Urteil des BGH vom 13.03.2017

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AnwZ (B) 7/04
vom
7. März 2005
in dem Verfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BRAO § 7 Nr. 9
Die Bestimmung des § 7 Nr. 9 BRAO über die Versagung der Zulassung zur Rechtsan-
waltschaft wegen Vermögensverfalls knüpft an eine abstrakte Gefährdung der Rechts-
pflege an (BVerfGE 108, 150, 164) und stellt - anders als der Widerrufsgrund des § 14
Abs. 2 Nr. 7 BRAO - nicht darauf ab, ob eine Gefährdung der Interessen der Rechtsu-
chenden durch den Vermögensverfall aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles
ausgeschlossen ist.
BGH, Beschluß vom 7. März 2005 - AnwZ (B) 7/04 - AGH Mecklenburg-Vorpommern
wegen Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Präsidenten
des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Hirsch, die Richterin Dr. Otten, die Richter
Dr. Ernemann und Dr. Frellesen, die Rechtsanwälte Prof. Dr. Salditt und
Dr. Wosgien sowie die Rechtsanwältin Kappelhoff
am 7. März 2005
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Be-
schluß des 2. Senats des Anwaltsgerichtshofes Mecklenburg-
Vorpommern vom 17. Dezember 2003 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und
der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstande-
nen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 50.000 €
festgesetzt.
Gründe:
Der Antragsteller wurde am 20. August 1997 zur Rechtsanwaltschaft
zugelassen. Die Antragsgegnerin widerrief mit Bescheid vom 6. März 2002 die
Zulassung des Antragstellers gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO wegen Vermö-
gensverfalls und ordnete zugleich die sofortige Vollziehung der Verfügung an.
Der Bescheid wurde bestandskräftig. Das Amtsgericht S. eröffnete mit
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Beschluß vom 23. April 2002 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des
Antragstellers. Dieser beantragte daraufhin, wieder zur Rechtsanwaltschaft
zugelassen zu werden. Die Antragsgegnerin wies den Antrag mit Bescheid
vom 16. August 2002 zurück.
Der Antragsteller hat gerichtliche Entscheidung beantragt. Gegen die
Zurückweisung dieses Antrags durch den Anwaltsgerichtshof wendet sich der
Antragsteller mit seiner sofortigen Beschwerde.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 BRAO), hat in
der Sache aber keinen Erfolg. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die
Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft mit Recht versagt.
1. Dem Antrag auf erneute Zulassung zur Rechtsanwaltschaft steht die
Bestandskraft des Widerrufsbescheids vom 6. März 2002 nicht entgegen.
Denn der Antragsteller macht geltend, daß der Widerrufsgrund aufgrund des
laufenden, erst nach dem Widerrufsbescheid eröffneten Insolvenzverfahrens
nachträglich entfallen sei (Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl., § 6 Rdnr. 21 und
§ 7 Rdnr. 147; Henssler/Prütting, BRAO, 2. Aufl., § 7 Rdnr. 113 m.Nachw.).
2. Der Antrag auf Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft ist jedoch
nicht begründet, weil der Vermögensverfall des Antragstellers fortbesteht (§ 7
Nr. 9 BRAO). Ein Vermögensverfall wird nach dieser Bestimmung vermutet,
wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Rechtsanwalts eröffnet
oder der Rechtsanwalt in das vom Insolvenzgericht oder vom Vollstreckungs-
gericht zu führende Verzeichnis (§ 26 Abs. 2 InsO, § 915 ZPO) eingetragen
ist. Diese Voraussetzung ist mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über
das Vermögen des Antragstellers erfüllt. Da das Insolvenzverfahren - anders
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als in der dem Senatsbeschluß vom 7. Dezember 2004 (AnwZ (B) 40/04, zur
Veröffentlichung bestimmt) zugrundeliegenden Fallgestaltung - bislang nicht
aufgehoben worden ist, besteht die Grundlage der Vermutung weiterhin fort.
Die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls wird nicht, wie der
Antragsteller meint, dadurch widerlegt, daß der Antragsteller im Insolvenzver-
fahren die Restschuldbefreiung gemäß §§ 286 ff. InsO beantragt hat (Senats-
beschluß vom 13. März 2000 - AnwZ (B) 28/99, BRAK-Mitt. 2000, 144 = NJW-
RR 2000, 1228 unter II). Denn im Einzelfall ist fraglich, ob es zu einer Rest-
schuldbefreiung kommt, und die während des laufenden Insolvenzverfahrens
fehlende Befugnis des Schuldners, über sein Vermögen zu verfügen (§ 80
Abs. 1 InsO), steht einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft grundsätzlich ent-
gegen (Senatsbeschluß vom 13. März 2000, aaO; Senatsbeschluß vom
7. Dezember 2004, aaO unter II 2). Von geordneten Vermögensverhältnissen
kann deshalb nicht ausgegangen werden, bevor nicht dem Schuldner mit der
Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Restschuldbefreiung gemäß § 291
