Urteil des BGH vom 03.02.2006

BGH (hauptverhandlung, strafkammer, stpo, inhalt, gutachten, leiche, protokoll, wald, rüge, gegenstand)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 298/06
vom
22. September 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. September 2006 be-
schlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Ravensburg vom 3. Februar 2006 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-
gen.
Gründe:
Der Angeklagte wurde wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe
verurteilt. Nach den Feststellungen der Strafkammer hat er 1997 in Brasilien
seine ehemalige Lebensgefährtin gewaltsam getötet, da sie seinen Plänen, bei
seinem Umzug nach Deutschland die gemeinsame Tochter und sein unge-
schmälertes Vermögen mit sich zu nehmen, im Wege stand.
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Seine auf mehrere Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revisi-
on bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
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I.
Der näheren Ausführung bedarf nur Folgendes:
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1. Nach den Feststellungen der Strafkammer hat der Angeklagte nach
der Tat die Leiche zerstückelt und Teile davon im Wald entsorgt, wo Knochen
von ihr in einem Plastiksack gefunden wurden. Zuvor hatte er von den Knochen
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das Muskelfleisch entfernt, um aus von der Strafkammer im Einzelnen näher
dargelegten Gründen die Identifizierung der Leiche zu erschweren. Dass das
Muskelfleisch entfernt worden war, hat ein Sachverständiger ausweislich der
Urteilsgründe im Rahmen seines Gutachtens „anhand der Lichtbilder, aber auch
anhand des verlesenen brasilianischen rechtsmedizinischen Gutachtens“ dar-
gelegt.
2. Hierauf gestützt, trägt die Revision vor, das Gutachten sei nicht verle-
sen worden. Sie verweist dabei auch darauf, dass sich aus dem Protokoll der
Hauptverhandlung nichts anderes ergebe.
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3. Dieses Vorbringen genügt den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2
StPO. Der Senat teilt nicht die Auffassung, die Rüge scheitere an unzureichen-
dem Vortrag, da das Protokoll der Hauptverhandlung nicht mitgeteilt sei.
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Grundsätzlich genügt es für die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge, dass
die den Mangel begründenden Tatsachen vollständig vorgetragen werden. Da-
gegen ist ihre Glaubhaftmachung, etwa durch die Angabe von Beweismitteln
und Aktenstellen, aus denen sich diese Tatsachen ergeben, nicht erforderlich
(BGH NStZ-RR 2003, 334 ; in vergleichbarem Sinne BGH bei Pfeiffer
NStZ 1982, 191; vgl. auch Kuckein in KK 5. Aufl. § 344 Rdn. 41). Der Vortrag,
eine Urkunde sei nicht verlesen worden, ist vollständig. Zur Prüfung seiner
Schlüssigkeit - nicht: seiner Richtigkeit - bedarf es des Rückgriffs auf das Proto-
koll nicht. Besondere Umstände, die in diesem Zusammenhang gleichwohl wei-
tergehende Ausführungen unerlässlich machen könnten, sind nicht erkennbar.
§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erforderte daher nicht die Beifügung (von Ablichtun-
gen) des Protokolls, das sich hier, ohne seine zahlreichen Anlagen, über beina-
he 40 Seiten erstreckt.
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4. Darüber hinaus hat der Generalbundesanwalt erwogen, ob das Gut-
achten auf anderem Wege, etwa durch Verlesung im Rahmen eines Vorhalts,
zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sein kann (vgl.
Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 261 Rdn. 38a m. w. N.). Jedoch hat die Straf-
kammer - obwohl verfahrensrechtliche Ausführungen wie etwa zum Rechts-
grund einer Beweiserhebung in den Urteilsgründen nicht geboten sind - aus-
drücklich auf das „verlesene“ Gutachten abgestellt. Der Senat kann offen las-
sen, ob gleichwohl der vorliegenden Rüge mit dem Hinweis der Boden entzo-
gen werden kann, über das Gutachten könne statt durch Verlesung auch durch
die Antwort auf einen Vorhalt Beweis erhoben worden sein (verneinend in ei-
nem etwas anders gelagerten Fall BGH, Beschluss vom 11. Mai 1983 - 2 StR
66/83; vgl. auch Schoreit in KK 5. Aufl. § 261 Rdn. 24).
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5. Selbst für den Fall, dass der Inhalt des brasilianischen Gutachtens
nicht prozessordnungsgemäß zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht
worden sein sollte, wäre nämlich ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfeh-
ler zu verneinen.
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a) Wie die Urteilsgründe ergeben, hat der Sachverständige in der Haupt-
verhandlung den Inhalt des brasilianischen Gutachtens behandelt und erläutert.
Ist aber der Inhalt eines Schriftstücks in der Hauptverhandlung erörtert und ist
auch nicht bestritten worden, dass das Schriftstück diesen Inhalt hat - hierfür ist
nichts ersichtlich - so kann schon deshalb das Urteil regelmäßig nicht darauf
beruhen, dass das Schriftstück nicht verlesen worden ist (vgl. BGH, Urteil vom
6. Juni 1957 - 4 StR 165/57; OLG Düsseldorf StV 1995, 120, 121 m. w. N.;
Diemer in KK 5. Aufl. § 249 Rdn. 52).
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b) Im Übrigen hatte der Angeklagte die Tat zeitnah seinem Sohn gestan-
den, sonst aber behauptet, die Getötete habe ihn mit einem anderen Mann ver-
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lassen. Erst im Lauf der Hauptverhandlung hat er dann angesichts einer im Ein-
zelnen im Urteil dargelegten „erdrückend gewordenen Beweislage“ immerhin
eingeräumt, dass sie gewaltsam zu Tode gekommen sei. Sie habe nämlich ver-
sucht, ihn, den Angeklagten zu ermorden, sein Leibwächter habe ihn gerettet
und sie getötet. Anschließend sei die Leiche zerstückelt und im Wald entsorgt
worden. Er sei dabei gewesen. Unter den gegebenen Umständen ergibt eine
Gesamtschau der Urteilsgründe ohne weiteres, dass die Ausführungen zu der
Entfernung des Muskelfleischs und den Gründen hierfür nur ein zusätzliches
bestätigendes Indiz aufzeigen, von dem die Überzeugungsbildung der Straf-
kammer hinsichtlich der Täterschaft des Angeklagten nicht abhing (vgl. BGH,
Beschluss vom 26. Januar 2006 – 1 StR 407/05; Beschluss vom 13. September
2001 - 1 StR 378/01; Urteil vom 16. Juli 1981 - 4 StR 336/81; Kuckein in KK 5.
Aufl. § 337 Rdn. 38 m. w. N.).
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II.
Auch im Übrigen hat die auf Grund der Revisionsrechtfertigung gebotene
Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten
ergeben. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des
Generalbundesanwalts, die auch durch die Erwiderungen der Revision (§ 349
Abs. 3 Satz 2 StPO) nicht entkräftet sind.
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