahrungsgemäß - also nicht nur selten - erreichen. Da insoweit die Sicht des
Schädigers maßgeblich ist, ist vor allem zu berücksichtigen, in welcher Höhe
dieser, soweit für ihn die Möglichkeit einer vertraglichen Disposition besteht,
Haftungsrisiken einerseits vertraglich eingeht und andererseits von vornherein
auszuschließen bemüht ist. Angesichts dessen, dass hier in erster Hinsicht ein
Betrag von 1.000 DM und in zweiter Hinsicht 50.000 US-Dollar im Raum ste-
hen, liegt es aus der Sicht des Senats nahe, die Gefahr eines besonders hohen
Schadens i.S. des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB in solchen Fällen anzunehmen, in
denen der Wert der Sendung 5.000 €, also etwa den zehnfachen Betrag der
Haftungshöchstgrenze gemäß Nr. 10 der Beförderungsbedingungen der Be-
klagten, übersteigt. Danach hat jedenfalls in den Schadensfällen 1 und 3, bei
denen der Handelswert des verloren gegangenen Gutes nach den tatrichterli-
chen Feststellungen 23.285,25 € (Verlustfall 1) und 13.253,09 € (Verlustfall 3)
betragen hat, die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens bestanden.
4. Die Haftungsabwägung nach § 254 BGB (§ 425 Abs. 2 HGB) obliegt
grundsätzlich dem Tatrichter (vgl. BGHZ 149, 337, 355; BGH TranspR 2004,
399, 402).
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Im Rahmen der Haftungsabwägung ist zu beachten, dass die Reichweite
des bei wertdeklarierten Sendungen gesicherten Bereichs einen für die Bemes-
sung der Haftungsquote relevanten Gesichtspunkt darstellt: Je größer der gesi-
cherte Bereich ist, desto größer ist auch der Anteil des Mitverschuldens des
Versenders, der durch das Unterlassen der Wertangabe den Transport der Wa-
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re außerhalb des gesicherten Bereichs veranlasst (BGH TranspR 2003, 317,
318; Urt. v. 19.5.2005 - I ZR 238/02, Umdruck S. 10).
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Ferner ist der Wert der transportierten, nicht wertdeklarierten Ware von
Bedeutung: Je höher der tatsächliche Wert der nicht wertdeklarierten Sendung
ist, desto gewichtiger ist der in dem Unterlassen der Wertdeklaration liegende
Schadensbeitrag. Denn je höher der Wert der zu transportierenden Sendung
ist, desto offensichtlicher ist es, dass die Beförderung des Gutes eine beson-
ders sorgfältige Behandlung durch den Spediteur erfordert, und desto größer ist
das in dem Unterlassen der Wertdeklaration liegende Verschulden des Versen-
ders gegen sich selbst.
III. Danach konnte das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Es
war daher auf die Revision der Beklagten aufzuheben, soweit das Berufungsge-
richt ein Mitverschulden der Versicherungsnehmerin der Klägerin verneint hat.
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Im Umfang der Aufhebung war die Sache zur neuen Verhandlung und Ent-
scheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zu-
rückzuverweisen.
Ullmann
v.
Ungern-Sternberg Pokrant
Büscher
Bergmann
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 26.06.2003 - 31 O 7/02 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 10.03.2004 - 18 U 143/03 -