Urteil des BGH vom 06.06.2002

BGH (eintritt des schadens, störung, anlage, mitarbeiter, schaden, nummer, annahme, verhandlung, verhalten, gutachten)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 214/00
Verkündet am:
6. Juni 2002
Potsch
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 6. Juni 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den
Richter Prof. Dr. Jestaedt, die Richterin Mühlens und die Richter Dr. Meier-
Beck und Asendorf
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Oldenburg vom 11. Oktober 2000 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu anderweiter Verhandlung und Entschei-
dung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Landwirt und befaßt sich mit der Aufzucht und Mast von
Puten. Er unterhält dazu zwei Stallkomplexe, in denen jeweils ein Stallcomputer
im Falle einer Störung über ein an ein Telefon gekoppeltes Selbstwählgerät
Alarm auslöst. Das Wählgerät, von dem der Kläger behauptet, daß es von der
Beklagten geliefert und installiert worden sei, kann auf vier anzurufende Tele-
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fonnummern programmiert werden, die im Alarmfalle nacheinander angewählt
werden. Meldet sich der angerufene Teilnehmer (persönlich oder durch einen
Anrufbeantworter), wird der Ort der Störung mitgeteilt und das Gerät behandelt
den Alarmruf als quittiert. Auf diese Weise werden die programmierten Tele-
fonnummern nacheinander in mindestens zwei Durchgängen angerufen, bis je
Anschluß zwei Quittierungen vorliegen oder mehrfache Anwahl eines An-
schlusses nicht zu einer Entgegennahme des Alarmrufs geführt hat.
Am 4. Februar 1999 wurde die Alarmanlage von einem Mitarbeiter des
Beklagten überprüft und repariert.
Am 15. April 1999 besprühte ein Mitarbeiter des Klägers die in einem
der Ställe gehaltenen mehr als 8.000 Hennen mit einem Medikamentennebel.
Er schloß hierzu die Lüftungsklappen dieses Stalles und vergaß, sie anschli e-
ßend wieder zu öffnen. Durch den hierdurch verursachten Temperaturanstieg
verendete der größte Teil der Tiere.
Das Selbstwählgerät war an diesem Tage auf folgende Telefonnummern
programmiert:
Platz 0: nicht belegt
Platz 1: 403
Platz 2: zweite Festnetznummer des Klägers ("ISDN-Nummer")
Platz 3: Mobilfunknummer des Klägers.
Die Tochter des Klägers nahm unter der zweiten Festnetznummer einen
Alarmruf entgegen, von dem sie den Kläger unterrichtete. Der Kläger reagierte
hierauf jedoch nicht. Sein Mobiltelefon war an diesem Tag ausgeschaltet.
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Der Kläger hat Ersatz eines Schadens von 93.359,31 DM begehrt, der
ihm durch eine unzureichende Benachrichtigung von der eingetretenen Stö-
rung entstanden sei.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers
ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Revision verfolgt er den Klageantrag weiter;
die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der
Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat festgestellt, die Beklagte habe bei den
Reparaturarbeiten im Februar 1999 das Wählgerät fehlerhaft neu program-
miert, indem ihr damit befaßter Mitarbeiter auf Platz 1 der im Alarmfall anzu-
wählenden Telefonnummern statt der Anschlußnummer des Klägers (430) den
Anschluß eines Dritten (403) eingegeben habe. Das zweitinstanzliche Bestrei-
ten dieser Tatsache durch die Beklagte sei unbeachtlich, da sie in der erst-
instanzlichen mündlichen Verhandlung zugestanden worden sei und die Vor-
aussetzungen für einen Widerruf dieses Geständnisses nicht vorlägen. Das
wird weder von der Revision noch von der Revisionsbeklagten angegriffen und
läßt keinen Rechtsfehler erkennen (§§ 288, 532 ZPO).
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Daraus ergibt sich, daß die Werkleistung, die die Beklagte zur Wieder-
herstellung der Funktionsfähigkeit der Alarmanlage zu erbringen hatte, man-
gelhaft war (§ 633 Abs. 1 BGB a.F.).