InsO angekündigt worden ist und er damit die Verfügungsbefugnis über sein
Vermögen vom Insolvenzverwalter zurückerlangt hat (Senatsbeschluß vom
7. Dezember 2004, aaO unter II 3 und 4). Daran fehlt es im vorliegenden Fall.
Die am 1. Dezember 2001 in Kraft getretene Änderung des § 287
Abs. 2 InsO (Art. 1 Nr. 15 Buchst. b des Gesetzes zur Änderung der Insol-
venzordnung und anderer Gesetzes vom 26. Oktober 2001, BGBl. I, 2710)
rechtfertigt entgegen der Auffassung des Antragstellers keine andere Beurtei-
lung. Durch die Gesetzesänderung ist lediglich der Zeitraum der Wohlverhal-
tensphase - die Laufzeit der Abtretung nach § 287 Abs. 2 InsO - verkürzt und
vorverlagert worden. Dies ändert nichts daran, daß geordnete Vermögensver-
hältnisse des Antragstellers erst dann wiederhergestellt sein können, wenn
das Insolvenzverfahren beendet und der Beschluß über die Ankündigung der
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Restschuldbefreiung (§ 291 InsO) tatsächlich ergangen ist (Senatsbeschluß
vom 7. Dezember 2004, aaO unter II 3; ebenso Feuerich/Weyland, aaO, § 14
Rdnr. 59; Henssler/Prütting, aaO, § 7 Rdnr. 113 aaO; a.A.: Kleine-Cosack,
BRAO, 4. Aufl., § 14 Rdnr. 14 a.E.). Diese Voraussetzung ist hier - wie darge-
legt - noch nicht erfüllt.
3. In der Versagung der Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft liegt
entgegen der Auffassung des Antragstellers keine unverhältnismäßige, mit
Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbare Beschränkung der Berufsfreiheit des An-
tragstellers. Dieser hat auch unter Berücksichtigung seines Grundrechts aus
Art. 12 Abs. 1 GG keinen Anspruch darauf, während des noch fortbestehen-
den Vermögensverfalls zur Rechtsanwaltschaft wieder zugelassen zu werden.
Ein solcher Anspruch besteht auch nicht deshalb, weil die Interessen der
Rechtsuchenden, wie der Antragsteller meint, unter den besonderen Umstän-
den seines Falles bei einer Wiederzulassung nicht gefährdet wären.
a) Auf dieses Vorbringen des Antragstellers kommt es nach § 7 Nr. 9
BRAO nicht an. Diese Bestimmung knüpft allein an das Vorliegen eines Ver-
mögensverfalls an. Dementsprechend ist die Wiederzulassung eines Rechts-
anwalts nur davon abhängig, ob neue Tatsachen belegen, daß sich der Be-
werber nicht mehr in Vermögensverfall befindet (Henssler/Prütting, BRAO,
2. Aufl., § 7 Rdnr. 113), und nicht zusätzlich auch davon, ob im Einzelfall die
Interessen der Rechtsuchenden durch den Vermögensverfall im Falle der Zu-
lassung zur Rechtsanwaltschaft gefährdet wären (Henssler/Prütting, aaO
Rdnr. 112 a.E.).
Die Gesetzesmaterialien enthalten keinen Hinweis auf eine vom Wort-
laut der Vorschrift abweichende Absicht des Gesetzgebers. Durch das Gesetz
zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom
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13. Dezember 1989 (BGBl. I S. 2135) sind die Bestimmungen in der Bundes-
rechtsanwaltsordnung über die Versagung und den Widerruf der Zulassung
zur Rechtsanwaltschaft - §§ 7 und 14 BRAO - hinsichtlich des Vermögensver-
falls geändert worden. Anstelle der bis dahin für die Zurücknahme der Zulas-
sung geltenden Ermessensregelung des § 15 BRAO trat die neue Bestim-
mung des § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO (jetzt: § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO), nach der
die Zulassung zu widerrufen ist, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall
geraten ist, es sei denn, daß dadurch die Interessen der Rechtsuchenden
nicht gefährdet sind. Zugleich wurde in § 7 Nr. 9 BRAO als zwingender Versa-
gungsgrund für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erstmals auf den Ver-
mögensverfall des Bewerbers abgestellt, ohne daß dabei in § 7 Nr. 9 BRAO
eine § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO entsprechende Ausnahmeregelung aufgenom-
men wurde. Von einem gesetzgeberischen Versehen kann bei dieser unter-
schiedlichen Ausgestaltung der Voraussetzungen für die Versagung und für
den Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht ausgegangen wer-
den. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu § 14
BRAO wurde hervorgehoben, daß es zum Schutz der rechtsuchenden Bevöl-
kerung notwendig sei, den bisher in das Ermessen der Zulassungsbehörde
gestellten Widerruf bei einem Vermögensverfall künftig als zwingend vorzuse-
hen, und von dem Widerruf nur abgesehen werden solle, wenn die Interessen
der Rechtsuchenden trotz des Vermögensverfalls nicht gefährdet seien. Die
Begründung zu der dieser Einschränkung nicht aufweisenden Neuregelung
des § 7 Nr. 9 BRAO enthält dagegen lediglich Ausführungen zum Vermögens-
verfall und zu der dafür bestehenden - widerleglichen - gesetzlichen Vermu-
tung, jedoch keinen Hinweis darauf, daß der in § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO gere-
gelte Ausnahmetatbestand entgegen dem Wortlaut des § 7 Nr. 9 BRAO auch
für die Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gelten sollte.
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Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung unterschiedlicher
Voraussetzungen für die Versagung und den Widerruf der Zulassung bei ein-
getretenem Vermögensverfall bestehen nicht. Der Zwang zur Aufgabe eines
frei und zulässig gewählten Berufs wirkt ungleich stärker als das Hindernis, in
einen Beruf einzutreten (BVerfGE 21, 173, 182 f.). Dies rechtfertigt im Interes-
se des Vertrauens- und Bestandsschutzes für den bereits zugelassenen
Rechtsanwalt die im Vergleich zu dem Versagungsgrund des § 7 Nr. 9 BRAO
einschränkende Gestaltung des Widerrufsgrundes des § 14 Abs. 2 Nr. 7
BRAO (vgl. Henssler/Prütting, aaO, § 14 Rdnr. 29), die einen Widerruf dann
nicht zuläßt, wenn eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden durch
den Vermögensverfall bei einer weiteren Berufstätigkeit des Rechtsanwalts im
konkreten Fall ausnahmsweise ausgeschlossen ist. Demgegenüber knüpft § 7
Nr. 9 BRAO an eine abstrakte Gefährdung der Rechtspflege an (BVerfGE,
108, 150, 164). Die Vorschrift steht insoweit - als Ausnahmefall innerhalb der
Bundesrechtsanwaltsordnung (BVerfGE, aaO
)
- dem konkreten Gefährdungs-
tatbestand des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO gegenüber.
b) Im übrigen sind besondere Umstände, die trotz fortbestehendem
Vermögensverfall eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden bei
einer Wiederzulassung des Antragstellers ausschließen würden, im vorliegen-
den Fall nicht gegeben.
Der Senat hat in seinem Beschluß vom 18. Oktober 2004 zu § 14
Abs. 2 Nr. 7 BRAO ausgeführt, eine Gesamtwürdigung der Person des
Rechtsanwalts, der Umstände des eröffneten Insolvenzverfahrens und der
arbeitsvertraglichen Beschränkungen, denen sich der Rechtsanwalt unterwor-
fen hat, könne ausnahmsweise den Schluß zulassen, daß durch den Vermö-
gensverfall des Rechtsanwalts eine Gefährdung der Interessen der Rechtsu-
chenden nicht gegeben ist (AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511 unter 2 c). Eine
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solche Gesamtwürdigung der konkreten Umstände des vorliegenden Falles
würde hier nicht die Annahme rechtfertigen können, daß bei einer Wiederzu-
lassung des Antragstellers während des noch nicht abgeschlossenen Insol-
venzverfahrens die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet wären.
Eine dem Senatsbeschluß vom 18. Oktober 2004 (aaO) in objektiver und per-
sönlicher Hinsicht entsprechende Fallgestaltung liegt - auch hinsichtlich des
Anstellungsvertrags des Antragstellers - nicht vor. Dabei wäre im Rahmen der
Gesamtwürdigung hier auch zu berücksichtigen, daß nach den tatsächlichen
Feststellungen der Widerrufsverfügung vom 6. März 2002, die der Antragstel-
ler nicht angegriffen hat, eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden
durch den Vermögensverfall des Antragstellers gegeben war, der nur durch
die Anordnung des Sofortvollzugs des Widerrufs wirksam begegnet werden
konnte. Auch dies spricht gegen eine Wiederzulassung des Antragstellers,
solange dieser sich weiterhin in Vermögensverfall befindet.
4. Der Antrag, den Geschäftswert des Verfahrens auf 5.000 € herabzu-
setzen, hat keinen Erfolg. Der vom Anwaltsgerichtshof - in Übereinstimmung
mit der ständigen Rechtsprechung des Senats - festgesetzte Geschäftswert
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von 50.000 € entspricht im Regelfall dem Interesse des Bewerbers an der Zu-
lassung zur Rechtsanwaltschaft (§ 3 ZPO). Dies gilt auch für den Antragstel-
ler.
Hirsch
Otten
Ernemann
Frellesen
Salditt
Wosgien
Kappelhoff