II. 1. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte habe
gleichwohl für den vom Kläger geltend gemachten Schaden nicht einzustehen,
da nicht festgestellt werden könne, daß die fehlerhafte Programmierung für
diesen Schaden ursächlich geworden sei. Durch das vom Kläger vorgelegte
Gutachten sei belegt, daß die Anlage ordnungsgemäß funktioniert habe. Daher
müßten unter der zweiten Festnetznummer des Klägers ("auf dem ISDN-
Anschluß") und unter der Mobiltelefonnummer des Klägers jeweils zwei Alarm-
rufe eingegangen sein. Wenn der Kläger das Mobiltelefon ausgeschaltet ge-
habt habe und von den zwei Anrufen unter der ISDN-Nummer nur einer wahr-
genommen worden sei, könne das nicht der Beklagten angelastet werden.
Durch den unter der ISDN-Nummer entgegengenommenen Anruf habe die An-
lage ihre Warnfunktion auch erfüllt. Daß die Anlage bei jeder Anlaufstelle zwei
Quittierungen vorsehe, diene zwar der Sicherheit des Klägers, könne aber
nicht dazu führen, daß er sich bei einem eindeutigen Warnruf auf einen weite-
ren Anruf oder darauf verlasse, daß sich ein Mitarbeiter um das Problem küm-
mern werde. Auch wenn es, wie der Kläger behaupte, gelegentlich zu Fehla-
larmen komme, liege es ausschließlich in seinem Risikobereich, wie er die
Sachlage einschätze.
2.
Die Revision beanstandet zu Recht, daß die Ursächlichkeit des
Werkmangels für den eingetretenen Schaden mit der vom Berufungsgericht
gegebenen Begründung nicht verneint werden kann.
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Der Kläger hat vorgetragen, daß sich in der Zeit vor dem Schadenser-
eignis immer wieder gezeigt habe, daß eine ein- oder auch zweimalige telefo-
nische Kontaktierung "keine tatsächliche Alarmmeldung beinhaltet" habe, da
die Störung inzwischen behoben gewesen sei oder lediglich eine Fehlmeldung
vorgelegen habe. Hingegen wäre er – wie auch sonst üblich – bei der Mehr-
fachmeldung einer Störung der Ursache des Alarmrufes nachgegangen (GA
119/120). Gegenteiliges hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Danach ist
aber für das Revisionsverfahren davon auszugehen, daß der Kläger der Stö-
rungsmeldung nachgegangen wäre, wenn auch unter seiner ersten Festnetz-
nummer zwei Alarmrufe eingegangen wären. Der Umstand, daß es infolge der
Fehlprogrammierung diese beiden Alarmrufe nicht gegeben hat, ist somit (mit-)
ursächlich dafür geworden, daß der Kläger eine Überprüfung unterlassen und
nichts unternommen hat, um die Ursache des Temperaturanstiegs im Puten-
stall zu beseitigen.
Es kann auch nicht gesagt werden, das vom Kläger behauptete Verhal-
ten sei so unvernünftig und fernliegend, daß die eingetretene Schadensfolge
dem Verursachungsbeitrag der Beklagten bei der gebotenen wertenden Be-
trachtung deswegen nicht mehr zugerechnet werden könnte. Denn wenn es
zutrifft, daß ein oder zwei Alarmrufe, denen keine weiteren folgten, darauf hin-
deuteten, daß entweder eine Fehlmeldung vorlag oder die Störung bereits
durch einen Mitarbeiter des Hofes behoben worden war, lag es nicht außerhalb
des zu erwartenden Geschehens, wenn der Kläger erst dann reagierte, wenn
ihm weitere Alarmrufe signalisierten, daß tatsächlich eine (nicht behobene)
Störung vorlag.
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III.
Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen
als im Ergebnis zutreffend dar.
Die Erwägungen, die das Berufungsgericht zur Ursächlichkeit des
Werkmangels für den Schaden angestellt hat, sind allerdings unter dem Ge-
sichtspunkt des Mitverschuldens des Klägers an dem Eintritt des Schadens zu
prüfen (§ 254 BGB). Nach den getroffenen Feststellungen kann damit jedoch
nicht angenommen werden, der Schadensersatzanspruch des Klägers entfalle
unter diesem Gesichtspunkt vollständig.
Ob und gegebenenfalls welchen Einfluß eine Mitverursachung des
Schadens durch den Geschädigten auf die Höhe seines Ersatzanspruchs hat,
ist im Wege der Gewichtung der Verursachungsbeiträge zu bestimmen. Diese
obliegt in erster Linie dem Tatrichter (BGHZ 51, 275, 279; 98, 148, 158;
Sen.Urt. v. 12.1.1993 - X ZR 87/91, WM 1993, 652). Eine eigene Entscheidung
im Revisionsverfahren kann nur unter der Voraussetzung eröffnet sein, daß die
tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz hierfür ausreichen (Sen.Urt. aaO).
Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, da das Berufungsgericht zunächst
Feststellungen dazu zu treffen haben wird, inwieweit der Kläger nach den Er-
fahrungen der Vergangenheit Anlaß zu der Annahme hatte, der Eingang von
lediglich zwei Alarmrufen lasse auf eine bereits behobene Störung oder einen
Fehlalarm schließen.
IV.
Zu der Gewichtung der Verursachungsbeiträge weist der Senat
noch auf folgendes hin:
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1.
In diesem Zusammenhang kann der Beklagten nicht angelastet
werden, daß der Kläger und seine Familienangehörigen, wie das Berufungsge-
richt zu Gunsten des Klägers unterstellt hat, möglicherweise von den beiden
Anrufen den zweiten nicht einmal wahrgenommen haben. Zwar kann dies nach
seinem Vortrag darauf beruhen, daß die Störmeldung nach Annahme des An-
rufs, wie auch in dem vorgelegten Privatgutachten ausgeführt, zuweilen erst mit
Verzögerung abgegeben wird. Dafür hätte die Beklagte jedoch nur einzuste-
hen, wenn sie die Alarmanlage installiert hätte. Insoweit wendet sich die Revi-
sion jedoch ohne Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, Ansprüche
wegen eines Mangels der Alarmanlage aus einem Kauf- oder Werklieferungs-
vertrag stünden dem Kläger nicht zu, da er für die Behauptung, die Alarmanla-
ge sei von der Beklagten geliefert und installiert worden, keinen tauglichen
Beweis angetreten habe.
Die Revision rügt hierzu, das Berufungsgericht hätte berücksichtigen
müssen, daß das Bestreiten der Beklagten in Widerspruch dazu stehe, daß der
Geschäftsführer der Beklagten in dem vom Kläger vorlegten Sachverständi-
gengutachten, in dem über eine Besprechung berichtet wird, als Vertreter der
"Installationsfirma" bezeichnet werde, und von Amts wegen eine Parteiverneh-
mung durchführen müssen. Das greift jedoch schon deshalb nicht durch, weil
nicht vorgetragen ist, daß die Bezeichnung in dem Gutachten auf einer ent-
sprechenden Angabe der Beklagten selbst beruhte.
2.
Ohne Erfolg muß auch die Erwägung der Revision bleiben, es sei
zu berücksichtigen, daß die Beklagte nicht nur bei der vom Kläger behaupteten
Lieferung, sondern auch bei der Reparatur des Blitzschadens mit Auswechs-
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lung eines Wählgeräts umfassend über die Funktionsweise der Anlage hätte
aufklären müssen.
Die Revision bezieht sich hierzu auf das Vorbringen in der Berufungs-
begründung, der Kläger sei in die Einzelheiten der Funktionsweise seiner
Alarmanlage nicht eingewiesen worden und ihm sei lediglich klar gewesen, daß
die Anlage ihn bei einer Störung durch eine Vielzahl von Telefonaten in Kennt-
nis setzte. Daraus ergibt sich jedoch nichts dafür, daß sich der Kläger anders
verhalten hätte, wenn er detailliertere Kenntnisse von der Funktionsweise der
Anlage gehabt hätte. Im übrigen käme eine "Aufklärungspflicht" in dem geltend
gemachten Sinne allenfalls für die Erstinstallation in Betracht, für deren
Durchführung durch die Beklagte das Berufungsgericht den Kläger rechtsfeh-
lerfrei als beweisfällig angesehen hat. Bei einer Reparatur mußte die Beklagte
den Kläger jedenfalls nicht (erneut) in die Arbeitsweise der Anlage einweisen.
3.
Zutreffend ist hingegen, daß bei der vom Berufungsgericht fest-
gestellten Neuprogrammierung durch die Beklagte am 4. Februar 1999 die
ordnungsgemäße Funktion der Anlage hätte überprüft werden müssen. Dieser
Gesichtspunkt ist jedoch ohne selbständige Bedeutung, da die Beklagte für die
fehlerhafte Programmierung von Platz 1 des Selbstwählgeräts ohnehin einzu-
stehen hat.
Melullis
Jestaedt
Mühlens
Meier-Beck
Asendorf